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Europa, die Kirche und die nichtchristliche Welt

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Auch unabhängig von den einzelnen größeren Kampagnen waren das Heilige Land und die Kreuzzugsidee in Liturgie, Kunst und Kultur Europas präsent. Zu der schon älteren Orientierung der Sakralarchitektur am Vorbild der Grabeskirche trat die spezifische Bauform von Glockentürmen als Monument des christlichen Sieges hinzu. Laien, Mönche und Kleriker brachten eine Fülle von Reliquien aus dem Heiligen Land mit, und nach der Plünderung Konstantinopels im Jahr 1204 ergoss sich ein ungeheurer Strom ostkirchlicher „Heiltümer“ und liturgischer Kunstwerke über die Kirchen des Westens. Die Kreuzzugsbewegung trug auch auf diese Weise zur Intensivierung des religiösen Lebens im hohen Mittelalter bei.

Schon der Erfolg des Ersten Kreuzzuges hatte das Ausgreifen der päpstlichen Autorität auf die traditionsreichen Bischofssitze und Patriarchate im Heiligen Land ermöglicht. Das wurde allerdings zumeist nur durch die Vertreibung der orthodoxen Amtsträger oder die Errichtung paralleler Institutionen erreicht. Entgegen den ursprünglichen Hoffnungen Urbans II. vertiefte sich die Kluft zur orthodoxen Kirche im Byzantinischen Reich in der Folge des Ersten Kreuzzuges sogar noch. Katastrophale Auswirkungen hatte schließlich die jahrzehntelange lateinische Fremdherrschaft nach 1204, die nicht nur die politischen Strukturen des Byzantinischen Reichs nachhaltig erschütterte, sondern wohl auch die kirchliche Spaltung endgültig verfestigte. Häufig überschätzt werden dagegen die Nachwirkungen der Kreuzzüge auf das Verhältnis zwischen christlicher und islamischer Welt und ihre Bedeutung für den kulturellen Austausch zwischen Ost und West. Für die Vermittlung kultureller und technischer Errungenschaften des Ostens, der in mancher Hinsicht das Erbe der Antike angetreten hatte, waren beständige Kulturkontakte zwischen christlichen und muslimischen Herrschaftsgebieten im Vorderen Orient, vor allem aber in Spanien und Sizilien weitaus wichtiger. Auch die universale Verfügbarkeit des Kreuzzugs- bzw. Kreuzfahrerbegriffes in modernen sozialen, politischen und interkulturellen Kontroversen ist nicht das Ergebnis einer Jahrhunderte übergreifenden, kontinuierlich gepflegten kulturellen Erinnerung, sondern verdankt sich vor allem einem Interesse, das seit dem 19. Jahrhundert unter den Vorzeichen des europäischen Imperialismus oder des erwachenden arabischen Nationalismus immer wieder neu aktualisiert worden ist. Aus Sicht der zeitgenössischen Muslime blieb die Konfrontation mit den Kreuzfahrern dagegen zumeist Teil einer umfassenderen und komplexen politischen Situation, die zu wesentlichen Teilen von der Machtverteilung innerhalb der muslimischen Welt und der Spaltung in Sunniten und Schiiten bestimmt war. Wenige arabische Chronisten nahmen die Kreuzzüge überhaupt als einheitliches Phänomen war; eine spezielle Kreuzzugschronik aus arabischer Sicht ist offenbar nicht geschrieben worden.

