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b) Dialekt, Soziolekt

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Im Gegensatz zur Standardsprache (bzw. den genannten Parallelbegriffen) verweist der Terminus Dialekt auf Sprachausprägungen, die vornehmlich durch areale Begrenztheit und mediale Einschränkung auf die Mündlichkeit bestimmt sind. Letzteres wird durch den meist synonym verwendeten (jüngeren) Begriff Mundart betont, der Resultat der Verdeutschungsarbeit Philipp ZesenZesen, Philipp vons (17. Jahrhundert) ist. Da unterschiedliche Dialekte einer Standardsprache zugeordnet sind und damit von dieser überdacht werden, sind Dialekte auch als Substandardvarietäten zu bezeichnen. Im Vergleich zur Standardsprache fehlt ihnen eine Normenkodifikation, wiewohl auch Dialekte eigenen Sprachnormen (im Sinne einer langue) folgen und sich demnach linguistisch wie jede Standardsprache auf allen Ebenen beschreiben lassen. Insbesondere die zum Teil immer noch vorherrschende, linguistisch aber unhaltbare Ansicht, Dialekte seien ›Verwilderungen‹ der Hochsprache bzw. stünden dem Schulerfolg und dem sozialen Aufstieg entgegen, führte zeitweilig zu einer verbreiteten Negativbewertung der Dialekte (und ihrer Sprecher) und damit mittelbar zum Dialektabbau. Bedeutsam in diesem Zusammenhang war die problematische BernsteinBernstein, Basilrezeption (›schichtenspezifische Sprachverwendung‹, ›Sprachbarrierendiskussion‹) in Deutschland, die den von Basil BernsteinBernstein, Basil bezogen auf die soziolinguistischen Verhältnisse in London in den 1960er Jahren entwickelten Begriff des ›restringierten Codes‹ auf die Dialekte bezog und diesen die Standardsprache als ›elaborierten Code‹ gegenüberstellte. Gegenüber der Standardsprache ist die kommunikative Reichweite von Dialekten nicht nur areal und medial begrenzt, sondern auch in Hinsicht auf die Leistungsfähigkeit in bestimmten Relevanzfeldern wie Wissenschaft und (›hoher‹) Literatur. Der Mehrwert der Dialekte liegt demgegenüber in ihrer Funktion als ›Nähesprache‹ (innerhalb der Familie, im nahen Bekanntenkreis etc.). Eine ›binnensprachliche Zweisprachigkeit‹ (BeschBesch, Werner, Dialekt, Schreibdialekt, 984) von Standardsprache und Dialekt kann in diesem Sinne durchaus als Kompetenzerweiterung (gegenüber nur standardsprachkompetenten Sprechern) betrachtet werden.

Nicht nur bezogen auf das Beispiel der deutschen Sprache gilt das im Vergleich zu Standardsprachen höhere Alter der Dialekte. Bezogen auf den deutschen Sprachraum ergibt sich ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang mit den vormaligen germanischen Stammessprachen, der in Bezeichnungen wie Sächsisch, Fränkisch, Alemannisch und dergleichen nachwirkt. Wie oben angedeutet, bilden die Dialekte historisch den Ausgangspunkt der sich über mehrere Stufen (›Schreibdialekte‹ des Mittelalters, ›Schriftsprachen‹ des 16. bis 18. Jahrhunderts) vollziehenden – dabei insgesamt hochkomplexen – Entwicklung zur deutschen Standardsprache.

Die heutige sprachareale Gliederung des deutschen Sprachraumes setzt im Kern dialektale (bzw. stammessprachliche) Differenzierungen fort, die bereits seit den Anfängen einer deutschen Volkssprachigkeit im 8. Jahrhundert existierten. Prägende Grundlage sind die durch die sog. 2. oder hochdeutsche Lautverschiebung bewirkten räumlich differenzierten Veränderungen im Bereich der stimmlosen Plosivreihe p, t, k (Tenuesverschiebung) zu – abhängig vom Lautkontext – Affrikaten (pf, tz, kch) oder Doppelfrikativen (ff, ss, hh) sowie die Entwicklung von b, d, g zu p, t, k (Medienverschiebung). Demgemäß trennt die sog. maken-machen-Linie (Benrather Linie) das südliche Hochdeutsche vom nördlich angrenzenden Niederdeutschen. Innerhalb des hochdeutschen Sprachraumes ist das Mitteldeutsche vom südlichen Oberdeutschen durch die Appel-Apfel-Linie (Speyrer-Linie) getrennt. Weitere Differenzierungen führen zu einer mehr oder weniger engmaschigen Netzstruktur, in die die gebräuchlichen Dialektbezeichnungen eingebunden sind. So ist das Ripuarische etwa Teil des westmitteldeutsch-mittelfränkischen Dialektraumes, während das Bairische im ostoberdeutschen Dialektraum zu situieren ist (und im Wesentlichen das Bundesland Bayern sowie Österreich umfasst). Grundlage der heutigen Dialektkarten sind die auf einer indirekten Fragemethode basierenden Erhebungen Georg WenkerWenker, Georgs (ab 1876) und die Arbeiten des daraus hervorgegangenen Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas (DSA).

