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1. Kapitel: Die Kreuzzüge und die Ausbreitung des Christentums Entstehung und Motive der Kreuzzugsbewegung
ОглавлениеWesentliche Reformimpulse und Entwicklungen des 11. Jahrhunderts wirkten zusammen in der Kreuzzugsbewegung: die allgemeine Intensivierung des religiösen Engagements, die Rückbesinnung auf die Urkirche und damit auf die historischen Stätten des neutestamentlichen Heilsgeschehens und schließlich die gesteigerte Anteilnahme der Laien am kirchlichen Leben bis hin zum militärischen Einsatz. Wichtigste Vorbedingung aber war wohl die neue, aktive Rolle des Papsttums als zentraler Autorität der Kirche. Von Papst Urban II. ging die entscheidende Initiative zum Kreuzzug aus. Den Anstoß hatte ein Hilfeersuchen des byzantinischen Kaisers gegeben, der allerdings kein europäisches Aufgebot zur Rettung der orientalischen Christenheit erwartete, sondern gemäß einer schon bewährten Praxis europäische Söldner anwerben wollte, um die Wiedereroberung der seit der Niederlage von Mantzikert im Jahr 1071 an die türkischen Seldschuken verlorenen kleinasiatischen Gebiete in Angriff nehmen zu können. Urban II. sah darin wohl die Chance, seinen kirchlichen Primat mit Hilfe des byzantinischen Kaisertums auf die Ostkirche auszudehnen und zugleich die Autorität des Reformpapsttums weiter zu stärken. Daneben wirkte vielleicht auch ein besonderes heilsgeschichtliches Bewusstsein: Die Eroberung Siziliens durch die Normannen und die intensivierte spanische Reconquista (s.u. S. 26) hat Urban jedenfalls in einzelnen Äußerungen als Zeichen für eine heilsgeschichtliche Wende zugunsten der Christen gedeutet.
Wie weit die Pläne des Papstes reichten und ob Jerusalem von Beginn an das Ziel war, ist umstritten. Der gut vorbereitete Kreuzzugsaufruf, den Urban am 27. November 1095 auf einer Reformsynode im südfranzösischen Clermont verkündete und in den folgenden Wochen auf einer Rundreise durch Zentralfrankreich weiter propagierte, richtete sich wohl zunächst an den südfranzösischen Adel. Teilnehmer der Synode und selbsternannte Kreuzzugsprediger sorgten aber dafür, dass weite Teile Europas davon erreicht wurden. Schon vor dem vereinbarten Termin brachen unorganisierte Gruppen auf, denen sich auch Kreuzzugsbegeisterte aus der unbewaffneten Landbevölkerung anschlossen. Als charismatischer Prediger und Anführer wirkte vor allem der Mönch Peter von Amiens. Eine Gruppe unter seiner Führung wurde in Kleinasien von den Seldschuken vernichtet; weitere Gruppen lösten auf dem Weg durch das Rheinland die ersten, verheerenden Judenpogrome der europäischen Geschichte aus. Materielle Not der zumeist schlecht ausgerüsteten Teilnehmer und die Überzeugung, von den Judengemeinden der Städte finanzielle Leistungen fordern zu dürfen, verbanden sich mit blindem religiösen Eifer und dem im päpstlichen Kreuzzugsaufruf zunächst auf die Muslime bezogenen Motiv, die „Feinde Gottes“ zu bestrafen.
Nach ersten, schlecht dokumentierten Pogromen in Spanien und Frankreich kam es zu einer Explosion der Gewalt gegen die Judengemeinden in den rheinischen Bischofsstädten, vor allem in Mainz, Worms und Köln; später waren besonders Regensburg und Prag betroffen. Die für den Schutz der Juden zuständigen Bischöfe zeigten sich zumeist machtlos. Allein in Speyer bot der bischöfliche Palast Sicherheit. Viele Juden zogen den Tod der erzwungenen Taufe vor; in Deutschland dürften mehr als 3.000 Menschen umgekommen sein. Das zeitgenössische Kirchenrecht verbot zwar die Zwangstaufe ausdrücklich, doch wurde die einmal vollzogene Taufe aus sakramententheologischen Gründen nicht zur Disposition gestellt.
