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c) Systematische Überlegungen

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Jeder Versuch, ein umfassendes Verständnis für ein so komplexes Konzept wie ›Einsprachigkeit‹ herzustellen, sollte es von Anfang an von verwandten Begriffen wie Sprachpurismus, linguistischer Nationalismus und Sprachimperialismus (PhillipsonPhillipson, Robert, Linguistic Imperialism) unterscheiden. Eine analytische Auseinandersetzung mit Einsprachigkeit sollte also nicht damit beginnen, zu beschreiben, wie eine Sprache – sei es globalisiertes Englisch, republikanisches Türkisch, nationalsozialistisches Deutsch oder neoklassisches Französisch – in einem bestimmten historischen Moment andere Weltsprachen allmählich oder schlagartig zu dominieren vermochte. Solche Fragen sind eher mit Blick auf Fragen der politischen Hegemonie zu beantworten. Bei Einsprachigkeit geht es eher darum zu bestimmen, wie Sprechen ›sprachig‹ und ›eins‹ oder ›einheitlich‹ werden konnte und kann. Welche Sprecher oder Schreiber haben dieses Sprachig- und Einswerden wann benötigt? Welchen Beitrag leistete und leistet die Literatur zur Erfüllung dieses mutmaßlichen Bedürfnisses? Um der Einsprachigkeit ins Auge zu schauen, müssen wir auf die Neigung verzichten, sie vor dem Hintergrund der einen oder anderen politischen bzw. territorialen Tradition verorten zu wollen. Obschon Zerrbilder, etwa das des ›monolingualen Amerikaners‹, stets zur Verfügung stehen, schmälern solche ebenso pejorativen wie ungenauen Karikaturen jegliche gründliche Auseinandersetzung mit Einsprachigkeit als einem systematischen Phänomen, das nicht wesentlich in individuellen Subjekten verankert ist. Der mittlerweile landläufige Spruch, Einsprachigkeit sei eine Behinderung (PrattPratt, Mary Louise, »Building a New Public Idea about Language«) oder gar eine Art Blindheit (OllerOller, John W., »Monoglottosis«, 469; PeelPeel, Quentin, »The Monotony of Monoglots«), vernebelt den historischen Werdegang dieses Phänomens und politisiert zugleich die körperliche Andersartigkeit behinderter Menschen. Demgegenüber ist ein Ansatz zu vertreten, der nicht auf der positivistischen Etikettierung einzelner Sprecher beruht.

Die Forschung ist sich über die Kosten und Gewinne, die das Einsprachigkeitsparadigma bislang mit sich gebracht hat, nicht einig. Aus einer radikalen Perspektive und ausgehend vom Konzept linguistischer Menschenrechte haben beispielsweise Tove Skutnabb-KangasSkutnabb-Kangas, Tove und Robert DunbarDunbar, Robert (»Indigenous Children’s Education«) von erkenntnismindernden Effekten der Einsprachigkeit auf einheimische sowie Siedlersprachen gesprochen. Dagegen behauptet der Linguist Alastair PennycookPennycook, Alastair (Language as a Local Practice), das Wort Einsprachigkeit sei nichts als ein elitäres akademisches Konstrukt, das unsere Aufmerksamkeit von den diversen und kaum einheitlich zu beschreibenden Sprachpraxen in unserer unmittelbaren Umgebung ablenke. Die Soziolinguisten Sinfree MakoniMakoni, Sinfree und Barbara TrudellTrudell, Barbara (»Complementary and Conflicting Discourses«) sind der Meinung, jede Konzentration auf ›Sprachigkeit‹ – egal ob auf Mehr-, Ein-, Zwei- oder Metrosprachigkeit (PennycookPennycook, Alastair/OtsujiOtsuji, Emi, Metrolingualism) – ignoriere die lebenden Sprecher und ihre situativ sehr unterschiedliche Art und Weise der Sprachverwendung. Unbeeindruckt von der gegenwärtigen ›multilingualen Wende‹ in der angewandten Linguistik insistiert Setiono SugihartoSugiharto, Setiono (»The multilingual turn«) darauf, der wissenschaftliche Angriff auf die Einsprachigkeit in den letzten Jahrzehnten vernachlässige die jahrhundertealten mehrsprachigen und kreolischen Sprachpraxen, die im globalen Süden völlig normal und normgebend sind. Das leidenschaftliche Feiern der geordneten zivilen Mehrsprachigkeit in der heutigen Europäischen Union übersehe die vollkommene Unauffälligkeit mehrsprachiger Lebensweisen insbesondere in Staaten wie Indonesien. In den Literaturwissenschaften glaubt freilich der Slawist und BachtinBachtin, Michail M.-Übersetzer Michael HolquistHolquist, Michael (»What would BakhtinBachtin, Michail M. Do?«), die Rede von Einsprachigkeit sei ein logischer Fehlschluss in einer linguistisch heterogenen Welt, und die Philologin und Romanistin Brigitte JostesJostes, Brigitte (»Monolingualism«) – Sprecherin mehrerer Sprachen – hat sich kürzlich in einem wissenschaftlichen Aufsatz als ›monolingual‹ geoutet. In ihrer Interpretation von Jacques DerridasDerrida, Jacques Jeremiade über das koloniale Französische beschreibt Rey ChowChow, Rey die Einsprachigkeit nachgerade als messianische Verheißung (Not Like a Native Speaker, 29). Die Einsprachigkeit empfehle sich uns nicht im Gewand der Überlegenheit und Dominanz, sondern verführe durch den sonoren Klang des Fortschrittsbegriffs und verspreche politische Erlösung in einer ›superdiversen‹ Welt.

