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Franziskus von Assisi und die Minderbrüder

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Prononcierter als die Dominikaner haben die Franziskaner ihrer charismatischen Gründergestalt dauerhaft normative Bedeutung zugeschrieben. Daher stellt die scheinbar an biografisch-psychologischen Details so reiche Legendenüberlieferung über Franziskus von Assisi vor schwere Probleme: Ehe man die Texte als biografische Quellen in Anspruch nimmt, müssen sie tendenzkritisch als Zeugnisse der „Dogmengeschichte des Franziskanertums“ (E. Benz) verstanden sein; zudem bedürfen sie eingehender traditionsgeschichtlicher Untersuchungen vor dem Hintergrund älterer Hagiografie. Beide Aufgaben können noch nicht als umfassend gelöst gelten. Jede seriöse Franziskus-Deutung muss sich daher streng an die authentischen Zeugnisse des Heiligen halten und darf Informationen aus der Legendenüberlieferung nur mit größter Vorsicht verwenden.

Giovanni Bernardone kam etwa 1182 in Assisi zur Welt. Sein Vater wirkte als Tuchhändler mit Geschäftsbeziehungen nach Südfrankreich, also in der gemäß damaligen Normvorstellungen besonders schuldverstrickten und zutiefst seelengefährdenden Sphäre der Geld- und Kreditwirtschaft.

Der reiche Jüngling Giovanni hatte eine besondere Begabung für die Geselligkeit und die Selbstinszenierung; seine provencalischen Sprachkenntnisse, ein Erbteil des weltläufigen Elternhauses, brachten ihm den Spottnamen Francesco („Französling“) ein. Als Heranwachsender strebte er über die Kaufmannssphäre hinaus und wollte als Ritter Kriegsruhm gewinnen. Wohl in Verbindung mit einer Krankheit geriet er auf den Weg der religiösen Einkehr und Vertiefung. Nachdem er sich spektakulär von Familie und Vaterhaus losgesagt und unter den Schutz des Bischofs von Assisi gestellt hatte, pflegte er zunächst Aussätzige – so hob er mit der methodischen Überwindung des Ekels seine ästhetisch-eudämonistische Selbstbezogenheit auf eine neue Stufe, die ihm eine neue Art des inneren Friedens gewährte: „Was mir zuvor bitter erschien, verwandelte sich mir zur Süße der Seele und des Leibes“ (Test. 1).

Diese Doppelbewegung bleibt für ihn charakteristisch: Einerseits führt er, darin radikalisierender Fortsetzer der Traditionen abendländischen Mönchtums, den asketischen Vernichtungskampf gegen den kreatürlichen Eigenwillen mit allen, auch den brutalsten Mitteln, anderseits wird diese Grundstimmung der Selbstverneinung immerfort überlagert durch die freudige Ergebung in Gottes Willen, die er wirkungsvoll in Szene zu setzen wusste.

Nach dem Dienst an den Aussätzigen widmete sich Franziskus dem Dienst an verwahrlosten Kirchen: Er reinigte sie und setzte sie instand. Auch hierin erscheint wieder ein dauerhaft wirksamer Zug seiner Frömmigkeit: Die Kirche mit ihren Priestern und ihrer Hierarchie war ihm, insbesondere im Wunder der eucharistischen Wandlung, der Ort der Gegenwart Gottes in Jesus Christus schlechthin. Intensivierung und Individualisierung in Buße/Askese, Jesus-Nachahmung und kirchlicher Bindung gehörten für Franziskus von Anfang an zusammen, und so war es ihm eine Selbstverständlichkeit, sein Tun mit den zuständigen Organen der verfassten Kirche abzustimmen. Für Ketzer war in seiner Liebe zu aller Kreatur kein Platz; als Symbolfigur des modernen Toleranzgedankens ist er ebenso ungeeignet wie als Lichtgestalt des Tierschutzes.

