Читать книгу Die dänischen Eufemiaviser und die Rezeption höfischer Kultur im spätmittelalterlichen Dänemark – The Eufemiaviser and the Reception of Courtly Culture in Late Medieval Denmark - Группа авторов - Страница 5
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ОглавлениеDa die EufemiaviserEufemiaviser (dän.) nicht als isoliertes Phänomen, sondern stets im Kontext der spätmittelalterlichen (kontinentaleuropäischen und skandinavischen) höfischen Literatur und Kultur betrachtet werden müssen, sind in den Kontext der Tagung sowie in den vorliegenden Sammelband auch weitere narrative Texte miteinbezogen, wie beispielsweise die dänische Karl MagnusKarl Magnus (schwed.)’ KrønikeKarl Magnus’ Krønike (dän.) bzw. ihre zeitlich früher entstandene altschwedische Variante Karl Magnus oder ein bisher kaum beachtetes Manuskript von PersenoberPersenober oc Constantianobis oc Konstantianobis in der Arnamagnäanischen Sammlung in Kopenhagen, welches zur europaweiten Transmission der Erzählung von Partonopeus de BloisPartonopeus de Blois gehört.
Im Mittelpunkt der Tagung sowie auch des vorliegenden Bandes standen bzw. stehen unterschiedliche Herangehensweisen an die dänischen EufemiaviserEufemiaviser (dän.), wobei sich die Mehrzahl der Vorträge Fragen der textuellen Überlieferung widmete; vornehmlich wurden Aspekte wie Variation und produktive Veränderungen der Eufemiaviser in ihrer zeittiefen Überlieferungsgeschichte diskutiert. Eine wichtige Rolle spielen dabei die unterschiedlichen, komplexen Interferenzen von Manuskriptkultur und frühem Buchdruck – so ist beispielsweise eine der drei Eufemiaviser (nur) in Dänemark auch im Druck, sogar bis ins 18. Jahrhundert, überliefert, die anderen beiden existierten jedoch nur in handschriftlicher Form. In der schwedischen Tradierung bestehen aufschlussreiche Überlieferungsverbünde in (adligen) Sammelhandschriften, aber kein Fortleben der Texte in Form von gedruckten Fassungen. Darüber hinaus bieten sprachhistorische Aspekte der Versromane und die Nutzung von Datenbanken zur Erforschung der Sprache im renaissancezeitlichen Dänemark verschiedene theoretische Ansätze und neue Verknüpfungsmöglichkeiten. Sie verweisen nicht zuletzt auf die Bedeutung der Mehrsprachigkeit im vormodernen Skandinavien, wo Latein, Hoch- und Niederdeutsch selbstverständlich neben Schwedisch und Dänisch gebraucht wurden. Die Diskussionen im Laufe der Tagung ließen schließlich auch die in den Eufemiaviser inszenierten Erscheinungsformen und Funktionen des Cultural Memory deutlich werden. Dies ist insbesondere für die dänische Literatur dieser Zeit von Interesse, da es hier insgesamt nur sehr wenige schriftliche Zeugnisse einer höfischen Literatur gibt.
Auch übersetzungswissenschaftliche Perspektiven auf die EufemiaviserEufemiaviser (dän.) nehmen eine wesentliche Rolle in diesem Band ein. Für die vorliegende Publikation entfielen zwei auf der Tagung gehaltene Vorträge, doch dafür konnte ein Beitrag zur Transmission der Karl MagnusKarl Magnus (schwed.)’ KrønikeKarl Magnus’ Krønike (dän.) im Kontext der nordischen Karlsepik gewonnen werden, welcher das Textkorpus sinnvoll ergänzt, handelt es sich doch hierbei um eine etwa zeitgleich entstandene Adaption eines kontinentaleuropäischen Erzählstoffes in Skandinavien.
