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3. Fellmann, Wiesing, Merleau-Ponty, Waldenfels, Schürmann: Kritik der Epoché, intersensorische Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Seh-Akte

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Wie oben schon kurz angedeutet, wird die phänomenologische Reduktion an der Stelle heikel, an der das Subjekt an sich selbst die Einklammerung der Seinssetzung, die Epoché, vollziehen soll. Husserl behauptet damit nicht weniger als die Möglichkeit der Hintergehbarkeit des eigenen, empirischen Ichs, wobei er freilich ständig eingestehen muss, dass das empirische und das reine Ich nach der Stufe der „Reinigung“ zusammenfallen würden. Dieser Teil der phänomenologischen Reduktion bleibt dunkel und rätselhaft. Das Subjekt, das die Reduktion an sich vollzieht, ist empirisch, und damit ist die Reduktion selbst psychologisch-kausal gefasst. Genau deswegen interpretierten ja viele Husserlschüler die Ideen 1 als einen Rückfall in die Psychologie. Ferdinand Fellmann (1989, S. 127) hat diese Aporie der phänomenologischen Reduktion folgendermaßen formuliert: „Niemand weiß, was mein reines Bewusstsein wirklich bedeutet. Denn solange das Bewusstsein meines ist, also empirisch, ist es nicht rein, und wenn ein Bewusstsein rein ist, also Bewusstsein überhaupt, dann ist es nicht empirisch. Hier liegt das Dilemma der transzendentalen Phänomenologie. Sie will keine Introspektion sein. Das wäre Psychologie, welche die Geltungsansprüche, an denen die Phänomenologie festhält, zerstört. Gleichwohl bleibt die Phänomenologie der subjektiven Seite des Erkenntnisvollzugs zugewandt. Wie ist das möglich? Subjektivität ohne Subjektivismus – das ist das ungelöste Rätsel der Reduktion“.

Auch Lambert Wiesing sieht die husserlsche Epoché kritisch und zeigt auf, dass sie sich sinnvoll vom Bereich des Bewusstseins überhaupt (Husserl) auf den Bereich des Bildes übertragen lässt. Das Bewusstsein ist intentional und das Bild ist intentional. Zusätzlich sind beide medial transparent. Das heißt, bei beiden macht die Epoché Sinn. Beim durch die Epoché vollzogenen Übergang von der natürlichen Einstellung zu künstlichen Einstellungen wird einmal bei Husserl die Blickrichtung auf das Wie der Gegebenheit der Gegenstände im Bewusstsein gelenkt, und das andere Mal wird die Sichtbarkeit des Bildes selbst zum Thema. Das Bild wird nach der Epoché als bedeutungsbildendes Medium gesehen. Im Grunde versuchte das bereits die formale Ästhetik, zum Beispiel bei Heinrich Wölfflin, im 19. Jahrhundert. Denn sie „ist der Versuch das Bild als eine Fläche zu sehen, um so die Oberfläche des Bildes zu einem Phänomen werden zu lassen. Es geht ihr um einen Ästhetisierungsprozess, das heißt um eine Sensibilisierung für anästhetische Aspekte des Bildes. […] Das Ziel ist eine Inversion der immanenten Ästhetik-Anästhetik-Relation des Bildes. Die Kraft des Bildes, den Blick durch die Oberfläche bis auf das Dargestellte zu ziehen, wird durch die Epoché künstlich außer Kraft gesetzt, um so, nachdem der Blick beim Dargestellten angelangt war, sozusagen aus der Tiefe, nicht direkt von vorn, sondern von hinten zur Oberfläche wieder aufzutauchen“ (Wiesing 1997: 216f.).

Formale Ästhetik darf dabei auf keinen Fall verwechselt werden mit dem im Architektur- und Designbereich häufig pejorativ verwendeten Begriff der Formalästhetik. Von letzter spricht man, wenn ich „direkt von vorn“ zur Oberfläche sehe und dabei vor den Bildinhalten innehalte und das Bild damit lediglich als Fläche betrachte, auf der formale Elemente und Grau- oder Farbwerte verteilt sind. Dann bekomme ich die Bildoberfläche lediglich als Ornament ins Blickfeld, und genau das wollte ja die formale Ästhetik unbedingt vermeiden. Stil wird damit ein Gegenbegriff zum Ornament: Stil ist die Bedingung der Möglichkeit, mit einem Bild auf etwas außerhalb des Bildes verweisen zu können. Der Stil ist das, was jede Bedeutung ermöglicht. Zusammenfassend lautet die These Wiesings: Will man die Epoché auf das Bewusstsein allgemein ansetzen, verwickelt man sich in Aporien, während es für die Bildbetrachtung äußerst sinnvoll ist, die Epoché vorzunehmen.

