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b) Die historische Semantik von Kultur in ihrem Verhältnis zur Sprache

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Vieles spricht dafür, dass die abendländischen Semantiken von Kultur und Sprache mehr oder weniger gleichursprünglich sind. So gilt der griechischen Antike die Beherrschung ihrer Sprache als Ausweis von ›Kultur‹, so dass alle diejenigen, die nicht über das Griechische verfügen, als sprachunfähige Barbaren gelten. Die griechische Kultur ist einerseits strikt einsprachig (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 25f.), dabei zugleich offen für binnensprachliche Varianz, verfügt aber andererseits nicht über die Vorstellung von Spracheinheiten, also von in irgendeiner Form abgeschlossenen und voneinander abgrenzbaren Idiomen (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 303–305). Die Differenz Kultur/Barbarei bleibt zunächst die einzig denkbare Unterscheidung, auch wenn sie in ganz unterschiedlicher Art relativiert wird, etwa in HerodotHerodots Ausführungen über die Ägypter, für die u.a. die Griechen βάρβαροι (Barbaren) sind (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 303f.); in der Stoa, die asymmetrische Gegenbegriffe für die Einteilung der Menschheit zu überwinden versucht, und schließlich insofern, als die Differenz zwischen Griechen und Barbaren zum Teil auch zeitlich gedacht wird, so dass die Griechen sich mit der Kulturalität ihrer Sprache zugleich auch Fortschrittlichkeit attestieren (KoselleckKoselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik«, 222–229; zur Spannweite der griechischen Auffassungen über Sprach- und Völkervielfalt siehe BorstBorst, Arno, Der Turmbau von Babel, 89–108).

Auch wenn sich bereits in AristotelesAristoteles’ Poetik Überlegungen zu den ›Wortarten‹ finden, bezeugt die sich verdichtende Überlieferung grammatischer Traktate im Hellenismus und um die Zeitenwende ein erstarkendes Bewusstsein für die Regelhaftigkeit von Sprachsystemen und damit auch für die Differenzen zwischen unterschiedlichen Idiomen. Hintergrund dieser Entwicklung ist nicht zuletzt die Etablierung des Lateinischen als einer zweiten überregionalen und zunehmend kodifizierten Sprache, die insbesondere ihr Verhältnis zum Griechischen zu regeln hat (LeonhardtLeonhardt, Jürgen, Latein, 53–89). Es etablieren sich so einerseits vergleichsweise strikte Begriffe von Sprachrichtigkeit (latinitas) und damit auch striktere Vorstellungen von ›sprachlicher Einheit‹; andererseits wird Sprachrichtigkeit – insbesondere bei QuintilianQuintilian, Marcus Fabius – als grundsätzlich offen für rhetorisch motivierte Grenzüberschreitung beschrieben (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 45–55). Pointiert lässt sich formulieren, dass damit die Sprache im Licht der Rhetorik als eine Art Mechanismus kultureller Variation erscheint. Allerdings empfehlen die Rhetoriker, Abweichungen von der Sprachrichtigkeit behutsam und wenn möglich unter Berufung auf Autoritäten einzusetzen.

Auch die wichtigsten Belegerzählungen der jüdischen und dann der christlichen Tradition für Fragen der Sprachdifferenz, die Babel- und die Pfingstwundererzählung, weisen Sprache als Anzeichen oder Instrument von Kultur aus. So hat der Bau des Turms zu Babel das Ziel, den Zusammenhalt der Menschheit zu sichern (Gen 11) – widerspricht damit aber dem göttlichen Willen, der mit der Besiedlung der Erde durch die Menschen offenbar auch die Zerstreuung ihrer Sprachen vorgesehen hat (Gen 1.26–28).1Borst, ArnoBorst, Arno Umgekehrt ist die Verheißung des Pfingstwunders auch eine der Aufhebung aller Sprachdifferenzen im und durch den christlichen Glauben.

