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3. Kapitel: Religiöses Leben, Bildung und Wissenschaft Reformen und Differenzierung des religiösen Gemeinschaftslebens

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Schon im 11. Jahrhundert hatten die Impulse zur Reform des kirchlichen Lebens auch das religiöse Gemeinschaftsleben erfasst. Der Kampf gegen Simonie und Priesterehe sowie das neue Verständnis der päpstlichen Autorität auf der einen, die Reformen des benediktinischen Mönchtums und des Gemeinschaftslebens der Kleriker auf der anderen Seite wirkten gemeinsam und stärkten sich gegenseitig, ohne dass es sinnvoll wäre, nach der einen Wurzel des Reformwillens und einem zentralen Motiv aller Reformansätze zu fragen. Häufig waren es vielmehr personale Verbindungen und die Orientierung herausragender Protagonisten, die etwa dafür sorgten, dass die Sache des gregorianischen Papsttums auch von den cluniazensisch orientierten Reformzentren des Mönchtums im deutschen Südwesten, Hirsau und St. Blasien, sowie von den Stiften der regulierten Kanoniker in Rottenbuch oder St. Mang/Regensburg mit großem Engagement vertreten wurde.

Auch im 12. Jahrhundert wirkten das Papsttum und die wichtigsten Reformbewegungen im Bereich des religiösen Gemeinschaftslebens zusammen. Die Päpste bestimmten die rechtliche Ausgestaltung und Institutionalisierung der neuen Orden, die ihrerseits durch ihre schnelle Ausbreitung und weite Präsenz in Europa auch die universalkirchliche Zuständigkeit und Akzeptanz des Papsttums stärkten. Besonderen Ausdruck fanden diese Verbindungen darin, dass die Zisterzienser mit Eugen III. (1145–1153) erstmals einen Papst stellten und dass die meisten anderen Päpste zwischen 1124 und 1154 aus den Reihen der Regularkanoniker stammten.

Obwohl manche Motive der Reformen des 11. Jahrhunderts weiter wirkten, markieren die ersten beiden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts doch einen deutlichen Neuansatz: Mit Zisterziensern und Prämonstratensern entstanden jetzt Orden, die bei grundsätzlicher Wahrung der Selbständigkeit der Konvente jeweils einen übergreifenden Rahmen mit gemeinsamen Institutionen ausbilden. Im Unterschied zu den Ordensgründungen des 13. Jahrhunderts kam es aber noch nicht zur Formulierung vollständig neuer und eigenständiger Regeln. Mit den cluniazensischen Reformen teilten die Zisterzienser das Bemühen um die authentischere Ausrichtung des Lebens an der Benediktsregel; „authentischer“ war dabei unter Einfluss der asketischen und eremitischen Bewegungen der Zeit vor allem als „strenger“ zu verstehen. Darum ging es zunächst dem Abt Robert, der den von ihm selbst begründeten Konvent Molesme im Jahr 1098 verließ, um mit einigen Gesinnungsgenossen in Cîteaux eine strengere benediktische Lebensweise zu praktizieren. Zwar musste Robert auf päpstlichen Entscheid schon bald in sein altes Kloster zurückkehren, doch der Impuls der Gründung von Cîteaux, programmatisch als „neues Kloster“ (novum monasterium) bezeichnet, wirkte weiter – nicht zuletzt deshalb, weil die junge Gemeinschaft in ihrem zweiten Abt, dem Engländer Stephan Harding, einen erfolgreichen Organisator und in Bernhard von Clairvaux (1090–1153), der bei seinem Eintritt im Jahr 1113 gleich einen ganzen Verwandten- und Freundeskreis mitbrachte, einen charismatischen Propagator von europaweiter Ausstrahlung fand. Schon zwei Jahre später zog Bernhards Gruppe aus, um in Clairvaux ein neues Kloster zu gründen, von dem dann bald weitere Neugründungen ins Werk gesetzt wurden. Nach diesem Muster der Filiation vollzog sich bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts eine schnelle Ausbreitung der Zisterzienser, wobei jeweils von Cîteaux aus gegründete Klöster wie La Ferté, Pontigny und Morimond Filiationen ins Leben riefen, die ihrerseits zu Mutterklöstern weiterer Neugründungen wurden. Von Morimond aus wurde als erste deutsche Zisterze Kamp (1123) gegründet, von der wiederum mindestens 14 Filiationen mit jeweils eigenen Gründungen ausgingen. Für den Süden Deutschlands wurden besonders Ebrach (1127) und eine württembergische Gründung wichtig, die im Jahr 1138 nach Maulbronn verlegt wurde. Um das Jahr 1150 gab es im Deutschen Reich schon etwa 50 Zisterzienserklöster, in ganz Europa waren es ungefähr 300.

