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Hierarchische Ordnungen

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Der Begriff der Hierarchie (griech. für „heilige Herrschaft“) steht im Mittelalter für eine von Gott festgelegte Ordnung, die sowohl die himmlischen Geistwesen (Engel) als auch die Menschen in ihren politischen Organisationsformen umfaßt. Geprägt wurde dieser Begriff von einem anonymen griechischen Theologen des 6. Jahrhunderts, der seine Werke unter dem Namen des Dionysius Areopagita veröffentlichte. Dieser war ein Schüler des Paulus (Apg 17,34) und erster Bischof von Athen. Das Werk des Pseudo-Dionysius konnte daher im Mittelalter quasiapostolische Autorität beanspruchen und übte großen Einfluß auf die gesamte Theologie von Johannes Scotus Eriugena († 877) bis Nikolaus von Kues († 1464) aus. Die Wirkung der Schriften wurde noch durch die spätere Identifikation des Autors mit dem hl. Dionysius, dem legendären ersten Bischof von Paris, verstärkt. Dieser stieg als Patron der Königsgrablege von St. Denis zum Nationalheiligen Frankreichs auf. Das Werk des Pseudo-Dionysius über die himmlischen und kirchlichen Hierarchien hatte folglich großes Ansehen bei den Gelehrten. Der Autor teilt darin die Geistwesen im Himmel sowie die Ämter in der Kirche in drei Ordnungen mit jeweils drei Unterteilungen ein. Innerhalb dieser neun Stufen wird die göttliche Eingebung von oben empfangen und nach unten weitergegeben. Im Hochmittelalter wurde diese Konzeption auch auf die politische Ordnung übertragen. Die Funktion der hierarchischen Konzeption war ähnlich wie bei der Organismusmetapher [↗ Politische Ordnungsvorstellungen]: Die Organisation der Herrschaft sollte als göttliche Institution dem menschlichen Eingriff entzogen werden. Ihren Höhepunkt erreichte das hierarchische Denken im Pontifikat Bonifaz’ VIII. Aegidius Romanus beschrieb den Papst als summus hierarcha, als Inhaber der gesamten Macht innerhalb der Kirche. Bonifaz übernahm in seiner Bulle Unam sanctam (1302/03) diesen Gedankengang: Die Herrschaft wäre nicht geordnet, „wenn nicht das Niedere durch das andere auf das Höchste zurückgeführt würde. Denn gemäß dem heiligen Dionysius ist es ein göttliches Gesetz, daß das Niedere durch das Mittlere auf das Höchste zurückgeführt wird.“ Diese „kosmische Ordnung“ ließ jedoch Spielraum für Interpretation. Die Gegner der päpstlichen Privilegierung der Bettelorden beriefen sich im 13. Jahrhundert auf den hierarchischen Gedanken, wenn sie die Kirche als eine fest gefügte und unabänderliche Ordnung beschreiben wollten, in die der Papst nicht eingreifen dürfe. Die Privilegierung der Bettelorden erschien dann als Störung der von Gott eingesetzten kirchlichen Hierarchie. Dominikaner und Franziskaner wandten dagegen ein, daß der Papst wie Gott in seiner potentia absoluta nicht an die Stufen der Hierarchie gebunden sei und direkt in das Geschehen der Welt eingreifen könne. Neue Konjunktur erhielt der Begriff der Hierarchie im Zeitalter des Konziliarismus [↗ Genossenschaftliche Ordnungen]. Vor allem diejenigen Theoretiker, die die Abkehr vom konziliaren Gedanken einleiteten, bedienten sich verstärkt dieser Konzeption. Juan de Torquemada (1388–1468) erklärte die Monarchie zur einzig korrekten Regierungsform in Kirche und Staat, weil ihm zufolge allein die Einheit eines obersten Hierarchen Frieden und Eintracht innerhalb einer Gemeinschaft herstellen könne. Später diente das Konzept der Hierarchie zur Ausarbeitung absolutistischer Theorien des „divine right of the kings“.

Ähnlichkeiten zu der hierarchischen Ordnung des Pseudo-Dionysius hatte die von Eike von Repgow konzipierte Heerschildordnung. Im lehensrechtlichen Teil seines Sachsenspiegels (ca. 1225) gliederte er die Gesellschaft in sieben Rangstufen. An oberster Stelle stand der König, der über den Heerschild (das Aufgebot seiner Vasallen) verfügte, selbst aber kein Vasall war. Den zweiten Rang nahmen die geistlichen, den dritten Rang die weltlichen Reichsfürsten ein. Grafen und freie Herren nahmen den vierten Heerschild ein, schöffenbare Freie den fünften und nichtschöffenbare Freie den sechsten; über den siebten äußerte sich Eike nicht. Das Lehensrecht sah vor, daß kein Vasall ein Lehen aus der Hand einer gleichrangigen oder untergeordneten Person empfangen dürfe. Ansonsten mußte er einen Standesverlust hinnehmen. Diese Heerschildordnung wurde in andere Rechtsbücher übernommen und übte einen nicht geringen Einfluß auf die Praxis des spätmittelalterlichen Lehensrechts aus.

KARL UBL

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