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3 Das Christentum

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Die meisten heutigen Nachkommen der Ureinwohner Südamerikas sind Christen. Ihr Christentum ist allerdings vielfach von ihren vorchristlichen Wurzeln mitgeprägt. Sie sind darum keineswegs »Heiden« im Sinne einer Religion neben dem Christentum, aber europäische Christen sind sie auch nicht. So hat etwa eine der Autorinnen dieses Sammelbandes, Graciela Chamorro, die hier über die traditionelle Religion der Guaraní schreibt, an anderer Stelle (2016) die Herausbildung pfingstkirchlicher Religiosität bei den Guaraní beschrieben. Im Gran Chaco, dessen Ureinwohner heute allesamt Christen sind, findet José Braunstein zahlreiche eigenständige, aus der nicht-christlichen Vergangenheit weiterlebende Elemente (in diesem Sammelband, und etwa auch in Braunstein 2004), vor allem in evangelikalen und pfingstkirchlichen Gemeinden. Der christliche Prediger ist gleichsam auch ein Schamane.

Galten Süd- und Mittelamerika einschließlich Mexiko bis weit ins 20. Jahrhundert als der katholische Weltteil, so wird die einst vorherrschende Position der katholischen Kirche seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht allein von dem schon seit dem 19. Jahrhundert mächtigen Laizismus erschüttert, sondern auch von religiösen Strömungen aus dem Protestantismus (überwiegend aus seinen nordamerikanischen Varianten), der Pfingstbewegung und spiritistischem Glauben (hauptsächlich dem Kardecismus). In Regionen mit hohem Bevölkerungsanteil afrikanischer Herkunft, am stärksten in Brasilien haben afrikanische Religionen sich mit dem Katholizismus verbunden, im 20. Jahrhundert auch vielfach mit dem Kardecismus. All diese Einflüsse blieben nicht ohne Wirkung auf die zuvor auf dem Kontinent heimischen Religionen. Doch sind Christentum und Spiritismus nicht das Thema dieses Bandes, wenn sie auch nicht völlig ausgeklammert werden – für diese sei nur, etwa, auf einen Sammelband zu Religionen in Brasilien verwiesen (Schmidt/Engler Hrsg. 2016), der vom Katholizismus über den Buddhismus, Islam, Pfingstkirchentum usw. bis hin zur Neureligion Santo Daime den ganzen Fächer religiöser Vielfalt ausbreitet. Oder man lese in diesem Sammelband hier den Aufsatz über die Religionen im Gran Chaco, die überwiegend eigenständige Weiterentwicklungen des Protestantismus bilden.

Diese religiöse Vielfalt erlaubt es oft kaum noch, einzelne Einflüsse in den aus voreuropäischer Zeit erhaltenen Religionen auseinander zu definieren. Für christliche Einflüsse lassen sich in einem jahrhundertelang christianisierten Kontinent gute Argumente finden. Der Erzähler Rigasedye vom Volk der Witoto, der dem Ethnologen Konrad Theodor Preuss schon 1914 berichtete, die Welt sei aus Illusion entstanden, hatte zuvor auf einer Missionsstation gelebt – hat er dort die christliche oder platonische Lehre von der Erde als Illusion aufgenommen? Ähnliche Gedanken finden sich auch bei anderen Erzählern seines Volkes, bei denen man ebenso wenig christlichen Einfluss ausschließen kann. Nur ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass auf einer christlichen Missionsstation Anfang des 20. Jahrhunderts antike Philosophie gelehrt wurde. Die Bedeutung des Wortes als eines Grundprinzips der Welt (in diesem Sammelband von Chamorro/Combès für die Religionen der Guaraní beschrieben) ließe sich als Echo des Anfangs des Johannes-Evangeliums interpretieren: »Am Anfang war das Wort«. Doch ist im Einzelnen sehr genau darauf zu achten, in welchem Zusammenhang der gesamten Religion solche Ähnlichkeiten stehen. Wenn ein Schamane gen Himmel fährt, wäre zu untersuchen, ob diese Reise die gleiche wie die Himmelfahrt Jesu oder Mohammeds ist, oder ob sie zu ganz anderen Zielen und Bewusstseinszuständen führt. Und auch wenn die Vorstellung einer Himmelfahrt christlich sein könnte, so ist die Praxis doch eine ganz andere. In schamanischen Religionen ist die Himmelfahrt des Schamanen nicht alltäglich, aber doch so häufig, dass sie niemanden mehr verwundert; im Christentum und im Islam hingegen ist sie ein einmaliges, besonderes Ereignis. Eine Rückführung der schamanischen Reise auf die christliche oder islamische Himmelfahrt würde diese Unterschiede verkennen und letztlich wenig zum Verständnis des Schamanismus beitragen.

Indigene Religionen Südamerikas

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