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Das Psychische als verkörpertes System der Informationsverarbeitung
ОглавлениеDie aktuelle biochemisch begründete materialistische Perspektive in der Medizin hat nun auch über die Hirnforschung das Konzept vom Psychischen verändert (Tretter u. Grünhut 2010): Psychische Prozesse und Zustände sind nur Gehirnzustände, so lautet (wieder einmal) die These. Die psychologischen Begriffe könnten daher durch jene der Neurobiologie ersetzt werden. Dies gilt auch als monistische Lösung des dualistischen Leib-Seele-Problems. Allerdings ist das »Qualia-Problem« weiterhin ungelöst, das darin besteht, dass nach dem Philosophen Thomas Nagel (1974) physikalisch nicht geklärt werden kann, wie es ist, eine Fledermaus zu sein oder die Farbe Rot zu erleben. Auch die Erklärung des alltagsweltlichen Faktums der »mentalen Verursachung« (wenn ich will, kann ich den Arm heben oder ruhen lassen) ist nicht zufriedenstellend, sodass das Konstrukt des »Psychischen« weiterhin unersetzbar erscheint und ein methodologischer Dualismus nötig ist. »Erleben« ist ein Phänomen, das einer eigenständigen Betrachtung bedarf. Es deckt sich mit »Verhalten« nur teilweise, denn etwas zu sehen oder Schmerz zu empfinden ist kein Verhalten. Darüber zu berichten ist zwar Verhalten, aber es erfordert die Deutung des Gesagten, das sich wieder auf Erlebtes bezieht. Andererseits kann auch Verhalten ohne wesentliche Beteiligung von Erleben, also unbewusst, ablaufen. Wegen ihrer Komplexität und Dynamik bedarf die Analyse des Erlebens und des Verhaltens, also die Psychologie, einer speziellen systemischen Konzeptualisierung (Strunk u. Schiepek 2006). Dieser systemische Aspekt des Psychischen wird bereits deutlich, wenn man die emotionalen Effekte von Gedanken oder die Denkanstöße, die Emotionen erzeugen, betrachtet. Außerdem sind die verschiedenen innerpsychischen Regelkreise – etwa des willentlichen Handelns – Anregungen für eine personzentrierte Systemtheorie, die auf das Individuum fokussiert ist (Kriz 1999).
Dieses Konzept muss darüber hinaus den komplexen Begriff des »personalen Selbst« im Fokus haben und die Person als in den Körper eingebettet sehen. Man spricht diesbezüglich heute in phänomenologischer Tradition vom »verkörperten Selbst« bzw. vom »embodied self« (T. Fuchs 2000; Tretter 2008).