Читать книгу Ökumenische Kirchengeschichte - Группа авторов - Страница 9

Оглавление

ABSCHNITT IV: DAS HOHE MITTELALTER

Von Ludger Körntgen und Martin Ohst

EINLEITUNG: WANDEL UND KONTINUITÄT, EINHEIT UND VIELFALT.

Die Kirche im 12. und 13. Jahrhundert

Von Ludger Körntgen

Das 12. Jahrhundert wird häufig als Zeit des Aufbruchs und Wandels in nahezu allen Lebensbereichen beschrieben. Im Blick auf den Neuansatz der Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte hat Charles H. Haskins von der „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ gesprochen; weit darüber hinausgreifend will Hagen Keller die Wende zur Rationalität als entscheidendes Merkmal europäischer Kultur in dieser Epoche verorten. An diesem geistes- und kulturgeschichtlichen Wandel waren Kirche und religiöses Leben ebenso wesentlich beteiligt wie an der zuletzt ausführlich diskutierten „Expansion“ Europas durch die Kreuzzüge, die Reconquista und die Christianisierung des skandinavischen Nordens sowie des slawischen und baltischen Ostens. Um den kirchlichen Reformbegriff in seinen verschiedenen Ausprägungen und Wirkungen zu erfassen, hat Giles Constable die Formel von der „Reformation des 12. Jahrhunderts“ geprägt. Demgegenüber weist der Begriff der „Papstrevolution“, von Eugen Rosenstock-Huessy schon 1931 zur Debatte gestellt und seitdem wiederholt aufgegriffen, in die Mitte des 11. Jahrhunderts. Die aktuelle Diskussion löst sich aber immer deutlicher von dieser Suche nach dem zentralen, epochenbegründenden Motiv und versucht stattdessen, die Vielfalt des Wandels in allen Lebensbereichen zu erfassen. Dabei wird vorausgesetzt, dass die einzelnen Phänomene in wechselnden Zeithorizonten beschrieben werden müssen. Dementsprechend sind jeweils verschiedene Epochenjahre anzugeben, etwa 1050 oder 1100 auf der einen, 1200, 1250 oder erst 1300 auf der anderen Seite.

Diese Relativierung der Epochengrenzen ist gerade für die kirchengeschichtlichen Entwicklungen sinnvoll: Denn die verschiedenen Reformimpulse des 11. Jahrhunderts wirkten im 12. Jahrhundert weiter, wurden noch intensiviert, ausdifferenziert oder durch neue Anstöße abgelöst. Das Papsttum gewann durch die anhaltenden Reformbemühungen der religiösen Gemeinschaften und die Intensivierung der Laienfrömmigkeit weiter an Autorität. Organisatorischer Ausbau und institutionelle Ausbildung von Kirche und neuen Orden profitierten von der zunehmenden pragmatischen Rationalität. In den scholastischen Wissenschaften und im Kirchenrecht legte die methodische Rationalität den Grund für die ekklesiologische und kanonistische Legitimierung des zentralen päpstlichen Leitungsanspruchs im 13. Jahrhundert.

Die institutionell gefestigten Strukturen, die auch schon früh Kritik auf sich zogen, konnten aber nur noch einen Teil der weiterwirkenden religiösen Aufbruchsimpulse auffangen und regulieren. Radikalisierte Kirchenkritik und vor allem der unbedingte Anspruch der Armutsbewegung gerieten in Konflikt mit der universalkirchlichen Autorität, die jetzt entschlossen und im Ganzen zu wenig differenzierend die Grenze zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie definierte und zu deren Bekämpfung die weltliche Gewalt zu Hilfe rief. Die theologische und frömmigkeitspraktische Herausforderung der häretischen und häresienahen Bewegungen wurde zugleich durch die neuen Bettelorden aufgegriffen; die kirchliche Integration der Armutsbewegung konnte allerdings von den Franziskanern nur unter härtesten inneren Auseinandersetzungen geleistet werden.

Die häretischen Bewegungen und der Beginn einer koordinierten Ketzerbekämpfung bilden nur den spektakulärsten Beleg für die Ambivalenz der kirchlichen Entwicklung. Zugleich mit dem einheitsstiftenden Leitungsanspruch des Papsttums bildete sich eine neue Vielfalt und Verschiedenheit der Reformansätze und der religiösen Lebensformen aus. Die Einheit des benediktinischen Mönchtums und der kanonischen Lebensform wurde durch die Vielfalt der neuen Ordensgemeinschaften abgelöst. Die scholastische Methode entwickelte sich in der Kontroverse der Schulen und unter dem immer wieder aktualisierten Häresieverdacht kirchlicher Autoritäten. Zugleich artikulierte sich im Kontext der traditionellen monastischen Theologie ein neues, persönlicheres Gottesverhältnis mit langfristigen Konsequenzen für die Frömmigkeitspraxis. Zur Vielfalt des religiösen Lebens trugen schließlich das gesteigerte Interesse und die intensivere Beteiligung der Laien bei. Die Kreuzzugsbewegung und das europäische Rittertum lassen sich nur auf diesem Hintergrund verstehen. Mit dem verstärkten Landesausbau und der Entwicklung der Städte wurde das Netz der Pfarreien immer engmaschiger; noch intensiver als die reformierten Kanoniker im 12. wandten sich die Mendikanten im 13. Jahrhundert der Seelsorge zu. Im Kontext dieser vielfältigen Entwicklungen die Einheit der zentralen kirchlichen Lebensvollzüge zu gewährleisten, war ein wesentliches Anliegen des Vierten Laterankonzils. Über dessen Erfolg entschied die Rezeption und Umsetzung in den sich weiterhin vielfältig und differenziert präsentierenden Ordensgemeinschaften, Diözesen und Pfarreien der expandierenden Kirche.

Ökumenische Kirchengeschichte

Подняться наверх