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2. Submediale Räume oder die Physiklosigkeit des Medienträgers

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Dass der Medienträger ein physikalisch beschreibbares Objekt ist, würde auch Groys ganz entschieden in Abrede stellen. In seiner Medientheorie unterscheidet er zwischen dem Archiv der kulturellen Werte und dem profanen Raum. Während sich im Archiv die wertvollen und relevanten Dinge einer Kultur befinden, liegt alles andere im profanen Raum außerhalb des Archivs (Groys 2000: 7). Ganz allgemein ist das Archiv die „Summe aller codierten Zeichen inklusive der Sprache“ (Groys 2000: 42), und es ist angewiesen auf Medienträger wie z.B. „Bücher, Leinwände, Filme, Computer, Museen, Bibliotheken“ (Groys 2000: 44). Zum Archiv gehören also Texte und Bilder, allerdings nicht die genannten Medienträger, denn diese verbergen sich hinter der „Zeichenoberfläche des Archivs“ (Groys 2000: 18).

Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich in dem profanen Raum befinden, den die Physik untersucht. Zweifellos können die Leinwand, der Computer oder der Fotoapparat physikalisch untersucht werden, aber für die Dauer dieser Untersuchung fungieren sie gerade nicht mehr als Medienträger. Insofern mediale Erfahrung und physikalische Analyse einander ausschließen, ist der Medienträger als solcher eben niemals ein physikalischer Gegenstand. Vielmehr befindet er sich, wie es bei Groys heißt, in einem dunklen submedialen Raum, der strikt von dem profanen Raum der Physik getrennt ist. Innerhalb der medialen Erfahrung wird der Medienträger also vom Medienobjekt verdeckt und außerhalb der medialen Erfahrung verwandelt er sich in ein physikalisches Objekt: „Wenn wir ein Gemälde in einer Gemäldegalerie sehen, dann sehen wir die Leinwand, die dieses Gemälde trägt, nicht – um die Leinwand zu sehen, müssen wir das Bild umdrehen, d.h. den Bereich des Archivs verlassen“ (Groys 2000: 21). Es gibt also insgesamt erstens den Bereich der Dinge selbst, eben den profanen Raum, zweitens den Bereich der Zeichen, nämlich das Archiv und schließlich drittens denjenigen der Zeichenträger, den submedialen Raum.

Die szientistisch-technizistische Auffassung, welche in den Medienwissenschaften vorherrschend ist, beruht nach Groys auf einer fälschlichen Identifikation von profanem und submedialem Raum, der auch Wiesing unterliegt, wenn er den Medienträger als ein physikalisch beschreibbares Ding begreift. Auf diese Weise gerate jedoch „die Funktion der Medienträger als Medienträger“ (Groys 2000: 51) aus dem Blick: „Wir können alle Medienträger inklusive des Menschen nur dann wissenschaftlich analysieren, wenn sie gerade nicht effektiv als Zeichenträger dienen. Unser Wissen darüber, wie die Medienträger inklusive des Menschen innerlich beschaffen sind, wenn sie nicht funktionieren, lässt uns bloß vermuten, wie es in ihrem Inneren während der Zeit aussieht, in der sie funktionieren“ (Groys 2000: 51)1.

Da der Medienträger entweder hinter dem Medienobjekt im submedialen Raum verborgen ist oder sich in ein Ding der profanen Außenwirklichkeit verwandelt, ist er Groys zufolge als solcher niemals erkennbar. Der submediale Raum bleibt darum „der dunkle Raum des Verdachts, der Vermutungen, der Befürchtungen“ (Groys: 21). Der Medienrezipient kann nach Groys (2000: 21) gar nicht anders, als hinter der Zeichenoberfläche immer „Manipulation, Verschwörung und Intrige“ zu vermuten. So wie die klassische Ontologie nach dem fragt, was sich hinter den Erscheinungen der Natur verbirgt, provoziert der submediale Raum entsprechend eine medienontologische Frage, die auf „Demaskierung, Entlarvung, Entbergung“ (Groys: 22) abzielt, weil sie wissen will, was sich hinter den medialen Zeichen verbirgt.

