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d) Literarische und andere Mehrsprachigkeiten

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Wenn wir uns trotz des historischen Erbes der Einsprachigkeit nach Mehrsprachigkeit in der Literatur erkundigen, tendieren wir bislang eher dazu, sie in der experimentellen Prosa von Fräulein Else (Arthur SchnitzlerSchnitzler, Arthur), In Between (Christine Brooke-RoseBrooke-Rose, Christine) oder Simultan (Ingeborg BachmannBachmann, Ingeborg) zu suchen, wo das intratextuelle Code-Switching ein allgegenwärtiger literarischer Kniff ist. Solche Texte sind der dynamische Schauplatz einer mehrsprachigen Stilistik der Literatur und bieten mehr als nur die schmückende Einfügung gelegentlicher Fremdworte. Manche Literaturwissenschaftler, die sich für Mehrsprachigkeit interessieren, bevorzugen zwar die Arbeit an solchen Texten, die ihre poetischen Ressourcen textinterner Mehrsprachigkeit widmen. Beispielsweise möchte Manfred SchmelingSchmeling, Manfred den Begriff Mehrsprachigkeit »nicht auf Autoren« beziehen, »die mehrere Sprachen sprechen und trotzdem ihre konkreten Texte monolingual gestalten« (»Multilingualität und Interkulturalität«, 221–235), sondern ausschließlich auf literarische Texte selbst. SchmelingSchmeling, Manfreds Ansatz spielt so aber die eher rigiden Beschränkungen der Einsprachigkeit eher herunter, die der heteroglotten Differenzierung ›der Sprachen‹ eines konkreten Textes vorangehen.

Die Ausblendung der Beziehung, die zwischen ›einsprachigen‹ und/oder ›mehrsprachigen‹ Texten und ihren wie-auch-immer-sprachigen Autoren und Lesern besteht, kann allerdings dem Phänomen der literarischen Mehrsprachigkeit kaum gerecht werden, denn zumindest die moderne Literatur – das Terrain, dem sich die meisten nationalphilologischen Curricula widmen – beruht auf der beständigen und konsequenten Nichtübereinstimmung zwischen den Texten und der mehrsprachigen Welt. Letzten Endes ist spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts das ›Buch‹ einer der einsprachigsten Gegenstände, die je erfunden wurden. Alle Sprecher (auch die angeblich ›einsprachigen‹) und alle Kulturen, Gemeinschaften, Gesellschaften oder Institutionen (auch die dogmatischsten) sind faktisch mehrsprachiger als die sprachlich heterogensten Romane. Auch mit seinen vielen Seiten auf Französisch weist Thomas MannMann, Thomass Der Zauberberg extrem monolingualisierende Tendenzen in Lexik, Syntax, Stilistik und Diskurs auf. Daraus lässt sich schließen, dass die moderne Literatur eine Hochburg der Einsprachigkeit ist. Insofern die Höhenkammliteratur bis vor ungefähr drei Jahrzehnten als Verkörperung des nationalsprachlichen Stils galt, konnte die Paarung von (nationaler) Literatur und (nationaler) Einsprachigkeit, auch in ihrer nur scheinbaren Relativierung durch komparatistische Ansätze, kaum als umstritten gelten.

Dennoch ist das Bild einer flexiblen und gewissermaßen ›föderativen‹ Optimierung der vielen Einsprachigkeiten so visionär und optimistisch wie zugleich unmöglich und weltfremd. Mit Recht insistieren Philologen wie Sprachwissenschaftler darauf, dass Einsprachigkeit weder logisch noch phänomenal existieren kann. Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit und Einsprachigkeit sind demnach lediglich die bescheidenen positivistischen Heuristika, deren sich Forschungstraditionen und Realpolitik bedienen, um mit der verblüffenden Unüberschaubarkeit der menschlichen Kommunikationstätigkeit umgehen zu können. Irgendwann, so das Argument, werden wir vielleicht eine Begrifflichkeit entwickeln, die den minutiösen Details von Sprachdifferenzen konzeptionell und technisch angemessen begegnet.