Bei der Auslegung der Benediktsregel setzten die Zisterzienser vor allem im Hinblick auf das Verständnis der Arbeit neue Akzente: Die eigene Arbeit sollte zur einzigen Grundlage des Lebensunterhalts werden. Das hatte nicht nur eine Beschränkung der liturgischen Pflichten zur Folge, sondern auch eine ganz neue Wirtschaftsorganisation: Die Zisterzienser lehnten es ab, von den Erträgen bewirtschafteter Grundherrschaften und den Abgaben und Leistungen der Hörigen zu leben, und verzichteten auch auf die Zehnten. Stattdessen organisierten sie ihre Landwirtschaft selbst in eigenen Betrieben, den Grangien, die von Mönchen und häufig auch von Konversen (s.u. S. 45) geleitet wurden. Eine im Vergleich mit der aufwendigen Praxis in Cluny radikal wirkende Vereinfachung der Liturgie, die etwa nur ein jährliches Totengedenken für alle Mönche der Gemeinschaft kannte, sollte allerdings nicht nur Zeit für die eigene Arbeit der Mönche freigeben, sondern auch in asketischer Zielsetzung den allgemeinen Aufwand der liturgischen Feiern drastisch reduzieren. Das wurde besonders augenfällig in der sakralen Architektur: Beim Kirchenbau verzichteten die Zisterzienser häufig auf den Figurenschmuck der Portale oder Säulen und ersetzten die Türme durch einfach Dachreiter. Die asketische Ablehnung jeder Form des sinnlichen Genusses bestimmte auch den klösterlichen Speiseplan. Das sollte die Bedeutung des monastischen Lebens als Buße für die menschliche Sündhaftigkeit und als Rückzug aus der Welt mit ihren sinnlichen Reizen besonders akzentuieren.

Impulse zur strengeren asketischen Lebensführung kamen etwa zur gleichen Zeit auch aus den Reihen der Regularkanoniker. Am weitesten ging der Ministerialensohn Richard (gest. 1158), dessen Mutter 1100/02 in Springiersbach einen Kanonikerkonvent gegründet hatte. Consuetudines und Kanoniker von Springiersbach beeinflussten die Kanonikerreformen in den Diözesen Trier, Mainz, Lüttich, Köln und Worms; durch Vermittlung des zunächst als Eremitengemeinschaft gegründeten, seit 1111 unter Einfluss aus Rottenbuch und später Springiersbach zum Kanonikerstift umgewandelten Klosterrath gelangten sie auch in die Diözese Salzburg. Grundlage der strengeren Lebensweise bildete der Wechsel von der ausführlicheren der auf den Kirchenvater Augustinus zurückgeführten Regel, dem sogenannten Praeceptum, zur kürzeren und strengeren, die als Ordo monasterii bezeichnet wurde. Entsprechend der jeweiligen Regelorientierung spaltete sich die Bewegung der Regularkanoniker in der Folge in den Ordo antiquus und den Ordo novus.

