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IV. Bildung der erweiterten Mitarbeitervertretung, Abs. 2

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Die Errichtung der eGMAV folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die Bildung der GMAV mit der Maßgabe, dass eine eGMAV nur dort gegründet werden kann, wo es mehrere kirchliche Rechtsträger gibt, die durch eine einheitliche und beherrschende Leitung miteinander verbunden sind. Folgende vier Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein:

(1) Es bestehen mehrere kirchliche Rechtsträger mit mehreren Mitarbeitervertretungen und

(2) die einheitliche und beherrschende Leitung der beteiligten selbständigen kirchlichen Einrichtungen liegt bei einem Rechtsträger

und

(3) es liegt ein Antrag auf Bildung der eGMAV vor

und

(4) dieser Antrag wird von zwei Drittel der Mitarbeitervertretungen (1. Alternative) oder von einer offenen Anzahl von Mitarbeitervertretungen befürwortet, die gemeinsam mehr als die Hälfte der in die Wählerlisten eingetragenen Wahlberechtigten vertreten (2. Alternative) befürwortet.

Mit dem Erfordernis der einheitlichen und beherrschenden Leitung nimmt der kirchliche Ordnungsgeber Bezug auf die Konzerndefinition in §§ 17, 18 AktG, die auch der Regelung des § 54 Abs. 1 BetrVG zugrunde liegt. Diese Bestimmung eröffnet den Gesamtbetriebsräten im Anwendungsbereich des BetrVG die Möglichkeit, einen Konzernbetriebsrat zu errichten. Die eGMAV bildet gewissermaßen das kirchliche Funktionsäquivalent zum weltlichen Konzernbetriebsrat. Sie ist der Ansprechpartner und soziale Gegenspieler der obersten Leitungsmacht im Konzern. Dementsprechend ist sie räumlich dort angesiedelt, wo die Konzernobergesellschaft („Mutter“) ihren Sitz hat. Für das Vorliegen einer einheitlichen und beherrschenden Leitung genügt unter entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 AktG die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen, von denen eines herrschend und mindestens eines abhängig ist. Die Bestimmung erfasst nur sog. Unterordnungskonzerne, nicht dagegen Gleichordnungskonzerne.2

Eine gesetzliche Definition der einheitlichen und beherrschenden Leitung fehlt. In der Literatur vorherrschend ist der sog. weite Konzernbegriff.3 Danach liegt ein Konzern vor, wenn eine einheitliche Planung und Leitung in wenigstens einem wesentlichen Bereich unternehmerischer Tätigkeit (z. B. Finanzen, Produktion, Verkauf, Organisation, Personalwesen) erfolgt und diese ohne Rücksicht auf die Selbständigkeit der abhängigen Unternehmen durchgesetzt wird.4 Ist eine einheitliche Finanzplanung für die verbundenen Unternehmen vorhanden, ist in jedem Fall ein Konzern anzunehmen.5

Ein Konzern liegt auch vor, wenn das herrschende Unternehmen tatsächlich Einfluss auf die Personalpolitik der abhängigen Gesellschaft nimmt, mit dem Ziel, die Unternehmenspolitik der verbundenen Unternehmen beständig zu kontrollieren.6 Entscheidend für die Annahme eines Konzerns ist die Möglichkeit des herrschenden Unternehmens, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die beherrschten Unternehmen auszuüben, „zu dem Zweck, über ‚Leute seines Vertrauens‘ in den verbundenen Unternehmen über den Einzelfall hinaus eine einheitliche Politik zu entwickeln und durchzusetzen.“7 In Betracht kommen alle Formen der Einflussnahme.