Problematisch an diesem Ansatz ist allerdings nicht nur, dass die Welt nicht auf eine solche adäquat nuancierte Begrifflichkeit wartet, sondern, dass ›Einsprachigkeit‹ und ›Mehrsprachigkeit‹ keine rein wissenschaftlichen Begriffe (mehr) sind. Sie finden vielmehr Verwendung in der Gesetzgebung, in sozialpolitischen Regelungen, in Staatsangehörigkeitsverfahren und wahlpolitischen Initiativen, die das normative Modell etwa des europäischen Bürgers neu bestimmen möchten. Diese Entwicklung gilt weniger nationalistischen Parteiprogrammen, die immer schon gerne auf Sprachpurismus oder linguistisch codierte Xenophobie zurückgreifen, um Heimatstreue zu demonstrieren oder ›ihre‹ Wählerschaft wegen immanenter Überfremdung wachzurütteln. Vielmehr hat man in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Sprachigkeit als technokratisches Werkzeug entdeckt, mittels dessen bestimmte Formen von Zivilgesellschaft befördert oder überhaupt erst erzeugt werden können. Im Zuge der Implementierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, der die Mehrheit der europäischen Bürger auf dreisprachige Kompetenz verpflichten möchte, entdecken viele Europäer, dass ihre eigene linguistische Subjektivität demnächst implizit oder explizit als unterdurchschnittlich gelten wird (Pitkänen-HuhtaPitkänen-Huhta, Anne/HujoHujo, Marja, »Experiencing Multilingualism«). Eine spezifische Auffassung von Mehrsprachigkeit ist so quasi gesetzlich für den Bildungsroman des europäischen Werdegangs vorgesehen.

Es ist nicht nur deswegen nötig, die außerliterarische Verwendung der Begriffe Ein- und Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen, weil sich Literatur immer irgendwie historisch, ideologisch und ästhetisch auf ihre zeitgenössische Umgebung bezieht. Denn die kritische Spannung zwischen literarischen Texten einerseits und alltäglichen Sprachstilen, umgangssprachlichen Rhetoriken und Registern oder soziolinguistischen Normen andererseits steht nicht schlicht in Analogie zur Beziehung zwischen Literatur und Mehrsprachigkeit. Natürlich sind diese zwei Gegensätze Literatur vs. Welt und Literatur vs. Alltagssprache nicht nur für die aktuelle Literaturwissenschaft wichtig, sondern sie konstituieren teilweise auch historisch die Literatur-(Mehr-)Sprachigkeit. Allerdings verhält sich Literatur zu Mehrsprachigkeit auf äußerst einzigartige und widerständige Weise, denn beide konkurrieren in ihrem Einsatz mit Blick auf die Evozierbarkeit, Repräsentierbarkeit und Bedeutsamkeit der Welt. Grob formuliert verlässt sich der Einsatz der Mehrsprachigkeit auf die ökologische Zerstreuung symbolischer Koppelungen in Tausende von Sprachen und Varietäten, wohingegen es der Einsatz der Literatur auf die essenzielle Tiefe eines als Einheit wahrnehmbaren Sprachsystems anlegt, nicht unbedingt mit der Absicht, eine abschließende Erfassung der Welt zu liefern, aber doch mit Blick auf eine politisch, ästhetisch und sozial holistische Begegnung mit ihr.

Beide Haltungen – die der einsprachigen Literatur und die der mehrsprachigen Welt – sind in sich unanfechtbar und untadelig; beide bieten anthropologisch tragfähige Verfahren von Kreativität an. Im ersten Fall erzeugen jeweils unterschiedliche Gemeinschaften qua Übersetzung eine kooperative Epistemologie und konstituieren die Welt dementsprechend jeweils mnemotechnisch und sozial partiell; im zweiten Fall werden die Heteroglossien des täglichen Sprachgebrauchs kombiniert, erweitert, ausgewechselt, verschärft und nebeneinandergestellt. Beide Verfahren – die sich natürlich in der Praxis nie gegenseitig ausschließen müssen – gehen von einem vorpolitischen In-der-Welt-Sein aus. Wenn Sprachen sich nicht hätten allgemein setzen können, würden auf Dauer keine Sprachen existieren. Die Vorstellung, eine Sprache als solche solle und könne dem ihr inhärenten universalisierenden Ethnozentrismus entgehen, ihn sozusagen verlernen, die Vorstellung, die Sprache an sich könne interkultureller oder benutzerfreundlicher werden, überträgt der Sprache politische und moralische Aufgaben, zu deren Erfüllung sie sich schlicht nicht eignet. In der Tat ist der Versuch, Sprachen zugänglicher und übersetzbarer werden zu lassen, ein seltsam moderner Zwang, von dem noch nicht sicher ist, ob er sich ideologisch auf Einsprachigkeit oder Mehrsprachigkeit zurückführen lässt.

Literatur und Mehrsprachigkeit

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