Alle diese Stellungnahmen sind, auch wenn sie einander widersprechen, für sich genommen haltbar und verteidigungsfähig; auch in heuristischer Verbindung miteinander lassen sie sich fruchtbar machen. Eine Gemeinsamkeit aller oben genannten Ansätze ist es, dass sie der Einsprachigkeit sowohl Gewinne als auch (unspezifische) Kosten zuschreiben. Im Kern macht diese Kosten eine ebenso wirksame wie unauffällige strukturelle Beschränkung des sozialen Bedeutungsverkehrs aus – mit Blick auf, unter anderem, literarische, politische, ökologische, historiographische, künstlerische, theologische, interkulturelle, methodologische und metalinguistische Bereiche der Sinngebung.

Unabhängig davon, ob wir die Einsprachigkeit für einen Mythos, eine Pathologie, ein Paradigma oder eine Schikane halten, ist sie bis in die kleinsten und komplexesten Winkel in die politischen Verfahren und überhaupt die gesellschaftlichen Prozesse der Moderne verwoben, und sie ist noch nicht geneigt, von der weltliterarischen Bühne abzutreten. Die frühe Einsprachigkeit gönnte Denkern des 17. Jahrhunderts die Vision, alle Aussagefunktionen sowie soziale Kapazitäten des Redens unter dem Dach der jeweils ›einen‹ Sprache unterzubringen – ein mächtiger und fantasievoller Fall dessen, was wir heute (Makro-)Optimierung nennen würden. Die unzählbare und unprognostizierbare formale und performative Vielfalt der gottgegebenen Sprache verwandelte sich in ein weltliches, rationales Raster, das Sprecher der (Früh-)Aufklärungszeit wie Martin OpitzOpitz, Martin, Antoine ArnauldArnauld, Antoine, Thomas SpratSprat, Thomas und Gabriel de San BuenaventuraSan Buenaventura, Gabriel de als einheitliches Eigentum namens ›eine Sprache‹ auffassten, dessen Kern es war, zu versprechen, dass es grundsätzlich alles werde wissen, sagen und übersetzen können. Diese Männer konnten nicht wissen, dass ihre Arbeit in der Globalisierungsindustrie des einundzwanzigsten Jahrhunderts gipfeln würde, aber ihre Schriften weisen darauf hin, dass Plattformen wie Google Translate nicht außerhalb ihres Vorstellungshorizonts lagen. Anders als die Muttersprachen des 16. Jahrhunderts waren diese Einsprachigkeiten ›too big to fail‹. Heim, Boden, Familienliebe, Herkunft, mütterliche Zuwendung und der Begriff der Nation reichten nicht aus, um die Erfindung der Einsprachigkeit zu motivieren. Seit ihrer Erfindung im 17. Jahrhundert wurde die Einsprachigkeit vielmehr zum grundlegenden Katalysator der europäischen Aufklärung, der Massenalphabetisierung, des organisierten Absolutismus und des Anti-Absolutismus sowie zum Medium von Bevölkerungen, die ihre Regierungen und Gesetze verstehen können wollten; zur Voraussetzung für die Etablierung akademischer Fachbereiche, koordinierter und liberaler Marktwirtschaften, gewisser Formen der internationalen Solidarität und schließlich des globalen Datentransfers. In ihrer bescheidenen Weise vermochte es die Einsprachigkeit, zur Basis für einen enormen Überbau ästhetischer und epistemischer Paradigmen zu avancieren, denen man sich nur schwer entziehen kann – einschließlich des modernen Buchs, wie wir es kennen, und eines Kanons der Weltliteratur, der das einsprachige (übersetzte oder übersetzbare) Buch als Grundeinheit verwendet. Auch in den bilderstürmerischsten Bereichen der kulturellen Produktion – sei es im Surrealismus, in der Dekonstruktion, in der Kybernetik oder im Anarchismus – spielt die Einsprachigkeit eine zentrale Rolle. Sie bestimmt, was verlässlich kommuniziert, verkehrsfähig übersetzt, politisch operationalisiert, international verteilt und auch privat im Gedächtnis behalten werden kann.

Literatur und Mehrsprachigkeit

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