Читать книгу Die dänischen Eufemiaviser und die Rezeption höfischer Kultur im spätmittelalterlichen Dänemark – The Eufemiaviser and the Reception of Courtly Culture in Late Medieval Denmark - Группа авторов - Страница 17
III Die frühneuzeitliche Drucküberlieferung
ОглавлениеWenn die allgemein akzeptierte Datierung der Handschrift K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) auf um 1500 zutrifft, und es bestehen kaum Gründe, sie anzuzweifeln, entstand die dänische Sammlung von sechs Erzählungen zu einer Zeit, in der sich das neue Medium des Buchdrucks im Norden gerade etabliert hat. Das erste bekannte und erhaltene, in Dänemark hergestellte Buch ist eine Fassung von Guillaume CaoursinCaoursin, Guillaumes lateinischer Schrift De obsidione et bello rhodiano, gedruckt von Johan Snell in Odense 1482 (vgl. Abb. 10–11), also einige wenige Jahre, bevor K 47 geschrieben wurde. Ältester Wiegendruck Dänemarks und prominenteste Anthologie epischer Verserzählungen sind ein weiteres Beispiel für die Simultaneität der Medien Handschrift und Buchdruck. Die Übereinstimmungen der visuellen Merkmale von De obsidione und K 47 liegen ebenfalls auf der Hand und zeigen, wie zeittypisch beide Texte als mediale Ereignisse sind. Wie bereits erwähnt, kam die Überlieferungs- und Transmissionsgeschichte von drei der sechs Erzählungen in K 47 nach Abschluss des Manuskripts nicht zu einem Ende, sondern wurde im Zeitalter der Reformation, des Barock und der Aufklärung weitergeführt, wobei das handschriftliche Medium durch den Frühdruck, die Gattung der mittelalterlichen Versepik durch jene der Frühromane, ,Volksbücher‘, folkebøger, historiebøger, chapbooks usw. abgelöst wurde. Es ist wie erwähnt bemerkenswert, dass es in Dänemark nie zu umfangreicheren Prosifizierungen der spätmittelalterlichen Textbestände kam, wie dies in Deutschland und anderen Ländern der Fall war. Auch die Drucke hielten an der alten Form der Reimdichtung fest.1
Ein Überblick über die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Transmission und Dissemination der drei einschlägigen Texte – Dværgekongen LaurinDværgekongen Laurin, Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis – ermöglicht es, einige aufschlussreiche Beobachtungen festzuhalten. Sortiert nach dem Datum der ersten Erscheinung, präsentiert sich die chronologische und quantitative Überlieferung der gedruckten Versionen der Texte aus K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) wie folgt:
Flores og Blanseflor: Acht Drucke 1504–1745 (vgl. Abb. 13–28) | |
1. Kopenhagen ca. 1504, fragm. | |
2. Kopenhagen 1509 | |
*3. Kopenhagen 1542 (nicht erhalten, nur erschlossen) | |
4. Lübeck 1591 | |
5. Lübeck 1605 | |
6. Kopenhagen 1684 | |
7. Kopenhagen 1695 | |
8. ohne Ort 1745 | |
Persenober og Konstantianobis: Vier Drucke 1560–1700 | |
*1. Kopenhagen 1560 (nicht erhalten, nur erschlossen) | |
2. Kopenhagen 1572 (vgl. Abb. 12) | |
3. ohne Ort, ohne Jahr (Ende 16. Jahrhundert?), def. | |
4. Kopenhagen 1700 | |
Dværgekongen Laurin: 15 Drucke, 1588–ca. 1800 | |
1. Lübeck 1588, def. | |
2. Lübeck 1599 | |
*3. ohne Ort 1643 (nicht erhalten, nur erschlossen) | |
*4. ohne Ort 1689 (nicht erhalten, nur erschlossen) | |
5. Kopenhagen 1701 | |
6. Kopenhagen 1706 | |
