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1.3.7Sozialer Konstruktionismus – Wandel durch dialogische Zusammenarbeit
ОглавлениеKlaus G. Deissler
Alles, was gesagt und getan wird, vollzieht sich in bestimmten Kommunikationszusammenhängen. Es gibt daher weder Aussagen noch Handlungen, die außerhalb von lokalen und zeitgebundenen Beziehungen stehen. Das heißt, sie sind in Kontexten des Gesprächs und der Zusammenarbeit miteinander verwoben.
Kurz gefasst, kann man sozialen Konstruktionismus als eine praktizierte »Lebensform« (Wittgenstein 2011) verstehen, die sich sowohl auf das alltägliche Leben als auch auf die berufliche Praxis bezieht. In Therapie und Beratung steht dabei die gleichberechtigte menschliche Begegnung im Mittelpunkt, in der ein Therapeut als »Gast« im Leben der Klienten betrachtet werden kann (Anderson 1999).
Zentral ist dabei die von Gregory Bateson formulierte Annahme, dass das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, in sozialen Beziehungen hergestellt wird, und nur in zweiter Linie in den beteiligten Personen. Alle Wirklichkeitskonstruktionen
»haben ihre Wurzeln in dem, was zwischen Personen vor sich geht, und nicht in irgendeinem Innerhalb einer Person, was es auch sein mag. […] die Beziehung geht vor; Sie geht voraus« (Bateson 1995, S. 165).
Folgt man dieser Form der Beschreibung, wird die Bedeutung von Dingen, Ideen und vor allem dessen, was und wie wir etwas tun oder sagen, in Beziehungen hergestellt. Bedeutungskonstruktionen sind damit in sozialen Prozessen verankert und befinden sich in ständigem Wandel. Wir behandeln diese Konstruktionen aber häufig so, als seien sie unabhängig von Sprechern, Handelnden oder Beobachtern »objektiv« gegeben. Das zeigt sich in psychotherapeutischen Diskursen z. B. bei »psychopathologischen« Festschreibungen, die dann als »objektive Realitäten« darauf warten, von psychosozialen Fachleuten entdeckt und behandelt zu werden.