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NächstenliebeNächstenliebe im Kontext von Gottes- und SelbstliebeSelbstliebe

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Im ↗︎ TanachTanach wird sowohl die Gottes- als auch die NächstenliebeNächstenliebe mit dem hebräischen Verb ’āhav ausgedrückt (210 Belege), von dessen Wurzel ’hb auch das fem. Nomen ’ǎhavāh für LiebeLiebe abgeleitet wird (37 Belege). Andere hebräische Verben für „lieben“ wie etwa „begehren“, „anhangen“ (dāvaq) „gernhaben“, „Gefallen haben an“ (ḥāpaš) oder „zugetan sein“ (ḥāsaq) spielen im Zusammenhang der Gottes- und Nächstenliebe kaum eine Rolle. Die SeptuagintaSeptuaginta übersetzt ’hb und seine verbalen Ableitungen mit dem griechischen Verb agapáō bzw. dem Nomen agápē. Diese Wortgruppe ist auch zentral für die neutestamentliche Liebesvorstellung (insgesamt 320 Belege). Die griechischen Begriffe mit den Bedeutungsaspekten „freundschaftlich lieben“ (philéō, philía; 26 Belege) oder „Bruderliebe“ (philadelphía, philadelphós; 7 Belege) finden sich schwerpunktmäßig in johanneischen und paulinischen Texten. Das Verb „lieben, begehren“ mit seinen Ableitungen (eráō, erōs) kommt im Neuen Testament nicht vor.

In der Umwelt Israels gibt es die Vorstellung von Liebesverhältnissen zwischen Gott und König bzw. König und Volk, wobei die LiebeLiebe sowohl in juristischen als auch in emotionalen Kategorien beschrieben wird. Die Liebe des übergeordneten Partners äußert sich als Gunst, Schutz und FürsorgeFürsorge, der untergeordnete Partner ist verpflichtet zu Treue, Gehorsam und Dankbarkeit. Im Alten Testament gilt die Liebe Gottes üblicherweise jedoch nicht dem König, sondern unmittelbar dem Volk Israel, das entsprechend allein seinem Gott, nicht jedoch anderen Herrschern oder Gottheiten zu Gehorsam, Treue und Verehrung verpflichtet ist. Grundlegend ist die Vorstellung der Liebe Gottes zu seinem Volk: Gott hat Israel erwählt und aus Ägypten gerettet (Dtn 7,7fDtn7,7f; 10.15Dtn10.15; Hos 11,1–4Hos11,1–4). Die Liebe Gottes gilt auch den FremdenFremde (Dtn 10,19Dtn10,19; Ps 146Ps146,9Ps146,9). Dies wird ausgeweitet zur Vorstellung, dass die Liebe Gottes allen Menschen bzw. der ganzen SchöpfungSchöpfung, Geschöpf gilt (Jes 2,2–4Jes2,2–4; Mi 4,1–5Mi4,1–5; Weish 11,23–26Weish11,23–26; Ps 145,9Ps145,9). Das Volk Israel wird aufgefordert, Gott zu lieben, was sich als (Ehr-)Furcht (hebr. Wurzel jr’, nominal jir’āh), DienstDienst bzw. Verehrung (‘bd, nominal: ‘ǎvodāh) und Befolgung seiner Gebote konkretisiert (Dtn 6,4–9Dtn6,4–9; 10,12fDtn10,12f). Zu diesen Geboten gehört zentral das Nächstenliebegebot (Lev 19,18Lev19,18), das auch Fremde einschließt, die als ausländischer Mitbürger*innen im Land Israel wohnen und wie jene vom eigenen Volk gelten sollen (Lev 19,33fLev19,33f → 4.3 AsylAsyl, AusländerAusländer und Fremde). „Nächste“ sind zu verstehen als Nahestehende oder Mitmenschen, zu denen im Rahmen der engen sozialen Beziehungen der Antike ein Bezug besteht. Wichtig ist, dass in Lev 19Lev19 der oder die Nächste gerade auch in einer konflikthaften oder sogar feindlichen Beziehung zu den Angesprochenen vorgestellt werden, denn es wird gefordert, auf Zurechtweisung, Hass oder Rache zu verzichten (Lev 19,17fLev19,17f; vgl. auch Ex 23,4fEx23,4f; Spr 20,22Spr20,22; 24,17.29Spr24,17.29). In das Gebot der NächstenliebeNächstenliebe ist folglich die Feindesliebe eingeschlossen. Die Liebe- und Fürsorgepflicht gilt – nach dem Vorbild der Liebe Gottes – vor allem den bedürftigen Mitmenschen (personae miserae), zu denen auch Fremde gezählt werden (Dtn 10,17–19Dtn10,17–19; Lev 19Lev19). Das Gebot der Nächstenliebe ist eine Grundnorm für ein gutes Leben im Sinne Gottes, welche die soziale VerantwortungVerantwortung nach dem Vorbild Gottes betont. In der Liebe zu den Mitmenschen realisiert sich die Liebe zu Gott (vgl. Hos 6,6Hos6,6; Spr 14,31Spr14,31). Daran knüpfen die neutestamentlichen Liebesvorstellungen an.