*7. ohne Ort 1717 (nicht erhalten, nur erschlossen) | |
8. Kopenhagen 1727 | |
9. Kopenhagen 1736 | |
10. ohne Ort 1737 | |
11. ohne Ort, ohne Jahr, def. | |
12. Kopenhagen 1749 | |
13. ohne Ort 1774 | |
14. Kopenhagen 1782 | |
15. Kopenhagen ohne Jahr (1797-1808) |
Abb. 10: Guillaume CaoursinCaoursin, Guillaume, De obsidione et bello rhodiano, Odense 1482, Drucker Johan Snell, Incipit
Abb. 11: Guillaume CaoursinCaoursin, Guillaume, De obsidione et bello rhodiano, Odense 1482, Drucker Johan Snell, Kolophon
Abb. 12: Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis, Kopenhagen 1572, Drucker Laurentz Benedicht, Titelseite
Abb. 13: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1504 (?), Drucker Gotfred af GhemenGhemen, Gotfred af (Govert van) (?), Holzschnitt
Abb. 14: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1509, Drucker Gotfred af GhemenGhemen, Gotfred af (Govert van), Incipit
Abb. 15: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1509, Drucker Gotfred af GhemenGhemen, Gotfred af (Govert van), Kolophon und Ghemens Wappen
Abb. 16: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Lübeck 1591, Drucker Asswerus Krøger, Titelseite
Abb. 17: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Lübeck 1591, Drucker Asswerus Krøger, Seiten Ajv–Aijr
Abb. 18: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Lübeck 1591, Drucker Asswerus Krøger, Efterskrift
Abb. 19: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Lübeck 1591, Drucker Asswerus Krøger, Kolophon
Abb. 20: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1605, Drucker Laurens Albrecht, Titelseite
Abb. 21: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1605, Drucker Laurens Albrecht, Seiten 2–3: Kolumnentitel
Abb. 22: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1605, Drucker Laurens Albrecht, Kolophon
Abb. 23: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1695, Titelseite
Abb. 24: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1695, Seite Aijr, Incipit
Abb. 25: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1695, Kolophon
Abb. 26: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1745, Titelseite
Abb. 27: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1745, Seite A2r, Incipit
Eine erste überlieferungsbezogene Beobachtung dieser Historienbücher besteht darin, dass die Frühdrucke durchgänging jeweils nur eine Erzählung umfassen, während das Manuskript eine Sammlung verschiedener Narrative darstellt. Mittelalterliche Handschriften sind größtenteils Überlieferungsverbünde, wie das auch bei K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) der Fall ist. Gegenüber alleinstehenden Einzeldrucken sind Texte in Sammelhandschriften in stärkerem Maß Bestandteile eines narrativen Ganzen und damit eines übergeordneten Erzählkomplexes, in dem u.a. die unmittelbaren intertextuellen Verbindungen zwischen den einzelnen Narrativen direkt deutlich werden. Eine Betrachtung solcher Überlieferungsverbünde kann, wie die materielle Philologie in jüngster Zeit durch vermehrte Untersuchungen von Gesamtmanuskripten – im Unterschied zu früheren Beschäftigungen mit Einzeltexten, die aus den jeweiligen Handschriftenkonstellationen losgelöst sind – gezeigt hat, durchaus neue Aspekte und Dimensionen eröffnen.