Allerdings blieb sogar der Protest des kaiserlichen Papstes wirkungslos, als Heinrich IV. bald darauf den unter Zwang getauften Juden die Rückkehr zu ihrem angestammten Glauben gestattete. Der Kaiser hatte schon einige Jahrzehnte zuvor mit zwei Privilegien für die jüdischen Gemeinden von Speyer und Worms den besonderen königlichen Schutz für die deutschen Juden begründet, der in der Folge immer wieder erneuert und im 13. Jahrhundert als Institut der jüdischen Kammerknechtschaft festgeschrieben wurde. Für die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in Deutschland bedeuteten die Pogrome einen gewaltigen Rückschlag, der aber im Verlauf des 12. Jahrhunderts überwunden werden konnte. Eine konsequente Linie zu den europaweiten Verfolgungen des 14. Jahrhunderts lässt sich wohl nicht ziehen; trotzdem ist festzustellen, dass die intensivierte Religiosität des späten 11. und des 12. Jahrhunderts offenbar auch dazu beitrug, dass man den Juden zunehmend mit Vorbehalten begegnete und sie Verdächtigungen aussetzte, die immer wieder lokale Verfolgungen provozierten. Judenfeindliche Übergriffe blieben auch Begleiterscheinung aktualisierter Kreuzzugsbegeisterung, so im Vorfeld des Zweiten Kreuzzuges, als Bernhard von Clairvaux einer von Wanderpredigern geschürten Pogromstimmung entgegentreten musste, und vor Beginn des Dritten, als Kaiser Friedrich I. Barbarossa ähnlichen Regungen schon vorab mit harten Sanktionen begegnete.
Auf ihrem weiteren Weg verbreiteten die Gruppen der ersten Kreuzfahrerwelle auch unter der christlichen Bevölkerung Schrecken, bis sie von ungarischen Truppen vernichtet wurden. Im Spätsommer 1096 brach die Mehrheit der ritterlichen Kreuzfahrer auf, vor allem Südfranzosen unter Führung des Grafen Raimund von Toulouse, Nordfranzosen sowie Normannen aus England, Frankreich und Süditalien. Von den erstrangigen deutschen Fürsten nahm aufgrund des anhaltenden Konfliktes zwischen Kaiser und Papst nur der Herzog von Niederlothringen, Gottfried von Bouillon, teil. Im Ganzen machten sich wohl 50.000–60.000 Menschen auf den Weg, darunter etwa 10.000 Ritter. Nach langwierigem Anmarsch und Kämpfen mit einzelnen seldschukischen Kommandeuren in Kleinasien drang nur ein Teil des Kreuzfahrerheeres nach Jerusalem vor. Am 15. Juli 1099 wurde die Stadt gestürmt. Die erbitterten Kämpfe endeten in einem Blutbad an der muslimischen, jüdischen und z.T. auch christlichen Stadtbevölkerung, das unter den Muslimen in Syrien und Ägypten ungeheures Aufsehen erregte und noch fast ein Jahrhundert später von arabischen Chronisten der für die Christen vernichtenden Schlacht von Hattin (1187) in Erinnerung gerufen wurde.
Die Gewaltexzesse bei der Eroberung von Jerusalem wurden von den lateinischen Chronisten des Kreuzzuges nicht nur kritiklos dargestellt, sondern in biblischer, vor allem auf die Landnahmeerzählungen des Alten Testaments und die neutestamentliche Apokalypse Bezug nehmender Sprache sogar noch übersteigert. Damit wollte man die heilsgeschichtliche Qualität des kaum erwartbaren Ereignisses herausstellen, das in Europa ungeheures Aufsehen erregte und als göttliche Beglaubigung des Kreuzzugsunternehmens gewertet wurde.
