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1.2 Konzept der stadtaffinen Branchen – Der Humus der Urbanen Produktion

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Das Konzept der stadtaffinen Branchen stellt den Versuch einer Näherung an das, was Urbane Produktion ist, dar und nähert sich aus einer systematischen und beschäftigungsorientierten Perspektive. Es beruht auf dem Gedanken, dass manche produzierenden Branchen c. p. stadtaffiner sind als andere. Die Gründe können vielfältig sein, wie z. B. eine stadtverträgliche Produktion, Kapitalstärke oder auch die notwendige Nähe zum Endkunden. Folglich können bei der Messung die Begriffe »Urbane Produktion« und »verarbeitendes Gewerbe« keine Synonyme bleiben, denn Urbane Produktion umfasst unserer Ansicht nach weder alle Branchen des Abschnitts C der WZ 2008, noch ist Urbane Produktion auf das verarbeitende Gewerbe allein beschränkt. Unsere Auswahl an produzierenden Wirtschaftsbereichen, die wir als stadtaffin erachten und zur Diskussion stellen, beruht dabei auf Plausibilitätsüberlegungen unter Berücksichtigung anderer Studien, die jene Wirtschaftsbereiche als stadtaffin benennen. Dies sind die Wirtschaftsbereiche der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), der Spitzen- oder hochwertigen Technologie (Hightech), die Gesundheitswirtschaft, die Kreativwirtschaft, das Handwerk und das Urban Farming/Urban Gardening. Diese sind – um mit einem Bild zu sprechen – als Teile des Humus zu verstehen, der den Baum der Urbanen Produktion wachsen und gedeihen lässt ( Abb. 2).

Es ist klar, dass sich die einzelnen Wirtschaftsbereiche hierbei überlappen oder Untergruppen voneinander darstellen. Eine solche Überschneidung ist aber durchaus zulässig und auch gewünscht: Denn Urbane Produktion zeichnet sich durch ein hohes Maß an Heterogenität aus. Es ist eine Art Sammelbegriff für viele produzierende Bereiche und es gilt, dieses Konstrukt aus unterschiedlichen Perspektiven seiner eigenen Bestandteile zu analysieren. Von einer Gewichtung der Bestandteile Urbaner Produktion wird hierbei bewusst abgesehen. Stattdessen werden die Anteile an Urbaner Produktion zum einen über die Anzahl der


Abb. 2: Urbane Produktion visualisiert als Baum, der durch einen aus stadtaffinen Branchen bestehenden Humus gespeist wird (eigene Darstellung).

Unternehmen und zum anderen über die Anzahl der Beschäftigten in dem Wirtschaftsbereich gemessen. Dies gibt Hinweise auf Arbeitsplatzeffekte, nach denen – falls gewünscht – ausgewertet werden kann. Im Folgenden wird die Auswahl der einzelnen Wirtschaftsbereiche Urbaner Produktion detaillierter erläutert:

Ein Kriterium der Stadtaffinität kann z. B. das positive Wachstum einer Branche sein. Aufgrund der höheren Standortpreise in städtischen Lagen sind es vornehmlich kapitalstarke Branchen, die sich einen innerstädtischen Standort leisten können. Der grundsätzliche Zusammenhang von Kapitalstärke und freier Standortwahl ist unmittelbar plausibel. Zu den wachsenden Wirtschaftsbereichen gehören insbesondere die Gesundheitswirtschaft sowie forschungsintensive Technologien der IKT-Branche. Beide Branchen zeichnen sich durch einen hohen technischen Standard aus, welcher sich nicht nur auf die Produkte, sondern auch auf die Fertigungsprozesse bezieht. Da hier hoher technischer Standard dauerhaft nur durch Modernisierung zu erhalten ist, sind diese Branchen in der Stadt gut vorstellbar, da im Zuge der Modernisierung auch emissionsmindernde Maßnahmen getroffen werden können.

Die Gesundheitswirtschaft wird hier nach dem Schichtenmodell des IAT verstanden ( Abb. 3). Der Gesundheitssektor, in Abgrenzung zur Gesundheitswirtschaft, stellt den Kern des Modells dar. In unserer Interpretation ist insbesondere die dritte Schicht von Bedeutung, da hier Produktion vertreten wird durch die Pharmazeutische Industrie, Biotechnologie, Medizin- und Gerontotechnik sowie das Gesundheitshandwerk. Letzteres ist sehr gut in die innere Stadt integrierbar: zum einen aufgrund der hohen Nachfrage einer alternden Gesellschaft und zum anderen aufgrund einer für das Handwerk weitgehend typischen Verträglichkeit mit dem städtischen Umfeld, sodass bereits heute bspw. Orthopäd:innen und Hörgeräteakustiker:innen das innerstädtische Bild prägen. Neben dem Gesund-


Abb. 3: Schichtenmodell der Gesundheitswirtschaft (eigene Darstellung nach Fretschner/Hilbert 2002).

heitshandwerk empfiehlt sich die Pharma-Industrie als potenzieller urbaner Produzent. Diese Branche ist enorm kapitalstark sowie stark wachsend. Viele Unternehmen dieses Sektors haben die Städte als anregende Standorte erkannt und entwickeln z. B. Campus-Konzepte wie den Novartis-Campus, das Werkareal in St. Johann in Basel, wo Produktionsstätten verknüpft werden mit Forschungs- und Bürogebäuden, z. T. von Stararchitekt:innen (z. B. Frank O. Gehry, David Chipperfield, Tadao Ando) entwickelt. Das Image ist hierbei einer der wesentlichen Faktoren, der diesen Industriezweig in das Zentrum der Städte bewegen kann. Hier kann durch prestigeträchtige Lagen die beschriebene Finanzstärke demonstriert und die hochqualifizierten Wissensarbeiter:innen können angezogen werden.

