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Schulen und Lehrer
ОглавлениеDas neue Verständnis einer vor allem durch die formalen Regeln vernünftiger Begründung bestimmten Wissenschaft entstand in einem neuen schulischen Umfeld. Nicht die berühmten Klosterschulen des früheren Mittelalters, sondern Domschulen und Schulen städtischer Stifte waren die wesentlichen Träger der neuen Entwicklungen. Geografisch lag der Schwerpunkt in Nordfrankreich, vor allem im Umfeld der Île-de-France, während die seit dem Ende des 10. Jahrhunderts bedeutenden Domschulen des Deutschen Reichs, z.B. Magdeburg, Hildesheim oder Bamberg, ihre Spitzenstellung verloren und zumeist auch keinen Anschluss an die neue Entwicklung suchten. Das wird man kaum, wie immer wieder vorgeschlagen, vornehmlich mit den verschiedenen politischen Interessen des deutschen und des französischen Königtums erklären können. Entscheidend dürfte vielmehr eine Vielfalt von Faktoren gewesen sein, darunter auch die Zufälligkeiten der Biografie einzelner herausragender Persönlichkeiten und die Anziehungskraft einmal ausgebildeter Zentren in Frankreich. Die deutschen Schulen wiesen auch zumeist anders gelagerte Interessen und Schwerpunkte auf und konzentrierten sich weiterhin vor allem auf die Ausbildung des Klerikernachwuchses. Demgegenüber wurden die neu ausgerichteten Schulen in Frankreich auch von Schülern besucht, die unabhängig von den Vorgaben und Interessen einer bestimmten religiösen Institution ihre Schulbildung selbständig organisierten und sich dabei am Ruf einer bestimmten Schule oder eines einzelnen Lehrers orientierten. Solche Schüler kamen häufig aus den nicht regulierten Kollegiatstiften, deren Lebensweise größere Freiräume auch für mehrjährige Studien an verschiedenen Orten ließ; immer häufiger waren aber auch Söhne der Stadtbürger, die eine geistliche Laufbahn anstrebten, oder sogar Laien und Frauen unter den Schülern der neuen Schulen zu finden.
Zu den entscheidenden neuen Momenten gehörte auch, dass jetzt erstmals Lehrer ihre eigenen Schulen gründeten und häufig ohne den Rückhalt einer geistlichen Institution nur von den Geldern ihrer Schüler lebten. Ein herausragendes Beispiel bietet Abaelard, der nach dem Studium an der Domschule von Laon und der Schule des Pariser Domstiftes im Jahr 1111 eine eigene Schule in Melun gründete und damit in Konkurrenz zu seinem Pariser Lehrer Wilhelm von Champeaux trat. Der glänzende junge Magister erregte Aufsehen auch durch ein Liebesverhältnis mit seiner Schülerin Heloise, das schließlich von deren Familie auf drastische Weise beendet wurde: Heloise wurde in ein Kloster verwiesen, Abaelard wurde überfallen und entmannt. Überliefert ist dieser Vorfall in literarischen Zeugnissen aus der Hand der Beteiligten, deren Authentizität immer wieder in Zweifel gezogen, bisher aber nicht überzeugend erschüttert worden ist: ein autobiografischer Bericht des Abaelard (Historia calamitatum) und ein offenbar lebenslang geführter Briefwechsel, in dem Abaelard immer wieder als spiritueller Lehrer und Ratgeber seiner jetzt mit den Pflichten einer Äbtissin konfrontierten Schülerin fungierte.