Abb. 28: Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Kopenhagen 1745, Kolophon
K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Die formelhaften Incipit / Explicit, Prologe, Epiloge, Kolophone stellen Kohärenzen zwischen den Erzählungen her. Deren Position in der Handschrift generiert Bedeutungsebenen und -zusammenhänge, die im einzelnen Narrativ nicht so ausgeprägt angelegt sind und unmittelbar sichtbar werden. Die vorliegende Anthologie feudaler Dichtung und Heldensagenstoffe wird durch einen kanonischen Text eröffnet (Ivan løveridderIvan løveridder (dän.)), der christliche Symbolik mit Elementen des hochmittelalterlichen Ritterethos und dem damit verbundenen Liebeskonzept verknüpft. Der zweite Text (Hertug FrederikHertug Frederik af Normandi (dän.)) steht in einem ganz ähnlichen Kontext, gewichtet jedoch das Übernatürliche und die damit verbundenen Emotionen stärker. Die dritte Erzählung (Dværgekongen LaurinDværgekongen Laurin) weitet die in den ersten beiden Texten ausgebreitete Thematik ins Märchenhaft–Übernatürlich–Abenteuerhafte aus. In den drei Texten der zweiten Hälfte (Den kyske dronningDen kyske dronning, Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis, Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.)) stehen Diskurse über Macht, Gender, Emotionen, Erotik, Sexualität, Triebe im Zentrum. Sie stellen die feudalen Thematiken der ersten drei Erzählungen Brautwerbungsnarrativen aus der Perspektive mittelalterlicher Frauenfiguren gegenüber. Dies kommt allein schon durch ihre Präsenz in den Benennungen der Erzählungen zum Ausdruck (auch wenn diese wie gesehen aus späterer Zeit stammen). Den kyske dronning, Persenober og Konstantianobis, Flores og Blanseflor konterkarieren die von den männlichen Protagonisten repräsentierten Ritterideale in Ivan løveridder, Hertug Frederik, Dværkongen Laurin. Was die ersten drei Texte aufbauen, relativieren die letzten drei.2
Demgegenüber bestehen die frühen Druckausgaben der Historienbücher in der Regel aus nur einem einzigen Text. Erst aus späterer Zeit findet sich dann das verbreitete Phänomen von Sammelbänden meist adliger Sammler, die aus verschiedenen Historiendrucken in kleinen Formaten bestehen.3 Solche Sammelbände sind aufschlussreiche Zeugnisse des Umgangs mit der frühneuzeitlichen Druckliteratur, stellen jedoch nur ansatzweise intertextuell konstruierte Diskursfelder wie die mittelalterlichen Sammelhandschriften dar. In den Druckfassungen gewinnen auch anonyme Texte wie Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis, Dværgekongen LaurinDværgekongen Laurin an Transmissionsautonomie und dadurch an ,autorloser Autorität‘ als in sich geschlossene Werke.
Besonders vielfältig und aufschlussreich ist die frühneuzeitliche Transmissionsgeschichte von Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), die im Folgenden an einigen Beispielen illustriert werden soll. Der älteste erhaltene Textbeleg ist ein aus zwei Blättern bestehendes Fragment von vermutlich 1504, das dem Kopenhagener Drucker Gotfred af GhemenGhemen, Gotfred af (Govert van) zugeschrieben wird. Es enthält den einzigen bekannten Holzschnitt eines narrativen Historiendrucks aus der dänischen Frühdruckzeit (vgl. Abb. 13). Die zweite Ausgabe stammt von 1509. Sie bietet einen vollständigen Text. Die erste Seite mit Incipit und die letzte Seite mit Kolophon und Druckerwappen sind schöne Beispiele für die sich etablierende Druckkultur der Zeit. Der Text von 1509 repräsentiert eine andere Fassung als jene in K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket), so dass man für den Beginn der Drucktransmission nicht von einem ungebrochenen Übergang der älteren Tradition in das neue Medium sprechen kann, sondern immer