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Eine Einführung Thomas Krüger, Monika Piegeler und Guido Spars

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Die Stadt und ihr Gewerbe – eine bereits seit ewigen Zeiten währende Liaison. Das Gewerbe in der Stadt ist so alt wie die Stadt selbst, denn viele Siedlungen sind durch gewerbliche Aktivitäten und den Austausch von Waren, also Handel entstanden. Waren es zunächst die Knotenpunkte überregionaler Handelsrouten, an denen die Städte entstanden, so halfen später die Arbeitsteilung auf engstem Raum und die Spezialisierung dabei, dass sich größere und kleinere Städte fast überall in Europa entwickeln konnten. Erst mit einer Produktion der Güter in größerer Stückzahl wurden die Produkte günstiger, konnten besser getauscht und weiterverarbeitet werden, sodass sich die Arbeitsteilung immer weiter verfeinerte und im Ergebnis zu schnell wachsendem Wohlstand führte (Spars 2017). Also entstanden größere Manufakturen und die einzelnen Gewerbespezialisierungen und Produktionsarten, wie wir sie heute kennen, bildeten sich heraus. Eine wachsende Zahl an Arbeiter:innen ließ sich nun (aus Gründen der Zeit- und Transportkostenersparnis) ebenfalls in der Nähe der Manufakturen nieder. Ein Marktplatz wurde eingerichtet, um die verschiedenen Güter und Dienstleistungen zu tauschen, was wiederum Händler:innen anzog. Diese Wirtschaftsstrukturen und die darin tätigen Menschen bildeten fortan die Stadt. Diese Entwicklung wurde dann später im Zeitalter der Industrialisierung und der Massenproduktion immer stärker vorangetrieben und führte zu dem enormen Stadtwachstum, das uns aus fast allen (europäischen) Städten bekannt ist (ebd.).

Die angesprochene Dynamik der Stadtveränderung führte während der vielen Jahrhunderte zu einem permanenten räumlichen Anpassungsprozess des Gewerbes in der Stadt. Ein weiterer Treiber für die Standortveränderungen des Gewerbes war die Herausbildung neuer Technologien in den Bereichen Produktion, Transport und Kommunikation. So war das Gewerbe am Anfang – also beispielsweise das Handwerk – entweder sehr zentrums- und damit kundennah – z. B. direkt am Marktplatz – oder in Ermangelung alternativer Antriebstechnologien für die ersten Maschinen in der Nähe von Wasserläufen oder auf windigen Anhöhen angesiedelt (Wasser- und Windmühlen). Mit dem Aufkommen der Dampfmaschine und der Elektrizität war man dann nicht mehr auf das Wasser und den Wind als Antriebsmedien angewiesen; etliche dieser Standorte verfielen. Aber auch die sich verändernde Mobilität beeinflusste die Gewerbestandortwahl. So wurde der Auszug der Produktion aus den europäischen Städten durch die Verbreitung des Automobils seit den 1950er Jahren – sowohl für die Arbeitskräfte, die Kund:innen als auch die Logistik – enorm begünstigt. Fortan konnten hohe Bodenpreise und Standortkosten in der Stadt vermieden werden, freilich jedoch durch die Inkaufnahme entsprechender Mobilitätskosten. Auch ein verstärktes Umweltbewusstsein und die damit einhergehenden Umweltauflagen für die Produktionsstätten verstärkten die Suburbanisierung des produzierenden Gewerbes weiter.

Heute nun beschreiben und diskutieren wir Rahmenbedingungen und Prozesse, die die Ansiedlung oder den Verbleib der Produktion in urbanen Lagen begünstigen. Da sind zum einen die Chancen der digitalen Technologien zu nennen, die landläufig unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« diskutiert werden. Hierunter werden die Erwartungen gefasst, die sich mit einer flächendeckenden und schnittstellenfreien Nutzung von echtzeitnahen Informationen auf der Produktions- und der Kundenseite verbinden. Es geht also um den Mehrwert, den internetfähige Produkte durch den Datenaustausch mit anderen Objekten generieren (Internet der Dinge). Auf der Seite der Produktion wird die Vernetzung von Maschinen, Anlagen und Produkten entsprechende Kosten- und Effizienzvorteile schaffen. Weitere Vorteile entstehen durch die Einbeziehung der Mitarbeiter:innen über mobile Kommunikationsmittel und die Nutzung von Social Media in der Produktion (Bauer et al. 2014).

