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Konzentration und Intensivierung (Messe, Seelsorge, Predigt)
ОглавлениеAm Anfang der canones steht ein ausführliches Glaubensbekenntnis, das Innocentianum. Es bekräftigt implizit den Anspruch der päpstlichen Rechtssetzung auf Gleichrangigkeit mit den Entscheidungen der „ökumenischen“ Konzile der spätantiken Reichskirche.
Herzstück dieses Bekenntnisses sind die folgenden Sätze: „Es ist eine einzige, allgemeine Kirche der Gläubigen. Außerhalb ihrer wird schlechterdings niemand gerettet. In ihr ist er selbst Priester und Opfer, Jesus Christus. Sein Leib und sein Blut sind im Altarsakrament unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten – nachdem durch göttliche Vollmacht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesensverwandelt (transsubstantiatis) worden ist, damit wir zur Vollendung des Geheimnisses der Einheit selbst das vom Seinigen empfangen, was er vom Unsrigen angenommen hat. Und dieses Sakrament kann allein der Priester bereiten, der rechtsgültig gemäß der Schlüsselgewalt der Kirche geweiht worden ist, welche Jesus Christus selbst den Aposteln und ihren Nachfolgern gewährt hat“.
Hier wird das einzige wirklich neue Dogma der mittelalterlichen Kirchengeschichte gesetzt, indem unter Verwendung aristotelischer Kategorien die Streitigkeiten um das symbolische oder realistische Verständnis des Abendmahls zugunsten des Letzteren entschieden werden: In der Konsekration wird das Wesen (substantia) von Brot und Wein in das Wesen von Leib und Blut Christi verwandelt (transsubstantiari), während die äußerlichen Merkmale von Brot und Wein (accidentia) erhalten bleiben.
Unlöslich verkettet ist dieser sakramentstheologische Satz mit fundamentalen ekklesiologischen Bestimmungen: Der Ort, an dem sich auf diese einzigartige Weise die Heilsgegenwart Jesu Christi zuverlässig in Raum und Zeit ereignet, ist die rechtlichinstitutionell verfasste Kirche. Allein kraft der exklusiv von ihr erteilten Amtsvollmacht kann der Priester und nur er allein diesen wunderbaren Verwandlungsakt vollziehen, in dem die Kirche mit der Repräsentation des Kreuzesopfers Christi zugleich sich selbst grundlegend in ihrem Wesen als einzigartige Heilsanstalt betätigt.
In einem Rechtsakt vollzieht und definiert sich die im Papst gipfelnde Kirche als göttliche Stiftung, die mit Fug den Gehorsam des Glaubens fordern kann, weil in ihr und durch sie allein der Mensch dem Verderben entrinnen und zum Heil gelangen kann.
Frömmigkeitsgeschichtlich steht die Dogmatisierung der realistischen Abendmahlstheorie im Zusammenhang einer bedeutenden Intensivierung der Mess- und Eucharistiefrömmigkeit (s. auch oben zu Franziskus). Die Zahl der in Predigten verbreiteten Wundergeschichten, die davon erzählten, wie Christus Zweiflern seine Gegenwart in den Elementen drastisch bewiesen habe, wuchs.
Die Scheu vor dem Heiligen führte dazu, dass Laien die Kelchkommunion scheuten, und die Annahme, dass in beiden Abendmahlselementen jeweils der ganze Christus anwesend sei (Konkomitanzlehre), stellte klar, dass ihre Teilnahme an der Eucharistie auch ohne Kelch vollgültig war. Dieser freiwillige Kelchverzicht steht am Anfang des Weges, der zum rechtsgültigen Kelchentzug auf dem Konstanzer Konzil (1415) führte.
Auf das Drängen der Visionärin Juliana von Mont Cornillon hin führte der Bischof von Lüttich 1246 ein besonderes Fest zur Feier der Eucharistie am Donnerstag nach Trinitatis ein. Papst Urban IV. empfahl die Begehung dieses Festes („festum Corporis Christi“, mhd. Fronleichnam = Leib des Herrn) 1264 der gesamten Christenheit „zur Festigung und Erhebung des katholischen Glaubens“ sowie „zur Schande insbesondere der Treulosigkeit und Verkehrtheit der Häretiker“ (Mirbt Nr. 364). Die liturgischen Texte für das Fest verfasste in päpstlichem Auftrag Thomas von Aquin. In den folgenden Jahrzehnten drang das Fest, gefördert besonders durch die Bettelorden, allmählich durch und gewann seine heutige Gestalt (Prozession mit der geweihten Hostie).