Eine Einführung in die Handschrift K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket), die den zentralen Mittelpunkt der Tagung und die Schnittstelle der gesamten Diskussion präsentierte, bietet der Beitrag von Jürg Glauser, welcher zunächst den Überlieferungsverbund der sechs Verserzählungen vorstellt und das Manuskript als einen ‚Schnittpunkt der Diskurse‘ in mehrfacher Hinsicht beschreibt, nämlich, wie er selbst formuliert, thematisch, stilistisch, metrisch, literatur-, genre-, medien-, transmissions- und erinnerungshistorisch. Glauser betont auch den internationalen Hintergrund der Texte und die Tatsache, dass die Romane mit dem Knittelvers noch in der Zeit um 1500 bewusst ein älteres metrisches Konzept aufgreifen. Neben der Erläuterung der materiellen Besonderheiten der Handschrift geht Glauser darauf ein, wie rhetorische Strategien und narratologische Termini in Paratexten der Handschrift – etwa Prologen oder Epilogen – verwendet werden und auf diese Weise das Geschriebene und Erzählte metafiktional reflektieren. Auch in dieser Hinsicht stehen die Texte in K 47 in Beziehung zueinander. Glauser rundet seine Ausführungen mit einem Ausblick auf die frühneuzeitliche gedruckte Überlieferung von drei der sechs Versromane ab (Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), Dværgekongen LaurinDværgekongen Laurin, Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis). Dass das gedruckte Buch ebenso wie die Handschrift von Unfestigkeit geprägt ist, bildet einen weiteren Aspekt der frühneuzeitlichen Weiterführung dieser spätmittelalterlichen Erzählungen.
Die Anfänge des Buchdrucks in Dänemark und Schweden beleuchtet eingehend der Beitrag von Jonatan Pettersson, der zugleich auch den literatur- und kulturhistorischen Hintergrund der Transmission weltlicher Erzähltexte im spätmittelalterlichen Skandinavien reflektiert. Die dänischen EufemiaviserEufemiaviser (dän.) rücken damit in einen größeren Verständnishorizont der skandinavischen Manuskriptüberlieferung von (spät)mittelalterlichen Erzähltexten (zu denen etwa die schwedischen Erzählungen von Namnlös och ValentinNamnlös och Valentin [Namenlos und Valentin], Riddar Paris och jungfru ViennaRiddar Paris och jungfru Vienna [Ritter Paris und Jungfrau Vienna] u.a. gehören). Pettersson zeigt, dass von den ‚alten‘, mittelalterlichen Erzähltexten in Dänemark nur wenige Texte, wie etwa Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.), noch nach 1500 gedruckt wurden, während gleichzeitig mit der Einführung des Buchdrucks ein neues Repertoire an Popularität gewann (die Historienbücher, Frühromane/Prosaromane), das ebenfalls häufig aus dem europäischen Mittelalter stammende Erzählstoffe (neben anderen Traditionen) tradierte. Am Beispiel von Flores og Blanseflor als eine der drei Eufemiaviser erläutert Pettersson, warum gerade dieser Text mit seinem vielschichtigen narrativen Angebot geeignet war, auch noch nach 1500 als gedrucktes Buch ein neues, nunmehr primär urbanes Lesepublikum zu begeistern.
Einen anderen Schwerpunkt setzt Fulvio Ferraris Beitrag: Er beschäftigt sich mit einem übersetzungstheoretischen Zugang zu den EufemiaviserEufemiaviser (dän.) auf der Grundlage der Polysystemtheorie von Itamar Even-Zohar und der sog. ‚Schule von Tel Aviv‘, die die Dynamik und Heterogenität von Kulturen, die im Austausch miteinander stehen, aus kulturwissenschaftlicher Perspektive analysiert. Ferrari erläutert den Prozess des kulturellen Transfers von Texten vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und (kultur-)historischen Verhältnisse in Dänemark und Schweden im Übergang von Mittelalter zu früher Neuzeit. Der polysystemtheoretische Ansatz erweitert den Blick auf die in diesem Band präsentierten Erzähltexte um eine theoriegelenkte Perspektive, welche kulturwissenschaftliche wie auch historische Aspekte von Übersetzungen literarischer Texte untersucht.
Während damit die ersten drei Beiträge in diesem Band die dänischen EufemiaviserEufemiaviser (dän.) als übersetzte Literaturzeugnisse an der Schwelle zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit in einem größeren theoretischen und überlieferungshistorischen Kontext betrachten, setzen sich die nun anschließenden Artikel mit einzelnen Narrativen in der Handschrift K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) auseinander und fokussieren den Blick auf Phänomene spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Textualität und Materialität.