Als die wesentlichen Technologiefelder dieser Entwicklung sehen Expert:innen die Embedded Systems, Smart Factory, Robuste Netze, Cloud Computing und IT-Security. Das mit diesen Technologien verbundene zusätzliche Wertschöpfungspotenzial bis 2025 wird allein in den sechs Branchen Automobilbau, Elektrotechnik, chemische Industrie, IuK-Technologie, Anlagenbau und Landwirtschaft auf 78 Mrd. Euro (jährliches Wachstum von 1,7 %) geschätzt (ebd.).

Welche räumlichen Auswirkungen mit den Technologien der Industrie 4.0 und ihrer Vernetzung verknüpft sein werden, ist bislang noch weitgehend unerforscht. Allerdings erscheint es übertrieben zu sein, davon auszugehen, dass die digitale Wirtschaft der Zukunft sich aus den Städten heraus bewegt und ihr Heil nur noch in den peripheren Lagen suchen wird.

Für Betriebe des produzierenden Gewerbes und des Handwerks, die über Jahrzehnte eher von einer Suburbanisierung geprägt waren, kann ein innerstädtischer Standort sogar vorteilhaft sein. Sie können hier von dem zumeist attraktiveren Umfeld und der besseren Erreichbarkeit für Beschäftigte bzw. dem besseren Zugang zu Arbeitskräften profitieren, was vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und des Urbanisierungstrends zunehmend wichtiger wird (Herrmann et al. 2014, 284). Aber auch das Ziel, an einem einzigen Standort forschen, entwickeln, produzieren und vermarkten zu können, und die zunehmende Bedeutung der räumlichen Nähe zu den Kund:innen, Kooperationspartner:innen und Forschungseinrichtungen können für einen innerstädtischen Standort sprechen. Für das meist lokal geprägte Handwerk stellt beispielsweise die Nähe zu den meist in der Stadt ansässigen Kund:innen einen wichtigen Wettbewerbs- und damit Standortfaktor dar.

Aufstrebende Wirtschaftsbereiche wie die Informations- und Kommunikationstechnologien, Medizintechnik und Biotechnologie sowie das »neue« Manufakturwesen (»Urban Manufacturing«), das als Weiterentwicklung des traditionellen Handwerks mit neuen Vertriebs- und Kommunikationswegen zu verstehen ist, sind durchaus stadtaffin und an integrierten, zentral gelegenen Standorten interessiert (Schössler et al. 2012). Durch neue Fertigungs- und Logistikkonzepte verlieren für etliche Betriebe des produzierenden Gewerbes räumliche Abstandsanforderungen aufgrund von Lärm- und Schadstoffemissionen zudem an Relevanz. »Der technologische Fortschritt lässt es in vielen Fällen zu, dass auch vermeintlich störende Nachbarschaften von Produktion, Dienstleistung und Wohnen heute wieder möglich sind« (BMVBS 2011, 26).

