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Profilschärfung und Abgrenzung (Juden, Häresien)

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Die bisher betrachteten geschichtlichen Vorgänge ereigneten sich wesentlich innerhalb der abendländischen Christenheit als einem zwar in sich höchst differenzierten, jedoch auf einheitlichen religiös-kulturellen Grundlagen basierenden Geschichtsraum. Die abendländische Kirche stand aber auch vor der Aufgabe, Außenbeziehungen zu gestalten: Andere religiös-kulturelle Systeme stellten ihren Anspruch auf Universalität nicht allein an den Rändern, sondern auch mitten im eigenen kulturell-geografischen Entfaltungsraum infrage.

Die Juden

Die Rechtsstellung der Juden in den abendländischen Reichen blieb fundiert durch die ins kanonische Recht übernommenen Schutzbestimmungen der römischen Kaiser und durch die geschichtstheologische Anschauung Augustins, dass die sich dem Evangelium verschließenden Juden bis zu ihrer endzeitlichen Bekehrung dem christlichen Glauben wider Willen als Wahrheitszeugen dienen müssten.

Die Gesetzgebung des Vierten Laterankonzils schärft präzisierend Regelungen ein, die das schiedlich-friedliche Nebeneinander stabilisieren sollen. Canon 68 bestimmt, dass Juden (und Muslime) sich so zu kleiden haben, dass ihre religiös-kulturelle Identität augenfällig ist. Verhindert werden soll damit, dass es unwissentlich zu sexuellen Beziehungen über die Grenzen der Religionen und Kulturen hinweg kommt. Offenbar waren in bestimmten Gebieten (Süditalien/Sizilien, Iberische Halbinsel) die Grenzen zwischen den Religionskulturen auf eine als bedrohlich empfundene Weise durchlässig geworden. Dass dieses Nebeneinander christlich dominiert sein sollte, machen zwei weitere Bestimmungen unmissverständlich deutlich: Es wird den Juden bei von den politisch Verantwortlichen festzulegender Strafe verboten, sich vom Gründonnerstag bis zum Ostersonnabend auf den Straßen zu zeigen (ebd.), und es wird eingeschärft, dass auch jüdische Geldverleiher Kreuzfahrern ein Zinsmoratorium zu gewähren haben (can. 71).

Allerdings führte in der Folgezeit die massive Intensivierung von Predigt und Seelsorge, deren wichtigste Protagonisten die Bettelorden waren, auch dazu, dass jüdisches Leben stärker denn zuvor als irritierender Fremdkörper wahrgenommen wurde: Einmal drang die Leidensgeschichte Christi stärker als je zuvor ins öffentliche Bewusstsein ein; zum anderen mussten die Juden in den Predigten, insbesondere beim Themenfeld Zins/Wucher, oft als Negativbeispiele herhalten.

Vor allem die Franziskaner setzten sich die Bekehrung von Juden zum Ziel; sie waren es aber auch, die im Zuge ihrer bibelexegetischen Arbeiten den direkten oder schriftlich vermittelten Kontakt mit jüdischen Gelehrten suchten. Besonders problematisch gestaltete sich die Lage der Juden einmal in England: Hier versuchte Robert Grosseteste, der Förderer der Franziskaner (s.u. S. 106f.), den Nachweis zu führen, dass die Juden wegen ihres im Talmud greifbaren Abweichens vom Alten Testament als Häretiker zu klassifizieren seien. Politische Unterdrückungsmaßnahmen kulminierten in der Vertreibung aller Juden 1290. Zum andern sahen sich die Juden auf der Iberischen Halbinsel schweren Repressionen ausgesetzt; so mussten sie zwangsweise an „Disputationen“ teilnehmen.

Die Häresien

Anders als den Juden, aber auch als den Muslimen, über welche die Kirche als Ungläubige keine Rechtsgewalt beanspruchte, kamen den „Ketzern“, also vornehmlich den Katharern und Waldensern, weder hergebrachte rechtliche Schutzbestimmungen noch Toleranz fördernde geschichtstheologische Denkmuster zugute. Sie galten als Christen, die in schuldhafter Weise ihr in der Taufe abgelegtes unwiderrufliches Gelübde des Gehorsams gegen die Kirche gebrochen hatten und deswegen dem erziehenden und strafenden Zugriff der Kirche preisgegeben seien.

An den unterschiedlichen Phasen der Bekämpfung der Ketzerei während des 13. Jahrhunderts lässt sich das Mit- und Widereinander der bestimmenden kirchlichen und gesellschaftlichen Machtfaktoren geradezu beispielhaft ablesen: Der Herrschaftsanspruch des Papsttums in der Kirche wie in der politischen Welt, die kämpferisch-missionarische Dynamik der Bettelorden sowie das Zentralisations- und Expansionsstreben weltlicher Herrscher.