mit Überlieferungsphänomenen wie verlorenen Handschriften/Drucken oder verschiedenen Fassungen rechnen muss (vgl. Abb. 13–15). Eine genauere Analyse der Transmissionsgeschichte der Drucke deckt auf, dass das Medium des gedruckten Buches keineswegs bedeutet, dass ein gedruckter Text per se von Stabilität gekennzeichnet ist. Ganz im Gegenteil beruht die traditionelle Dichotomisierung von durch Unfestigkeit und Varianz geprägtem handgeschriebenen Text einerseits und andererseits gedrucktem Text, bei dem Stabilität das entscheidende Kriterium darstellt, auf einer Fehlkonzeption. Frühe Drucke waren genau so flexibel und unfest wie handgeschriebene Bücher. Der dänische Philologe und Historiker Peder SyvSyv, Peder, der die Ausgabe 1504 nicht erwähnt, kommentiert dieses Phänomen bereits Ende des 17. Jahrhunderts in seinen handschriftlich bewahrten bibliographischen Notizen „Den danske Boglade“ wie folgt:
Blanseflor og FloresFlores og Blanseflor (dän.). der siges sidst udi, at dronning Evfemia Drotning i sin time hun lod dette eventÿr rime. den ældste Edition, trÿkt i Kjöb: ved GotfredGhemen, Gotfred af (Govert van) af Gemen, 1509. haver mere end de sejermere Editioner: ja og mange steds anderledis. (nemlig om K. Marsilius, Gripon Jarl og Portneren, hvorledis de og bleve hjulpne og ophöjede)
Blanseflor og FloresFlores og Blanseflor (dän.). Dort wird am Schluss gesagt, dass „Königin EufemiaEufemia, Königin von Norwegen[,] Königin in ihrer Zeit, sie ließ diese aventiure reimen.“ Die älteste Ausgabe, gedruckt in Kopenhagen von GotfredGhemen, Gotfred af (Govert van) von Ghemen, 1509. Hat mehr als die späteren Ausgaben, ja und [ist] an manchen Stellen anders. (Nämlich über K[önig] Marsilius, Jarl Gripon und den Pförtner, wie auch sie gerettet und erhöht wurden)4
Das Phänomen des variablen Drucktextes lässt sich an Titelseiten wie jener der FloresFlores og Blanseflor (dän.)-Ausgabe 1591 besonders deutlich ablesen (Abb. 16). Hier wird die Arbeit am Text unterstrichen, wenn es – wie in der Ausgabe 1572 von Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis (vgl. Abb. 12) – heißt, die Historia sei korrigiert worden. Obwohl auch ein Schreiber auf der Korrektheit seiner Abschrift insistieren kann, wie oben für den Ivan løveridderIvan løveridder (dän.) festgestellt, sind Vorstellungen, dass ein Text besser, also korrekter (gemacht) worden ist, eng mit dem Druck verbunden.
Wie die Abbildungen illustrieren, weisen die einzelnen Drucke natürlich viele typographische Phänomene auf, die die frühe Buchkultur kennzeichnen, und die FloresFlores og Blanseflor (dän.)-Ausgaben zeigen denn zahlreiche Beispiele für Titelseiten, Kustoden, Kolumnentitel, Bogennumerierungen, später Paginierungen, Kolophone usw. Die Drucke 1605–1745 enthalten daneben Holzschnitte und Titelkupfer und anderen Schmuck, oft nach deutschem Vorbild. An ihnen lässt sich die Transmissionsgeschichte dieser mittelalterlichen Erzählung im 17. und 18. Jahrhundert ausgezeichnet nachvollziehen (vgl. Abb. 20–28).
Die erste vollständig erhaltene FloresFlores og Blanseflor (dän.)-Ausgabe 1509 setzt mit folgendem Incipit ein: „Hær begyndes en historie aff Flores oc Blantzeflor“ (Hier beginnt eine Historie von Flores und Blanzeflor) (vgl. Abb. 14).5 In der nächsten erhaltenen Ausgabe 1591 ist das Incipit dann ersetzt durch eine eigentliche Titelseite, wie sie in der Folge in sämtlichen Drucken verwendet wird (Abb. 16): „En Lystelig oc skøn Historia paa Rim / Om Blantzeflor oc Flores / Oc er nu paa nyt for=bedret oc rettere offuer seet end hun vor førre. 1591.“ (Eine lustige und schöne Historia in Reimen, über Blantzeflor und Flores, Und ist nun aufs Neue verbessert und richtiger durchgesehen als sie zuvor war. 1591.)