Klosterrath war eine der Stationen, die der Xantener Kanoniker Norbert (ca. 1082–1134) auf der Suche nach einer strengeren Lebensform kennenlernte. Norbert verband damit die Orientierung an der klerikalen Aufgabe der Seelsorge (cura animarum), am Vorbild der Urgemeinde (ecclesia primitiva) und der Apostel (vita apostolica). Das führte ihn zu einem Leben als Wanderprediger in gleichsam apostolischer Ruhelosigkeit; erst der Druck seiner Förderer aus den Reihen der kirchlichen Hierarchie brachte Norbert im Jahr 1120 dazu, in Prémontré eine feste Niederlassung zu gründen, der bald weitere Konventsgründungen folgten. Schon im Jahr 1126 wurde Norbert zum Erzbischof von Magdeburg berufen, wo er weitere Kanonikerkonvente gründete, die zunächst einen eigenen Verband bildeten. Bei Norberts Tod im Jahr 1134 bestanden im Ganzen 68 Prämonstratenserkonvente mit Schwerpunkten in Nordfrankreich, Brabant, Lothringen, Westfalen, Magdeburg und Schwaben; geografische Außenposten fanden sich an der Loire, am Genfer See und in Breslau. Den entscheidenden Schub erlebte die Ausbreitung der Prämonstratenser allerdings erst unter Leitung von Norberts Schülern, allen voran Hugo von Fosses, der zweite Abt von Prémontré, im Westen sowie Anselm von Havelberg im Magdeburger Bereich. Bis zum Tod Hugos im Jahr 1161 hatte sich der neue Orden mit etwa 140 weiteren Gründungen über ganz Europa ausgebreitet; weitgehend verschlossen blieb allein Italien mit gerade einmal zwei Konventen. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kamen dann noch 90 Gründungen hinzu.

Zisterzienser und Prämonstratenser entwickelten ihre asketischen Vorstellungen nicht zuletzt unter dem Einfluss der seit dem 11. Jahrhundert verstärkt wirksamen Eremitenbewegungen, die ebenfalls neue Gemeinschaften bildeten. Besonders weite Verbreitung im Westen und Süden Europas fanden die Kartäuser, benannt nach der Eremitensiedlung, die der im Jahr 1101 verstorbene Bruno in einem felsigen, nur schwer zugänglichen Gebiet bei Grenoble mit dem Namen Grande Chartreuse (Kartusia) begründet hatte. Nach diesem Vorbild entstanden Kartäuserpriorate in Ostfrankreich, im Alpengebiet, im Jura und in den Ardennen; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kamen Kartausen in Spanien, Italien, England und Dänemark hinzu. Eine besondere örtliche Bindung an die Heiligen Stätten Palästinas kennzeichnete die Eremitengemeinschaft, die im Zusammenhang des Ersten Kreuzzugs im Karmelgebirge entstand und von daher ihren Namen bekam.

Nicht die Einsamkeit, sondern die wachsenden städtischen Zentren suchten die irischen Mönche, die wie ihre frühmittelalterlichen Vorgänger als peregrini ein Leben außerhalb der irischen Heimat führen wollten. Aus einer Inklusengemeinschaft entwickelte sich in Regensburg der 1112 von Kaiser Heinrich V. privilegierte Konvent St. Jakob; weitere Gründungen folgten in Erfurt, Würzburg und in verschiedenen Orten Süddeutschlands sowie in Wien (1155). Besonderes Betätigungsfeld dieser sogenannten Schottenklöster im städtischen Umfeld wurden die Hospize für Pilger, worauf schon das Regensburger Jakobspatrozinium hindeutet, und Kranke.