Insofern den einzelnen Menschen eine Zeichenoberfläche umgibt, hinter dem sich ein materieller Zeichenträger – eben sein menschlicher Körper – befindet, ist auch jeder Mensch für Groys ein Medium, sogar das Paradebeispiel für ein Medium. Der Einzelne gibt anderen Menschen etwas von sich zu sehen und zu hören, und dahinter verbirgt sich, wie Groys (2000: 78) meint, seine Subjektivität. Was genau ist aber nun in diesem Fall das Medium? Der ganze Mensch, sein Körper oder nur seine Subjektivität? Eine genaue Antwort bleibt Groys schuldig. Jedenfalls ist festzuhalten, dass auch die menschliche Subjektivität als ein submedialer Raum aufgefasst wird. Der submediale Raum ist für Groys (2000: 29) sogar der „Raum der Subjektivität par ecxellence“. Die Frage, ob mein Gesprächspartner wirklich sagt, was er meint, zielt demzufolge auf das Submediale hinter der medialen Oberfläche seiner gesprochenen Worte, eben auf seine wahren Gedanken und Absichten.

Wenn wir nicht anders können als unterstellen, dass sich hinter der medialen Oberfläche ein submedialer Raum befindet, gibt es dann vielleicht hin und wieder Zeichen auf der Oberfläche, die eine Auskunft erteilen über das verborgene Innere? Wie Groys an dieser Stelle das Problem angeht, ist zumindest originell, denn er nimmt als Beispiel die Verrücktheiten eines Menschen, weil diese üblicherweise doch als Einbruch von Aufrichtigkeit und Authentizität eingeschätzt werden. Jene unsinnigen Äußerungen unterrichten uns zwar nicht mehr zutreffend über einen Sachverhalt in der Welt, aber sie scheinen doch einen Einblick in die Beschaffenheit eines submedialen Inneren, also der sprechenden Subjektivität selbst zu gewähren. Mit anderen Worten, weil solche verrückten Aussagen zwar falsch, aber offenbar aufrichtig sind, interessiert uns ihre Medialität, wenn auch weniger ihre Referentialität (Groys 2000: 70). Vergleichbar ist dieser Moment der Wahrheit für Groys (2000: 53) mit dem Extremfall des Krieges, in dem nach landläufiger Meinung der Charakter eines Menschen offen zutage treten soll.

Und so wie der Krieg möglicherweise das Submediale eines Menschen zum Vorschein bringt, so versucht die künstlerische Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie Groys nun fortfährt, das Submediale der Malerei zum Thema zu machen. Mit dem Versuch einer Abkehr von jeglicher Referentialität will die Avantgarde jeden anderen Gehalt außer dem des Mediums selbst aus ihren Produkten verbannen, womit sie bereits McLuhans berühmtes Schlagwort vorwegnimmt, dass das Medium die Botschaft sei: „Aus der Malerei sollte alles Mimetische, Sujethafte, Literarische entfernt werden, um reine Kombinationen von Formen und Farben sichtbar zu machen […]. Die Abkehr der modernen Kunst von der Referentialität, von der Mimesis war kein Akt der individuellen Willkür, sondern eine Folge der systematischen Suche nach der Wahrheit des Medialen – nach der medialen Aufrichtigkeit, bei der sich das Medium, das sich üblicherweise hinter der intendierten Mitteilung verbirgt, so zeigt, wie es ist“ (Groys 2000: 94f.).

Die kubistischen Künstler wollen also nach dieser Interpretation die Medialität bzw. die Bildlichkeit des Bildes selbst offenlegen, so wie auch der Krieg der Ausnahmefall sein soll, in dem sich zeigt, was in einem Menschen steckt (Groys 2000: 102f.). Groys (2000: 106) ist sich allerdings im Klaren: Auch auf diese Weise kann der medienontologische Verdacht nicht zum Schweigen gebracht werden, denn woher werde ich jemals wissen, ob es sich im Einzelfall wirklich um einen solchen Ausnahmezustand handelt? Gibt das Bild einen Einblick in die Beschaffenheit des submedialen Raums oder ist es nicht doch nur eine weitere Zeichenmanipulation? Darum hat der medienontologische Verdacht das erste und das letzte Wort in Groys Phänomenologie der Medien.

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