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Die Ausbildung der neuen Orden: Institutionalisierung und Schriftlichkeit
ОглавлениеDie Entwicklung der neuen Formen des religiösen Gemeinschaftslebens zu Orden ist der Ausbildung bestimmter Institutionen und dem damit verbundenen Einsatz der Schrift für die gemeinschaftliche Normgebung und Organisation zu verdanken. Institutionalisierung und pragmatische, d.h. praktisch nutzbar gemachte und für bestimmte Aufgaben eingesetzte Schriftlichkeit gelten weit über den Bereich der Orden hinaus als wesentliche Momente der kulturellen und sozialen Entwicklung des 12. Jahrhunderts. Die wichtigsten Anstöße gingen von den romanischen Kulturlandschaften Italiens und Frankreichs aus; es ist sicher kein Zufall, dass auch die Organisationsformen und Organisationsmittel der neuen Orden in den romanisch geprägten frühen Zentren der Zisterzienser und Prämonstratenser entstanden. Im Unterschied zum cluniazensischen Verband, der auf das Zentrum Cluny und die Autorität des Großabtes ausgerichtet war, wahrten die neuen Orden die Selbständigkeit der einzelnen Konvente. Für die gemeinsame Ausrichtung sorgte das neue institutionelle Moment des Generalkapitels, das einmal im Jahr die Äbte versammelte und – nicht zum Ersatz, sondern zur Auslegung und Ergänzung der Benediktsregel – Regularien verabschiedete, die bis 1119 in der Charta caritatis schriftlich fixiert und in der Folge beständig fortgeschrieben wurden. Darüber hinaus sollte die strenge zisterziensische Lebensweise durch regelmäßige Visitationen garantiert werden, die jeweils der Abt eines Mutterklosters bei den Filiationsklöstern durchführte, während Cîteaux selbst von den Äbten seiner vier ersten Filiationen visitiert wurde. An diese Organisationsformen lehnten sich auch andere neue Gemeinschaften an. Zunächst nur durch das Charisma Norberts zusammengehalten, erhielt der Verband der Prämonstratenser durch den zweiten Abt von Prémontré, Hugo von Fosses, schriftliche Consuetudines und weitere Regeln, die etwa auch ein jährliches Generalkapitel vorsahen. Die Visitationen wurden auf der Grundlage regionaler Bezirke, der sogenannten Zirkarien, organisiert. Die institutionelle Ausbildung des Kartäuserordens erfolgte über Consuetudines aus dem Jahr 1125 für zunächst drei Priorate, ein erstes Generalkapitel im Jahr 1155 und ausführlichere Statuten für die schon in weiten Teilen Europas bestehenden Gemeinschaften im Jahr 1170.
Die intensive Nutzung der Schrift ermöglichte den Zusammenhalt der bald über ganz Europa verbreiteten Orden durch den schnellen Austausch von Nachrichten und die Verbreitung von Urteilen und Entscheidungen. Das war nicht nur für die Ausbildung gemeinsamer Haltungen in den beiden Schismen von 1130 und – mit allerdings geringerem Erfolg im Hinblick auf die Einbindung der deutschen Konvente – 1159 von Bedeutung, sondern ermöglichte auch die europaweite Wirkung eines Bernhard von Clairvaux. Von ihm sind noch 500 Briefe erhalten, die von der Stellungnahme zu tagespolitischen Fragen bis zur moralischen Paränese und zum ausführlicheren theologischen Traktat ein breites Spektrum literarischer Wirksamkeit umfassen. Voraussetzung dafür war ein gut organisiertes Skriptorium, das auf die Anforderungen eines permanenten Schriftverkehrs und die schnelle Vervielfältigung auch umfangreicherer Schriften eingerichtet war. Organisation und Arbeit der Skriptorien waren immer wieder Gegenstand bei den Beratungen der Generalkapitel, ein Zeichen für die besondere Aufmerksamkeit, die man diesen Ressourcen widmete. Ähnliche Möglichkeiten wie Bernhard standen auch Hildegard von Bingen zur Verfügung, ein Beispiel dafür, dass die intensivierte Schriftlichkeit nicht auf den engeren Bereich der neuen Orden beschränkt blieb.