Der große und schnelle Erfolg von Zisterziensern, Prämonstratensern, Kartäusern und anderen neuen Gemeinschaften lässt sich nicht als Reaktion auf eine Krise des religiösen Gemeinschaftslebens verstehen. Besonders deutlich wurden solche „Krisen“ ohnehin jeweils zur eigenen Legitimation von den Reformern diagnostiziert. Entscheidend dürften vielmehr zwei Faktoren gewesen sein, die sich aus den Reformimpulsen des 11. Jahrhunderts ergaben: zum einen die gesteigerte Intensität des religiösen Lebens überhaupt, zum anderen die beständig ansteigende Zahl der um eine religiöse Lebensführung bemühten Menschen. Die Frage nach der Authentizität der religiösen Lebensformen ließ sich letztlich nicht abschließend beantworten und konnte immer wieder neu gestellt werden; zugleich wurde es bei wachsender Zahl und Verschiedenheit der Fragenden immer weniger möglich, alle mit einer Antwort zufriedenzustellen. Für viele konnten das offensichtlich auch die alten Antworten leisten. Zwar verloren die großen deutschen Reichsabteien wie Fulda, Corvey und Stablo-Malmedy, nicht zuletzt unter dem Druck der an weltliche Herrschaftsträger zu leistenden Abgaben, zunehmend an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und spiritueller Ausstrahlung. Die beeindruckenden Zahlen von Neugründungen zisterziensischer oder prämonstratensischer Gemeinschaften dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das benediktinische Mönchtum traditioneller oder cluniazensischer Prägung und große Kanonikerstifte der Reichskirche wie etwa Norberts Heimatstift St. Viktor in Xanten weiterhin existierten, auch wenn sie nicht die aktuellen Gesprächsthemen einer sich immer weiter ausbildenden religiösen Öffentlichkeit vorgaben. Besonders harter Kritik sahen sich die weitgehend auf Deutschland beschränkten Kanonissenstifte ausgesetzt. Ihre von der karolingischen Institutio sanctimonialium bestimmte Lebensweise wurde schon vom Zweiten Laterankonzil (1139) als ungeregelt kritisiert, und im Jahr 1148 forderte eine Reimser Synode unter Vorsitz des Papstes von den weiblichen Religiösen, entweder nach der Benediktsregel oder der des Augustinus zu leben, sich also zwischen Mönchtum und reguliertem Kanonikerleben zu entscheiden.

Das alte Reformzentrum Cluny war Haupt eines Verbandes, der zu Beginn des Jahrhunderts ca. 1450 Klöster umfasste. Im Schisma stand man wie die aktuellen Reformbewegungen auf der Seite Innozenz’ II., der im Jahr 1130 die neue, alle europäischen Kirchbauten an Größe übertreffende Klosterkirche (Cluny III) weihte. Nach einer internen Führungskrise um den Abt Pontius (1109–1122) zählte dessen Nachfolger Petrus Venerabilis (1122–1156) nochmals zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Kirche in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Der neue Abt von Cluny ergriff auch die notwendigen Maßnahmen, um das grundlegende wirtschaftliche Problem der Abtei zu lösen: Die seit zwei Jahrhunderten aufgelaufenen Memorialleistungen für eine beständig wachsende Zahl von Mitbrüdern und vor allem adeligen Gönnern, welche die finanzielle Leistungsfähigkeit der Abtei längst überforderten, wurden durch die Reformstatuten von 1146/47 erstmals auf ein überschaubares Maß begrenzt. Gegenüber der Kritik, die etwa Bernhard von Clairvaux an Lebensstil und liturgischem Aufwand der Cluniazenser übte, konnte Petrus Venerabilis mit durchaus nicht rückwärts gewandter Argumentation fordern, die Benediktsregel dem Geist und nicht dem Buchstaben nach zu befolgen und der Gesinnung des monastischen Lebens Vorrang vor der äußeren Tätigkeit einzuräumen. Auch die nur mittelbar von Cluny beeinflussten, sogenannten jungcluniazensischen Reformen des benediktinischen Mönchtums wirkten weiter. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts standen etwa 200 Konvente unter dem Einfluss der Reformzentren Hirsau, St. Blasien oder Siegburg. Mit dem einflussreichen Mönchstheologen Rupert von Deutz fand auch diese Reformrichtung einen engagierten Verteidiger aus den Reihen der kompromisslosen Gregorianer.