Der einschlägige 3. canon des Vierten Laterankonzils bündelte noch einmal die Bestimmungen, die Papst Lucius III. und Kaiser Friedrich I. 1184 erlassen hatten (Dekretale „Ad abolendam“).

In die Zukunft verwies jedoch canon 6, der bestimmte, dass in allen Erzdiözesen alljährlich Provinzialkonzilien stattfinden sollten. Diesen sollten in allen Diözesen geeignete umsichtige und ehrliche Personen vor- und zuarbeiten, die ganzjährig ohne eigene Jurisdiktionsbefugnis nach reformbedürftigen Zuständen fahnden sollten. Nicht mehr allein die vereidigten Sendzeugen sollten Rechenschaft über die Missstände in ihren Gemeinwesen ablegen, sondern die Bischöfe selbst sollten aus eigener Initiative durch professionelle Ermittler Informationen über die Zustände in ihren Diözesen einholen. Die kirchliche Gerichtsbarkeit sollte nicht erst auf Klagen reagieren, sondern sie sollte selbst strafwürdige Zustände und Taten aufspüren. Man kann hier eine der ältesten Wurzeln der Ketzerinquisition lokalisieren.

Zunächst jedoch wurden im Kampf gegen die Ketzerei noch andere Mittel eingesetzt. Innozenz III. hatte den erfolgreichen Versuch unternommen, bestimmte Gruppierungen aus der Armutsbewegung kirchlich zu redintegrieren, und mit dem Franziskanerorden schuf die Kirche noch mehr Raum für apostolisch-armes Leben.

Die kirchlich Integrationsfähigen und -willigen machten jedoch nur einen Teil der häresiegefährdeten bzw. häretischen Exponenten der Armutsbewegung aus. Vor allem in den Städten Italiens und im heutigen Südfrankreich hatten sich die Katharer schon über Generationen hinweg als stabile Religionsgemeinschaften etabliert: Sie gehörten zu den örtlichen und regionalen Führungsschichten und lebten mit ihren katholischen Landsleuten und Mitbürgern meist friedlich zusammen. Die Verlierer in diesen friedlichen Arrangements waren Bischöfe und Pfarrer, deren Einkünfte wegbrachen und deren sozialer Status unaufhaltsam verfiel.

Mit den herkömmlichen kirchlichen Strafverfahren und Sanktionen war hier wenig zu ändern. Innozenz III. sah dieses Problem und erkundete neue Wege. In Dekretalen für Städte im Patrimonium Petri verschärfte er drakonisch die Strafandrohungen gegen Unterstützer der Häresie: Sie sollten ihr Vermögen verlieren, ihre Nachkommen ihr Erbrecht. So wurden, zunächst mit begrenzter Geltung, für Katholiken materielle Anreize geschaffen, das friedliche Zusammenleben mit den Häretikern aufzukündigen.

Besonders kritisch waren aus kirchlicher Sicht die Verhältnisse im Languedoc: Oberste Lehnsherren waren die Könige von Frankreich und Aragón; nächst ihnen der Graf von Toulouse, dessen faktische Einflussmöglichkeiten jedoch durch feudale und kommunale Rechte und Freiheiten eng begrenzt waren. Graf Raimund VI., selber kein Katharer, betrieb eine Religionspolitik der Duldung und des Gewährenlassens.

Appelle des Papstes an Peter II. von Aragón und Philipp II. August von Frankreich zum kriegerischen Eingreifen verhallten wirkungslos. Eine Wende brachte die Ermordung des päpstlichen Legaten Peter von Castelnau durch einen Untergebenen Raimunds von Toulouse am 15. Januar 1208. Die Welle der Empörung brandete ähnlich hoch wie nach der Ermordung des Thomas Becket (1170). Als der französische König sich nochmals weigerte, militärisch einzuschreiten, nutzte der Papst die Gunst der Stunde und rief zu einem allgemeinen Kreuzzug gegen die Katharer und ihren Beschützer auf (Oktober 1208) – den Teilnehmern winkte derselbe geistliche Lohn wie den Kämpfern im „Heiligen Land“. Zusätzliche Attraktion, besonders in Adelskreisen, bot die Aussicht auf Bereicherung auf Kosten des Grafen, der bis zu einer für angemessen befundenen Genugtuung für recht- und besitzlos erklärt wurde.