Maurice Merleau-Ponty hat die Leibphänomenologie Husserls auf interessante Weise fortgeführt und dabei die Aporien der transzendentalphilosophischen Konzeption der Phänomenologie umgangen. Er hat die Wahrnehmung als intersensorische ausgeführt. Was Husserl in den Ideen 2 bereits erkannt hat, dass nämlich die Wahrnehmung zu verstehen ist als ein sich stetig abgleichendes System der verschiedenen leibgebundenen Sinnesfelder, wird nun von Merleau-Ponty in der Phänomenologie der Wahrnehmung bis ins Detail ausgeführt. Die verschiedenen Sinne, das Akustische, Visuelle, Olfaktorische und Haptische stehen in Interaktion und es gibt zwischen ihnen eine Art Stellvertretersystem. Wir sehen eine Farbe und assoziieren dazu einen Klang oder Geruch – wir nehmen stets mit allen Sinnen gleichzeitig wahr, und die Fokussierung auf einen Sinn ist eine eher selten vorkommende Abstraktion, zum Beispiel, wenn wir uns auf das Blau des Himmels konzentrieren. Entscheidend ist dabei die zentrale Stellung des Leibes, der gleichsam als Übersetzer zwischen den Sinnen wirkt. Die Synthesisleistungen dieser „Übersetzungen“ werden dabei nicht durch das denkende, reflektierende Subjekt willentlich realisiert, sondern es sind solche des leiblichen Ichs. Erst wenn Probleme bei der Auffassung von Sinnesdaten auftreten, gehen wir in die Reflexion. Fiona Hughes (2005: 183) schreibt dazu: „Meine Sinne nehmen auf, was immer schon da ist, schon fertig ist. Ich konstituiere nicht die Welt, sondern ich rekonstituiere sie. Aus diesem Grund sagt Merleau-Ponty gegen Hegel, dass das Subjekt ‚eine Höhlung und kein Loch‘ [un creux, pas un trou] im Sein sei. Ich bin co-natürlich mit der Welt. Ich bin ein Subjekt, insofern ich Welt aufnehme, die meinem Eingreifen immer schon vorgängig ist. Das Subjekt ist weder nur Denken noch passiver Rezipient“. Hier wird nun deutlich, dass sich bei Merleau-Ponty die Aporien der husserlschen transzendentalphilosophischen Konzeption deswegen nicht ergeben, weil er den Leib als Subjekt/Objekt auffasst. Ich bin Sehender/Gesehener, Berührender/Berührter. Die Hauptthese von Merleau-Ponty (1986: 191) in Das Sichtbare und das Unsichtbare ist die von der Reversibilität zwischen Sehendem und Gesehenem: „das Fleisch, von dem wir sprechen, ist nicht die Materie. Es ist das Einrollen des Sichtbaren in den sehenden Leib, des Berührbaren in den berührenden Leib, das sich vor allem dann bezeugt, wenn der Leib sich selbst sieht und sich berührt, während er gerade dabei ist, die Dinge zu sehen und zu berühren, sodaß er gleichzeitig als berührbarer zu ihnen hinabsteigt und sie als berührender alle beherrscht und diesen Bezug wie auch jenen Doppelbezug durch Aufklaffen oder Spaltung seiner eigenen Masse aus sich selbst hervorholt“. Es ist die Leiblichkeit, die Subjekt und Objekt teilt und damit Sehen und Berühren möglich macht. Das Ich ist jetzt nicht mehr logisches Bedingungs-Ich oder logischer Bedingungs-Leib wie in der Transzendentalphilosophie Husserls, sondern gekennzeichnet einmal durch den Chiasmus von Sehender/Gesehener und Berührender/Berührter und zusätzlich durch den Chiasmus „zwischen dem Berührbaren und dem Sichtbaren, das in das Berührbare eingebettet ist, ebenso wie umgekehrt dieses selbst kein Nichts an Sichtbarkeit, nicht ohne visuelle Existenz ist. Derselbe Leib sieht und berührt, und deshalb gehören Sichtbares und Berührbares derselben Welt an“ (Merleau-Ponty 1986: 177).