In vielen Städten stehen jedoch für stadtaffine »Urban Industries« und zunehmend auch für das Handwerk kaum noch geeignete Flächen zur Verfügung. In der Phase starken Wachstums seit den 1950er Jahren sind die Städte um die Industriestandorte aus dem 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die vormals am Rand der Städte lagen, herumgewachsen. Viele dieser Fabrik- oder Gewerbestandorte wurden aufgegeben bzw. in Wohn- oder Bürostandorte umgewandelt. Ebenso wurden viele Gewerbeflächen, die in die Wohnblöcke des gründerzeitlichen Städtebaus integriert waren, »saniert«, d. h. die Betriebe wurden verlagert oder aufgegeben. Demgegenüber sind auf Basis des 1960 eingeführten Baugesetzbuchs neue Gewerbe- und Industrieflächen nach dem Prinzip der Funktionstrennung, d. h. mit Abstand zu Wohnnutzungen, entstanden. Neben Produktion sind auf diesen Flächen zu erheblichen Anteilen allerdings auch Großhandel, Lager, Speditionen, KFZ-Betriebe und Dienstleistungen angesiedelt worden, zum Teil wurden auch Flächen für den Einzelhandel geschaffen bzw. von Eigentümer:innen oder Projektentwickler:innen durchgesetzt. Auf diese Weise wurden die eigentlich für »störende« Gewerbe- und Industriebetriebe vorgesehenen Flächen vielfach von Nutzungen belegt, die kaum »stören« – oft ist es hier allein der Lieferverkehr mit LKW –, die aber einen hohen Flächenbedarf aufweisen und für die Eigentümer:innen gute Renditen versprechen. Dies führt dazu, dass, zumindest in Städten mit einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung, Flächen für Urbane Produktion knapp sind. Im Hinblick auf den Vorrang der Innenentwicklung gilt hier umso mehr, den Wandel im Bestand zu gestalten.

Urbane Produktion ist sicher mehr als nur ein Modewort oder -trend, das oder der schnell von anderen abgelöst wird. Angesprochen ist die dringende Transformation der urbanen Produktionsstrukturen sowohl im Hinblick auf die städtebauliche Integration, die Nachhaltigkeit als auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Städte. Dabei stehen Wirtschaft und Kommunen im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung und Integration vieler Wertschöpfungsprozesse vor großen Herausforderungen, aber auch Chancen.

Urbane Produktion ist in der Praxis der Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung sowie auch in der Stadt- und Regionalforschung ein vergleichsweise junges Thema, für das praktische Erfahrungen wie auch systematische oder gar empirische Studien, die über vereinzelte »Best Practice«-Beispiele hinausgehen, weitgehend fehlen.1

In diesem Sammelband sollen die aktuelle Situation und die Perspektiven der Urbanen Produktion mithilfe von verschiedenen Analysen, Fallstudien und konzeptionellen Beiträgen beleuchtet werden. Eine Grundlage dieser Publikation ist hierbei das von 2017 bis 2020 vom BMBF im Förderbereich »Nachhaltige Transformation urbaner Räume« im Rahmen der Fördermaßnahme »SÖF – Sozial-ökologische Forschung« geförderte Forschungsprojekt »Gewerbe in der Stadt – Wandel im Bestand gestalten«. Daran waren das Fachgebiet von Prof. Dr. Guido Spars von der Bergischen Universität Wuppertal und das Arbeitsgebiet von Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger (HafenCity Universität Hamburg) beteiligt. Die beiden dort gewählten Untersuchungsregionen waren der Stadtstaat Hamburg und das Bundesland NRW, allerdings beschränkt auf vier Städte des Ruhrgebiets (Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund) sowie auf die beiden industriell geprägten Städte Wuppertal und Krefeld.

Darüber hinaus ist es gelungen, weitere Expert:innen zum Thema Gewerbe in der Stadt als Autor:innen für diesen Sammelband zu gewinnen, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven angehen. Sie bereichern die in diesem Buch zusammengeführten Erkenntnisse zu neuen räumlichen Entwicklungen der Produktion und der Gewerbegebiete im urbanen Raum wesentlich.

Nach dieser thematischen Einführung der Herausgeber:innen widmet sich Martin Gornig (DIW) der Frage, inwieweit es eine neue Industrialisierung in deutschen Städten gibt, und beleuchtet damit den Rahmen und die Besonderheiten der Industrieentwicklung in deutschen (Groß-)Städten.