Ob im konkreten Einzelfall ein Konzern vorliegt, wird in der Praxis durch gesetzliche Vermutungen und anhand verschiedener Indizien festgestellt. Unwiderleglich ist die Vermutung nach § 18 Abs. 1 S. 2 AktG, wenn zwischen den verbundenen Unternehmen ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) oder wenn das eine Unternehmen in das andere eingegliedert ist (§§ 319 f. AktG). Widerleglich ist die Vermutung in den sonstigen Fällen der Abhängigkeit (§ 18 Abs. 1 S. 3 AktG). Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen – widerleglich – vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist.8

Die gesetzlichen Konzernvermutungen führen im Prozess zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Die Konzernleitung muss Umstände darlegen und notfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass eine einheitliche und beherrschende Leitung nicht vorhanden ist, dass also m.a.W. das beherrschende Unternehmen in keinem zentralen Funktionsbereich beherrschenden Einfluss ausübt.9 Wird dieser Nachweis erbracht, der in der Praxis nur selten versucht wird und noch seltener gelingt,10 kann keine eGMAV gebildet werden.

Weitere Indizien für eine einheitliche und beherrschende Leitung sind personelle Verflechtungen (z. B. Doppelmandate), eine Koordinierung des Finanzbereichs (einheitliche Finanzplanung), Genehmigungsvorbehalte zugunsten der Obergesellschaft, gemeinsame Beratungen, Empfehlungen oder Zielvorgaben, Erstellung eines Konzernabschlusses und Konzernlageberichts gemäß § 290 HGB, umfassender Informationsfluss innerhalb des Konzerns, Auftreten der Unternehmen am Markt als Einheit usw.11 Auch wenn die Konzernleitung die Geschäftspolitik der Konzerngesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung aufeinander abstimmt oder wenn Kredite für den Konzern insgesamt aufgenommen und durch das Vermögen aller Konzernglieder gesichert werden, liegt die Annahme eines Konzerns nahe.12

In welcher Rechtsform die herrschenden und die abhängigen Unternehmen geführt werden, ist unerheblich. Die Definitionsnormen des §§ 15 ff. AktG sind rechtsformneutral. Das Abhängigkeitsverhältnis wird gesellschaftsrechtlich oder schuldrechtlich vermittelt. Deshalb müssen weder das herrschende noch das abhängige Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben werden. Unternehmen im konzernrechtlichen Sinn sind alle Kapitalgesellschaften (insbesondere GmbH), Personengesellschaften (OHG, KG, BGB-Gesellschaft), rechtsfähigen Vereine, Stiftungen und natürliche Personen. Als herrschendes Unternehmen kommen auch Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts in Frage und im kirchlichen Bereich auch kirchliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen.

Hervorzuheben ist, dass im Verhältnis von Diözese zur Pfarrei (c. 374 CIC) keine einheitliche und beherrschende Leitung im Sinne der Norm anzunehmen ist, weil dieses Verhältnis maßgeblich (universal-)kirchenrechtlich geprägt ist und einer eigenen Regelungslogik folgt. Das bedeutet: Die Mitarbeitervertretung einer (Erz-)Diözese und die Mitarbeitervertretungen in den Kirchengemeinden können aufgrund einer von vornherein fehlenden Konzernstruktur keine eGMAV bilden. Nicht zu verwechseln ist das Abhängigkeits- und Beherrschungsverhältnis, das für die Konzerndefinition maßgeblich ist, mit etwaigen Aufsichtsrechten, die einer Institution über andere eingeräumt werden.

Während der Konzernbetriebsrat im Anwendungsbereich des BetrVG – neben Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat – eine dritte Repräsentationsebene eröffnet, sieht die kirchliche Mitarbeitervertretungsordnung nur zwei Mitbestimmungsebenen vor. Deshalb stehen GMAV und eGMAV in einem Alternativverhältnis zueinander.13 Beabsichtigen die vorhandenen Mitarbeitervertretungen die Errichtung einer Interessenvertretung oberhalb der Einrichtung, so haben sie – sofern im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen – nur die Wahl zwischen einer GMAV oder einer eGMAV. Hierfür spricht schon der historische Wille des kirchlichen Gesetzgebers, der mit der MAVO-Reform 2017 die Förderung des zweistufigen Aufbaus der betrieblichen Repräsentativorgane, nicht aber die Installierung eines dreistufigen Mitbestimmungssystems bezweckt hatte.

