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Professionelles Handeln

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Der systemische Ansatz als multiprofessionelles Projekt geht also über die Kommunikation zwischen einzelnen ständisch organisierten Berufsgruppen hinaus. Dieses Lehrbuch orientiert sich an einem Konzept professionellen Handelns als wissensbasierter, ethisch begründeter und verantworteter bzw. fachlich kontrollierter Praxis in unterschiedlichen Kontexten, die jedoch nicht mehr auf den Überlegenheits- oder Expertenstatus und die »Exklusivität professioneller Sonderwissensbestände« (Pfadenhauer 2003, S. 208) der klassischen Professionen zurückgreifen kann. Der Einsatz von und der Umgang mit Wissen bezieht sich daher immer auf die Handhabung von Ungewissheit, die für die Lösung praktischer professioneller Probleme konstitutiv ist.

Der amerikanische Wissenschaftssoziologe Donald Schön hat »reflection-in-action« als das Charakteristikum professioneller Praxis bezeichnet (Schön 1983). Situationen, denen sich Professionelle ausgesetzt sehen, sind (1) komplex, d. h. vieldeutig; (2) unsicher, da für jede Situation unterschiedliche Problemdefinitionen und Lösungsoptionen möglich sind; (3) instabil, da sie schnell wechseln und schnelle Neuorientierung hinsichtlich des eigenen Handelns erfordern; (4) einzigartig, da jede Situation eine spezifische historische, personale, zeitliche und materiale Konstellation darstellt, und (5) angewiesen auf Werteentscheidungen, durch die Kompatibilität mit eigenen Normen und Vorannahmen und denen der Umwelt hergestellt werden kann (vgl. Buchholz 1999, S. 194 f.). Professionelles Handeln ist keine Anwendung wissenschaftlichen Wissens auf die Praxis. Insofern ist »Psychotherapie ebenso wie Medizin keine Wissenschaft, sondern eine Profession, in deren Umwelt Wissenschaft vorkommt« (Reiter u. Steiner 1996, S. 159). Die Nichtberücksichtigung dieser Einsicht in der modernen Therapieforschung, die überwiegend einem objektivistischen, kausalen und reduktionistischen Paradigma folgt, dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass sie von den Praktikern nicht rezipiert wird (Padberg 2012). Im Unterschied zur Medizin liegt die Aufgabe von Psychotherapie in der Bearbeitung eher vager Gegenstände (vgl. Fuchs 2011), nämlich komplexer Sinnfragen. Deren Vagheit ist eben gerade kein zu behebendes Defizit, sondern für die professionelle therapeutische Praxis konstitutiv.

Will man wissen, was »jeweils der Fall ist und was dahintersteckt« (N. Luhmann), sind freilich spezifische Fähigkeiten erforderlich, die in langwierigen (Aus-)Bildungs- und Selbstreflexionsprozessen erworben werden. Explizites, in Lehrbüchern vermittelbares Wissen stellt dabei nur einen kleinen Teil dar. Erforderlich sind ausreichendes Wissen über Theoriekonzepte und -modelle unterschiedlicher Reichweite sowie ein spezifisches Kontextwissen im Sinne von Feldkompetenz, das in der Lage ist, typische Problemkonstellationen in zwischenmenschlichen und institutionellen Zusammenhängen zu erkennen. Darüber hinaus braucht es auf der Performanzebene ein hinreichendes Steuerungswissen, z. B. Kenntnisse des dynamischen Potenzials unterschiedlicher Settings in Beratungsprozessen, Fähigkeiten zur Herstellung eines optimalen Arbeitsabstandes (also einer optimalen Balance von Nähe und Distanz), Verständnis für Prozesse, ausreichend Geduld dafür, (vermeintlich) schnellen Lösungsideen zu widerstehen, Fähigkeiten zum Affekt-Containment (d. h. die Souveränität, nicht jede schwierige Affektlage gleich selbst auflösen zu wollen), Fähigkeiten, die eigene Autonomie in einem dynamischen, komplexen Prozess bewahren zu können, Kenntnisse der systemischen Gesprächsführung, Strukturierungsfähigkeit etc. Personales Wissen über die eigene Motivation zur therapeutischen Arbeit, Muster der Reaktion auf unterschiedliche kommunikative Angebote, Klarheit über die eigene persönliche Standortbestimmung, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und Nein zu sagen, usw. gehören zu den selbstreflexiven Kompetenzen, die durch Selbsterfahrung erworben und im Kontext von Supervision und Intervision gepflegt und erweitert werden können.

Dieses Verständnis von Professionalismus, zu dem dieses Buch einen Beitrag leisten soll, kontrastiert mit Versuchen, Psychotherapie analog zu dem – auf seinem Gebiet in vielerlei Hinsicht erfolgreichen – medizinischen Paradigma der Behandlung von Krankheiten zu strukturieren. Auf die Problematik einer Medikalisierung von Sinnfragen soll daher nachfolgend ausführlicher eingegangen werden.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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