Canon 21 ändert dann die Perspektive: Alle Gläubigen, die das Alter der sittlichen Unterscheidungsfähigkeit erreicht haben, werden bei Strafe des Personalinterdikts und der Begräbnisverweigerung verpflichtet, mindestens einmal im Jahr, nämlich in der Osterzeit, zu kommunizieren und ebenfalls mindestens einmal im Jahr ihrem zuständigen Pfarrer (sacerdos proprius) alle ihre Sünden zu beichten. Erstmals wird hier durch ein allgemeines Kirchengesetz, das allenthalben verkündet werden soll, allen erwachsenen Christen gezeigt, worin das Minimalmaß der Betätigung ihrer Kirchengliedschaft besteht: Wer hinter dieser Norm zurückbleibt, hat mit empfindlichen Strafen zu rechnen, die insgesamt seine Isolation bewirken.
Indem die päpstliche Legislatur auf dem Konzil den Laien damit eine erhebliche Holschuld auferlegte, belastete es die kirchlichen Institutionen mit einer unvergleichlich höheren Bringschuld: Es musste ja einmal dafür gesorgt werden, dass dieses Gesetz überhaupt hinreichend publiziert wurde, damit es nicht als toter Buchstabe verkümmerte; weiterhin musste sichergestellt werden, dass jeder Christ einmal im Jahr mit zumutbarem Aufwand kommunizieren und beichten konnte. Hinsichtlich der Kommunion wird das nicht schwierig gewesen sein; man wird davon ausgehen können, dass im Bereich der westlichen Kirche – vielleicht mit Ausnahmen an zivilisatorisch wenig erschlossenen Rändern – jeder Christ als Glied einer Parochie gelten konnte, und das „Messelesen“ war die Grundfähigkeit des Priesters schlechthin, die auch jeder Illiterate irgendwie beherrschte.
Anders dagegen stand es bei der Beichte. Hier fordert der canon besondere Bemühungen und Kompetenzen ein: „Der Priester soll unterscheidungsfähig und vorsichtig sein, damit er, wie ein kundiger Arzt, die Wunden des Verletzten mit Wein und Öl [Lk 10,34] behandelt, indem er sorgfältig die besonderen Umstände des Sünders und der Sünde erkundet, wodurch er klüglich in Erfahrung bringt, welchen Rat er zu geben und welches Heilmittel er anzuwenden hat, um durch unterschiedliche Maßnahmen den Kranken zu heilen“.
Der zitierte Satz bezeugt einen Problemstand, der kurz erläutert werden muss: Im Zuge der Verrechtlichung von Kirche und Gesellschaft und einer allenthalben greifbaren Verfeinerung der moralischen Maßstäbe im 12. Jahrhundert war der Bereich dessen, was als schwere, den Heilsstand vernichtende und darum der Buße bedürftige Sünde gelten konnte, erheblich gewachsen. Unter Laien, vor allem solchen, die von ökonomischen Veränderungsschüben betroffen waren, führte dies zu erheblicher Verunsicherung, die sicher für das sprunghafte Anwachsen des Katharismus in wirtschaftlich besonders prosperierenden Gebieten wie auch für die radikale Abkehr mancher Frommer von aller Geldwirtschaft (Franziskus von Assisi!) ursächlich war.
Als Resultat erhöhten Beratungsbedarfs entstand an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert eine neue Literaturgattung, die Poenitential(Beicht)summen, die das moralisch-juridische Orientierungswissen der Zeit dergestalt bündelten und systematisierten, dass es entsprechend vorgebildeten Geistlichen dazu dienen konnte, die Lebensumstände und -vollzüge von solchen, die bei ihnen Rat suchten, auf ihre Sündhaftigkeit bzw. Erlaubtheit hin einigermaßen zuverlässig einzuschätzen. Das kategorische Gebot der alljährlichen Pflichtbeichte nahm einerseits ältere Versuche auf, die Teilnahme der Christen am kirchlichen Bußverfahren zu intensivieren, und konnte anderseits an diese neuen Orientierungsbedürfnisse anknüpfen, welche die jährliche Bilanz der Lebensführung vor dem Priester plausibel machten; so hat es die kirchliche Wirklichkeit in der Folgezeit nachhaltig bestimmt.