Die im Schrifttum14 vertretene Auffassung, eine MAV könne Mitglieder sowohl in eine GMAV als auch in eine eGMAV entsenden, steht nicht nur in Widerspruch zum historischen Willen des Gesetzgebers, sie ist auch mit dem Wortlaut und der Systematik der Regelung unvereinbar. Soweit zur Untermauerung der gegenteiligen These eine Analogie zum BetrVG bemüht wird, mit dem Hinweis, das Betriebsverfassungsrecht habe der Regelung des § 24 MAVO Pate gestanden,15 greift diese Interpretation ersichtlich zu kurz. Das Gegenteil ist der Fall: Der Vergleich der einschlägigen Normen in beiden Mitbestimmungsordnungen zeigt, dass die Regelungssystematik erhebliche Unterschiede aufweist. Das BetrVG regelt die drei Repräsentationsebenen16 in verschiedenen Gesetzesabschnitten sehr umfangreich.17 Demgegenüber widmet die MAVO für die Festlegungen der beiden möglichen einrichtungsübergreifenden Repräsentationsebenen nur eine Bestimmung. Mögen die verschiedenen Organe der Mitbestimmung auch vergleichbare Funktionen erfüllen, so weisen ihre gesetzlichen Ausgestaltungen teilweise erhebliche Abweichungen im Detail auf. Außerdem setzt die analoge Anwendung einer anderen Norm eine planwidrige Regelungslücke voraus. Sie scheidet von vornherein aus, wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Komplex nachweislich nicht regeln wollte. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die Norm an keiner Stelle ein Nebeneinander von GMAV und eGMAV für möglich oder gar für wünschenswert hält.

Hätte der Gesetzgeber ein Kumulativverhältnis von GMAV und eGMAV befürwortet, hätte er zwingend wesentliche Fragen des Verhältnisses dieser Repräsentationsorgane zueinander, etwa im Hinblick auf Zusammensetzung und Zuständigkeit der zweiten und dritten Mitbestimmungsebenen, nicht ungeregelt gelassen. So trifft die MAVO zum Beispiel keine Festlegung darüber, welches Gremium Mitglieder in die eGMAV zu entsenden hat. Hätten die Regelungen des BetrVG bei der Neufassung des § 24 tatsächlich als Vorbild gedient und ginge die MAVO von der Möglichkeit eines dreistufigen Mitbestimmungssystem aus, müsste die Zusammensetzung der einzelnen Repräsentationsorgane analog zum BetrVG kaskadenförmig erfolgen: Die Mitarbeitervertretungen wären dieser Logik zufolge für die Besetzung der Gesamtmitarbeitervertretungen verantwortlich, die Gesamtmitarbeitervertretungen wären für die Entsendung der Mitglieder in die erweiterten Gesamtmitarbeitervertretungen zuständig.18 Dieses kaskadenförmige Entsendungsmodell scheidet nach der MAVO-Novelle 2017 aber aus, weil die Möglichkeit, dass mehrere Gesamtmitarbeitervertretungen eine erweiterte Gesamtmitarbeitervertretung bilden, unstreitig nicht mehr vorgesehen ist.19 Die Vertreter der Gegenansicht versuchen diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass sie das vermeintliche Entsenderecht für die GMAV und die eGMAV den einzelnen Mitarbeitervertretungen zusprechen, mit der praktischen Folge, dass einzelnen Mitarbeitervertretungen ein doppeltes Entsenderecht zugestanden wird. Damit wird in das Gesetz etwas hineingelesen, was nach der Entstehungsgeschichte dort gerade nicht platziert werden sollte und auch vom Wortlaut her dort nicht angelegt ist.20 Abgesehen davon, dass sich die Gegenansicht bei ihrer Argumentation mit ihrem eigenen Postulat vom Patenmodell des BetrVG in Widerspruch setzt, bleibt ungeklärt, was der kirchliche Gesetzgeber mit einem derartigen vermeintlichen Doppelentsendungsrecht, der allen Mitbestimmungsordnungen fremd ist, bezweckt haben könnte und warum er diesen Aspekt und die daraus resultierenden Folgefragen (z. B. die Frage, ob derselbe Mitarbeitervertreter sowohl in GMAV und eGMAV entsandt werden darf) nicht explizit geregelt hat. Gegen die These eines dreistufigen Repräsentationssystems ist schließlich ganz entscheidend das Fehlen einer Kompetenzabgrenzungsregelung im Verhältnis zwischen GMAV und eGMAV ins Feld zu führen. Während Abs. 6 die Aufgabenbereiche zwischen der ersten und zweiten Mitbestimmungsebene abgrenzt, enthält die MAVO keine dem § 58 BetrVG entsprechende Zuständigkeitsnorm, um die Zuständigkeiten der zweiten (GMAV) von der dritten Ebene (eGMAV) voneinander zu trennen. Eine klare gesetzliche Normierung der Zuständigkeitsverteilung ist aber unerlässlich, um permanente Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Repräsentationsorganen zu vermeiden. Das Fehlen entsprechender Bestimmungen lässt nur den Schluss zu, dass das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht auf einem Modell mit zwei Repräsentationsebenen beruht und dass GMAV und eGMAV nicht gleichzeitig nebeneinander bestehen können.