Den Willen Gottes zu tun, war eine leitende Überzeugung der Kreuzzugsteilnehmer, die sich schon bei der Predigt Urbans II. in Clermont in der Losung „Gott will es“ (Deus lo volt) ausgesprochen hatte. Damit knüpfte man an eine Traditionslinie theologischer Reflexion an, die auf den Kirchenvater Augustinus zurückging. Nachdem die Kirche zur privilegierten Religion des spätantiken Staates geworden war, hatte Augustinus die zuvor selbstverständliche Distanz der Christen zur militärischen Gewalt relativiert und konkrete Bedingungen für die theologische Dignität staatlicher Gewaltanwendung formuliert. Der „gerechte Krieg“ musste von einer legitimen Obrigkeit geleitet werden, er musste gerechten Zielen dienen und mit angemessenen Mitteln geführt werden.
Die Forschung diskutiert, ob der „gerechte“ in der Vorstellungswelt des Mittelalters auch zum „heiligen“ Krieg werden konnte. Nur im Blick auf das Alte Testament hatte Augustinus davon gesprochen, dass Gott selbst Kriege veranlasst habe. Auf den Willen Gottes hat man sich dann etwa in den Abwehrkämpfen des Frankenreiches gegen nichtchristliche Feinde wie die Normannen oder die Ungarn berufen und in den Kämpfen der christlichen Herrscher im Norden Spaniens gegen die berberisch-arabischen Muslime. Daneben gab es in der frühmittelalterlichen Bußpraxis und in Stellungnahmen einzelner Theologen aber auch die Tendenz, jedes Blutvergießen zumindest grundsätzlich als bußwürdig zu deklarieren.
Diese Vielstimmigkeit der theologischen Tradition wurde in der Entwicklung des 11. und 12. Jahrhunderts nicht zuletzt zugunsten der zeitgemäßen kanonistischen Systematisierung und Harmonisierung aufgegeben. Dabei trat in der moraltheologischen Wertung das schon von Augustinus herausgearbeitete Kriterium der Intention gegenüber den blutigen Umständen und Wirkungen der Tat immer deutlicher in den Vordergrund. Allerdings hatten auch schon die ethischen Stellungnahmen frühmittelalterlicher Theologen und manche Bußsatzungen der frühmittelalterlichen Bußbücher zwischen äußeren und persönlichen Umständen der Tat differenziert und dabei die Intentionen berücksichtigt. In der kirchlichen Praxis war wohl auch vor allem die scharfe Frontenbildung des Investiturstreits dafür verantwortlich, dass der religiös begründete Einsatz der Waffen als ein Moment der religiösen und politischen Wirklichkeit akzeptiert wurde. Eine ältere Wurzel hatte die Mobilisierung der Laien zum militärischen Einsatz für kirchliche Ziele in der Gottesfriedensbewegung des 11. Jahrhunderts. In dieser Tradition diente der Kreuzzugsaufruf des Papstes ausdrücklich auch dazu, die Adelsgesellschaft zu befrieden und deren kriegerisches Potenzial gegen einen äußeren Feind zu lenken: aus „Räubern“, so heißt es in einer Überlieferung der päpstlichen Predigt von Clermont, sollten „Soldaten Christi“ (milites christi) werden.