Am 24. Februar 1209 hörte Franziskus in der von ihm instand gesetzten Portiuncula-Kirche Jesu Aussendungsrede an die Jünger (Mt 10) und bezog sie als Aufforderung zur Bußpredigt auf sich selbst. Alsbald sammelte sich ein Kreis von Gefährten um ihn. Die von diesem Freundeskreis angestrebte Lebensgestalt – apostolisches Leben, Bußpredigt in radikaler, individueller wie kollektiver Armut und wechselseitigem Gehorsam, Erwerb des Lebensunterhalts durch Handarbeit oder Bettel – fixierte Franziskus unter Bezug auf einige einschlägige Bibelstellen (wohl Mt 19,21; Mt 16,24; Lk 14,26; Mt 19,29) schriftlich; 1210 wurde diese (verlorene) „Urregel“ von Papst Innozenz III. mündlich-informell bestätigt. Bei diesem Besuch in Rom konnte der Generalpoenitentiar Johannes von St. Paul als Förderer gewonnen werden; nach dessen Tode trat Hugolin von Ostia, später Papst als Gregor IX., in diese Funktion ein.

Die Legendenüberlieferung markiert an diesem Punkt eine entscheidende Weggabelung: Franziskus und die Gefährten hätten bewusst dem abgeschlossenen Eremitendasein den Predigtdienst vorgezogen: „Er [Franziskus] entschied sich, nicht für sich selbst zu leben, sondern für denjenigen, der für alle gestorben ist [2. Kor 5,15], denn er wusste, dass er von Gott gesandt sei, um Seelen für Gott zu gewinnen, die der Teufel zu rauben versuchte“ (I Cel 35). Ganz gleich, ob dieser Bericht Anhalt an der historischen Wirklichkeit hat: Mit der nun unaufhaltsam weiter ins Große sich erstreckenden Predigttätigkeit ging zwangsläufig die institutionelle Strukturierung der Bußpredigergemeinschaft einher.

Franziskus selber sandte die sich schnell mehrenden Brüder zur Predigt in bestimmte Gegenden aus, die immer weiter vom mittelitalienischen Ursprungsraum entfernt lagen. Es intensivierte sich dadurch die Anbindung an die Kurie: Sie gewährte den Brüdern Dokumente, die ihre Predigt in anderen Diözesen legitimierten. Einmal jährlich trafen sich die Brüder und ordneten ihre gemeinsamen Angelegenheiten. So entstanden Stoff und Bedürfnis für eine Regel: Die Ausdehnung der Wirksamkeit nach Spanien, Frankreich und Deutschland sowie nach Nordafrika erforderte feste Unterorganisationen mit klaren Verantwortlichkeiten.

Als Franziskus 1219 in den Orient zog, um sich das Martyrium zu verdienen oder Mission zu treiben, eskalierten die organisatorischen Probleme. Papst Honorius III. verlangte daraufhin die Annahme einer bestehenden Regel; Franziskus präsentierte 1221 stattdessen eine Neuredaktion der Urregel (Regula non bullata), die nach Kräften den neuen Verhältnissen Rechnung trug: Eingangs versprechen Franziskus und seine Nachfolger dem Papst Gehorsam; die anderen Brüder geloben den Gehorsam ihm und seinen Nachfolgern. Folgende Züge markieren die Annäherung an die anderen Orden: „ministri“ (Diener) sind als regional zuständige Vorsteher vorgesehen, auch wenn ihnen jede Herrschaft (potestas) und der Titel „Prior“ abgesprochen wird; hier macht sich der Geist der frühen Bewegung gegen die Tendenz zur rechtlich-administrativen Organisation geltend. Jährlich sollen Provinzialkapitel und ein Generalkapitel der ministri in Assisi stattfinden. Ein einjähriges Noviziat wird eingerichtet, und die Anfänge einer zwangsrechtlichen Disziplinarordnung werden greifbar. Erhalten bleibt das Gebot individueller wie kollektiver Armut und der Handarbeit. Das Gebot der kollektiven Armut markiert eine deutliche Zäsur gegenüber allen älteren Formationen abendländischen Mönchtums, die gemeinsamen Besitz ja gerade als Ermöglichung des individuellen Besitzverzichts in Anspruch nahmen: Jedes Eigentum an Häusern, Kirchen etc. wird den Brüdern untersagt, besonders streng wird das Verbot eingeschärft, Geld anzunehmen – außer in Ausnahmefällen zugunsten von Kranken. In dieser Bestimmung tritt deutlich der tief eingewurzelte Widerwille des Kaufmannssohnes Franziskus gegen jenes unheimliche Tauschmittel mit allen seinen Versuchungen und Gefahren zutage.