Ein solcher Titel erlaubt es, mehr Information zu vermitteln. So wird hier der Begriff ,Historia‘ durch „lystelig“ bzw. in anderen Ausgaben „lystig“ und „skøn“ amplifiziert (vgl. auch PersenoberPersenober oc Constantianobis 1572, Abb. 12). Zudem verweist der Titel wie erwähnt darauf hin, dass der Text korrigiert und (erneut) verbessert worden sei, eine Information, die sich in allen folgenden Ausgaben 1605, 1695, 1745 hält (vgl. Abb. 20, 23, 26). Diese toposhafte, in unzähligen Drucken verwendete Formel ist im Zusammenhang mit dem oben angesprochenen Konzept zu sehen, entsprechend dem es eine richtige Form eines Textes gibt, die es durch Verbesserungen und Durchsicht bestehender Texte herzustellen gilt, wo diese von der korrekten Form abweichen. An solchen Titeln lässt sich die Entstehung einer frühneuzeitlichen Textkritik sehr schön beobachten.
Anhand der Kolophone der frühneuzeitlichen FloresFlores og Blanseflor (dän.)-Ausgaben 1509 bis 1745 kann als weiteres spezifisches Phänomen die Entwicklung der medialitätsbezogenen Aussagen in diesen Paratexten summarisch nachgezeichnet werden. Die Änderungen, die die verschiedenen Drucke vornehmen, reagieren dabei recht konkret auf die technologischen Innovationen, die der Buchdruck mit sich brachte. Das Kolophon der ältesten vollständig erhaltenen Druckausgabe von 1509 (vgl. Abb. 15) führt noch die spätmittelalterliche Tradition weitgehend fort, wie sie durch die Epiloge in K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) vertreten ist:
Nv haffuer thet awentyr endhe
gudh han oss sijn naade sende
Eufemia drotning i sijn tijme
hvn lod thettæ æwentyr skrijffue
Gut giffue them naade bogen giorde
oc saa alle henne hørde
Goth leffnet oc reth skrifte maal
oc til hemmerige at komme wor syel
Tijl ihesu cristi signede hende
oc ther at blifue for vden ændhe (Flores oc Blantzeflor 1509: [gviijr–v])
Nun hat die Erzählung ein Ende, Gott uns seine Gnade sende. Königin Eufemia zu ihrer Zeit, sie ließ diese Erzählung schreiben. Gott gebe denen Gnade, die das Buch machten, und so allen denen, die es hörten. Gutes Leben und gerechte Beichte und dass ins Himmelreich komme unsere Seele. Bis Jesus Christus sie segne und [sie] dort bleibe ohne Ende.
Auch wenn bereits gewisse Kürzungen im Verhältnis zu K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) festzustellen sind, sind doch mit der königlichen Mäzenin, dem Dichter/Übersetzer und den Zuhörern die wesentlichen Beteiligten an der Herstellung der Handschrift und der Anwesenden am Vortrag erwähnt.
1591 (vgl. Abb. 18) hat gegenüber 1509 natürlich Änderungen orthographischer und typographischer Art. Hier wird zudem das Reimwort zu „time“ – 1509: „skrijffue“ – in das besser passende „Rime“ geändert und die Tätigkeit der anwesenden Zuhörenden in 1509 mit dem allgemeineren „fremme oc forde“ umschrieben. Zudem erwähnt dieses Kolophon von 1591 explizit „Christelig tro“:
Nu haffuer dette euentyr ende
Gud han oss sin naade sende
Eufemia Drotning i sin time
hun lod dette euentyr Rime
Gud giffue dem naade bogen giorde
oc alle som hende fremme oc forde
Gud giffue oss alle en Christelig tro
oc euindelig i Himmerige bo
Til Jesu Christi signede hende
oc der at bliffue for wden ende. (Historia om Blantzeflor oc Flores 1591: 31 [vgl. Abb. 18])
Nun hat diese Erzählung ein Ende, Gott uns seine Gnade sende. Königin Eufemia zu ihrer Zeit, sie ließ diese Erzählung reimen. Gott gebe denen Gnade, die das Buch machten, und so allen denen, die es beförderten und führten. Gott gebe uns allen einen christlichen Glauben und dass wir ewig im Himmelreich wohnen. Bis Jesus Christus sie segne und [sie] dort bleibe ohne Ende.