Die hergebrachte, vergleichsweise einfachere Aufgabe des Beichtvaters, nämlich die Bestimmung von angemessenen Bußsatisfaktionen für bestimmte Vergehen anhand überkommener Tarife, verschwand nicht, rückte aber deutlich in den Hintergrund. Für diese Umakzentuierung des Anforderungsprofils war auch der Ablass maßgeblich, der, theoretisch noch ungeklärt und umstritten, immer mehr Bedeutung gewann. Er knüpfte an die hergebrachte Praxis an, Bußleistungen in Geldzahlungen umzuwandeln (Redemtionen); hierbei war theoretisch die Äquivalenz der auferlegten und faktisch erbrachten Leistung gewahrt worden. Das Neue am Ablass lag darin, dass dieser Äquivalenzgedanke preisgegeben wurde: Die (Geld-)Leistung für kirchlich approbierte und mit dem Ablassversprechen ausgestattete Zwecke trat, gemäß der kirchlichen Anordnung, für die ganze Strafverhaftung oder für feste, relativ (Viertel, Drittel) oder absolut („Tage“) bemessene Strafquanten ein.
Auch in der Geschichte des Ablasses sind die canones des Konzils von Bedeutung: Während canon 62 die Kompetenz der Bischöfe auf die Erteilung von Ablässen bis zu einem Jahr beschränkt, wird den Teilnehmern und Unterstützern des Kreuzzugs Plenarablass, also Erlass aller bislang akkumulierten Sündenstrafen zugesagt. Die Tendenz ist deutlich: Der Papst beschränkt anderweitige Ablassmöglichkeiten, um im selben Atemzug den allein von ihm selbst zu gewährenden Plenarablass fest an den Kreuzzug zu binden. Was vorher nur Gewohnheitsrecht gewesen war, wurde jetzt kodifiziert.
In der Folgezeit allerdings löste sich der Plenarablass von der alleinigen Verbindung mit dem Kreuzzug; erhalten blieb allerdings seine konstitutive Bindung an das Papsttum. Beides bezeugt sehr prägnant die Gründungslegende des Portiuncula-Ablasses – Franziskus habe dem Papst förmlich einen einmal im Jahr zu gewährenden Plenarablass an der Portiuncula-Kapelle (s.o. S. 73) abgetrotzt und abgehandelt. Den ersten „echten“, also unzweifelhaft päpstlich legitimierten Plenarablass ohne Verbindung mit einem Kreuzzugsunternehmen stiftete 1294 Papst Coelestin V. (einmal jährlich an seinem Krönungstag an seiner Krönungskirche). Diesen kassierte sein Nachfolger, Bonifaz VIII., umgehend, der dann jedoch 1300 den ersten in der bis heute fortlaufenden Reihe der Jubiläumsablässe mit seiner apostolischen Autorität besiegelte und damit den Reigen der vielfältig mobilisierten und multiplizierten päpstlichen Plenarablässe eröffnete, die den Papst als Gipfel und Zentrum kirchlicher Heilsmacht im ganzen Abendland mit steigender Intensität vergegenwärtigten.
Die neue Gesetzgebung zur Messe und zur Beichte implizierte eine Reihe neuer bzw. neuartig intensivierter kirchlicher Arbeitsaufgaben. Es musste Personal vorhanden sein, das die neue Bestimmung zuverlässig verbreitete und dazu imstande war, die Beichte der Christen in methodisch verantworteter Weise anzuleiten. Auch hierzu finden sich in den Konzilscanones Bestimmungen: Canon 10 ordnet an, dass nicht nur die Bischöfe, sondern auch die Geistlichen an Stiftskirchen hinreichend ausgebildete Männer einstellen sollen, die an Stelle der dazu eigentlich Verpflichteten predigen, aber auch Beichte hören und Satisfaktionen auferlegen sollen. Weiterhin schärft canon 11 die Maßgabe des Dritten Laterankonzils ein, dass an allen Kathedralkirchen ein Lehrer angestellt werden soll, der die Kleriker und andere Schüler in den artes unterrichten soll; die Vorschrift wird darüber hinaus noch auf andere Stiftskirchen ausgeweitet. Weiterhin soll an jeder Kathedralkirche jeweils noch ein Theologe eingestellt werden, der Theologie und dasjenige, „was zur Seelsorge gehört“, lehrt. So wurde also der Versuch, die Laien zu intensiverer Teilnahme an den kirchlichen Lebensvollzügen zu verpflichten, zugleich abgestützt von Anweisungen, die die Predigt aufwerteten sowie die Ausbildung zu Predigt und Seelsorge, d.h. zum Beichtehören, auf neue Weise zum Gegenstand kirchlichen Planens und Ordnens machten.