In dieser Zwangslage vollzog der Graf eine radikale Kehrtwendung. Er unterwarf sich Friedensbedingungen, die ihn demütigten und wehrlos machten, und schloss sich seinerseits dem Kreuzzug an. Sein Ziel, eine vollgültige Rehabilitation, erreichte er dennoch nicht. Die einschlägigen Quellen legen den Schluss zwingend nahe, dass der Papst mit ihm ein zynisches Spiel trieb: Er spannte ihn für seine Zwecke ein – mit der Absicht, ihn zu vernichten, sobald diese Zwecke erreicht sein würden.

Die Oberleitung des Kreuzzuges übernahm als päpstlicher Legat Arnold-Amalrich, der Abt von Cîteaux. Zum politisch-militärischen Führer des Unternehmens wurde ein französischer Adliger von normannischer Herkunft, Simon von Montfort, Graf von Leicester. Das erste Angriffsziel war die Stadt Béziers, über die als Vizegraf ein Neffe Raimunds VI., Raimund Roger, herrschte. Während noch Übergabeverhandlungen geführt wurden, stürmten Horden von Kreuzfahrern die Stadt, mordeten sie aus und brannten sie nieder. Unbeschadet ihres historischen Gehalts wirft die folgende Anekdote ein bezeichnendes Licht auf den mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund dieses Gewaltexzesses: Ein Zeitgenosse, der Zisterzienser Caesarius von Heisterbach, erzählt ohne jedes Zeichen der Missbilligung, die Eroberer hätten Arnold-Amalrich gefragt, wie sie die Ketzer von den Katholiken unterscheiden sollten. Dieser habe, fürchtend, dass Katharer durch Verleugnung ihres Glaubens entkommen könnten, geantwortet: „Tötet sie alle. Der Herr kennt die Seinen (2. Tim 2,19)“ (Dialogus Miraculorum V, 21, ed. Strange Bd. I, 302).

Als nächstes stürmten die Kreuzfahrer die Festung Carcassonne, in die sich Raimund Roger zurückgezogen hatte. Er wurde gefangen genommen und kam unter ungeklärten Umständen ums Leben. Weitere Siege folgten; der Feldzug schien ein schnelles, erfolgreiches Ende zu nehmen.

Nun zeigte sich aber, dass die Widerstandskraft des Gegners noch längst nicht gebrochen war. Gewonnenes Gelände ging schnell wieder verloren, und es entspann sich ein Abnutzungskrieg, der von beiden Seiten mit brutaler Härte geführt wurde. Die Unternehmung, die als Versuch der Ausrottung der Ketzerei angefangen hatte, wurde immer mehr zu einem Krieg um die Herrschaft über ein Gebiet, das zuvor ein distinktes Eigenleben geführt hatte. Bis zur Erstürmung der letzten Katharer-Festung Montségur (1244) gingen die Kämpfe weiter; 1271 wurde das Languedoc endgültig der französischen Königsherrschaft eingegliedert.

Dem südfranzösischen Katharismus war damit der politische Rückhalt genommen, aber er existierte im Untergrund weiter. Der Krieg hatte sein ursprüngliches Ziel, die Ausrottung der Ketzerei, verfehlt; seine Resultate formulierten die Aufgaben gleichsam neu: Es galt nun, konspirative ketzerische Organisationen und Netzwerke aufzuspüren und zu zerstören. Eine Synode in Toulouse beschloss alsbald (1229) ein Bündel von Maßnahmen, das den Beginn der eigentlichen Ketzerinquisition markiert: In jedem Kirchspiel sollen außer dem Pfarrer einige zuverlässige Laien durch einen besonderen Eid verpflichtet werden, Ketzer in ihren verborgenen Schlupfwinkeln aufzuspüren, sie festzusetzen und den übergeordneten kirchlichen und weltlichen Zuständigen anzuzeigen. Wenn die Letzteren nicht kooperieren, droht ihnen Amts- und Ehrverlust. Die Verstecke in Kellern und Höhlen sollen zerstört, ihre Besitzer und die Grundherren sollen, wenn sie den Ketzern wissentlich und willentlich Unterschlupf gewährt haben, enteignet werden. Ketzer, die sich freiwillig bekehren, sollen umgesiedelt werden und müssen lebenslang zwei Kreuze auf ihrer Bekleidung tragen. Solche, die sich bloß aus Todesangst von der Ketzerei lossagen, sollen lebenslänglich eingekerkert werden. Über das Schicksal derer, die standhaft bleiben, schweigen sich die Synodalstatuten aus.

