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Theologie und Frömmigkeit

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Neben erkenntnistheoretischen und logischen Problemen wurde die scholastische Methode auch an den zentralen Fragen und Gegenständen des Glaubens weiterentwickelt, trotz aller Vorbehalte und Maßnahmen kirchlicher Autoritäten. Bis zum Ende des Jahrhunderts etablierte sich die Theologie als eine Wissenschaft, die ihre Gegenstände systematisch ordnete und nach den formalen Regeln des Vernunftgebrauchs begründete. Die Dialektik konnte allerdings nur eine formale Richtigkeit garantieren; um dadurch inhaltliche Aussagen zu begründen, brauchte es gemäß der Topik des Aristoteles erste, als unbegründbar richtig akzeptierte Sätze, auf die sich die formalen logischen Begründungen rückbeziehen konnten. Deshalb gingen Autoren wie Petrus Cantor (gest. 1197) und Alanus von Lille (ca. 1125/1130–1203) daran, eine inhaltlich bestimmte theologische Prinzipienlehre zu entwerfen. Der eigentliche theologische Stoff wurde dann in Form der Summa dargestellt, geordnet entweder nach heilsgeschichtlichen oder nach logisch-systematischen Gesichtspunkten. Jeder theologische Lehrer musste die sogenannten Sentenzen kommentieren, die Petrus Lombardus zwischen 1150 und 1158 für den Unterricht an der Kathedralschule von Paris abgefasst hatte. Häufig dienten die Sentenzen aber nur als Stichwortgeber für die jeweils eigene theologische Systematik.

Der Siegeszug der scholastischen Methode brachte keine neue Uniformität der Schulbildung und der Theologie, sondern trug wesentlich zur allgemeinen Differenzierung des religiösen Lebens und der intellektuellen Kultur bei. Während die Ausbildung der dialektischen Methode sich vornehmlich an den logischen und hermeneutischen Schriften des Aristoteles orientierte, griff man vor allem in der Schule von Chartres, zu deren bedeutendsten Vertretern Gilbert von Poitiers und sein Schüler Alanus von Lille zählten, auch auf sprachphilosophische Anregungen des Boethius und auf die Ideenlehre des Plato in ihrer neuplatonischen Form zurück, um die formale Rationalität und die Wirklichkeit miteinander zu vermitteln.

Einzelne Schulen empfingen aber auch Anregungen von der Tradition einer vor allem in den Klöstern gepflegten und deshalb als „monastisch“ bezeichneten Theologie. Nicht das logisch zergliedernde und ordnende Befragen der Autoritäten, sondern das meditative Bedenken und spirituelle Erfahren der Bibel und der Kirchenväter stand dabei im Mittelpunkt.

Gewissermaßen ein Grenzgänger zwischen monastischer und scholastischer Denkweise war der einflussreiche Leiter der Schule des im Jahr 1108 gegründeten Reformstiftes St. Viktor in Paris, Hugo (gest. 1141). Er war vielleicht in Sachsen geboren und stand in Verbindung mit den Kanonikerreformen im Bistum Halberstadt. Hugo und seine Schüler stellten die Exegese der Bibel in den Vordergrund und griffen dabei auf die Methoden des Anselm von Laon zurück. Dessen Glossierung einzelner biblischer Schriften aus den Werken patristischer und aktueller Theologen wurde schrittweise ausgebaut zu einem grundlegenden Werk mittelalterlicher Bibelstudien, das später unter fälschlicher Zuschreibung zum karolingischen Gelehrten Wahlafrid Strabo als Glossa ordinaria firmierte. Ziel der Viktoriner war es, das gelehrte Studium in das spirituelle Leben der Kanoniker zu integrieren. Die kontroverse scholastische Disputatio wurde auf den Bereich der klassischen Artes liberales beschränkt, während die Bibelauslegung über das Verständnis des Wortsinnes die allegorische und tropologische Zeichenhaftigkeit erschließen und zu einer spirituellen Meditation des biblischen Erlösungsgeschehens führen sollte. Diesem Ziel war auf der anderen Seite eine differenzierte Vielfalt wissenschaftlicher Disziplinen untergeordnet, die jeweils einen Ausschnitt der Wirklichkeit erschließen sollten. Dabei wurden erstmals auch handwerklich-technische Fertigkeiten gemeinsam mit den theoretischen Disziplinen in ein umfassendes Konzept rationaler Welterschließung eingeordnet. In der Tradition der neuplatonischen Philosophie ließ sich die ganze Wirklichkeit als Abbild Gottes verstehen; wie der Text der Bibel konnte deshalb die Wirklichkeit im Ganzen, vor allem die menschliche Geschichte, aber auch die Natur, als zeichenhafter Verweis auf Gott, auf das Verhältnis des Menschen zu ihm oder besonders auch auf das ewige Heil verstanden werden. Dazu bedurfte es aber zuerst einer vernunftgemäßen, also wissenschaftlichen Erkenntnis der Wirklichkeit, die dann erst im zweiten Schritt auf ihre Zeichenhaftigkeit hin ausgelegt wurde. Hugos „Didascalion“ leistete in dieser Absicht eine grundlegende wissenschaftliche Propädeutik. Mit geringerem methodischen Anspruch erfüllten umfangreiche Enzyklopädien des philosophischen, theologischen und naturkundlichen Wissens, wie sie etwa der von England nach Regensburg gekommene Mönch und Inkluse Honorius Augustodunensis (gest. um 1157) vorlegte, vergleichbare Funktionen.