Die zunehmende Differenzierung der Angebote religiöser Lebensführung konnte schon von Zeitgenossen wie Anselm von Havelberg oder Bernhard von Clairvaux grundsätzlich positiv gewertet werden: als Chance, eine möglichst große Zahl von Menschen unterschiedlicher Begabungen und Fähigkeiten auf den Weg religiöser Vervollkommnung und Heilssicherung zu führen, oder zumindest als Aufgabe, durch das Ertragen (tolerare) der Andersartigkeit die eigene Tugend der Geduld zu üben. Zudem erforderten auch die verschiedenen Ämter und Funktionen der Kirche jeweils entsprechend angepasste Lebensweisen; ein extremes Beispiel bietet die Verwirrung, die Norberts Schüler Gottfried von Cappenberg angesichts der prunkvollen und mit der prämonstratensischen Strenge gar nicht zu vereinbarenden Lebensführung am Hof des Magdeburger Erzbischofs erfasst haben soll. Auch für manchen reformfreudigen Bischof mag es dementsprechend attraktiver gewesen sein, trotz der Dynamik der prämonstratensischen Bewegung Chorherrenstifte zu gründen, die nach der weniger strengen Augustinusregel lebten und mehr Zeit und Kraft auf Aufgaben in Liturgie und Seelsorge verwenden konnten.

Feststellen lässt sich auch die Präferenz verschiedener sozialer Gruppen für bestimmte Reformbewegungen. So ist die schnelle Ausbreitung der Zisterzienser in Frankreich nicht zuletzt der Förderung durch den französischen Hochadel und das französische Königtum zu verdanken. Im deutschen Reich gründeten Ministerialenfamilien wie die des Richard von Springiersbach häufig regulierte Kanonikerstifte, während die Prämonstratenser besonders vom Adel gefördert wurden. Solche sachlichen, individuellen oder gruppenbezogenen Gründe dürften jedoch nicht allein den Ausschlag für die eine oder andere Lebensform gegeben haben. Mindestens ebenso wichtig waren die persönliche Ausstrahlung der europaweit wirkenden Protagonisten und die Beziehungs- und Kommunikationsnetze, in denen sie lebten und über die Vorstellungen und Interessen vermittelt und ausgetauscht wurden. Durch solche Verbindungen erklären sich etwa das Ausgreifen der Springiersbacher Reformen über Klosterrath in die Salzburger Kirchenprovinz oder die Förderung der Prämonstratenser durch Adelsfamilien, die mit Norbert in Verbindung standen. Zu Konflikten zwischen den neuen religiösen Lebensformen kam es häufig dann, wenn man im gleichen Gebiet miteinander konkurrierte. Die literarische Polemik zwischen Bernhard von Clairvaux und Petrus Venerabilis über die richtige monastische Lebensweise wurde vielleicht durch den Übertritt eines jungen Zisterziensers nach Cluny ausgelöst. Bernhard rechtfertigte den Anspruch der Zisterzienser in der Apologia ad Wilhelmum abbatem und führte heftige Angriffe gegen das cluniazensische Mönchtum. Zumindest die Reformbewegungen sahen sich aber offenbar in einem Boot, denn schon im Jahr 1142 einigten sich Prämonstratenser und Zisterzienser darauf, auf Abwerbeversuche zu verzichten und bei der Gründung neuer Konvente einen Mindestabstand einzuhalten.