Die im weitesten Sinne kulturelle Unterscheidung zwischen Christen und Heiden, die in vielerlei Hinsicht die ältere Differenz zwischen Hellenen und Barbaren beerbt (KoselleckKoselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik«, 229–244), hat so einerseits einen sprachtranszendierenden Impetus. Ein Beispiel dafür ist die Abwendung des Kirchenvaters AugustinusAugustinus von Hippo von der Kunst der Rhetorik. Augustinus spielt in PaulinischerPaulus von Tarsus Tradition das Wort Gottes gegen das menschliche, auf die Pluralität von Wörtern angewiesene Sprechen aus (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 83–91) und bereitet so die Verknüpfung christlicher Theologie mit einem sich auf AristotelesAristoteles rückbeziehenden Denken vor, das Gedanken bzw. Logik unabhängig von Sprache und damit auch von partikularen Kulturdifferenzen konzipiert (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 25–34, 45–52). Andererseits entwickelt das Christentum – auch hier ist AugustinusAugustinus von Hippo eine prägende Kraft – in Fortschreibung antiker Rhetorik und Grammatik eine sehr konkrete und folgenreiche Sprachpolitik, denn es macht hochgradig kodifizierte ›heilige‹ Sprachen, vor allem das Lateinische und nur in Nebenrollen das Griechische und das Hebräische, zum zentralen Organon der kirchlichen Verwaltung des Seelenheils aller Menschen. Die u.a. von AugustinusAugustinus von Hippo ausgehende Aneignung und Umschrift der antiken Überlieferung durch das Christentum führt schließlich – vermittelt u.a. über die sog. karolingischeKarl der Große Bildungsreform, durch die das Lateinische überdies zur zentralen Verwaltungssprache avanciert – zur Sammlung des christlich fundierten Weltwissens in Systemen der hochmittelalterlichen Scholastik. Das scholastische Latein, in dem dieses System formuliert wird, avanciert zum zentralen Medium christlich-abendländischer Sprach- und Kulturpolitik (zu den Veränderungen, die es dabei durchläuft, siehe LeonhardtLeonhardt, Jürgen, Latein, 172–186).

Einen weiteren entscheidenden Schritt hin zu einem modernen Kulturbegriff leistet – ausgehend von der Zeit der karolingischenKarl der Große Reformen (LeonhardtLeonhardt, Jürgen, Latein, 140–148) – seit dem Hochmittelalter einerseits das zunehmende Erstarken der Volkssprachen, andererseits die humanistische Bewegung zur Wiederherstellung der antiken Quellen und des antiken Lateins. So erfolgt der Rückgriff auf möglichst originale Sprachzeugnisse des Griechischen wie des Lateinischen zumindest implizit – wie man am Ausufern der kommentierenden Vermittlung der Texte ablesen kann – vor dem Hintergrund eines neuen Bewusstseins für ihre Fremdheit (vgl. GraftonGrafton, Anthony, »The Humanist as Reader«). Der Humanismus ist so auch eine Bewegung zur Wiederaneignung einer fremdgewordenen (und zugleich in der Wiederaneignung in dieser Fremdheit affirmierten) Vergangenheit des kulturell Eigenen (vgl. TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 76–83). Das Erstarken der Volkssprachen wiederum kann einerseits als Emanzipationsbewegung verstanden werden. Dies signalisiert insbesondere die Semantik der Muttersprache, deren Beginn in Dante AlighieriDante Alighieris Schrift De vulgari eloquentia (1303–1305) zu sehen ist: DanteDante Alighieris Bemühungen gelten einer Sprache jenseits der grammatica, also jenseits des Lateinischen. Dabei wird der besondere Wert dieser Sprache damit in Verbindung gebracht, dass sie der Mensch ›natürlich‹ entwickelt, wohingegen Latein ›künstlich‹ gelehrt wird (BonfiglioBonfiglio, Thomas Paul, Mother Tongues and Nations, 72f.). Allerdings ist andererseits schon DanteDante Alighieris Schrift, die überdies für etwa zwei Jahrhunderte keine Anschlüsse findet, keineswegs darauf aus, die tatsächlich gesprochenen Volkssprachen zu nobilitieren; noch geht es um die Entwicklung einer Nationalsprache; vielmehr interessiert DanteDante Alighieri die Konstitution einer literarischen Hochsprache (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 70–72). Auf die Volkssprache wird so der Anspruch der grammatica übertragen – wodurch aus ihr allerdings auch eine andere Sprache wird.