Hugo und seine Schüler, vor allem Richard von St. Viktor (gest. 1173), verbanden das scholastische Wissenschaftsverständnis mit einem grundsätzlichen Vorbehalt gegenüber der theologischen Reichweite der methodischen Vernunft. Ohne solchen Bezug zu den neuen Ansprüchen wissenschaftlicher Rationalität wurde das symbolische Weltverständnis der traditionellen monastischen Theologie in Deutschland zu einem umfassenden Konzept theologischer Wirklichkeitsdeutung ausgestaltet, so von Gerhoch von Reichersberg (1092/93–1169) und Rupert von Deutz (1075/80–1129/30). Deren Symbolismus war mit den Methoden der Scholastik nicht mehr zu vermitteln. Rupert soll bei einer Predigtreise nach Frankreich nur Unverständnis und Spott seiner gelehrten Gesprächspartner erfahren haben. Solche anekdotenhaften Entgegensetzungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die symbolistische Theologie über die Predigten und die theologischen Schriften Ruperts in Deutschland breite Wirkung erzielte und nicht zuletzt die religiöse Kunst und Architektur der Zeit vielfach beeinflusste.

Die Theologie der Viktoriner und der Symbolismus Ruperts nahmen zugleich Teil an einer Entwicklung, die auf anderem Weg als die frühe Scholastik über die traditionelle monastische Kontemplation der Bibel und der Kirchenväter hinausgriff. Erstmals seit der Spätantike wurde im lateinischen Westen wieder eine theologische Mystik formuliert, die spirituelle Erfahrungen in den Mittelpunkt stellte und zur persönlichen Gotteserfahrung hinführen wollte. Den Lebenszusammenhang dieses neuen, aber gleich vielfach artikulierten und weit ausstrahlenden Interesses an der religiösen Erfahrung bildeten neben der allgemeinen Intensivierung religiöser Interessen vor allem die neuen Mönchs- und Kanonikerorden mit ihrer strengeren, asketisch ausgerichteten Lebensweise. Die entsprechende Bedeutung der Zisterzienser hat sich im Begriff der „Zisterziensermystik“ niedergeschlagen; daneben waren es aber auch Kartäuser, Prämonstratenser oder Vertreter des traditionellen Mönchtums, die ihre Theologie als Auslegung mystischer Gotteserfahrung und zugleich als Hinführung zu einer spirituellen Annäherung an die Wirklichkeit Gottes verstanden. Eine herausragende Rolle hat auch auf diesem Feld Bernhard von Clairvaux gespielt; vor allem seine Predigten zum Hohenlied haben noch die großen mystischen Entwürfe des Spätmittelalters vielfach beeinflusst.