Die Ausgabe 1591 enthält nach dem Ende der Erzählung zudem einen interessanten Zusatz, den der Herausgeber Jørgen Olrik als „Efterskrift“ (Nachschrift) bezeichnete (vgl. Abb. 18–19). Es handelt sich um einen rund zweiseitigen Bogenfüller, der den neu angenommenen protestantischen Glauben preist und auf den ersten Blick kaum etwas mit der ,Geschichte an sich‘ zu tun hat. Die Nachschrift formuliert aus protestantischer Perspektive eine Kritik am alten Glauben, der im Zentrum von Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.) steht:
NAar Christne Menniske lesæ / eller høre saadant som er emod Gud oc vor Christelige tro / Da skulle de Tacke oc Loffue Gud Almectigste / som aff sin egen godhed oc store miskundhed for wden alt fortieniste skyld / haffuer dragit dem aff saadan vildfarelse oc store forblindelse nu i disse sidste dage / Oc vnt dem at de nu maa høre oc lære hans egne klare oc rene Ord oc Euangelium / Oc vide oc forstaande / at de skulle icke søge effter deris salighed til S. Jacobs / eller i Closter som de giorde. Icke skulle wi heller dømme dem / fordi at de saa giorde / Thi Gud kende sine wduolde aff euig tid / Han kunde oc da saa vel som nu gøre dem salige / Oc giffue dem der den rætte tro i deris hierte paa deris yderste time. Haffde de paa den tid / hørt Guds klare oc rene Ord som wi nu gøre / da Haffde de for wden tuiffuel verit fast bedre Christne end wi ære oc icke søgt effter deris salighed wdi saadane Dieffuelens bedragelser oc vildfarelser […] (Historia om Blantzeflor oc Flores 1591: [Dvviv–Dvvir])
Wenn christliche Menschen lesen oder hören, was gegen Gott und unseren christlichen Glauben ist, dann sollen sie Gott dem Allmächtigen danken und ihn loben, der nun in diesen letzten Tagen aus seiner eigenen Güte und großen Gnade heraus und ohne jegliches Verdienst solche Täuschung und Verblendung von ihnen genommen hat, und ihnen gegönnt hat, dass sie nun seine eigenen klaren und reinen Worte und sein Evangelium hören und lernen können, und wissen und verstehen [können], dass sie für ihre Seligkeit nicht bei St. Jakob oder im Kloster suchen sollen, wie jene es taten. Aber wir sollen sie auch nicht verurteilen, dass sie so handelten, denn Gott kennt seine Auserwählten von ewiger Zeit. Er könnte sie damals wie auch jetzt selig machen und ihnen in ihrer letzten Stunde den rechten Glauben in ihr Herz geben. Hätten sie zu ihrer Zeit Gottes klare und reine Worte gehört, wie wir es nun tun, dann wären sie ohne Zweifel sicher bessere Christen gewesen, als wir es sind, und hätten ihre Seligkeit nicht in solchen Betrügereien und Täuschungen des Teufels gesucht.