Eine wesentliche kultur- und sprachpolitische Konsequenz der neuen Muttersprachen­semantik ist seit der Frühen Neuzeit gleichwohl die Identifizierung der zunehmend kodifizierten modernen Sprachen mit denjenigen Idiomen, die die jeweilige Nation ›von Natur aus‹ spricht. Anders formuliert: In Kontexten wie der italienischen Diskussion über die ›Questione della lingua‹ (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 84–106), in der Entwicklung der ersten neusprachlichen Grammatiken, Wörterbücher und Orthographien wird zwar die grammatische Einheitlichkeit der jeweiligen Volkssprachen behauptet und sprachpolitisch etabliert (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 327–338), zugleich wird dieses Faktum aber ausge­blendet und zunehmend durch die Behauptung der natürlichen Einheit der nationalen Sprachen überdeckt. Am Ende dieser Entwicklung steht spätestens um 1800 die Auffassung, der Muttersprachler sei als Verkörperung ›seiner‹ Muttersprache aufzufassen, wie sie etwa bei Johann Gottfried HerderHerder, Johann Gottfried oder bei Jacob GrimmGrimm, Jacob zu finden ist (vgl. MartynMartyn, David, »Es gab keine Mehrsprachigkeit«). Die Volkssprachen haben in diesem Moment einerseits die Heiligen Sprachen beerbt, so dass es nur konsequent ist, wenn das Lateinische zum Ende des 18. Jahrhunderts plötzlich als ›tote Sprache‹ bezeichnet wird (LeonhardtLeonhardt, Jürgen, Latein, 6–16). Andererseits erhalten sie einen gänzlich neuen Status, denn in ihnen wird die grammatica als Quasi-Natur zum Garanten kultureller Einheit.

Diese Entwicklung betrifft aber nur einen Aspekt des sich in der Neuzeit formierenden Verhältnisses von Kultur- und Sprachbegriff. Komplementär, wenn auch in leichter Spannung zur Muttersprachensemantik, etabliert sich der moderne Kulturbegriff im 18. Jahrhundert als Korrelat einer neuartigen Praxis des Vergleichens (BaeckerBaecker, Dirk, Wozu Kultur, 44–57). Sie stellt die Selbstverständlichkeiten der sozialen Praxis und vor allem der gesellschaftlichen Erzeugung von Signifikanz grundsätzlich und systematisch in Frage und macht ihre Kontingenz sichtbar. Die Bereitschaft zur Einräumung von Kontingenz ist wahrscheinlich das eigentlich Moderne an diesem Kulturbegriff, der so betrachtet in erster Linie eine Verunsicherung mit sich bringt.

Gleichwohl steht diese Auffassung von Kultur in enger Relation zu derjenigen, dass die Muttersprache kulturelle Einheit garantiere. Beide werden teils von denselben Autoren vertreten, beispielsweise von HerderHerder, Johann Gottfried. Dessen epochemachende Arbeit zum Sprachursprung führt die Sprache des Menschen unmittelbar auf die Fähigkeit zurück, aus der Masse der Sinnesdaten wiederholt Merkmale herauszufiltern und sie damit als wiederholbare Zeichen zu konstituieren.2Herder, Johann GottfriedBollacher, MartinGaier, Ulrich Dabei legt HerderHerder, Johann Gottfried besonderen Wert darauf, diese Operation mit Blick auf die Sinnesdaten als kontingent auszuweisen: Die Dinge selbst legen nicht schon fest, was an ihnen für den Menschen zeichenhaft werden kann. Auf diese Weise erklärt sich für HerderHerder, Johann Gottfried auch, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Arten und Weisen entwickelt haben, Sprachzeichen zu konstituieren, woraus er wiederum die kulturelle Vielfalt der Menschheit und auch die Spannungen und Konflikte zwischen den Völkern ableitet (vgl. Dembeck, »X oder U?«). Diese Vielfalt mit kontingenten Grundlagen kann dann ebenso Ausgangspunkt des modernen kulturellen Vergleichs werden, wie sie auch Anlass geben kann zu jener Wertschätzung kultureller Ursprünglichkeit, für die Herders Name einsteht, d.h., zur Wertschätzung von kultureller und sprachlicher Partikularität, die HerderHerder, Johann Gottfried und nach ihm beispielsweise Wilhelm von HumboldtHumboldt, Wilhelm von gerade als Ausweis humanistischer Universalität gilt (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 226–229, 260–267).