Neben aktueller Konkurrenz waren es aber auch grundsätzliche Probleme bei der Umsetzung und der Vereinbarkeit der Reformziele, die engagierte, zum Teil sogar erbitterte Diskussionen zwischen den Observanzen und innerhalb der verschiedenen Bewegungen auslösten. Mönchs- und Kanonikerreformen teilten das Streben nach einer besseren Abstimmung von Vita activa und Vita contemplativa; dass diese Prinzipien in der Praxis häufig gegensätzlich wirkten, musste sogar Bernhard von Clairvaux bekennen, der immer wieder seine regelrechte Zerrissenheit zwischen den Idealen der monastischen Kontemplation und den von Äbten, Bischöfen oder Königen an ihn gerichteten Erwartungen auf aktive Stellungnahme und Mitwirkung beklagte. Wie Norbert, der aus einem hochadeligen Umfeld kam und als Erzbischof von Magdeburg eine herausragende Stellung in der Herrschaftsordnung mit der weiteren Propagierung der strengen prämonstratensischen Lebensweise verband, wechselte sein Schüler Anselm von Havelberg (gest. 1158) gleich mehrfach zwischen dem kontemplativ-asketischen Leben im Konvent, den Aufgaben eines Bischofs und der politischen Wirksamkeit am Königshof, die ihn zuletzt gar auf den Stuhl des Erzbischofs von Ravenna führte. Anselms Stellungnahmen lassen erkennen, dass auch unter den Prämonstratensern heftig darüber gestritten wurde, wie sich das allen Regularkanonikern gemeinsame Ideal der Seelsorge (cura animarum) mit der strengeren asketischen und kontemplativen Lebensweise vereinbaren ließ. Die tatsächliche Anstrengung, die von den Prämonstratensern auf die Seelsorge verwendet wurde, dürfte ohnehin von Konvent zu Konvent unterschiedlich ausgefallen sein. Wahrscheinlich ist es nicht berechtigt, dem Kreis der um Magdeburg zentrierten Konvente jedes Engagement in der Slawenmission und der pastoralen Erschließung des ostelbischen Raumes abzusprechen. Gleichwohl konnte sich das Ideal der Cura animarum auch als ein bloßer Habitus auswirken, der weniger auf den tatsächlichen Erfolg in Seelsorge und Mission zielte als darauf, die Lebensführung der Prämonstratenser entsprechend dem apostolischen Vorbild zu gestalten. Am Beginn des 12. Jahrhunderts lässt sich das Seelsorgeideal der Kanoniker auch noch nicht als Reaktion auf die Bedürfnisse der städtischen Zentren verstehen, die sich zumindest in Deutschland gerade erst entwickelten. Die frühen Prämonstratenserkonvente entstanden auch zumeist fern davon auf dem Land als Gründungen des Adels.

Im Ganzen erbrachten die Reformimpulse der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine Intensivierung und Differenzierung des religiösen Gemeinschaftslebens, die sich nicht nur in einer überwältigenden Anzahl von Neugründungen niederschlugen. Zugleich steigerte sich die soziale Reichweite der religiösen Lebensformen und Reformimpulse überhaupt beträchtlich. Weitaus mehr soziale Gruppen als jemals zuvor wurden in das religiöse Gemeinschaftsleben einbezogen und an den Initiativen und Diskussionen zur Reform des religiösen Lebens beteiligt. Zwar sind wir über die soziale Zusammensetzung der Klöster und Kanonikerstifte des früheren Mittelalters nur punktuell unterrichtet, und gelegentliche Verweise auf die soziale Exklusivität einzelner Konvente spiegeln vielleicht mehr gesellschaftliche Normen und Ideale als die Wirklichkeit wider. Trotzdem ist unverkennbar, dass die neuen Gemeinschaften auch neue gesellschaftliche Gruppen ansprachen; vor allem regulierte Kanonikerstifte in Deutschland wurden häufig von der aus der Unfreiheit aufsteigenden Gruppe der Ministerialen gegründet. Vielleicht führte auch erst der allgemein erhöhte Zulauf zu den Konventen dazu, dass sich etwa alte Kanonissenstifte jetzt rechtlich gegen die Aufnahme nichtadeliger Mitglieder abschlossen. Ein entsprechendes zeitgenössisches Problembewusstsein belegt die Diskussion zwischen Hildegard von Bingen, die für ihr Kloster eine strenge standesgemäße Trennung verteidigte, und ihrer Lehrerin Tenxwind von Andernach (gest. nach 1152), die, selbst der ministerialischen Gründerfamilie von Springiersbach entstammend, auch in dieser Hinsicht das Gemeinschaftsleben der Urkirche als bindende Norm ansah.