Massimiliano Bampi setzt die philologischen Besonderheiten von Ivan løveridderIvan løveridder (dän.), der mitteldänischen Bearbeitung von ChrétiensChrétien de Troyes de Troyes YvainYvain ou le Chevalier au lion, in Beziehung zur altschwedischen Vorlage, Herr IvanIvan lejonriddaren (schwed.) lejonriddaren (eine der drei altschwedischen EufemiavisorEufemiavisor (schwed.)). Die dänische Variante ist in zwei Fassungen überliefert, einerseits in der Handschrift K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket), die auch im Mittelpunkt der Tagung stand, sowie andererseits im Manuskript K 4, welches auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden kann. Für diese Periode verortet Bampi die Produktion, Adaption und Rezeption des Textes in den engen sozialen, dynastischen und politischen Beziehungen zwischen Dänemark und Schweden – insbesondere im Adel.
Auch Karl G. Johansson beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Erzählung von Ivan løveridderIvan løveridder (dän.), und zwar mit einem bisher nur wenig untersuchten Manuskript aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, Ms. E 8822 (früher Ms. Skokloster 156), das neben zahlreichen religiösen Texten auch eine Variante von Herr IvanIvan lejonriddaren (schwed.) enthält, die im sog. birgittinnorsk (Birgittinernorwegisch) verfasst ist und die Johansson mit derjenigen in K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket) (siehe Massimiliano Bampis Beitrag) vergleicht. Sein Artikel fokussiert nicht nur die sprachlichen und kodikologischen Besonderheiten dieser Textvariante, sondern auch die Entwicklung der Literarizität im spätmittelalterlichen Skandinavien und den Status von Schriftlichkeit und Verschriftlichung von Texten in dieser Epoche.
Anne Mette Hansen präsentiert in ihrem Artikel ein dänisches Manuskript aus der Arnamagnäanischen Sammlung: AM 151 bAM 151b 8vo (Den Arnamagnæanske Samling, Kopenhagen) 8vo in Kopenhagen, welches auf die Zeit um 1600 zu datieren ist und eine fragmentarische Fassung der Erzählung von Persenober og KonstantianobisPersenober oc Constantianobis enthält. Sie setzt dieses Fragment in Beziehung zur handschriftlichen Version in K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) sowie zu den drei erhaltenen dänischen Drucken – Kopenhagen 1572; o.O. (vermutlich Norddeutschland), o.J. (wohl etwas jünger als 1572); Kopenhagen 1700. Dabei kann sie relevante Verbindungen des kleinen Fragments, das nur 126 zusammenhängende Verszeilen der Erzählung enthält, zum Druck von 1572 aufzeigen und erweitert damit die frühneuzeitliche dänische Transmissionsgeschichte des Persenober um ein in der Forschung bisher kaum beachtetes Textzeugnis.
Ähnlich wie Johansson und Bampi widmet sich Louise Faymonville in ihrem Beitrag einem Text, welcher sowohl in den schwedischen EufemiavisorEufemiavisor (schwed.) als auch in deren dänischer Bearbeitung enthalten ist, nämlich Hertug Frederik af NormandiHertug Frederik af Normandi (dän.) resp. schwedisch Hertig Fredrik af NormandieHertig Fredrik af Normandie (schwed.). Die kodikologische Ausgangslage der beiden Traditionen unterscheidet sich beträchtlich – während es sechs verschiedene spätmittelalterliche Manuskripte der altschwedischen Variante gibt, ist der Text nur in einer einzigen Handschrift im Mitteldänischen (K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket)) überliefert. Wie Faymonville zeigt, ist die Anordnung der Texte innerhalb der Handschrift und damit ihre Rezeption kontextabhängig. Dieser Kontext ist in K 47 eindeutig ein höfischer und (in Anbetracht der textuellen Veränderungen im Gegensatz zur schwedischen Vorlage) zugleich ein auf ein möglicherweise weibliches Publikum ausgerichteter (und/oder von einer weiblichen Schreiberin verfasst), während der schwedische Hertig Fredrik als Teil von thematisch weniger kongruenten Sammelhandschriften einen sehr viel offeneren Rezeptionshorizont aufweist.
