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Empirische Sozialforschung

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Als Gesellschaftswissenschaft hat sich die Soziologie von Beginn an mit dem Vorkommen und der Verteilung sozialer Probleme ebenso wie mit ihrer Behandlung durch die Politik und andere gesellschaftliche Institutionen beschäftigt. Unterdisziplinen wie die Familiensoziologie, die Medizinsoziologie, Soziologe der Kindheit u. a. haben eine Vielzahl von Befunden über soziale Lebenslagen erhoben, die auch für psychotherapeutische Kontexte von Belang sind.

Bemerkenswerterweise spielen aber diese Spezialdisziplinen für die Familientherapie ebenso wie für die systemische Therapie nur eine kleine Rolle (Morgan 1988). Auch wenn die einschlägigen Zeitschriften immer wieder Aufsätze oder auch Themenhefte publizieren, die dem sozialen Wandel individueller und kollektiver Lebensweisen als Kontext für die Entwicklung und Veränderung therapierelevanter sozialer Probleme gewidmet sind, lässt sich nicht von einer systematischen Verbindung zwischen Familientherapie und Familiensoziologie reden. Ein möglicher Grund könnte in der lange gehegten normativen Tradition familiensoziologischen Denkens liegen (z. B. bei Parsons; vgl. Bertram 2010), in der die Kleinfamilie als bewahrenswerte Keimzelle der Gesellschaft betrachtet wurde, während Familientherapeuten schon früh mit den Auflösungs- und Transformationsprozessen modernen Familienlebens konfrontiert waren. Zudem erwiesen sich die empirischen, eher an demografischen Fragestellungen orientierten Untersuchungen der Familiensoziologie meist nicht als besonders anschlussfähig für familientherapeutische Problemstellungen. Diese relative Fremdheit ist durchaus zu bedauern, da es in Hinblick auf den gemeinsamen Gegenstand familialer Lebenswelten durchaus einige »Schätze« zu bergen gilt (Kühl 2006, S. 14).

Größere Bedeutung als die nur unzureichend rezipierten Spezialdisziplinen erhielten in der Entwicklung der systemisch-konstruktivistischen Therapie und Beratung psychiatriekritische und grundlagentheoretische Konzepte der Soziologie, die eine Alternative zum vorherrschenden psychomedizinischen Paradigma (Cottone 1989) eröffneten. Dazu gehören mikrosoziologische Ansätze wie der symbolische Interaktionismus, der die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen – und damit auch von psychischen Dispositionen und Problemen – nicht in ihnen selbst verortet, sondern ihre Hervorbringung in symbolisch vermittelten Interaktions- und Kommunikationsprozessen untersucht (vgl. Matthes u. Schütze 1973). Einflussreich waren hier auch u. a. Arbeiten von Scheff und Goffman über die Etikettierung problematischen Verhaltens als geisteskrank im Kontext psychiatrischer Diagnostik und organisationsspezifischer Interaktionsrituale in Kliniken (Goffman 1977; Scheff 1980). In einem berühmt gewordenen Experiment mit verdeckt operierenden »gesunden« Testpersonen in psychiatrischen Kliniken konnte Rosenhan zeigen, dass keine dieser Personen als gesund erkannt, sondern alle psychiatrisch diagnostiziert wurden (1973). Diese Studien entzaubern die Vorstellung von Krankheit als Wesensmerkmal und analysieren sie als soziale Konstruktion, die eine bestimmte Funktion für das betreffende Sozialsystem (z. B. der Familie) erfüllt und mit entsprechenden Rollenanforderungen für Patienten und Therapeuten im Gesundheitssystem einhergeht (Parsons u. Fox 1952).

In den 1950er-Jahren untersuchte eine interdisziplinäre Forschergruppe um den Anthropologen Gregory Bateson die Kommunikationsmuster von Familien mit schizophrenen Indexpatienten (Bateson u. Ruesch 1995; Bateson et al. 1969) und legte damit den Grundstein für die Anwendung eines systemisch-sozialwissenschaftlichen Paradigmas in der Behandlung psychischer Probleme (vgl. Abschn. 1.3.2), was u. a. die Gründung des Mental Research Institute in Palo Alto zur Folge hatte, eines zentralen Gründungsortes der systemischen Therapie.

Eine der ersten deutschsprachigen soziologischen Arbeiten, die eine Verbindung zwischen diesen kommunikationstheoretischen Ansätzen und dem damaligen Stand soziologischer Systemtheorie herstellten, legte Siegert Anfang der 1970er-Jahre vor (1982).

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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