Mehrmals umgearbeitet, zuletzt auch durch Hugolin von Ostia, erlangte diese Regel, erheblich gestrafft, 1223 gesetzliche Geltungskraft (Regula bullata). Franz hat sich in dieser Zeit, gesundheitlich schwer leidend, aus der eigentlichen Ordensleitung zurückgezogen. Die Missionen der Brüder verfestigten sich immer mehr zu stabilen Niederlassungen; das damit gegebene Eigentumsproblem wurde pragmatisch gehandhabt.

Kurz vor seinem Tode hat Franziskus noch einmal in seinem Testament, das er als authentischen Kommentar zur geltenden Regel respektiert wissen wollte, die frühen Ideale der Bewegung eingeschärft: radikale Verwirklichung des apostolischen Lebensentwurfs in völliger Besitzlosigkeit sowie ohne Rechtsschutz und Privilegien. Das Testament ist der Versuch, den Orden bei der Erinnerung an seine normativen Ursprünge in einer Art von charismatisch-antiinstitutioneller Institutionalität zu behaften.

Am 2. Oktober 1226 starb Franziskus; am 16. April 1228 wurde er nach einem verkürzten Verfahren kanonisiert. Nach seinem Tode entdeckte man an seinen Händen, seinen Füßen und an seiner Seite Hautanomalien, die man als Wundmale (stigmata) Christi identifizierte. Wie sie zustande gekommen sind, ob er sie etwa nach einer Vision (Spätsommer 1224) empfangen hat, ist geschichtlich ganz unerheblich. Wichtig sind sie als Indizien dafür, dass alsbald nach seinem Tode seine Stilisierung zum neuen Christus (lat. „alter Christus“) einsetzte. Diese das übliche Maß des Hagiografischen deutlich übersteigende Schätzung trug erheblich zur Schärfe der kommenden Auseinandersetzungen um die rechte Gestaltung und Fortführung seines Erbes bei.

In deren Zentrum stand zunächst sein Testament. Mit seiner Verpflichtung auf Rechtsverzicht und Besitzlosigkeit stand es im Widerspruch zur rasanten Aufwärtsentwicklung des Ordens, vor allem im städtischen Milieu: Die Ursprungsidee der Bußpredigt in gemeinschaftlicher, radikaler, kirchlich-rechtgläubiger, apostolischer Armut war so erfolgreich, dass die Franziskaner-Niederlassungen allenthalben zu wichtigen Zentren der Predigt und der Seelsorge wurden; ungesucht fiel dem Orden Besitz an Häusern und an Büchern zu, also an Gegenständen, die für die dauerhafte und zuverlässige Erfüllung der Seelsorgeaufgaben hilfreich, wenn nicht unabdingbar waren.

Die ursprünglich kleine, auf dem Prinzip der Wahlanziehung beruhende Gemeinschaft von Wanderpredigern hatte sich zu einer nach Tausenden zählenden, das gesamte Abendland umspannenden Organisation entwickelt. Die in dieser Bewegung liegenden Möglichkeiten erkannten ihre kirchlichen Förderer vielleicht genauer als deren Protagonisten, voran Franziskus, selbst.

Unter den Brüdern gab es solche, welche die Möglichkeiten beherzt ergriffen, sich auf die Arbeitsmöglichkeiten im städtischen Milieu einließen und elastisch ihre Lebensform mit den neuen Umständen vereinbarten. Es gab aber auch solche, die auf Distanz gingen und um der Reinheit des ursprünglichen Lebensideals willen die Einfügung in die städtische Lebenswelt verweigerten.

In den Jahren nach dem Tode des Franziskus eskalierten die Streitigkeiten zwischen diesen Richtungen im Orden derart, dass der Papst als Schiedsrichter angerufen werden musste: In seiner Bulle Quo elongati (1230) sprach Gregor IX., juristisch stichhaltig begründet, dem Testament des Franziskus jede rechtliche Bindewirkung ab. Die Besitzfrage wurde so gelöst, dass das Armutsgebot formal nicht angetastet wurde: Der Orden und seine Institutionen blieben selber besitzlos; Güter, die ihnen übereignet wurden, gingen in den Besitz von Mittelsmännern (nuntii) über, die diese im Interesse des Ordens verwalteten. Größere geschäftliche Transaktionen bedurften der Zustimmung des Protektors des Ordens an der Kurie. Der Orden hatte also weiterhin kein Eigentum, sondern nur das Gebrauchsrecht (usus) an bestimmten Gegenständen.