Als in Rom das große Konzil tagte, steckten die Bettelorden noch in den Anfängen. Dennoch haben die skizzierten Rechtsbestimmungen ihnen schon das Feld ihrer Wirksamkeit angewiesen und abgesteckt. Sie waren es, die, zumal in den Städten, in der Folgezeit ein Gutteil der intensivierten Predigt- und Seelsorgearbeit übernahmen. Auch unterhalb der eigentlich akademischen Ebene schulten sie in ihren Studienanstalten Prediger und Beichtväter. Ihre Konkurrenz untereinander, aber auch mit dem Pfarrklerus hat bei allen unerfreulichen Nebenwirkungen sicher auch noch einmal die Effektivität der Predigt- und Seelsorgearbeit gesteigert: Man hat errechnet, dass im deutschen Sprachraum um 1300 rund 100 Dominikaner- und 200 Franziskanerkonvente bestanden; jede einigermaßen bedeutende Stadt hatte mindestens eine, zumeist aber mehrere der schlicht ausgestatteten Bettelordenskirchen in ihren Mauern, die das Stadtbild und das geistliche Leben mindestens ebenso bestimmten wie die Bischofs- und Pfarrkirchen.
Dass dieses massive Eindringen von Bettelmönchen in die traditionellen Arbeitsfelder des Weltklerus möglich war, lag auch in der Steigerung der päpstlichen Einflussrechte auf das innere Leben der Diözesen begründet, ist also nicht zu verstehen ohne den Begriff der „plenitudo potestatis“ des Papstes in der Gesamtkirche und dessen juristisch-administrative Umsetzung. Die Weltgeistlichen haben die Konkurrenz auf ihrem Arbeits- und Erwerbsfeld nicht kampflos hingenommen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde die einschlägige Gesetzgebung von Päpsten, die den Bettelorden oder der Weltgeistlichkeit näher standen, mehrmals zugunsten der einen oder der anderen Seite modifiziert, bis Bonifaz VIII. in der Dekretale „Super Cathedram“ (1300, revoziert 1304, unter dem Titel „Dudum“ 1311 erneut in Kraft gesetzt) den Bettelorden breiteste Arbeitsmöglichkeiten eröffnete und sie lediglich dazu verpflichtete, vom Ortsbischof eine Genehmigung einzuholen; wenn dieser sie verweigerte, trat automatisch ein päpstlicher Dispens in Kraft. Rechtssystematisch wurde diese Regelung im Spätmittelalter mit folgendem Gedankengang abgesichert: Der eigentlich zuständige Seelsorger (sacerdos proprius) eines jeden Christen ist der Papst. Da er die einschlägigen Amtspflichten natürlich nicht alle selber erfüllen kann, muss er sie delegieren. Ob er sie dem Weltklerus delegiert, den Ordensgeistlichen oder beiden, das kann er selbst entscheiden. – Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie die Bettelorden die hergebrachten kirchlichen Strukturen lockerten und gerade dadurch die Durchbildung der mittelalterlichen Kirche zur Papstkirche in des Wortes strengem Sinne ermöglichten.
Die Leistungen der Bettelmönche in Predigt und Seelsorge kann man ohne Übertreibung als eine neue Stufe im Prozess der Christianisierung des Abendlandes bezeichnen. Erheblich intensiver als zuvor wurden weiten Bevölkerungskreisen, zumal in den Städten, in Predigten und in der Beichte die Forderungen und Verheißungen christlicher Lebensführung gemäß den kirchlichen Normen eingeschärft.