Im Unterschied zur traditionellen Allegorese hat Bernhard dem auf Christus bezogenen Bräutigam des Hohenliedes nicht die Kirche, sondern die einzelne Menschenseele als Braut gegenübergestellt. Diesen Wechsel vom kollektiven zum individuellen Subjekt kann man zugleich als Teil eines intensivierten Interesses am Individuum verstehen; die Formel von der „Erfindung der Individualität“ im 12. Jahrhundert dürfte allerdings zu weit greifen. Denn auch im früheren Mittelalter hat sich menschliche Individualität geäußert, wenn auch in anderen Formen und mit geringerer Emphase und Reflexion. Ähnliche Vorbehalte gelten auch in Bezug auf Bedeutung und Funktion der Liebe, die in der von Bernhard entworfenen Brautmystik oder unter anderen Vorzeichen bei Aelred von Rievaulx (ca. 1100–1167), ebenfalls ein Zisterzienser, zu einem Schlüsselbegriff des menschlichen Gottesverhältnisses und der mystischen Gotteserfahrung wurde.

Dass Liebe gleichzeitig auch in anderen Bereichen, vor allem in der ebenfalls am Beginn des 12. Jahrhunderts hervortretenden höfischen Literatur der romanischen Volkssprachen, ausführlich thematisiert wurde, erscheint als zentrales Phänomen kultur-, mentalitäts- und emotionsgeschichtlicher Betrachtung. In dieser Perspektive werden allerdings zu häufig Äußerungen persönlich-emotionaler Liebe aus dem früheren Mittelalter übersehen oder geleugnet. Auf der anderen Seite bleibt auch für die angeführten Zeugnisse aus dem Bereich der Literatur zu überlegen, ob sie jeweils persönliches emotionales Verhalten evozieren oder nur ein höfisches Rollenmuster vorführen. Unverkennbar ist allerdings, dass die theologische Braut- und Liebesmystik die Entwicklung zu einem persönlicheren Gottesverhältnis in der Vorstellungswelt und der Frömmigkeitspraxis öffnete. In der sakralen Kunst trat jetzt der menschliche, am Kreuz leidende Christus neben den hoheitlichen Herrn und Richter der Welt. Auch die weitere Steigerung der Marienverehrung mag eine Ursache darin haben, dass man den menschlichen Aspekten Christi und damit auch seinem Leben und seiner Mutter größeres Interesse entgegenbrachte.

Die mystische Theologie war nicht grundsätzlich gegen die wissenschaftliche Rationalität der Scholastik gerichtet. Ohnehin ging es nicht um die Vermittlung persönlicher Erfahrung, sondern um einen theologischen Begriff möglicher Gotteserfahrung. Bei Bernhard finden sich nur wenige Hinweise auf eigene mystische Erfahrungen; anders verhält es sich bei der wohl zu ihrer Zeit bekanntesten Mystikerin Elisabeth von Schönau (1129–1164). Die Benediktinerin aus adeliger Familie empfing in ekstatischer Entrückung Visionen, die sich auf die Heilsgeschichte, aber auch im Sinn von Prophezeiungen auf zukünftige Ereignisse und im Stil der traditionellen Visionsliteratur auf das Jenseits bezogen. Solche ekstatischen Momente fehlen bei Hildegard von Bingen (1098–1179), die ihre visionäre Schau als Quelle theologischer Einsichten beanspruchte. Nachdem sie mit Hilfe Bernhards die päpstliche Bestätigung ihrer Visionen erlangt hatte, konnte Hildegard, einzigartig für eine Frau, immer wieder predigend durch Deutschland reisen. Mit der Legitimation der Visionärin nahm sie auch zu tagesaktuellen Fragen Stellung, häufig in Briefen an kirchliche und weltliche Würdenträger; mit Friedrich I. Barbarossa ist sie zum persönlichen Gespräch zusammengekommen. Vor allem aber hat Hildegard, die über eine breite Schulbildung verfügte, das visionär Erfahrene in häufig vieljähriger Arbeit in eigenständige Werke symbolistischer Theologie umgesetzt. Ihr Hauptwerk mit dem Titel „Wegweiser“ (Scivias) ist eine bildgewaltige Deutung der Heilsgeschichte; auch Natur und Mensch boten Material für die symbolistische Darstellung der Geheimnisse Gottes. Weitergewirkt hat Hildegard aber vor allem als eschatologisch-apokalyptische Prophetin; eine entsprechende Redaktion ihres Werkes hat am Beginn des 13. Jahrhunderts der Zisterzienser Gebeno von Eberbach vorgenommen. Auch die später unter Hildegards Namen verbreiteten heilkundlichen Schriften verdanken mehr der allgemeinen Klostermedizin als speziellen Einsichten der Bingener Seherin.

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