Die Einführung der regelmäßigen Todesstrafe für halsstarrige und rückfällige Ketzer erwuchs aus einem anderen rechtsgeschichtlichen Entwicklungsstrang: Friedrich II. hatte seit Beginn seiner Regierung demonstrativ die Bekämpfung der Ketzereien vorangetrieben. Vor aller politischen Zweckrationalität wird er die Ketzerei als Phänomen der Subversion immer schon verabscheut haben. Aber der Kampf gegen die Ketzerei passte ihm auch ins politische Konzept: Einmal konnte er so gerade in den Auseinandersetzungen mit den Päpsten seine Rechtgläubigkeit unter Beweis stellen, zum andern war er ein probates Mittel im Kampf gegen die lombardischen Städte. Dort hatten sich, wie anderswo in Italien, auch im Patrimonium Petri, Symbiosen zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei etabliert, die denen in Südfrankreich durchaus vergleichbar waren: Verweigerte sich nun eine Stadt der Durchführung der antihäretischen Bestimmungen, dann gab sie sich potenziell deren gewaltsamer Durchsetzung preis; befolgte sie sie, dann zerstörte sie ihre eigene Herrschafts- und Sozialstruktur.

Es sind diese Zusammenhänge, in denen die Ketzergesetze des Kaisers zu lesen sind: Eine Konstitution von 1220 übernahm die wichtigsten Bestimmungen des Vierten Laterankonzils ins weltliche Recht und verfügte die Erbunfähigkeit der Nachkommen von Häretikern in Anlehnung an die römisch-rechtlichen Bestimmungen über das crimen laesae maiestatis (Hochverrat) – schon 1199 hatte ja Papst Innozenz III. die Ketzerei als monströse Übersteigerung dieses Verbrechens juristisch klassifiziert. In einer Konstitution gegen die Häretiker in der Lombardei verfügte der Kaiser sodann, dass als Regelstrafe gegen halsstarrige oder rückfällige Ketzer der Feuertod zu verhängen sei – hier erstmals wurde die Todesstrafe gegen Ketzer, die ja auch zuvor schon (mal tumultuarisch, mal im geordneten Rechtsverfahren) praktiziert worden war, juristisch eindeutig legitimiert.

Erweisen sich diese Bestimmungen des Kaisers teilweise als Aufnahmen päpstlicher Verfügungen ins Reichsrecht, so ist gleichzeitig der umgekehrte Rezeptionsweg beschritten worden: Seit 1231 übernahm Papst Gregor IX. die kaiserlichen Bestimmungen ins päpstliche Register und machte sie zu geltendem Kirchenrecht. Von diesem Rezeptionsakt an gewinnt die ältere Formel, halsstarrige oder rückfällige Häretiker seien „debita animadversione puniendi [plectendi]“, also „mit gebührender Aufmerksamkeit zu bestrafen“, eindeutigen Sinn: Sie müssen (durch den weltlichen Arm) verbrannt werden.

Aber dieser gegenseitige Durchdringungsprozess hatte noch weitere Konsequenzen für die werdende Rechtsgestalt der Ketzerinquisition: Wie für den römischrechtlichen Prozess beim crimen laesae maiestatis, so wurden für den Inquisitionsprozess besondere Minderungen der Rechte des Angeklagten charakteristisch: Mit dem Zweck, ihm ein Geständnis abzupressen, durfte der Angeklagte gefoltert werden. Die konkreten gegen ihn erhobenen Beschuldigungen konnten ihm verschwiegen werden. Ebenso wenig hatte er ein Recht darauf zu erfahren, wer die Ankläger und Belastungszeugen waren. Der Beistand eines Anwalts konnte ihm versagt werden. Diese Bestimmungen, begründet mit dem Hinweis auf die besonderen Gefahren, denen sich Ankläger und Zeugen sonst aussetzen müssten, öffneten Denunzianten, die sich am Hab und Gut eines „Ketzers“ bereichern wollten, Tür und Tor. Insgesamt lieferten diese Sonderbestimmungen denjenigen, auf den der Verdacht der Ketzerei fiel, wehrlos einem Verfahren aus, das ihn der Willkür der Ankläger und Richter preisgab. Die Vollgestalt erreichte dieser „summarische Prozess“ in der Dekretale „Ad Exstirpanda“, die Papst Innozenz IV. 1252 erließ.

