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3. Kapitel: Arbeitsfelder der Kirchenreform Vorbemerkung: Das Vierte Laterankonzil

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Dem Willen des Papsttums, in Welt und Kirche seine Oberherrschaftsansprüche zu realisieren, entsprachen auf allen Ebenen Versuche, das kirchliche Leben seinem Sollzustand anzunähern. Päpstliches Herrschafts- und Reformstreben durchdrangen und ergänzten einander vielfältig – oftmals griffen ja Päpste direkt in die inneren Verhältnisse von Diözesen ein, um Anliegen der Kirchenreform zu befördern, und viele der Papstdekretalen, die dann im erneuerten Kirchenrecht dauerhaft kodifiziert wurden, galten den hier einschlägigen Themen. Die konkreten Reformanliegen waren meist nicht neu. Allerdings wurden sie nun mit gesteigerter Energie aufgegriffen, und mit den Bettelorden erwuchs den Reformbestrebungen zugleich ein höchst effektiver Stoßtrupp, der in besonderer Weise zum Dienst für das Papsttum verpflichtet und bereit war.

Der herbeizuführende Sollzustand war umfassend gedacht: Er begriff die Ausrottung der Ketzerei ebenso in sich wie die Integration der gesamten Christenheit unter der Oberherrschaft des Papstes, und darum werden auch alle diese Themen im Folgenden als Arbeitsfelder der Kirchenreform behandelt.

Das Vierte Laterankonzil im Herbst 1215 markiert in der Geschichte der Kirchenreformbestrebungen einen Knoten- und Scharnierpunkt: Ältere Reformimpulse wurden gebündelt, eingeschärft und mit neuer Schubkraft versehen; neue, in die Zukunft weisende Tendenzen traten hervor. Darum werden im Folgenden zu den einzelnen Feldern der Kirchenreform jeweils die Leitlinien vorgestellt, welche das Konzil gab, und im Anschluss daran werden die entsprechenden Entwicklungen skizziert.

Neben 404 Bischöfen waren auch Äbte großer Klöster sowie die Abgesandten weltlicher Herrscher anwesend. Nach allem, was wir aus den zeitgenössischen Quellen wissen, waren die Debatten der drei Plenarversammlungen von den aktuellen Themen der Politik und der Kirchenpolitik bestimmt. Anscheinend wurde das Selbstverständnis des Papstes als Oberherr und Schiedsrichter der (westlichen) Christenheit widerspruchslos akzeptiert. Somit umfassen die drei Konzilswochen (11. bis 30. November 1215) denjenigen Zeitraum, während dessen sich Anspruch und Wirklichkeit päpstlicher Vollmacht einander so weit annäherten wie nie sonst. Manchen der politischen Vereinbarungen, die hier abgeschlossen wurden, war kaum Erfolg beschieden; in dieser Hinsicht war das Konzil somit lediglich eine Episode.

Auf der letzten Plenarversammlung ließ der Papst ein Corpus von 71 Konstitutionen verlesen. Sie sind, soviel wir wissen, vom Konzil nicht diskutiert, geschweige denn formuliert worden. In immer wiederkehrenden Redewendungen weisen sie sich selbst als Verfügungen des Papstes aus, die dem Konzil mitgeteilt und von diesem ohne Debatte oder Abstimmung gebilligt worden sind. Sie schärfen geltendes Recht ein, modifizieren es und setzen an vielen Punkten auch neue Akzente und Impulse.

Insgesamt sind die canones ein Reformprogramm zur Intensivierung kirchlichen Lebens auf allen Ebenen, und diese Intensivierung ist engstens verbunden mit der Rückbindung aller Bereiche kirchlichen Lebens an die römische Zentrale als normsetzende Führungsinstanz. Diese Gesamttendenz bezeugt von vornherein die legislatorische Strategie, welche die Formulierung der einzelnen canones gestaltet: Es wird positiv-statutarisches Recht gesetzt, das die nachgeordneten Instanzen streng zu binden beansprucht. Der Papst dagegen als rechtssetzende Instanz, in der zugleich auch Judikative und Exekutive letztinstanzlich zusammenfallen, behält sich dem statutarischen Recht gegenüber immer wieder das Recht der Dispensation vor. Er räumt sich selber also die Möglichkeit ein, gegebenenfalls aus eigener Machtvollkommenheit auch gegen das geschriebene Recht zu entscheiden und zu agieren. Besonders signifikant und für die Zukunft bedeutsam tritt diese Strategie bezüglich der Rechtsstellung der Bischöfe in ihren Diözesen hervor: Einerseits werden deren Amtspflichten und -vollmachten eingeschärft, anderseits behält sich der Heilige Stuhl immer wieder das Recht vor, direkt in die Angelegenheiten der Diözesen einzugreifen. Die Rechtsstellung der Bischöfe wird so vielfach im selben Atemzug zugleich bekräftigt und doch nachhaltig geschwächt.

Mit den Intensivierungsimpulsen korrespondieren weiter Impulse zur Profilschärfung und Abgrenzung, namentlich gegen Juden, Muslime und Ketzer. Sofern die Abgrenzung im letztgenannten Fall lediglich als Vorbedingung für die Redintegration bzw. Austilgung in Betracht kommt, ist hier der Übergang zu expansiven Impulsen gegeben, namentlich zur Kreuzzugsbewegung und zum Verhältnis zur Ostkirche.

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