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Medialität und Heteronomie.
Reflexionen über das Botenmodell als Ansatz
einer Medienphilosophie Sybille Krämer 1. Sprach- und Medienkritik
ОглавлениеDie philosophische Reflexion der Medien ist für die Philosophie ein Randproblem. Ihre Kernbereiche (Philosophie des Geistes und der Sprache, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, von Ontologie und Metaphysik ganz zu schweigen) bleiben von medientheoretischen Fragestellungen weitgehend unberührt. Die geisteswissenschaftlichen Disziplinen erörterten seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts intensiv die mediale Verfasstheit ihrer textuellen, bildlichen, musikalischen Gegenstände und Medienreflexionen erhielten ein akademisches ‚Heimatrecht‘. Doch an der Philosophie scheint diese ‚medienkritische Wende‘ merkwürdig spurlos vorbei gegangen zu sein.1 Warum tut sich die Philosophie so schwer mit medienkritischen Fragen?
In den 1960er-Jahren kündigte Marshall McLuhans (1968: 13) Slogan vom ‚Medium als Botschaft‘ die Annahme auf, dass Medien ein abgeleitetes, dienstbares und damit auch vernachlässigbares Vehikel seien gegenüber dem, was in den Geisteswissenschaften mit ‚Sinn‘, ‚Bedeutung‘, ‚Geist‘, ‚Form‘ oder ‚Gehalt‘ verbunden ist. Das Provozierende des Ansatzes lag darin, dass die Medien die Unschuld ihrer Vehikel- und Trägerfunktion einbüßen: Eine Eigensinnigkeit und Eigendynamik des Medialen tritt in den Fokus, welche die Medien ihrer transitorischen Transparenz und Dienstbarkeit beraubt, um sie in ihrer eigengesetzlichen Opazität und Prägekraft sichtbar zu machen. Eben dieses Sichtbarmachen der Formationskraft von Medien markiert die Leitidee der medienkritischen Wende.
Kann nun die ‚Immunität‘ der Philosophie gegenüber medienkritischen Fragen auch damit zu tun haben, dass die Philosophie in Gestalt ihrer ‚sprachkritischen Wende‘ – mindestens fünfzig Jahre früher als der ‚medial turn‘ – eine eigene Form von Medienreflexion einführte? In der Perspektive des ‚linguistic turn‘ erwies sich die Philosophie als intellektuelle Vorhut; in der Perspektive einer medienkritischen Wende bildet sie allenfalls die Nachhut. Diese ‚umgekehrte Proportionalität‘ scheint nicht zufällig. Die Entdeckung der Sprache als Konstitutionsbedingung für Erfahrung und Erkennen und damit für das menschliche Selbst- und Weltverhältnis impliziert, die Sprache gerade nicht als Medium im traditionellen Sinne einer transparenten Repräsentationsinstanz zu deuten. Sprache gilt nicht länger als sekundärer Ausdruck einer ihr vorgängigen Ordnung, sei diese gestiftet durch Strukturen der Welt oder des menschlichen Intellekts. Die sprachkritische Wende zielte darauf ab, Sprache, Sprechakte und Kommunikation als genuine Produktionsstätte von Geist und Sinn, Rationalität und Vernünftigkeit zu entwerfen. Die Auffassung eines bloß derivativen Status und einer medialen Sekundarität des Sprachlichen ist mit solchem konstitutionstheoretischen Potenzial unvereinbar. Sprache bzw. diskursive Zeichensysteme avancieren zur Bedingung der Möglichkeit unserer Welterfahrung und unseres Weltverhältnisses.
Die Antwort auf die Frage, warum Philosophie und Medienkritik einander so fremd geblieben sind, hat somit zwei Facetten: Einerseits zeigt sich eine Familienähnlichkeit zwischen der sprachkritischen und der medienkritischen Wende im Sinne einer Reflexionsfigur, die darauf zielt, Phänomene des Transitorischen und des Sekundären gerade in ihrer eigengesetzlichen Konstitutionskraft und Primordialität zu rekonstruieren. Dieses der Sprache und den Medien zugesprochene generative Potenzial birgt etwas Demiurgisches: Was und wem immer solche Schaffenskraft zugesprochen wird, avanciert zu einem archimedischen Punkt und wird fundamental gedacht und unhintergehbar gemacht. Andererseits zeigt sich eine bemerkenswerte Gegenläufigkeit: Das Sprachapriori zu etablieren, bedeutete den Status der Sprache, ein Medium zu sein, zu verabschieden – was allerdings nur konsistent und konsequent ist im Horizont eines Medienverständnisses, welches Medien zu Vehikeln und Träger für Sinn und Bedeutung marginalisiert. Die medienkritische Debatte jedoch strebt nach Überwindung eines solchen transitorischen Medienbegriffes: Medien sollen hervorbringen, was sie vergegenwärtigen. Die Folge ist, dass kraft dieser demiurgisch-generativen Dimension das Medienapriori die Erbfolge des Sprachapriori antritt. Was ‚die Sprache‘ für die Philosophie ist, sind ‚Medien‘ für die übrigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Der zeitgenössische Mediendiskurs kann daher auch so gedeutet werden, dass in ihm die bewährte Reflexionsfigur der Sprachkritik noch einmal – also rekursiv – gegenüber deren Ergebnissen in ‚Anschlag‘ zu bringen ist.
Doch Letztbegründungsfiguren sind methodisch problematisch: Einen Phänomenbereich als vorgängige Matrix unseres In-der-Welt-Seins auszuzeichnen und autonom zu machen, führt zu Ansätzen, deren Apriorismus immun ist gegenüber der Korrektur durch empirische Erfahrung und historische Varianz. Hier sind die Probleme apriorischer Universalisierung nicht zu erörtern; im Folgenden stellen wir uns heuristisch auf den Boden der Annahme, dass einer zeitgemäßen philosophischen Reflexion der Medien ein ihr sich aufdrängender Weg versperrt bleibt: der Weg, die Medien zum Apriori unserer Welterfahrung, somit zur universellen Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung, Kommunikation und Erkennen zu stilisieren und in dieser transzendentalen Denkfigur auch die philosophische Legitimität einer Medienkritik in der Nachfolge der Sprachkritik zu verorten. Doch wenn eine Transzendentalisierung der Medien ausgeschlossen wird: Wo liegt die Alternative?