Der Text dieser Nachschrift von 1591 (die vermutlich bereits in der verlorenen Ausgabe von 1542 vorhanden war, wofür die Passage „nun in diesen letzten Tagen“ spricht) fügt sich damit in die für das sechzehnte Jahrhundert typische Reformationspropaganda ein, stellt jedoch zugleich einen direkten Bezug zum Moniage her, die Blanseflor und FloresFlores og Blanseflor (dän.) am Ende ihrer Geschichte in der katholischen Zeit vollziehen.6 Dadurch wird deutlich, dass die scheinbar isolierte und beziehungslose Nachschrift eben doch eine ganz klare Stellungnahme zur Textaussage vornimmt und ein erstrangiges Rezeptionsdokument darstellt. Auch Drucke haben die Möglichkeit, Narrative zu kontextualisieren.
Mit Ausnahme der Nachschrift, die nur in 1591 enthalten ist, hat die nächste Ausgabe 1605 (vgl. Abb. 22) gegenüber 1591 kaum Änderungen und auch 1695 und 1745 (vgl. Abb. 25, 28) sind mit 1605 fast identisch. Das Kolophon umfasst in allen Ausgaben 1509–1745 zehn Zeilen. Die Zuschreibung an Königin EufemiaEufemia, Königin von Norwegen, einer der festen Bestandteile seit der Niederschrift der altschwedischen EufemiavisorEufemiavisor (schwed.), und die Einbeziehung von Dichter und Zuhörenden in das abschließende Gebet werden ebenfalls bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts formelhaft überliefert. So tragen die Kolophone wesentlich dazu bei, die literarische Erinnerung an die mittelalterliche Mäzenin und die medialen Konstellationen bis zum Beginn der Moderne zu bewahren.
Jørgen Olrik beurteilte in der Einleitung zu seiner FloresFlores og Blanseflor (dän.)-Ausgabe in Band 6 der Danske Folkebøger von 1925 die jüngeren Fassungen wenig gnädig:
I Renaissancetiden er Digtningen blevet underkastet en grundig Omarbejdelse, hvorved det er lykkedes at fjærne de fleste Spor af middelalderlig Poesi og erstatte dem med trivielle Rimerier. Herhen hører de yngre Udgaver af 1605, 1684 og 1695 […]. (Jacobsen/Olrik/Paulli, 6, 1925: XXVI)
In der Renaissancezeit wurde das Gedicht einer gründlichen Überarbeitung unterworfen, wodurch es gelang, die meisten Spuren von mittelalterlicher Poesie zu entfernen und sie mit trivialen Reimereien zu ersetzen. Hierzu gehören die jüngeren Ausgaben von 1605, 1684 und 1695 […].
R. Paullis Urteil fiel fast wortwörtlich gleichlautend aus, als er 1936 im Schlussband von Danske Folkebøger schrieb, es handle sich bei den nachmittelalterlichen Bearbeitungen von Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.) um „en bevidst Omarbejdelse […] har klemt Poesien ud af Livet paa Flores og Blanseflor og gjort den til et trivielt Rimeri“ (Paulli 1936: 237) (eine bewusste Überarbeitung […] hat die Poesie aus Flores und Blanseflor vertrieben und sie [die Geschichte] zu einer trivialen Reimerei gemacht). Olriks Äußerungen zu den Drucken von PersenoberPersenober oc Constantianobis und LaurinDværgekongen Laurin sind ähnlich negativ und man kann in ihnen nicht nur ablesen, dass die Herausgeber wenig Sympathie für die Texte hatten, mit denen sie sich beschäftigten. Wichtiger ist, dass aus ihnen eine zeittypische Polemik gegen Textveränderungen spricht, in denen man lediglich ein vermeintliches Sinken von Kulturgut erkennen konnte. Dass die Rede von der Trivialisierung längst obsolet geworden ist, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden. Eine vorurteilsfreie Analyse des spätmittelalterlichen / frühneuzeitlichen Transmissionsprozesses vermag aufzuzeigen, welch aufschlussreiche Einblicke in die Textualität, Medialität, Transgression diese handschriftlich und gedruckt überlieferten Texte bieten.