Der umfassende Einsatz der Schrift zur Normierung der Lebensweise, zur Organisation der neuen Verbände, zur Kommunikation zwischen den Konventen und Institutionen und für die literarisch-publizistische Wirkung herausragender Vertreter wurde getragen von einer entsprechenden Schulbildung, die von den Konventen vornehmlich für ihre eigenen Belange organisiert wurde. Neben den eher praktischen Bedürfnissen der Verwaltung und der Wirtschaft diente die Schulbildung bei Regularkanonikern und Prämonstratensern auch der Vorbereitung auf Seelsorge und Predigttätigkeit. Als Bildungsstätten für auswärtige Schüler oder für Laien sind die Konvente der neuen Orden und regulierten Kanoniker nicht hervorgetreten, im Gegensatz zu den deutschen Kollegiatstiften älterer Prägung und vor allem den großen Kathedralstiften der Île-de-France, an denen sich auch das neue, immer deutlicher von praktischer Anwendbarkeit und von den Bedingungen des religiösen Gemeinschaftslebens gelöste Streben nach Wissen um seiner selbst willen entfaltete (s.u. S. 7). Dass sich auch deutsche Frauenstifte um die Bildung der Kanonissen bemühten, zeigt nicht zuletzt der Hortus deliciarum der Äbtissin von Hohenburg, Herrad von Landsberg (gest. 1196 oder später), ein illustriertes Kompendium des theologischen, exegetischen und naturkundlichen Wissens auf der Basis aktueller Enzyklopädien wie der des Honorius Augustodunensis.
Von Beginn an war Zisterziensern und Prämonstratensern die Bedeutung der schriftlich fixierten rechtlichen Sicherung und deren Garantie durch den Papst als höchste kirchliche Autorität bewusst: Calixt II. bestätigte 1119 die Charta caritatis der Zisterzienser, Honorius II. im Jahr 1126 die acht von Norbert gegründeten Prämonstratenserstifte mit ihrer Ausstattung. Die fortschreitende Institutionalisierung, zu der die Päpste auf Anfrage oder auch auf eigene Initiative entscheidend beitrugen, lässt sich deshalb als Konsequenz schon der frühen Entwicklung zum Orden verstehen. Es war auch ein Papst, Lucius II., der in einer Bulle von 1144 für die Zisterzienser erstmals den Begriff „Ordo“ in diesem, noch bis ins 13. Jahrhundert äußerst selten belegten Sinn verwendete. Den Zisterziensern brachten päpstliche Privilegien zwischen 1152 und 1188 die zunehmende Lösung aus der Jurisdiktion der Bischöfe. Zentrale Fragen der rechtlichen Stellung und der inneren Organisation der Prämonstratenserkonvente wurden von Innozenz II., Alexander III. und Innozenz III. entschieden oder bestätigt.
Die Päpste haben aber auch schon früh und dann zunehmend seit der Mitte des Jahrhunderts auf Probleme innerhalb der Gemeinschaften und Kritik, die von außen kam, reagiert. Dabei ging es nicht nur um die Diskrepanz, die sich zwangsläufig zwischen den charismatischen Anfängen der Gründergeneration und der schon deutlicher von Institutionalisierung und Verrechtlichung geprägten Entwicklung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ergab. Manche Widersprüche und Kritikpunkte resultierten auch schon aus den neuen Zielsetzungen der Orden: Das aus zisterziensischer Regelstrenge und Askese erwachsene Ziel wirtschaftlicher Autarkie konnte bei der Entwicklung von einzelnen Klöstern zum großen Orden mit vielen hundert Zisterzen Konsequenzen hervorbringen, die weit vom ursprünglichen Ideal wegführten. Für die ersten Niederlassungen wurde unbebautes und von allen Abgaben freies Land in eigener Regie gerodet und kultiviert; in der weiteren Entwicklung konnte das Ideal der eigenen Arbeit aber auch immer häufiger bedeuten, dass schon kultiviertes Land übernommen wurde, wobei man die abhängigen Bauern entweder umsiedelte oder auf den Status von Lohnabhängigen drückte. In dieser Hinsicht hatte das zisterziensische Ideal Konsequenzen, die der allgemeinen sozialen Entwicklung zuwider liefen, denn die ging seit Mitte des 11. Jahrhunderts dahin, die grundherrschaftlichen Bindungen der Bauern in Zinsleistungen zu verwandeln, wodurch der soziale Status der Landbevölkerung grundsätzlich gehoben wurde. Die allgemeine Entwicklung und Differenzierung des Wirtschaftslebens mit der zunehmenden Rolle der Städte und der Geldwirtschaft führte auch dazu, dass die Grangien (s.o. S. 39) zu immer komplexeren Wirtschaftsbetrieben wurden, die Handwerk und Handel einschlossen und über eigene Stadthöfe am Wirtschaftsleben der Städte teilnahmen. Was für die Zisterzienser zunächst unabdingbare Voraussetzung ihrer wirtschaftlichen Autarkie war, wurde spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts aus dem Weltklerus als „Landhunger“ und unangemessener Reichtum kritisiert. Gerade der erste aus dem Orden hervorgegangene Papst, Eugen III., griff diese Kritik im Jahr 1152 auf, Alexander III. nahm dann mehrfach dazu Stellung. Im Jahr 1155 beschränkte Hadrian IV. die Abgabenfreiheit, und bald darauf gerieten die Zisterzienser selbst in Widerspruch zu ihren eigenen Prinzipien, als sie sich von Alexander III. das Zehntrecht erbaten, auf das der Orden ursprünglich eben um der Unabhängigkeit von fremden Leistungen willen verzichtet hatte.