Neben der Kapitalstärke und Wissensintensität einer Branche ist – insbesondere für kleinteiligere Produktionsbereiche – die hohe Kundenspezifikation der Produkte ein weiterer Aspekt, der einen urbanen Standort empfiehlt (Lentes 2017).

Ähnlich lässt sich über die Stadtaffinität für den IKT-Bereich und für die hochwertige bzw. Spitzentechnologie urteilen. Die IKT-Produktion umfasst in unserer Sichtweise die Bereiche IKT-Hardware und – entsprechend der Definition von Urbaner Produktion im weiteren Sinne – auch die IKT Software-Produktion (ZWE 2014). Hoch- und Spitzentechnologie können IKT beinhalten, decken inhaltlich aber eine größere Bandbreite ab. Diese Überschneidung ist hier zulässig und gewollt. Zur Spitzentechnologie gehören bspw. Produktionsunternehmen aus den Bereichen der pharmazeutischen Grundstoffe, der Datenverarbeitungsgeräte sowie der Mess- und Navigationsinstrumente; zu dem Bereich der hochwertigen Technik gehören z. B. die Herstellung von Maschinen, Motoren, Kraftfahrzeugen und verschiedenen chemischen Erzeugnissen (ZEW 2013, 2). Im Bereich der Spitzen- respektive hochwertigen Technologien wie auch im IKT-Bereich sind kleinere, dezentrale Produktionseinheiten und damit eine Integration in das Innenstadtgefüge denkbar. Eine positive Imagebildung kann hier ebenfalls eine wesentliche Motivation sein. Gleichzeitig können Kommunen mit der Ansiedlung von hochwertigen Technologien für sich werben. Innovation, Arbeitsplätze, das Gestalten von Zukunft sind mit Spitzentechnologie verbundene Begriffe. Darmstadt wirbt z. B. als Kommune – auch in seinem neuen Stadtentwicklungskonzept (Darmstadt 2030+) – mit dem Titel der Wissensstadt.

Einer völlig anderen Motivation folgt die Stadtaffinität für den Bereich der Kreativwirtschaft und des Urban Farming. »Kreativität braucht die Stadt, das urbane Milieu, um sich zu entfalten« (KuWi 2008). Die Kreativwirtschaft ist bereits historisch in der Stadt als Zentrum für Mode, Kunst und Kultur angesiedelt und auch heute ist die Kreativwirtschaft unbestritten stadtaffin (KuWi 2008; BMWi 2021). Künstler:innenwerkstätten und Manufakturen – zumeist betrieben durch Einzelpersonen – können aufgrund ihrer geringen Produktionsmenge und überschaubaren Produktionstechnologie verhältnismäßig leicht in das Stadtgefüge integriert werden. Die Kreativwirtschaft ist – nicht durchweg aber dennoch verstärkt – häufig in niedrigpreisigen Vierteln zu verorten, oftmals auch dort noch subventioniert. Immerhin können strukturschwache Quartiere durch die Ansiedlung von bspw. Kunsthandwerk und der dazugehörigen Szene revitalisiert werden. Praxisbeispiele sind das Samtweberviertel in Krefeld und auch der Wuppertaler Ölberg. Beim letztgenannten ging der Impuls von den ansässigen Unternehmern aus, die in Nachbarschaftsaktionen und Selbstverwaltung ein Image geschaffen und Leerstände beseitigt haben.

Urban Farming/Urban Gardening ist derzeit am ehesten als Trend zu beschreiben. Noch handelt es sich oftmals um engagierte Einzelpersonen/Personenkreise. Oftmals erfolgt Urban Farming/Gardening durch das Anlegen von privatwirtschaftlichen Stadtgärten bis hin zur Errichtung von Aquaponikanlagen. Eine innerstädtische landwirtschaftliche Nutzung im großen Stil zu denken, wird am ehesten über die Konzepte einer produktiven Landschaft im Rahmen der Freiraum- und Grünflächenplanung ermöglicht, wie sie derzeit von vielen Landschaftsplanern entwickelt und implementiert werden.

Eine weitere Facette Urbaner Produktion bildet das Handwerk ( Beitrag Carsten Benke), das bereits historisch in der Stadt angesiedelt war. Es braucht die Nähe zu den Kund:innen, findet seinen Absatz und seine Mitarbeiter:innen oft im Quartier und ist tendenziell wenig über die Stadtgrenze hinweg aktiv. Zu- und Ablieferung von Material sind hier überschaubar, solange nicht in Serie produziert wird. In seiner Verbindung von Produktion und Dienstleistung ist das Handwerk traditionsverbunden und zukunftsweisend zugleich. So gewinnt auch in anderen Bereichen aufgrund der Komplexität der Technik die Unterstützung in Form der Serviceleistung an Bedeutung und sogenannte hybride Produkte etablieren sich als Paket aus Ware plus Dienstleistung am Markt. Ursächlich sind die Kund:innen, die weder an einem Produkt noch an einer Dienstleistung interessiert sind, sondern an der Problemlösung (Böhmermann/Krcmar 2007).

Unternehmen aus den beschriebenen Segmenten einer stadtaffinen Produktion können jedoch nicht automatisch ihren Standort in der Stadt finden. Natürlich liegen etliche Hürden und Hemmnisse vor, die einer innerstädtischen Ansiedlung entgegenwirken können. Diese liegen neben Emissionen von Lärm und Schadstoffen insbesondere in den Flächenkosten und in logistischen Fragen. Dennoch ist es aus einer Potenzialsicht spannend, zu sehen, welche produzierenden Unternehmen und Sektoren grundsätzlich als stadtaffin gefunden werden können.

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