Der Widerspruch zum ursprünglichen Ideal war damit nur notdürftig verschleiert. Der Streit ging also weiter, besonders heftig seit 1232, als Elias von Cortona, einst ein enger Vertrauter des Franziskus und nun ein besonders exponierter Vertreter einer an den ökonomisch-sozialen Gegebenheiten sich orientierenden Politik, Generalminister wurde: Vertreter der radikalen Armutsforderung wurden in Klosterhaft genommen. Elias wurde 1239 seines Amtes enthoben; Innozenz IV. versuchte die Armutsfrage zu lösen, indem er den gesamten Besitz des Ordens zum Eigentum der römischen Kirche erklärte („Ordinem vestrum“, 1245).

Eine neue Stufe erreichte der Streit, als mit Johannes von Parma 1247 ein Radikaler Generalminister wurde und in den Kreisen der „Spiritualen“, der Vertreter des radikalen Armutsideals, die geschichtstheologischen Spekulationen des Joachim von Fiore aktualisierend angeeignet wurden. In dieser Geschichtsschau markierte Franziskus den Übergang zur apostolisch-armen Geistkirche des dritten Zeitalters (Gerhard von Borgo San Donnino, Introductorius in evangelium aeternum). 1255 verdammte Papst Alexander IV. dieses Buch; Johannes von Parma wurde aus der Ordensleitung verdrängt.

Sein Nachfolger Bonaventura (s.u. S. 112f.) schritt streng gegen die Radikalen ein, bekämpfte gleichzeitig Verstöße gegen das Armutsgebot in seiner gültigen Form und versuchte, die Streitigkeiten durch autoritative Formierung der normativen Tradition beizulegen: Er verfasste eine neue Franziskus-Legende, die der Orden auf dem Kapitel 1263 offiziell rezipierte. 1266 wurde sie zur allein authentischen erklärt; die Vernichtung aller anderen Viten wurde befohlen, aber glücklicherweise nicht ausgeführt. 1279 hat Papst Nikolaus III. in der Bulle Exiit qui seminat eine Regelerklärung vorgelegt, die von eindrucksvollem juristischem und theologischem Differenzierungsvermögen zeugt: Die Verbindlichkeit und die Verdienstlichkeit des Besitzverzichts werden eingeschärft. Aber es wird ebenso festgestellt, dass Christus und die Apostel sich den Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Welt im notwendigen Maße angepasst haben und deswegen etwa zeitweise Geld besaßen. Den Brüdern wird der bloße, maßvolle Gebrauch (usus) derjenigen Güter eingeschärft, derer sie zur Erfüllung ihrer Pflichten bedürfen; die Eigentumsrechte über alles, was dem Orden anvertraut wird, bleiben dem Heiligen Stuhl vorbehalten. Detailliert wird die Frage der in besonderen karitativen Notfällen über Mittelsmänner zu erledigenden Geld- und sogar Kreditgeschäfte behandelt; leitend ist das Bemühen um Transparenz und strenge Uneigennützigkeit.

Von herausragender Bedeutung ist dieses Dokument auch insofern, als es später den Anlass zu den ersten Debatten um die päpstliche Unfehlbarkeit bot. Es bezeugt markant die besondere Verbindung zwischen dem Papsttum und dem Orden: Der Papst bezeichnet sich als „Stellvertreter Christi, der der Vater aller ist, nichtsdestoweniger der besondere Vater der Minderbrüder“.

Trotz des rigorosen Befriedungsversuchs Bonaventuras und trotz der Papstbulle gingen die Kämpfe weiter. Intellektueller Führer der Spiritualen wurde der theologische Lehrer Petrus Johannis Olivi (1248/49–1298); er vertrat die These, nur der radikal aufs Minimum beschränkte Gebrauch weltlicher Güter (usus pauper) sei legitim. Lediglich unter dem Generalminister Raimund Gaufredi (1289–95) wurde diese Position auch von der Ordensleitung vertreten. Papst Coelestin V. löste die Spiritualen 1294 aus der Obödienz des Ordens und motivierte sie zur missionarischen Tätigkeit im kleinasiatischen Kreuzfahrerreich Armenien. Aber Bonifaz VIII. goss erneut Öl ins Feuer, indem er diese Maßnahme seines Vorgängers zurücknahm. Sich selber verschaffte er damit eine negative Rolle in der Geschichtsschau der Spiritualen.

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