Eine der wenigen Ausnahmen bildet der arabische Chronist Izz ad-Din Ibn al-Atir (1169–1233); er hat die militärischen Aktionen der Europäer in Palästina mit der spanischen Reconquista und der normannischen Eroberung Siziliens in Verbindung gebracht und darin einen umfassenden Kampf des Christentums gegen den Islam gesehen. Eine ähnliche Perspektive bestimmt aktuelle geschichtswissenschaftliche Versuche, die Kreuzzüge als Teil einer das Hochmittelalter prägenden Expansion Europas auf geografischem, wirtschaftlichem, kulturellem und nicht zuletzt religiösem Feld zu verstehen. Tatsächlich haben wichtige Akteure der Zeit verschiedene Schauplätze der politischen Expansion, des Kampfes gegen nichtchristliche Gegner und der allgemeinen Ausbreitung des Christentums miteinander verbunden. Schon wenige Jahre nach der Eroberung Jerusalems haben sächsische Bischöfe, zunächst allerdings ohne nennenswerte Resonanz, Ritter und Bauern dazu aufgerufen (1108), nach dem Vorbild des Kreuzzuges gegen die heidnischen Slawen nördlich der Elbe zu ziehen und in deren Land zu siedeln. Im Zusammenhang mit dem Aufruf zum Zweiten Kreuzzug erlaubte Papst Eugen III. deutschen Fürsten, vor allem aus Sachsen, das Kreuzzugsgelübde auf einem Zug gegen die heidnischen Slawen zwischen Elbe und Oder einzulösen. Dem Papst, der kurz zuvor dem König von Kastilien eine ähnliche Erlaubnis für den Kampf gegen die Muslime im Süden Spaniens erteilt hatte, ging es wohl um die Ausdehnung christlicher Herrschaft zumindest auf solche Regionen, die einmal christlich gewesen waren. Vielleicht spielten auch eschatologische Vorstellungen eine Rolle. Der sogenannte Wendenkreuzzug an Elbe und Oder (1147) blieb allerdings weitgehend erfolglos; das wurde nur mühsam überdeckt durch Scheintaufen, auf die sich manche Slawenfürsten einließen.

Zu einer nachhaltigen Ausbreitung des Christentums an Elbe und Oder kam es erst durch die kontinuierlichen Anstrengungen christlicher Fürsten, die jeweils den eigenen Herrschaftsausbau mit dem Ausgriff auf ihre heidnischen Nachbarn verbanden. Zur wirtschaftlichen Erschließung rief der Sachsenherzog Heinrich der Löwe seit 1143 christliche Siedler aus Flandern, Holland, Westfalen und Friesland in das slawische Wagrien im östlichen Holstein. Das war der Auftakt der später so genannten „deutschen Ostsiedlung“, die sich freilich nicht als ein kontinuierliches und koordiniertes Unternehmen darstellte, sondern jeweils durch einzelne Initiativen deutscher und anderer Herrscher veranlasst war, die vor allem durch besondere Rechtsgewährung deutsche Siedler in kaum erschlossene Gebiete lockten. Einen weiten Weg nahmen Bauern linksrheinischer Herkunft auf sich, die dem Ruf des Ungarnkönigs Béla III. (1173–1196) nach Siebenbürgen folgten; häufiger war allerdings die Siedlungsbewegung aus benachbarten Gebieten. In wirtschaftlicher und siedlungsgeschichtlicher Hinsicht war das eine besondere Ausprägung der intensivierten Landeserschließung. Seit dem 11. Jahrhundert dehnte die Binnenkolonisation vor allem durch Rodung von Wäldern und Verlagerung alter oder Anlage neuer Dörfer den landwirtschaftlich genutzten und besiedelten Raum immer weiter aus und drängte die zuvor dominierenden menschenleeren Waldgebiete zurück.

Slawische Herrscher riefen nicht nur Siedler zum Landesausbau, sondern betrieben auch die Christianisierung zwischen Elbe, Oder und Ostsee. Nachdem der polnische Herzog Boleslaw III. Schiefmund (1102–1138) Pommern unterworfen hatte (1121 Einnahme von Stettin), konnte Bischof Otto von Bamberg mit Unterstützung des christlichen Pommernherzogs Wratislaw I. und militärischer Rückendeckung durch Kaiser Lothar III. 1124 und 1128 zwei Missionsreisen unternehmen, die allerdings erst nach seinem Tod in den Aufbau kirchlicher Strukturen mündeten. Das 1140 gegründete Pommernbistum Wollin (1175 nach Kammin verlegt) wurde durch Unterstellung unter den Papst dem Streit zwischen den Metropolen Gnesen und Magdeburg entzogen. Auch der Magdeburger Erzbischof Norbert und seine Prämonstratenser dürften stärker an der Christianisierung der ostelbischen Gebiete beteiligt gewesen sein als häufig angenommen. In Schlesien, wo Herzog Boleslaw I. die Zisterze Leubus an der mittleren Oder gründete, sowie in Böhmen und Mähren trugen die neuen Orden wesentlich zur Christianisierung und zum Landesausbau bei.

