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Armutsbewegung und häretische Gruppen

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Die Dynamik der Reformbewegungen und die Beteiligung immer größerer und ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen hatten zur Folge, dass sich einzelne Initiativen sowohl durch die Radikalität ihrer Vorstellungen als auch durch ihre Lebensweise immer häufiger dem gemeinsamen Rahmen kirchlicher Religiosität und kirchlicher Glaubensvorstellungen sowie der Kontrolle durch kirchliche Autoritäten entzogen. Besonders groß war diese Gefahr bei der Armutsbewegung, die seit dem 11. Jahrhundert die Armut als authentische Form der Christusnachfolge propagierte. Die Vorstellung, „nackt dem nackten Christus folgen“ zu müssen, führte bei vielen ihrer Anhänger zu einem ungebundenen Wanderleben, das die überkommenen Regeln religiösen Gemeinschaftslebens und religiöser Ortsbindung außer Kraft setzte. Häufig bemühten sich deshalb Bischöfe darum, Armutsprediger und ihre Anhänger zur festen Niederlassung zu bewegen; das gelang bei dem in ähnlicher Weise unsteten Norbert von Xanten ebenso wie bei Robert von Arbrissel (gest. 1116), der schließlich ein Kloster in Fontevrault gründete.

Besonders brisant wurden die Vorstellungen der Armutsbewegung, weil ihre radikaleren Protagonisten Armut nicht nur als spirituelle Haltung propagierten. Auf dem Hintergrund bestimmter Erfahrungen mit der allgegenwärtigen und aufgrund der Bevölkerungszunahme seit dem 11. Jahrhundert immer wieder besonders drängenden Armut größerer Bevölkerungsgruppen forderten sie vielmehr konkrete Armut der Lebensweise ein und leiteten daraus auch eine Kritik an der reichen Kirche, ihren Strukturen und ihrer Hierarchie ab. Der 1111–15 in den Niederlanden predigende und besonders Reichtum und Lebenswandel des Klerus kritisierende Tanchhelm wurde in Antwerpen von einem Kleriker erschlagen. In Arles wurde im Jahr 1135 ein Heinrich (mit dem irreführenden Beinamen „von Lausanne“) festgenommen; zehn Jahre später war er aber im Languedoc so erfolgreich aktiv, dass Bernhard von Clairvaux als Prediger gegen ihn aufgeboten werden musste. Bernhard und Petrus Venerabilis wandten sich auch gegen Petrus von Bruis, dessen radikale Kritik sich zur Ablehnung aller sichtbaren Zeichen und Rituale und damit auch der Sakramente der Kirche gesteigert hatte. Obwohl er 1138/39 bei einer demonstrativen Verbrennung von Kreuzen selbst von einer aufgebrachten Menge getötet wurde, fanden seine Ideen noch längere Zeit Anklang bei Gruppen, die dann als Petrobrusianer bezeichnet wurden. In Oberitalien stand die Armutsbewegung in Kontinuität zur Pataria des 11. Jahrhunderts. In Brescia trat seit 1138 der Regularkanoniker Arnold mit radikalen Forderungen hervor; er musste nach Frankreich flüchten, wo er einige Zeit auch bei Petrus Abaelard studierte. Von Papst Eugen III. in Rom aufgenommen, trat er schon bald in Verbindung mit der Bewegung der römischen Kommune. Das führte schließlich zu seiner Gefangennahme und Hinrichtung im Umfeld der Kaiserkrönung Friedrich I. Barbarossas.

Auch in der zweiten Hälfe des Jahrhunderts entwickelten die Impulse des religiösen Aufbruchs weiterhin eine Dynamik und eine Breitenwirkung, die von den jeweils bestehenden religiösen Gemeinschaften nicht mehr vollständig aufgefangen werden konnten. Zudem entfernten sich die erst wenige Jahrzehnte alten Reformorden und das Papsttum, das zuvor viele Kräfte des religiösen Aufbruchs entbunden und auf die eigenen Ziele konzentriert hatte, durch die fortschreitende institutionelle Ausformung und Verfestigung immer mehr von den ursprünglichen Reformimpulsen. Das konnte unterschiedliche Konsequenzen haben: Die weiter wirkenden religiösen Impulse äußerten sich zum einen in der Ausbildung neuer religiöser und semireligiöser Gemeinschaften, die ihren Platz allmählich in der Kirche fanden, sei es durch die autoritative Anerkennung und Regulierung der jeweils besonderen Lebensform oder durch eher praktische Duldung und die Vermeidung expliziter Gegensätzlichkeit. Ein Beispiel dafür bieten etwa die monastischen Frauengemeinschaften, die sich an die Lebensform der Zisterzienser anschlossen, obwohl der Orden ihre förmliche Aufnahme ablehnte. Das intensivierte religiöse Engagement konnte sich aber auch zu einer grundsätzlichen Kritik an der bestehenden Kirche und ihren Institutionen steigern und dadurch auch zur Relativierung oder zur offenen Ablehnung zentraler Elemente der kirchlichen Lebens- und Lehrtradition führen. Welchen Weg eine Gruppe nahm, hing dabei nicht nur von den jeweils ausgebildeten Lebensformen, den mehr oder weniger stringenten theologischen Aussagen und dem Ausmaß der vorgebrachten Kirchenkritik ab. Entscheidend war vielmehr, wie Papst und Bischöfe jeweils auf das Auftreten der verschiedenen religiösen Gruppen reagierten.