Gregor IX. schuf dem Kampf gegen die Ketzerei nicht allein eine gesamtkirchlich gültige Rechtsgrundlage, sondern auch ein neuartiges institutionelles Instrumentarium. Bislang war der Kampf gegen die Ketzerei Sache der Bischöfe; die Kurie konnte ihn allein forcieren, indem sie diesen die Aufgabe auch unter Androhung von Sanktionen einschärfte. Hier beschritt Gregor neue Wege, indem er die Zuständigkeit der Bischöfe überging und zunächst punktuell einzelne Personen direkt mit der Aufspürung und Aburteilung von Ketzern in bestimmten Gebieten beauftragte – so z.B. für Deutschland Konrad von Marburg, den Seelenführer der Heiligen Elisabeth von Thüringen (s.o. S. 80f.).

Schon bald zeigten sich auch auf diesem Gebiet Kooperationsmöglichkeiten des seine Wirkungen immer intensiver auf die Gesamtkirche erstreckenden Papsttums und der Bettelorden: Erstmals 1231 erteilte Gregor IX. den Regensburger Dominikanern den Auftrag, gegen die Ketzer nicht nur zu predigen, sondern auch für deren Aufspürung und Verurteilung Sorge zu tragen. Generell wurden die Dominikaner 1236 und die Franziskaner 1246 mit dieser Aufgabe betraut; die Bettelorden wurden zu Inquisitorenorden.

Die solchermaßen professionalisierte Inquisition bildete Verfahrensschemata aus, die sich füglich als Liturgien charakterisieren lassen: Wenn ein mobiles Inquisitionsgericht in eine Stadt kam, wurde zunächst intensiv gepredigt. Ketzer und Häresiegefährdete wurden zur freiwilligen Umkehr aufgerufen, die Rechtgläubigen wurden ermuntert, mit den Inquisitoren zu kooperieren. Wenn die Gnadenfrist abgelaufen war, erfolgten die eigentlichen Prozesse. Diese wurden aus Sicherheitserwägungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, jedoch für die Nachwelt exakt protokolliert; wichtige Corpora von Inquisitionsprotokollen liegen heute im Druck vor. Sie sind für viele Forschungsrichtungen wichtig, denn sie lassen, was bei mittelalterlichen Quellen die Ausnahme ist, auch einfache Menschen relativ ungefiltert zu Wort kommen. Am Ende standen dann die öffentliche Urteilsverkündigung und die Bestrafung der Verurteilten. Die rechtlichen und theologischen Grundlagen ihres Tuns legten manche Inquisitoren in umfänglichen Handbüchern nieder, in denen sie auch ihr praktisch erworbenes Erfahrungswissen weitergaben.

Diese Zusammenhänge markieren eines der bedrückendsten Kapitel in der Geschichte der Christenheit. Im Vergleich mit den Unterdrückungs- und Vernichtungssystemen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, zeigt sich jedoch eine schwerlich zu überschätzende Eigenart: Der Ausrottungskampf gegen die Ketzerei wurde offen geführt. Er fand großenteils im Lichte der Öffentlichkeit statt, er wurde schriftlich dokumentiert und juristisch reflektiert. Päpste, Theologen und Kanonisten förderten ihn. Der Ausrottungskrieg gegen die Ketzerei war eine Angelegenheit der ganzen Kirche – vom Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi und vom kühnen systembildenden Theologen herab bis zum Denunzianten und Folterknecht. Der Kampf wurde mit subjektiv gutem Gewissen geführt. Die Protagonisten waren getrieben vom Bewusstsein ihrer unentrinnlichen Verantwortlichkeit für das ewige Heil der ihnen anvertrauten Menschen, das sie durch falsche Lehre und Praxis in tödlicher Gefahr sahen. Gegen den Teufel, der unsterbliche Seelen in sein eigenes ewiges Unheil ziehen wollte und als dessen Agenten ihnen die Ketzer galten, fühlten sie sich zum Kampf mit allen Waffen verpflichtet.

Zu kritisieren sind die Beteiligten selbstverständlich da, wo sie von heterogenen Motiven getrieben waren, wenn sie etwa wissentlich Unschuldige vernichteten, um ihre Machtpositionen zu zerstören oder um ihres Besitzes habhaft zu werden.

Kritik und Apologetik, die schlicht von modernen Toleranz- bzw. Anerkennungspostulaten her argumentieren, sind jedoch zwangsläufig ungerecht, denn sie verkennen, dass eben diese spezifisch neuzeitlichen bzw. modernen Orientierungsmaßstäbe allen damals Agierenden weltenfern lagen, ja indirekt und wider Willen überhaupt erst (auch) von ihnen hervorgebracht worden sind. – Theologisch wird gerade hier in besonderer Schärfe deutlich, dass sich die Christenheit vor ihrem Herrn ganz und ausnahmslos, also ohne jeden institutionellen Vorbehalt, als simul iusta et peccatrix zu verstehen hat.

Ökumenische Kirchengeschichte

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