Betrachtet man das offensichtlich große Interesse der dänischen Adelsschicht im ausgehenden 15. Jahrhundert an höfischen Stoffen, also gerade in der Umbruchszeit zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, zwischen Handschrift und Buchdruck, ist es auffällig, dass – wie Elena Brandenburg in ihrem Artikel ausführt – andere Texte zwar in einem höfischen Kontext gelesen und rezipiert wurden, selbst jedoch kaum von höfischen Sujets erzählen. Dies trifft etwa auf die dänische Karl MagnusKarl Magnus (schwed.)’ KrønikeKarl Magnus’ Krønike (dän.) zu, welche in der um 1480 entstandenen Handschrift Vu 82Codex Holmiensis Vu 82 (Stockholm, Kungliga biblioteket) überliefert ist. Aus dem 16. Jahrhundert sind zwei dänische Drucke der Karl Magnus’ Krønike belegt (1509, 1534). Dieser Text ist also ähnlich wie Flores og BlanseflorFlores og Blanseflor (dän.) aus den EufemiaviserEufemiaviser (dän.) einer derjenigen, die in Dänemark sowohl in Handschriften als auch in Frühdrucken tradiert sind. Brandenburg präsentiert den dänischen Text vor dem Hintergrund der Transmission der altnordischen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga (Saga von Karl dem Großen) sowie des altschwedischen Karl Magnus (von ca. 1400). Im Gegensatz zu diesen beiden Texten ist die dänische Adaption, wie Brandenburg ausführt, historiographisch geprägt und betont religiös ausgerichtet.
Regina Jucknies diskutiert in ihrem Beitrag die Terminologie ‚höfischer Farben‘ im mitteldänischen Vokabular der sechs Versromane im Manuskript K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket). Nach einer knappen Forschungsübersicht, die auch Ergebnisse der Colour Studies in den Nachbarphilologien (Altwestnordisch, Mittelhochdeutsch) einschließt, bietet der Artikel eine Frequenzanalyse der am häufigsten gebrauchten Farben in ihrem jeweiligen narrativen Kontext. Jucknies zeigt dabei auf, inwiefern die Art und Weise, wie über Farben in den mitteldänischen Erzähltexten gesprochen wird, auch den Konzepten von Farben in theologischen oder religiösen Texten entsprechen. Farben werden bewusst eingesetzt, um bestimmte Erzählmomente zu verstärken und zu ‚illuminieren‘– im Gegensatz zur zeitgenössischen medizinischen oder auch ökonomischen Literatur des mittel- und nordeuropäischen Spätmittelalters, wo die Farbterminologie noch eine ganz andere Rolle spielt.
Den Abschluss des vorliegenden Bandes stellt Simon Skovgaard Boecks Beitrag dar, welcher die Ortsnamen und spatialen Referenzen resp. Denotate in den Texten der Handschrift K 4Codex Holmiensis K 4 (Stockholm, Kungliga biblioteket)7Codex Holmiensis K 47 (Stockholm, Kungliga biblioteket) analysiert. Ein Teilprojekt des an der Universität Uppsala angesiedelten interdisziplinären Infrastruktur-Forschungsprojekts Norse World: The Norse perception of the world: A mapping and analysis of foreign place names in medieval Swedish and Danish texts (https://www.uu.se/en/research/infrastructure/norseworld/project) bildet den Hintergrund der Untersuchung. Der Artikel beleuchtet die Bedeutung des erzählten Raumes in den Texten von K 47 und die im Projekt ausgebauten Möglichkeiten, Belege für einen realen oder fiktiven Ortsnamen in unterschiedlichen schwedischen und dänischen Texten des nordischen Spätmittelalters ausmachen und kontextuell ‚verorten‘ zu können, was für die Betrachtung sprachwissenschaftlicher, (literatur-)historischer, philologischer wie auch kartographischer Aspekte dieser Epoche gleichermaßen aufschlussreich ist.