In grundsätzlicher Übereinstimmung mit den kirchlichen Reformen konnten sich Gruppen der Armutsbewegung fühlen, die im letzten Viertel des Jahrhunderts in Ober- und Mittelitalien auftraten. Als Humiliaten machten sie die Tugend der Demut (humilitas) zum zentralen Maßstab ihrer Lebensführung: das bedeutete den Verzicht auf persönlichen Besitz und ein Leben in klosterähnlicher Gemeinschaft, das durch Handarbeit gesichert wurde. Bußgesinnung und asketische Abwendung von der Welt brachten die Humiliaten durch ihre Kleidung aus ungefärbter Wolle zum Ausdruck; von Rechtshändeln und Eidesleistung hielten sie sich fern, der zunehmenden Geldwirtschaft begegneten sie mit Ablehnung.

Eine ganz persönliche Abwendung vom weltlichen Reichtum begründete auch die Wirksamkeit des Lyoner Kaufmanns Waldes (1140–1206), der nach einer Hungersnot im Jahr 1176 seinen Besitz und seine Familie aufgab und ein Leben als Wanderprediger führte. Waldes hatte sich noch als vermögender Mann die Bibel in die Volkssprache übersetzen lassen und den apostolischen Sendungsauftrag der Evangelien für sich entdeckt. Dem sollte sich das ganze Leben unterordnen; deshalb bestritten Waldes und seine Anhänger, die sich als „Arme im Geiste“ (Pauperes spiritu) bezeichneten, ihren Lebensunterhalt mit Almosen. Von den Häresieverurteilungen des Dritten Laterankonzils (1179) wurden die Waldenser trotz harter Vorwürfe noch ausgenommen; erst ihre Weigerung, sich einem vom Lyoner Bischof ernannten Vorsteher zu unterstellen, führte in den Jahren 1182/83 zur Exkommunikation und schließlich zur Einbeziehung in die Ketzerbestimmungen des Papstes Lucius III.

Trotz der päpstlichen Maßnahmen bemühten sich Waldes, der noch 1180 ein Bekenntnis zum kirchlichen Glauben und zu den Sakramenten abgelegt hatte, und ein Teil seiner Anhänger weiter um Gemeinschaft mit der Kirche. Ihren eigenen kirchlichen Sendungsauftrag leiteten sie nicht zuletzt aus der Auseinandersetzung mit einer immer größer werdenden Bewegung ab, die Lebensformen der Armutsbewegung und eine radikalisierte Kirchenkritik mit außerchristlichen Vorstellungen verband. Wahrscheinlich geht der Katharismus auf die in der Ostkirche entstandene, vor allem in Bulgarien wirksame Gemeinschaft der Bogumilen zurück, die von manichäisch-gnostischen Traditionen beeinflusst war. Gnostischer Dualismus prägte auch die Vorstellungen der katharischen Gruppen, die seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts im Westen bezeugt sind und sich vor allem in Oberitalien sowie im Süden, bald aber auch im Norden Frankreichs ausbreiteten. Aus der in Deutschland und Italien gebräuchlichen Bezeichnung „Katharer“ (wohl von griechisch „Katharoi“ = die Reinen) ging das deutsche Wort „Ketzer“ hervor; in Italien wurden die Gruppen auch mit dem Namen der untergegangenen Pataria, in Frankreich nach ihrem Zentrum Albi Albigenser genannt. Die Selbstbezeichnung als „gute Christen“ kennzeichnet den elitären Anspruch der Bewegung, die sich radikal von der Kirche absetzte und eine eigene kirchliche Organisation mit Ämtern und Sakramenten aufbaute. Die grundsätzliche Anlehnung an kirchliche Strukturen und Riten wurde jedoch durch eine konsequent dualistische Entgegensetzung von Geist und Materie relativiert: Die materielle Wirklichkeit, nach der mythischen Vorstellungswelt der Katharer von einem bösen Gott geschaffen, konnte keine Erlösung vermitteln. Die war nur der vom guten Gott geschaffenen Geistwelt zugänglich; auch Christus war nur als Geist in leiblichem Gewand an der Heimführung der in die materielle Schöpfung eingeschlossenen Geistseelen beteiligt. Die grundsätzliche Ablehnung der leiblich-materiellen Welt äußerte sich in einer rigorosen Askese, die nur durch eine graduelle Unterscheidung der Anforderungen praktikabel wurde: Allein den gemeinschaftlich lebenden Vollkommenen wurde der Verzicht auf Ehe und Familie abverlangt. In diesem Status konnten auch Frauen eine Bedeutung erlangen, die ihnen in der Kirche grundsätzlich nicht erreichbar war.

In Deutschland wurden im Jahr 1143 in Köln und Bonn einzelne Katharer als Ketzer verbrannt; in einer ersten Phase der Auseinandersetzung bemühten sich die kirchlichen Autoritäten allerdings vor allem darum, der schnellen Ausbreitung des Katharismus durch Predigten und theologische Streitgespräche entgegenzutreten. Erst das Dritte Laterankonzil schloss die Katharer gemeinsam mit verschiedenen Gruppen der Armutsbewegung als Häretiker aus der Kirche aus. Papst Lucius III. verschärfte die kirchliche Ketzerbekämpfung, die schließlich in der Bulle Ad abolendam (1184) zur gemeinsamen Aufgabe von Kirche und weltlicher Herrschaft erklärt wurde; ein Gesetz des Kaisers Friedrich I. Barbarossa verhängte die Reichsacht über die Ketzer.

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