Diese Ansätze zur theologischen und rechtlichen Legitimation und zur praktischen Akzeptanz militärischer Gewalt erklären allerdings noch nicht, warum größere Gruppen des europäischen Adels sich im 12. Jahrhundert für die Kreuzzugsidee begeisterten und gewaltige Kosten, Anstrengungen und Gefahren auf sich nahmen. Sozialökonomische Gründe wie etwa die Existenzsorgen unversorgter Adelssöhne in Teilen Frankreichs dürften eine untergeordnete Rolle gespielt haben, denn nur ein kleiner Teil der Kreuzfahrer ließ sich dauerhaft im Heiligen Land nieder. Sicher spielten auch Abenteuerlust und Beutegier eine Rolle; zumeist aber dürften religiöse Motive ausschlaggebend gewesen sein. Auf dem Hintergrund einer alten Tradition der Wallfahrt nach Jerusalem verband sich die Vorstellung, die Stätten des biblischen Heilsgeschehens leibhaftig zu erfahren, mit dem Anspruch, sie nach Jahrhunderten wieder unter christliche Herrschaft zu bringen. Darin findet die Formel vom Kreuzzug als „bewaffneter Wallfahrt“ ihre Begründung, aber auch ihre Grenzen, denn die Jerusalemwallfahrt hatte zuvor gelegentlich durchaus bewaffneten Schutz, aber keinen religiös akzentuierten Herrschaftswechsel erfordert. Zum Wallfahrtsgedanken kam auch das damit zwar immer schon verbundene, durch Urban II. aber besonders herausgestellte Motiv der Buße hinzu, das in der Entwicklung des 12. Jahrhunderts zu einem immer konkreter formulierten und rechtlich fixierten Moment der kirchlichen Kreuzzugspredigt wurde. Zwar dürfte Urban unter der remissio peccatorum zunächst nur die Abgeltung bestimmter Auflagen der kirchlichen Buße durch die Kreuzzugsteilnahme verstanden haben, doch wurde daraus in den Kreuzzugspredigten wohl schnell der Erlass aller zeitlichen Sündenstrafen im Sinne der sich in der Folge ausbildenden Ablasslehre.
Als Wallfahrt, Bußleistung und Kampf für Gott selbst eröffneten die Kreuzzüge den waffentragenden Laien eine spezifische Möglichkeit, am religiösen Aufbruch der Zeit teilzunehmen. Jetzt, so formulierte es der nordfranzösische Abt und Geschichtsschreiber Guibert von Nogent (gest. ca. 1125), konnten die Laien ohne Konversion zum Mönchtum einen besonderen Weg zum Heil beschreiten. Grundsätzliche Kritik an der Verbindung von militärischer Gewalt und religiösen Zielen hatte seit der als Tat Gottes gedeuteten Eroberung Jerusalems zunächst keine Chance mehr. Erst die neuartige Verbindung von monastischer und militärischer Lebensweise durch die Templer bedurfte vertiefter Rechtfertigung, die von keinem Geringeren als Bernhard von Clairvaux formuliert wurde (s.u. S. 52f.). Die gegenüber dem ersten Ritterorden vorgetragene Kritik blieb langfristig ebenso folgenlos wie Jahrzehnte später die Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Kreuzzugsbewegung durch Radulf Niger (gest. um 1200). Gleichwohl ließ sich die allgemeine Akzeptanz der Kreuzzugsidee nicht in gleichmäßige Kreuzzugsbegeisterung umsetzen. Die europaweiten Initiativen nach dem Fall der ersten Kreuzfahrerherrschaft Edessa (1144) und der Eroberung Jerusalems durch Saladin (1187) bedurften jeweils ausführlicher propagandistischer, politischer und logistischer Vorbereitung. Für den einzelnen Kreuzfahrer bedeutete die Teilnahme nicht nur ein hohes persönliches Risiko, sondern vor allem eine große, häufig nur durch die Unterstützung kirchlicher Institutionen zu tragende wirtschaftliche Belastung. Neben religiösem Enthusiasmus waren vielfach persönliche Bindungen, Verwandtschaft oder familiäre Traditionen ausschlaggebend für die Kreuznahme. Die kanonistischen Rahmenbedingungen wurden nach Ansätzen in Clermont vor allem durch die päpstlichen Bullen Quaedam praedecessores vor dem Zweiten und Audita tremendi (1187) vor dem Dritten Kreuzzug entwickelt und in der Kanonistik des 13. Jahrhunderts fortgeschrieben. Neben einem weit gefassten Ablass wurde den Kreuzfahrern kirchlicher Schutz für Frauen und Kinder sowie ihr Eigentum zugesichert. Ein Zinsverbot für Anleihen und Regeln für die Verpfändung von Kreuzfahrerbesitz an die Kirche sollten die stets problematische Finanzierung des Unternehmens sicherstellen.