Monika Piegeler und Guido Spars stellen die definitorische Grundlage dessen vor, was im Rahmen des Forschungsprojektes »Gewerbe in der Stadt« unter Urbaner Produktion verstanden wird, und erläutern zusätzlich ein mögliches Konzept ihrer volkswirtschaftlichen Messung.

Stefan Gärtner, Kerstin Meyer und Marcel Schonlau vom IAT formulieren alternative Gedanken zu Definition und Messung und fragen, inwieweit an dem Thema der Urbanen Produktion »wirklich Speck dran ist«, was dann auch mithilfe des Fallbeispiels Bochum illustriert wird.

Ähnlich grundsätzlich stellt sich der Beitrag von Jens Libbe und Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) dar, die aus der Perspektive der Begleitforschung des BMBF Förderbereichs »Nachhaltige Transformation urbaner Räume« Perspektiven für Forschung und Praxis für die Urbane Produktion in der »Zukunftsstadt« zusammentragen.

Joachim Lentes und Michael Hertwig vom Fraunhofer IAO kümmern sich in ihrem Beitrag um die Rolle der vielbeschworenen »Digitalisierung als Befähiger der Urbanen Produktion«. Die Autoren stellen dar, wie das genau funktioniert und wie es die Digitalisierung der Urbanen Produktion erlaubt, kleinteiliger, nachhaltiger und emissionsärmer und somit stadtkompatibler zu produzieren.

Einen besonderen Blick auf das Handwerk als Teil der Urbanen Produktion wirft der Beitrag von Carsten Banke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Er beantwortet die Frage, welche Perspektiven das Handwerk in den Innenstädten in Zukunft haben wird.

Es folgen zwei Beiträge zu Nachhaltigkeitspotenzialen in urbanen Gewerbegebieten, die sich sehr gut ergänzen. Zunächst erläutert Frank Betker vom DLR die grundsätzliche Sicht auf die Herausforderung, wie sich Nachhaltigkeit in bestehende Gewerbegebiete integrieren lässt. Danach schildert Susanne Smolka von der Stadt Remscheid am Beispiel eines Gewerbegebietes in Remscheid-Großhülsberg, was das vor Ort und im Einzelfall bedeutet.

Hanns Werner Bonny setzt sich in seinem Beitrag mit der Nutzungsdynamik in Gewerbegebieten auseinander. Er arbeitet die vielfältigen Aspekte heraus, die sie beeinflussen, und entwickelt Kennziffern für die Messung. Er plädiert für Verlaufsanalysen und ein Monitoring, um kommunale Strategien und Ansätze zur Weiterentwicklung bestehender Gewerbegebiete zu fundieren.

Monika Piegeler und Guido Spars stellen die quantitativen empirischen Ergebnisse zur Entwicklung der Urbanen Produktion in den Untersuchungsregionen des Forschungsprojektes »Gewerbe in der Stadt – Wandel im Bestand gestalten« vor. Zur kleinräumigen Analyse wurden in diesem Projekt Gebietstypen Urbaner Produktion entwickelt, für die vertiefende Fallstudien durchgeführt wurden. Das Konzept der Gebietstypen und die zusammengefassten Ergebnisse der Fallstudien werden in einem gemeinsamen Beitrag von den beteiligten Forschenden dargelegt. Auf Basis der quantitativen und qualitativen Zugänge zur Urbanen Produktion wurde schließlich ein Grundkonzept zur Transformation städtischer Gewerbe- und Industriegebiete entwickelt. Ausgehend von der jeweiligen Konstellation von Problemen und Chancen sowie der privaten Akteure, wird ein strategisches Vorgehen der Kommunen vorgeschlagen und seine Elemente skizziert.

Am Ende des Buches versuchen die Herausgeber:innen, einen Ausblick auf das Themen- und Forschungsfeld der Urbanen Produktion für die Zukunft zu geben und hierbei insbesondere Implikationen einerseits für Politik und Planung und andererseits auch für die Forschung zu benennen.

Urbane Produktion

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