Die Christianisierung an Elbe, Oder und Ostsee muss man als ein differenziertes und längerfristiges Geschehen werten, das aber doch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach mehr als einhundertjähriger Pause wieder in Gang gekommen war. Demgegenüber lassen sich für Skandinavien eher die Fortsetzung und der kirchenorganisatorische Abschluss einer seit der Karolingerzeit andauernden Entwicklung feststellen. Dabei wurde die ursprünglich auf die Mission ausgerichtete Metropolitanstellung des Erzbistums Hamburg-Bremen zugunsten eigener Kirchenprovinzen der skandinavischen Länder beschnitten: Am Beginn des Jahrhunderts erhielt Dänemark ein Erzbistum mit Lund (1104), nach der Jahrhundertmitte folgten Norwegen (Erzbistum Drontheim 1152) und Schweden (Erzbistum Uppsala 1164).

Wieder anders muss die jahrhundertelange Reconquista in Spanien beurteilt werden. Seit der Eroberung der alten westgotischen Königsstadt Toledo (1085) durch König Alfons VI. von Kastilien-León und der Wiedererrichtung des dortigen Erzbistums traten die zuvor eher sekundären Momente westgotisch-christlicher Legitimation immer deutlicher in den Vordergrund und fanden Resonanz bei den südfranzösischen Nachbarn und in der weiteren christlichen Welt. Kurz nach 1100 wurde wohl auch im jetzt immer wichtiger werdenden Wallfahrtsort Santiago de Compostela und später im Pariser Königskloster Saint-Denis an der Erzählung des sogenannten Ps.-Turpin gearbeitet, die nicht nur von einer Jerusalemfahrt, sondern auch von ausgedehnten Kämpfen des Karolingers Karl des Großen im muslimischen Spanien berichtet. Kreuzfahrer aus England und vom Niederrhein, die auf der Reise ins Heilige Land Station in Santiago machten, wurden von König Afonso Henriques I. von Portugal für die Teilnahme an der Eroberung Lissabons gewonnen (1147). Eine besondere Beziehung zur Kreuzzugsbewegung drückte auch der aus politischen Rücksichten nicht realisierte Wille des kinderlosen Königs Alfons I. von Aragón (1104–1134) aus, der sein ganzes Reich den Chorherren vom Heiligen Grab sowie den Templern und Hospitalitern vermachen wollte. Schon bald nach den Templern wurden in Spanien regionale Ritterorden gegründet, als wichtigster der von Calatrava.

Auf der muslimischen Seite war es nach dem Verlust von Toledo ebenfalls zu einer intensiveren Mobilisierung religiöser Motivationen durch die strenge islamische Reformbewegung der Almoraviden gekommen, die nochmals eine politische Einigung der muslimischen Herrschaft über Südspanien und spektakuläre militärische Erfolge erreichte. Trotzdem blieben die Motive der christlichen Expansion und der muslimischen Abwehr vielschichtig, und das Machtstreben der Könige und kleinerer Herren konnte weiterhin auch ohne Kreuzzugsgesinnung und über die religiösen Grenzen hinweg wirksam werden. Die Kreuzzugsstimmung wurde vor allem bei einzelnen Kampagnen unter gesamteuropäischer Beteiligung geschürt, während die ortsansässige Bevölkerung sich trotz der Verschärfung des religiösen Gegensatzes im 12. Jahrhundert immer wieder pragmatisch mit den muslimischen Nachbarn arrangieren konnte.

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