Das Ideal der urkirchlichen Gemeinschaft hatte seit Mitte des 11. Jahrhunderts auch dazu geführt, dass Reformkonvente etwa hirsauischer Prägung zunehmend auch Frauen einen Platz geboten hatten. Bildeten Frauenkonvente bis um das Jahr 1050 nur eine kleine Minderheit, so kam es seitdem zu einer Gründungswelle religiöser Frauengemeinschaften, die zumeist als Konvent mit eigener Klausur innerhalb einer bestehenden Mönchsgemeinschaft existieren konnten. In diesen Doppelklöstern sorgte der Abt für die geistlich-sakramentale Betreuung der Frauen, die wiederum bestimmte Arbeiten in Haushalt und Küche für die Mönche leisteten. Während die Zisterzienser sich konsequent gegen den Anschluss von Frauengemeinschaften stellten und erst gegen Ende des Jahrhunderts die Gründung von Zisterzienserinnenklöstern akzeptierten, wurden die ersten Prämonstratenserklöster fast durchweg als Doppelklöster angelegt. Erst seit den vierziger Jahren bemühten sich die Prämonstratenser wie die meisten anderen Konvente um eine Trennung von ihren Frauengemeinschaften; kurz vor 1174 datiert ein allerdings auf verschiedene Weise zu verstehender Beschluss des Generalkapitels, keine Frauen mehr aufzunehmen. Dahinter stand wohl häufig die Sorge, die räumliche Nähe der Geschlechter könnte die Disziplin oder doch den Ruf des asketisch-monastischen Lebens gefährden. Unklar ist, ob auch ein Kanon des Zweiten Laterankonzils (1139), der das gemeinsame Chorgebet von Männern und Frauen verbot, dabei eine Rolle gespielt hat. Die Entscheidung des Lateranense gehört jedenfalls in den Zusammenhang tradierter Vorstellungen von der kultischen Unreinheit der Frauen, die etwa in den Kirchen der weiblichen Kollegiatstifte offenbar zur Anlage von Emporen geführt hatten, auf denen die Kanonissen der Liturgie in räumlicher Trennung vom Altarraum folgen konnten. Solche Vorstellungen kultischer Reinheit, die letztlich auf das alttestamentliche Ritualgesetz zurückgingen, und die weitgehende, wenn auch nicht vollständige Auflösung der Doppelklöster dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeiten zur religiösen Lebensführung und zur aktiven Teilhabe an der Intensivierung des religiösen Lebens für Frauen im 12. Jahrhundert deutlich größer wurden.

Ein besonderes Beispiel für die Handlungsmöglichkeiten von Frauenkonventen bietet die Gemeinschaft auf dem Bingener Rupertsberg, die unter Leitung Hildegards von Bingen (s.u. S. 61) aus dem hirsauischen Männerkloster auf dem Mainzer Disibodenberg ausgezogen war. Hildegard konnte nicht nur die wirtschaftliche Selbständigkeit ihres Konventes erreichen, sondern auch eine eigene Lebensform gestalten, die aktuelle Vorstellungen der Zisterzienser und der Hirsauer Reformen miteinander verband, ohne die eindeutige Anlehnung an eine Observanz zu suchen.

Die neuen Entwicklungen des religiösen Gemeinschaftslebens erfassten nicht nur die Frauen in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß; auch größere Gruppen von Laien wurden schon im Zusammenhang der Kirchen- und Klosterreformen des späten 11. Jahrhunderts dazu motiviert, sich in die Lebensgemeinschaft eines Klosters zu begeben, ohne die monastischen Gelübde abzulegen und an der monastischen Liturgie teilzunehmen. Solche Konversen wurden für die nach wirtschaftlicher Autarkie strebenden Zisterzienser zu einem wichtigen Faktor. Die Prämonstratenser setzten Konversen häufig auch bei der Neugründung von Konventen ein, um sie dann allerdings in kurzer Zeit zu Kanonikern heranzubilden. Für einen adeligen Laien konnte der Konversenstatus ein Durchgangsstadium auf dem Weg zum Abt sein, aber auch eine dauerhaft genutzte Möglichkeit, mit der Bewegungsfreiheit des Laien für den Konvent zu arbeiten.

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