Bernhard Waldenfels, der zusammen mit Regula Giuliani Das Sichtbare und das Unsichtbare von Merleau-Ponty ins Deutsche übersetzt hat, hat 2004 sein Buch Phänomenologie der Aufmerksamkeit veröffentlicht. Er behandelt hier einen Gegenstand, der philosophisch schwer zu fassen ist. Die Aufmerksamkeit ist eine Art Schwellenphänomen, es geht bei ihr darum, wann eine unmerkliche Rezeption in eine bewusste Apperzeption übergeht. Wann hebt sich ein Gegenstand im Bewusstsein ab und wann verschwindet er, wann springt etwas aus der Reihe und fällt auf? Das kann ein Inneres sein, wie Schmerz, oder etwas Äußeres, wie ein Erdbeben. Die Aufmerksamkeit bewegt sich „zwischen den Extremen einer schläfrigen Monotonie, wo nichts mehr auffällt, und der Überwachheit des Schocks, wo etwas völlig aus dem Rahmen fällt und uns fassungslos macht“ (Waldenfels 2004: 130). Waldenfels unterscheidet zwischen primären oder kreativen und einer sekundären, eher repetitiven Aufmerksamkeit. Die erste Form ist die einer Ermöglichung, während die zweite Form eher den Status eines Wiederauffallens hat. Laut Waldenfels gibt es eine mediale Bindung der Aufmerksamkeit, die er folgendermaßen beschreibt. Aufmerksamkeit umfasst die Doppelbewegung von Auffallen (das Was, das auffällt/Objekt) und Aufmerken (der Wer, der aufmerkt/Subjekt). Zwischen diese beiden schieben sich nun Modalitäten, Techniken und Medien und bilden Zwischeninstanzen, wobei den Modalitäten das Wie, den Techniken das Womit und den Medien das Wodurch der Erfahrung zugeschrieben wird. Waldenfels nennt dies mediatisierte Erfahrung (vgl. Waldenfels 2004: 113). Diese Zwischeninstanzen führen nun auf je verschiedene Weise dazu, dass Aktualitäten der Aufmerksamkeit sedimentiert und zu Habitualisierungen des Aufmerksamkeitsverhaltens werden – aus kreativer Aufmerksamkeit wird repetitive. Weil wir Leibkörper oder Subjekt/Objekt sind, und beide keine bruchlose Einheit bilden, ist die durchgehende Medialität der Erfahrung prototypisch in der leiblichen Selbsterfahrung angelegt.

Eine produktive Verknüpfung der Phänomenologie mit Elementen der analytischen Philosophie leistet Eva Schürmann (2008, 2017). Indem sie die Performativität als Strukturelement jeder Praxis fasst, vermeidet sie die problematischen philosophischen Gegenüberstellungen von Sensualismus und Mentalismus einerseits und Realismus und Konstruktivismus andererseits. So wie in der Sprechakttheorie der Fokus auf den Sprachvollzug gelegt wird, fokussiert sie das Ereignis des Sehens und zeigt auf, dass eine Theorie des Sehens gut von den Resultaten der Sprechakttheorie profitieren kann. Sie geht vom Doppelsinn von Medium als Mittel und Milieu aus. Das Sprechen wie auch das Sehen vermitteln einerseits zwischen Welt und Bewusstsein und sind zugleich spezifische Handlungen. Beide bilden die Welt nicht einfach ab, sondern operieren selektiv und sind somit produktive Akte. Sowenig sich das Sprechen im propositionalen Gehalt erschöpft, sowenig erschöpft sich das Sehen im Sehen-dass. So wie es in der Sprache feststehende Begriffe gibt, gibt es kollektive Sehgewohnheiten, die beide im Sinne einer Lebensform das Sprechen und Wahrnehmen präfigurieren.

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