Auf dem Gebiet der Volkspredigt waren die Franziskaner sicher wirksamer als die Dominikaner. Die Bettelordenspredigt geschah zunächst ganz vorwiegend in den Formen der seit dem frühen 12. Jahrhundert praktizierten, auch für die Kreuzzugswerbung von der Kirche besonders privilegierten Wanderpredigt. Der Prediger zog von Stadt zu Stadt; wenn er hinreichend bekannt war, lauschten Tausende von Zuhörern, zumeist auf freien Plätzen, seinen Ausführungen.
Der bekannteste Vertreter dieser Gattung von Predigten war in Deutschland Berthold von Regensburg (geb. ca. 1210 in Regensburg, gest. ebd. 1272). Als junger Mann trat er dem seit 1223 in seiner Vaterstadt ansässigen Franziskanerkonvent bei und erhielt seine Ausbildung wohl zwischen 1230 und 1235 an dessen Provinzialstudium in Magdeburg. Er erwarb dort eine theologisch zentrierte Allgemeinbildung, die zwar unter dem Niveau dessen lag, was man in den Zentren abendländischen Bildungswesens lernen konnte, die ihn jedoch weit über das Durchschnittsniveau eines deutschen Klerikers seiner Zeit erhob.
Seit 1240 durchzog er jahrzehntelang predigend den Süden des deutschen Sprachraums zwischen der Schweiz und Ungarn; zeitweilig auch (mit Albertus Magnus) als päpstlich autorisierter Kreuzzugsprediger.
Die literarischen Dokumente seiner Tätigkeit zeigen Berthold als einen Prediger, der es versteht, seine Hörerschaft vielfach individualisierend anzusprechen und sie so bei ihrem gemeinsamen Verlangen nach ewiger Glückseligkeit und ihrer entsprechenden Angst vor Fegefeuer und Hölle zu packen. Als sicheren Weg zum Heil preist er die Kirche mit ihren sakramentalen Heilsangeboten und ihren ethischen Orientierungsvorgaben: Sicher, sie verlangt schon einiges, aber der Lohn, den sie verheißt, übersteigt das Maß der geforderten Anstrengungen bei weitem. Der Feind, gegen den Berthold zu Felde zieht, ist der Teufel: Mit allerlei Sünden und Lastern (Geiz, Wollust, Trägheit …), aber auch mit der Verführung zur Ketzerei versucht er, die Menschen vom Wege zum Heil abzubringen. So ist der immerwährende Refrain der Predigten die Buße: einmal die Abwendung von verderblichen Lebenswegen und Gewohnheiten, zum andern die ungeheuchelte, einsatz- und leidensbereite Teilnahme am kirchlichen Bußverfahren/Bußsakrament. Dieses Thema entfaltet Berthold in immer neuen Variationen, angereichert mit einer schier unerschöpflichen Menge von Alltagsbeobachtungen, welche die Texte auch zu einer reichen Quelle der Sozialgeschichte sowie der Volkskunde machen. – Sein Ordensbruder Roger Bacon rühmte ihm nach, er habe als Prediger mehr geleistet als alle anderen Bettelordensprediger zusammen.
Seit der Jahrhundertmitte trat der Wanderpredigt der Bettelorden zunehmend die Predigt in den Ordenskirchen selbst zur Seite. Sie knüpfte eher an die Traditionen der monastischen Predigt (Bernhard von Clairvaux) an, öffnete diese jedoch auch für Laien aus den städtischen Bildungsschichten. Eine Sonderstellung nehmen in diesem Zusammenhang noch einmal die Predigten von Bettelmönchen für Nonnen ein; die bekanntesten unter ihnen sind diejenigen, die Meister Eckhart (ca. 1260–1328) in Straßburg gehalten hat.
Das Wirken der Bettelorden in der Seelsorge, d.h. in der Verwaltung des Bußsakraments, ist schlechter greifbar. Aber der literarische Niederschlag ihrer Tätigkeit auf diesem Feld ist aussagekräftig genug. Die Erarbeitung von Poenitentialsummen (s.o. S. 86) wurde alsbald zur Domäne der Bettelorden. Sie waren sehr weit verbreitet; man wird vermuten dürfen, dass in jedem Bettelordenskonvent eine oder mehrere vorhanden waren. So wurden sie zu schwerlich überschätzbaren Multiplikatoren des rasch anwachsenden und sich verfeinernden päpstlichen Kirchenrechts.