Die Wertschätzung kultureller und sprachlicher Partikularität weicht in der Folgezeit oftmals der emphatischen Affirmation einzelner sprachlicher und kultureller Identitäten. Die Vorstellung der Nation als Einheit von Volk, Staat und Sprache ist bis heute (kultur-)politisch ein extrem wirksames Konzept (vgl. AndersonAnderson, Benedict, Imagined Communities). Die Unsicherheit, die die Wahrnehmung kultureller Differenz ihrem Ursprung nach impliziert, weil sie vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, wird so invisibilisiert. Affirmierte Ursprünglichkeit überdeckt die Kontingenz dessen, was konkret hier und jetzt kulturell beobachtet werden kann. Das hat zur Folge, dass zwar einerseits »asymmetrisch[e] Gegenbegriffe« (Koselleck,Koselleck, Reinhart »Zur historisch-politischen Semantik«, Titel) im Bereich der Kultur fragwürdig werden, weil an ihre Stelle die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Nationen und ihren Sprachen und Kulturen tritt. Andererseits ist der Kulturbegriff nur schlecht gegen die potentielle Substantialisierung kultureller Differenzen und ihre anschließende Wertung gewappnet. Die historische Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts etwa kann die letztlich kulturell begründete, wenn auch sich in quasi-naturwissenschaftlicher Terminologie tarnende Ab- und Aufwertung ganzer Sprachfamilien betreiben; und das Projekt der Kolonialisierung geht einher mit der Etablierung rassistischer Kultur- und Sprachtheorien. Im 20. Jahrhundert schließlich kann die Unterscheidung zwischen ›Menschen‹ und ›Unmenschen‹ die Funktion der alten Unterscheidung zwischen Hellenen und Barbaren übernehmen – und radikalisieren (vgl. Koselleck,Koselleck, Reinhart »Zur historisch-politischen Semantik«, 244–259).

Die emphatische Affirmation kultureller Identität, die all diesen Tendenzen gemeinsam ist, lässt sich nicht nur als Konsequenz eines ›falschen‹ Kulturbegriffs verstehen, sondern auch als Reaktion auf die Zumutungen, die der moderne Kulturbegriff schon in der Semantik des 18. Jahrhunderts mit sich bringt. Das Beharren auf Identität dient so letztlich der Entschärfung sprachlicher wie kultureller Unsicherheiten. Die u.a. in der postkolonialen Theorie zu Recht geäußerte Kritik an westlicher kultureller Identitätspolitik ist insofern auch eine Fortsetzung und Radikalisierung von Impulsen, die dem modernen Kulturbegriff von Beginn an eigen sind.

Es gibt allerdings eine weitere Strategie zur Entschärfung sprachlich und kulturell induzierter Unsicherheiten, die spätestens seit dem ausgehenden Mittelalter an Aktualität gewinnt und in einigen Strömungen der gegenwärtigen Linguistik ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Diese Strategie besteht in dem Versuch, Kultur und Sprache auf je unterschiedliche Weise voneinander zu entkoppeln. Dies geschieht entweder durch die Loslösung des Denkens von den sprachlichen Formen; oder durch den Versuch, in der Vielfalt der Idiome universal gültige Strukturen ausfindig zu machen. Die erste Variante wird quer durch die Geistesgeschichte immer wieder im Rückbezug auf AristotelesAristoteles formuliert; sie postuliert letztlich eine Ablösung der Logik von der Sprache und etabliert damit einen Bereich des Denkens jenseits jeder kulturellen Partikularität (TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 29–38; vgl. StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 55–62). Die zweite Variante setzt spätestens in der Frühen Neuzeit mit den Bemühungen um eine Universalgrammatik (grammaire générale) an; sie vereinigt sich im Rationalismus, ausgehend von Port-Royal und kulminierend in René DescartesDescartes, René, Gottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm wie auch in Teilen der modernen analytischen Philosophie, insofern mit der ersten Strategie, als das Ziel nun darin besteht, die natürlichen Sprachen so zu reinigen, dass sie zugleich auf ihre Grundstrukturen zurückgeführt und mit den Gesetzen der Logik in Einklang gebracht werden (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 127–143; BuniaBunia, Remigius, Romantischer Rationalismus, 33–51; TrabantTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken, 131–139, 178–195). Teile der modernen Linguistik, insbesondere in der Nachfolge Noam ChomskyChomsky, Noams, die sich dem Paradigma der Naturwissenschaften annähern und Sprache als anthropologische Universalie begreifen, schließen hier an – und nehmen damit zugleich, wahrscheinlich entgegen ihren Intentionen, Ansprüche der historischen Sprachwissenschaften des 19. Jahrhunderts wieder auf, die Sprachgeschichte als Naturprozess beschreiben wollten (StockhammerStockhammer, Robert, Grammatik, 168–175, 202–242).

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