Eine nur binäre Gegenüberstellung von Standardsprache und Dialekt greift bezogen auf die reale Varietätenstruktur zu kurz, vielmehr ist von Zwischenstufen auszugehen, die als Umgangssprachen bezeichnet werden. Umgangssprachen verbinden Ausprägungen der Standardsprache mit denen von Dialekten (oder auch Soziolekten), fungieren damit als Ausgleichsvarietäten, wobei die Nähe zur einen oder anderen Seite variieren kann, so dass letztlich von einem Varietätenkontinuum zwischen beiden Polen auszugehen ist. Während umgangssprachliche Elemente in der geschriebenen Sprache als markiert und stilistisch unangebracht gelten, sind sie in der gesprochenen Sprache eher toleriert und auch verbreiteter bzw. können dort auch als (soziolektal) positiv wahrgenommen werden (z.B. Honoratiorenschwäbisch, Hanseatendeutsch). Regionale Umgangssprachen werden im Laienurteil häufig mit Dialekten gleichgesetzt, was Erhebungen auf der Grundlage von Selbsteinschätzungsdaten problematisch macht. Daneben wird der Begriff Umgangssprache auch auf eine Sprachlage in eher informellen, privaten Kommunikationszusammenhängen bezogen, die dort unter Umständen angemessener erscheint als die formelle, stilistisch höherstehende und in eher formellen situativen Kontexten verwendete Sprachlage.

Soziolekte (auch Gruppensprachen) können sich von ihrem Begriffsinhalt her zwar mit den Dialekten und (regionalen) Umgangssprachen berühren, sie rekurrieren aber nicht auf regionale, sondern auf soziale Stratifizierungen von Sprachgemeinschaften. Dabei sind nicht nur die – je nach Gesellschaft kaum praktikabel bestimmbaren – Strata wie Unterschicht, Mittelschicht, Oberschicht im Blick, sondern auch Differenzierungen nach Alter (z.B. Jugendsprache), Geschlecht (Genderlekt) oder Herkunft (Migrantensprache). Eine begriffliche Nähe zeigt sich gegenüber den Fachsprachen (im Sinne von Berufsgruppensprachen) (vgl. II.6) sowie den Pidgin- und Kreolsprachen (vgl. II.3).

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele: Jugendsprache (auch Slang oder Jargon) gehört als ›transitorischer Soziolekt‹ (LöfflerLöffler, Heinrich, Germanistische Soziolinguistik) zu den (wechselnden) ›Lebensalter-Sprachen‹, die durch Sprachspezifikationen unterschiedlicher Lebensphasen (Kindersprache, Schüler-/Jugendsprache, Erwachsenensprache, Seniorensprache) bestimmt sind. Schon aufgrund gravierender Unterschiede nach z.B. Bildungsvoraussetzungen oder regionalen bzw. städtischen/dörflichen (biografischen) Hintergründen der Jugendlichen kann von einer einheitlichen Jugendsprache nicht die Rede sein. Allgemeinkonstitutive Elemente sind aber eine bewusst saloppe, die Standards unterlaufende, dabei durchaus sprachspielerisch-kreative Sprachverwendung. Ihre Funktion ist die Gruppenbildung (Inklusion) nach innen bei gleichzeitiger Exklusion (der Erwachsenenwelt) nach außen.

Wie beim Alter interessiert unter soziolinguistischer Perspektive auch beim Geschlecht weniger die biologisch‐physiologische als vielmehr die soziale Komponente. Die lange Zeit fast exklusive Hinwendung zur ›Frauensprache‹ implizierte deren (vermeintlichen) Status als markierte Sondersprache, der die Sprache der Männer als Normalsprache gegenübergestellt wurde. Innerhalb der (vorwissenschaftlichen) Ethnolinguistik wurden Frauensprachen insbesondere bei den sog. primitiven Völkern beobachtet. Eine auch sozialpolitische Relevanz kommt dem Thema ›Sprache und Geschlecht‹ im Rahmen der feministischen Linguistik zu, wobei in einer frühen radikalen Phase viele Sprachen (darunter auch Deutsch) als ›Männersprachen‹ ›entlarvt‹ werden sollten, die, so die Behauptung, als Instrumente zur Unterdrückung der Frau dienten. Derlei plakative und pauschalisierende Aussagen sind im Zuge differenzierterer Analysemethoden und der Weiterentwicklung der Gendertheorie heute nicht aufrechtzuerhalten. Ein nach wie vor wichtiges Untersuchungsfeld der feministischen (Sozio-)Linguistik ist die Frage der Geschlechtergerechtigkeit von Sprachen, wobei – nicht nur bezogen auf das Deutsche – häufig das sog. generische Maskulinum zum Diskussionspunkt und Streitpunkt wird (vgl. SieburgSieburg, Heinz, »Zur Problematik des generischen Maskulinums«).

Neben den Dialekten und Soziolekten lassen sich weitere Varietäten benennen, die jeweils spezifische Orientierungskriterien in den Mittelpunkt stellen, für die linguistische Begriffsbildungen insgesamt aber weniger relevant sind. Dazu zählt der Begriff Idiolekt, der (meist) für den persönlichen und charakteristischen Sprachgebrauch von Einzelsprechern steht. Zur Bezeichnung der Sprache innerhalb einer Familie wird bisweilen der Begriff Familekt verwendet, durchgesetzt hat sich dieser (bislang) allerdings nicht.

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