Die inhaltlichen Schwerpunkte lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Lebensbereiche bei denjenigen, welche die Seelsorge der Bettelmönche in Anspruch nahmen, als besonders problemhaltig galten: Es war einmal das Ehe-, Familien- und Erbrecht sowie alle Fragen der Sexualität; diese werden oftmals mit geradezu besessenem Bemühen um Detailgenauigkeit behandelt. Ein nicht minder wichtiger Schwerpunkt liegt bei Problemen der Wirtschaft, gruppiert um das Stichwort „Wucher“. Es lässt sich hier im Detail studieren, wie die damalige Jurisprudenz und Moraltheologie miteinander bemüht waren, das seit dem Zweiten Laterankonzil allen Christen geltende Verbot des Zinsnehmens mit den Realitäten der Geldwirtschaft und des Fernhandels übereinzubringen: Ein Bankier, Kaufmann oder Handwerker sollte in der Beichte möglichst präzise darüber informiert werden können, welcher Geschäftspraktiken er sich bedienen durfte, ohne eine Todsünde zu begehen.
In diese Zeit der Intensivierung der Beichtseelsorge fiel auch die theoretische Durchbildung des Bußverfahrens zum kirchlichen Gnadenmittel, zum Bußsakrament. In dessen Zentrum steht die priesterliche Absolution. Sie teilt dem Sünder, der seine Verfehlungen in hinreichendem Maße bereut, die Vergebung sakramental mit und führt ihn so in den Gnadenstand zurück. Die Neuerung gegenüber allen vorherigen Gestalten der Bußpraxis und der Bußtheorie besteht darin, dass erstmals behauptet wird, dass Gott, vermittelt durch die hierarchisch-institutionelle Kirche, im Vollzug des Bußsakraments am Sünder heilsam handelt. Das Bußsakrament stellt dem Sünder, sofern er sich hinlänglich bemüht (disponiert), ein Heilsangebot in Aussicht, das er sich normalerweise anderswo nicht zu verschaffen vermag.
Im selben Zusammenhang steht die gedankliche Legitimation des Ablasses: Christus und die Heiligen haben durch ihre überpflichtmäßigen Taten und Leiden einen Schatz im Himmel akkumuliert, über den der Papst als Haupt der irdischen Kirche das Verfügungsrecht inne hat (Kirchenschatz). Er kann zu von ihm selber festzusetzenden Bedingungen Gläubigen Verdienstquanten aus diesem Schatz mitteilen, die dann für die auf ihnen lastenden zeitlichen Sündenstrafen auf Erden oder im Fegefeuer eintreten. Es war der Dominikanertheologe Thomas von Aquin, der diese Zusammenhänge, ältere Impulse aufnehmend, erstmals theoretisch schlüssig auf den Begriff gebracht hat. Und es waren Franziskaner, die an der Portiuncula-Kirche in Assisi einmal im Jahr einen Plenarablass anboten (s.o. S. 87), welcher nicht in Verbindung mit einem Kreuzzug stand.
Die Bestimmungen des Vierten Laterankonzils hinsichtlich der Bußseelsorge und der Predigt mitsamt ihrer Wirkungsgeschichte waren zentrale Faktoren bei der Ausgestaltung der spätmittelalterlichen Kirche zur universalen Erziehungs- und Heilsanstalt. Das Ineinander beider Aspekte verdichtete sich besonders im Bußsakrament und seinen Seitenbildungen: Hier wurde der Christ belehrt und mit Besserungsstrafen belegt, hier wurde ihm zugleich sakramentale Gnade zugewandt, soweit er sich durch seine Disposition ihrer würdig erwies. Dieses System der Erziehung und der Heilsvermittlung war zutiefst volkskirchlich strukturiert, sofern es oberhalb des mit strafbewährten Gesetzen geforderten Mindestmaßes eine große Bandbreite an Intensitäten der Beteiligung zuließ. Immer stärker gewann das Papsttum als zentrale Ermöglichungsinstanz und als Symbolfigur dieses Systems an religiöser Bedeutung: Der oberste kirchliche Gesetzgeber war zugleich der oberste Seelsorger aller Christen, und er trat gerade als alleiniger Erteiler der Plenarablässe auch als einzigartiger Vermittler greifbarer Gnade stärker denn jemals zuvor ins allgemeine Bewusstsein.