In der Praxis wird es auf das Verhältnis zwischen GMAV und eGMAV oftmals nicht ankommen, weil es bei vielen kirchlichen Dienstgebern entweder keine rechtlich unselbstständigen Dienststellen mit jeweils eigenen Mitarbeitervertretungen gibt. In diesem Fall fehlt schon die Voraussetzung für die Bildung einer GMAV. Oder aber es fehlt an einer einheitlichen beherrschenden Leitung, sodass kein Konzernverhältnis vorliegt, mit der Folge, dass keine eGMAV errichtet werden kann. Sollte der Fall eintreten, dass in einem größeren kirchlichen Unternehmen sowohl eine Konzernkonstellation gegeben ist, in der alle rechtlich selbständigen Einheiten („Töchter und Enkel“) von einem Rechtsträger („Mutter“) beherrscht werden, als auch gleichzeitig mehrere unselbständige Einrichtungen vorhanden sind, die einem bestimmten Rechtsträger innerhalb des Konzerns zugeordnet sind, kommt ein Nebeneinander GMAV und eGMAV aus den o.g. Gründen jedenfalls nicht in Betracht.

Die Mitarbeitervertretungen haben in diesem Fall zwei Möglichkeiten:

a) Ist innerhalb des kirchlichen Unternehmens bereits eine GMAV gebildet, entfaltet die Existenz dieses Repräsentationsorgans eine Sperrwirkung. Solange eine GMAV besteht, scheidet die Errichtung einer eGMAV aus.

b) Wird trotzdem die Errichtung einer eGMAV begehrt, muss zunächst die bestehende GMAV aufgelöst werden (vgl. Abs. 8). Anschließend können die erforderlichen Vorkehrungen ergriffen werden, um eine eGMAV zu bilden. Sobald sich eine eGMAV konstituiert hat, kann in dem Unternehmen jedenfalls keine GMAV gebildet werden.

Meine Empfehlung für die Praxis: Existiert in einem Unternehmen kein einrichtungsübergreifendes Repräsentationsorgan und soll ein solches gebildet werden, ist es ratsam, die Errichtung einer eGMAV anzustreben, weil sich diese Interessenvertretung auf alle Einheiten innerhalb des Unternehmens erstreckt und damit ein weitreichenderes Mitbestimmungsregime entfaltet.

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