Читать книгу Handbuch der Medienphilosophie - Группа авторов - Страница 27
3. Über den Unterschied zwischen Zeichen und Medien
ОглавлениеWenn wir der Materialität und Eigensignatur der Medien einen Zug zum Transitorischen zusprechen, scheint dies nichts zu sein, was für Medien spezifisch ist. In einer langen Tradition des semiologischen Diskurses werden Zeichen mit jener Art von physischen Vorkommnissen assoziiert, die ‚für etwas Anderes stehen‘, also über sich selbst hinausweisen und eben durch diese Transparenz für etwas, das sie nicht selber sind, zur Instanz für ‚Repräsentation‘ avancieren.
Für den Umgang mit Zeichen gilt gewöhnlich: Sie müssen wahrnehmbar und in diesem Sinne präsent sein. Zugleich aber ist das, was präsent und wahrnehmbar ist, beim Zeichen sekundär; Bedeutung und Sinn der Zeichen dagegen, die zumeist unsichtbar, abwesend, vielleicht auch immateriell sind, haben als Primäres zu gelten. Doch sofern wir etwas als Medium betrachten, verhält es sich umgekehrt. Präsent ist die übermittelte Botschaft, während die physische Dimension des Mediums für die Nutzer unterhalb der Schwelle des Wahrnehmens verbleibt resp. verbleiben soll. Kurzum: In der semiologischen Perspektive ist das Verborgene der Sinn hinter dem Sinnlichen; in der mediologischen Perspektive dagegen ist das Verborgene die Sinnlichkeit hinter dem Sinn (Krämer 2008: 34).
Wir stoßen hier auf eine signifikante Inversion in der Art und Weise, wie die Pole von Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit, Oberfläche/Tiefe und Sekundarität/Priorität jeweils verteilt sind. Im Zeichengebrauch realisiert sich das vertraute Schema der Repräsentation: Hinter und jenseits der wahrnehmbaren Signifikanten ist das ‚verborgene‘ Signifikat zu dechiffrieren. Die Verfahrenslogik des Zeichens erfüllt die hermeneutische Erwartung, über das Sinnliche hinaus und jenseits von ihm den Sinn aufzusuchen. Die Gebrauchslogik von Medien kehrt diese hermeneutische Erwartung um: Nun gilt es über den Sinn, die Botschaft, den Gehalt hinaus zu gelangen und – hinter und jenseits von diesen – auf die verborgene Sinnlichkeit, Materialität und Körperlichkeit der Medien zu stoßen. In einer traditionell metaphysischen Einstellung könnten wir auch sagen: Die Metaphysik der Medialität führt auf eine ‚Physik der Medien‘.
Die Unterscheidbarkeit von ‚Zeichen‘ und ‚Medium‘ hat eine Konsequenz für das, was ‚Medienphilosophie‘ bedeutet: Sie ist nicht – oder nicht in erster Linie – Medienontologie. In unserer Welt gibt es nicht Zeichen und daneben auch noch Medien, so dass beide disjunkt in Gegenstandsklassen einsortiert werden könnten. Vielmehr kann etwas als Zeichen oder als Medium thematisiert werden. Es geht um zwei wohl zu unterscheidende Perspektiven, in denen etwas – zum Beispiel Texte oder Bilder – beschreibbar ist. Wir könnten (ohne das hier weiter zu verfolgen) noch einen Schritt weitergehen und die Dimension der Technik hinzufügen: Medialität, Semiotizität und Technizität bilden drei Perspektiven, in denen kulturelle Phänomene beschrieben werden können und deren variables Wechselverhältnis zu thematisieren den Kern ihrer Analyse bildet. Wenn wir im Folgenden den Begriff ‚Medialität‘ verwenden, ist damit also akzentuiert, dass es sich um eine Hinsicht und Perspektive handelt, in der etwas betrachtet und beschrieben wird. Wir beschränken uns darauf, diese Medienperspektive zu skizzieren; sie ist das, worauf ‚Medienphilosophie‘ zielt.
Medien nicht zum letztbegründenden Apriori in der Nachfolge des ‚linguistic turn‘ zu stilisieren und der damit verbundene Verzicht auf eine fundamentale Konstitutionsleistung bergen eine hier wichtige Facette. Konstruktion und Konstitution werden elementar mit dem demiurgischen Gestus des Machens, Produzierens und Erzeugens verbunden. Diese Emphase schöpferischer Erzeugung findet ihr Echo im traditionellen Subjektbegriff ebenso wie in Friedrich Kittlers Medienmaschinenkonzept. In dem hier zu entfaltenden Ansatz jedoch werden das Verbinden, Zirkulieren, Übermitteln und Übersetzen in ihrem kulturstiftenden Potenzial medientheoretisch rehabilitiert. Dies geschieht mit Hilfe des Botenmodells (Krämer 2008; Zur Figur des Mittlers und Boten: Bahr 1999; Capurro/Holgate 2011; Debray 1994; Hubig 1992; Krippendorf 1994; Siegert 1997; Tholen 2002).