Die Gebote der LiebeLiebe Gottes (Dtn 6,5Dtn6,5) und der Nächsten (Lev 19,18Lev19,18) werden nach der Darstellung der synoptischenSynoptiker, synoptisch Evangelien von Jesus verbunden (Mk 22,35–40Mk22,35–40; Mk 12,28–32Mk12,28–32; Lk 10,25–27Lk10,25–27) und gelten für ihn als Zusammenfassung der ↗︎ ToraTora bzw. des göttlichen Willens. Auch Paulus versteht das Nächstenliebegebot als Erfüllung der ganzen Tora und Grundnorm aller Gebote Gottes (Röm 13,9Röm13,9; Gal 5,14Gal5,14). In Jak 2,8 gilt das Nächstenliebegebot als das „königliche Gesetz“. Vor allem in der johanneischen Tradition wird die Bruderliebe – heute würden wir von „Geschwisterliebe“ sprechen – nach dem Vorbild der Liebe Jesu betont, die sich in gegenseitiger Liebe innerhalb der Nachfolgegemeinschaft zeigt (Joh 13,34Joh13,34; 1 Joh 2,3–111Joh2,3–11; 3,16–241Joh3,16–24; 4,20f1Joh4,20f; 2 Joh 52Joh5). Mt 7,12Mt7,12 und Lk 6,31Lk6,31 erläutern die NächstenliebeNächstenliebe mit Hilfe der Goldenen Regel. Mt 5,43–48Mt5,43–48 und Lk 6,27–36Lk6,27–36 fordern explizit die Feindesliebe, die mit der umfassenden Liebe Gottes zu allen seinen Geschöpfen begründet wird (Mt 5,45Mt5,45; Lk 6,36Lk6,36). Die Liebe Gottes, die der Liebesforderung vorausgeht, zeigt sich in der Sendung Jesu, in seinem Leben und SterbenSterben für die Menschen (Joh 3,16Joh3,16; 13,1Joh13,1; 15,13Joh15,13).

Die LiebeLiebe Gottes zu den Menschen und die Forderung von Gottes- und NächstenliebeNächstenliebe gehören zusammen. Jesu Liebe zu den Menschen, in der sich die Liebe Gottes zeigt, wird zum Maßstab für die von den Menschen geforderte Liebe (Mt 5,17–20Mt5,17–20; 22,36–39Mt22,36–39; Joh 13,34Joh13,34; Kol 3,13Kol3,13 → 2.4 Ansätze biblischer Ethik). Die Liebe der Menschen zu Gott konkretisiert sich in der Liebe zum Mitmenschen (Mt 22,37–39Mt22,37–39; 1 Joh 4,20f1Joh4,20f). Gottesliebe ohne Nächstenliebe ist unglaubwürdig (1 Joh 3,171Joh3,17; 4,81Joh4,8; Jak 2,15–17Jak2,15–17).

So wie die LiebeLiebe Gottes allen Geschöpfen unabhängig von ihrem Verhalten gilt (Mt 5,45Mt5,45; Lk 6,36Lk6,36; Joh 3,16Joh3,16), gilt auch das Gebot der NächstenliebeNächstenliebe mit Blick auf alle Menschen. Zwei Erzählungen, die für die Geschichte der DiakonieDiakonie besonders einflussreich waren, thematisieren die Frage nach Subjekten und Objekten der Nächstenliebe: das Gleichnis vom barmherzigen SamariterSamaritaner, Samariter im Kontext der Frage nach dem höchsten Gebot (Lk 10,25–37Lk10,25–37) und die gleichnishafte Rede vom Endgericht im Rahmen der Mahnungen Jesu zur Wachsamkeit angesichts seines bevorstehenden TodesTod (Mt 25,31–46Mt25,31–46). In der Beispielgeschichte vom barmherzigen Samariter gelten nicht mehr nur die Empfänger der barmherzigen Zuwendung als „Nächste“, sondern vor allem die barmherzig Handelnden, die sich vom Leid ihrer Mitmenschen anrühren lassen und in der VerantwortungVerantwortung stehen, diesen durch helfendes Handeln Nächstenliebe zu erweisen und so zu Nächsten zu werden (→ 7.4 Barmherzige und hörende Liebe).

In der gleichnishaften Rede vom Endgericht werden alle Menschen, ohne dass deren Religions- oder Volkszugehörigkeit thematisiert werden, danach gefragt, ob sie den Menschen in Not geholfen haben, die ihnen begegnet sind. Die barmherzige Zuwendung zu den Mitmenschen gilt als LiebeLiebeserweis gegenüber dem Richter und damit gegenüber Jesus selbst. Jesus solidarisiert sich dadurch mit allen notleidenden Menschen und erwartet in einem universalen Sinn zwischenmenschliche Solidarität (→ 7.5 Weltgericht). Helfendes Handeln im Sinne der NächstenliebeNächstenliebe überschreitet in diesen Texten die Grenzen von Sympathie, Religion und Völkern, was sowohl für die Helfenden als auch für die – in dieser Situation – auf Hilfe Angewiesenen gilt. So universal wie die Liebe Gottes allen Menschen gilt, erfüllt sich nach der Botschaft des Neuen Testaments in der liebenden Zuwendung zu den Mitmenschen der in den Liebesgeboten formulierte Wille Gottes (Mt 5,45Mt5,45; 7,12Mt7,12; 25,40Mt25,40; Lk 6,31Lk6,31; 10,25–37Lk10,25–37).

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