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5.10.5 Kulturelle Vorstellungen von Alter und Altern

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Wie alte Menschen ihre Lebenssituation wahrnehmen und bewerten, inwieweit sie in dieser Gestaltungsmöglichkeiten sehen und zu verwirklichen versuchen, hängt auch von Sichtweisen eigenen Alterns und den auf diesen Sichtweisen gründenden Erwartungen ab. Auf Altern und Alter bezogene, negative Meinungen und Überzeugungen anderer Menschen – die im Übrigen nicht selten von alten Menschen geteilt oder übernommen werden (Levy 2009) – können Verhaltensspielräume im Alter ebenso nachhaltig einschränken wie gesellschaftliche Strukturen, die ab einem bestimmten Lebensalter den Zugang zu sozialen Rollen erschweren oder sogar unmöglich machen (Levy und Macdonald 2016). Die Tatsache, dass Altersbilder, die Einschränkungen und Defizite betonen, als sich selbst erfüllende Prophezeiungen wirken können, wird durch zahlreiche empirische Untersuchungen bestätigt (Lamont et al. 2015). Vor diesem Hintergrund ist zu konstatieren, dass zumindest in Teilen die Verletzlichkeit im Alter selbst, vor allem aber der Umgang mit eigener Verletzlichkeit auch auf der Grundlage von Altersbildern sozial konstruiert wird (Nelson 2016). Dies ist dann der Fall, wenn Alter mit Krankheit gleichgesetzt wird und alten Menschen körperliche und kognitive Plastizität sowie psychische Anpassungsfähigkeit und Selbstgestaltungspotenziale abgesprochen werden – dies aufgrund von Altersbildern, die Alter generell mit einem modus deficiens, also körperlichen, seelischen und geistigen Verlusten gleichsetzen.

Die in der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters durchgeführten Analyse zur Bedeutung von Altersbildern für das Selbstbild und die soziale Teilhabe (Kruse und Schmitt 2008) dienten vor allem der Beantwortung der Frage, inwieweit die Motivation zu einem mitverantwortlichen Leben im mittleren und hohen Erwachsenenalter beeinflusst ist von den sozialen Repräsentationen des Alterns und Alters in unserer Gesellschaft. Ein erstes wichtiges Ergebnis weist auf den engen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zum mitverantwortlichen Leben und der Interpretation des eigenen Alterns im Sinne von Entwicklungspotenzialen hin: In dem Maße, in dem Menschen mit dem eigenen Alternsprozess potenzielle Gewinne verbinden, nimmt auch die Bereitschaft zu, sich im öffentlichen Raum zu engagieren, diesen aktiv zu gestalten. Ein zweites wichtiges Ergebnis verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen der subjektiv wahrgenommenen Stellung älterer Menschen einerseits und der sozialen Teilhabe andererseits. Dabei ist auch die soziale Teilhabe im Sinne der aktiven Gestaltung des öffentlichen Raumes zu interpretieren. Aus diesen beiden Ergebnissen lässt sich für die Frage, was unter einer altersfreundlichen Kultur zu verstehen ist, folgender Schluss ziehen: Eine altersfreundliche Kultur verwirklicht sich in dem Maße, in dem im öffentlichen Raum ein differenziertes Verständnis von Altern und Alter kommuniziert wird, und zwar in der Weise, dass sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Alters berücksichtigt werden und gleichzeitig die Bedeutung, die die Stärken des Alters für das Gelingen des gesellschaftlichen Lebens besitzen, betont wird. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Menschen im mittleren und hohen Erwachsenenalter eine differenzierte Einschätzung ihrer Kompetenz zeigen – erst wenn diese differenzierte individuelle Einschätzung ihre Entsprechung in einer differenzierten öffentlichen (gesellschaftlichen) Wahrnehmung findet, werden sich ältere Menschen motiviert sehen, vermehrt Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Die polarisierte Wahrnehmung und Darstellung von Alter – im Sinne von hoher Kompetenz oder fehlender Kompetenz – scheint hingegen der Motivation zum mitverantwortlichen Leben eher abträglich zu sein. Aus diesen Ergebnissen lässt sich auch folgern, wie wichtig die öffentliche Kommunikation des Alters als potenzielle gesellschaftliche Ressource für die Mitgestaltung des öffentlichen Raums durch das Individuum selbst ist: Ob Menschen diesen öffentlichen Raum aktiv gestalten oder nicht, hängt auch damit zusammen, wie Alter und demografischer Wandel in der Gesellschaft wahrgenommen und gedeutet werden – primär als Belastung oder aber auch als Chance.

Praxishandbuch Altersmedizin

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