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a) Standardsprache, Nationalsprache, Literatursprache

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Seit den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich in der (deutschen) Sprachwissenschaft, dabei dem englischen bzw. amerikanischen Wortmuster folgend, der Begriff der Standardsprache als mehr oder weniger synonym zu Begriffen wie Hochsprache, Nationalsprache, Literatursprache, Gemeinsprache oder Einheitssprache etabliert bzw. diesen gegenüber durchgesetzt. Standardsprache steht für die überregionale (und damit die Dialekte überdachende) historisch etablierte, schriftliche wie mündliche Sprachform, die stilistisch differenziert und in Hinblick auf das Spektrum ihrer Verwendungsweisen polyvalent ist. Sie ist u.a. Orientierungsgröße des Deutschunterrichtes, und obwohl eine de facto Orientierung (vor allem) an der Sprache der Mittelschicht kaum zu leugnen ist, ist eine soziale Markierung intentional ausgeklammert. Unter diachroner – die Aspekte der überregionalen Vereinheitlichung und zunehmenden Schriftsprachlichkeit (neben der Mündlichkeit) beto­nender – Perspektive kann Standardsprache auch als letzter Entwicklungsschritt einer Abfolge von Dialekt, Schreibdialekt und Schriftsprache verstanden werden (vgl. BeschBesch, Werner, Dialekt, Schreibdialekt).

Der Wortteil Standard weist dabei auf die Allgemeinverbindlichkeit, die durch Normenkodifikation auf unterschiedlichen grammatischen Ebenen bzw. durch Rechtschreibung (Orthografie) und Hochlautung (Orthoepie) etabliert wurde. Demgegenüber ist der weniger neutrale Begriff Hochsprache stärker wertend (und abgrenzend), ebenso wie der alltagssprachlich weit verbreitete Parallelbegriff Hochdeutsch. Besonders letzterer ist mit Bezug auf die sprachwissenschaftliche Verwendung von Hochdeutsch mehrdeutig und damit problematisch: Sowohl in sprachhistorischer als auch in areallinguistischer (dialektologischer) Hinsicht ist hoch geografisch bzw. topografisch aufzufassen und dient der Bezeichnung der eben hochdeutschen Varietäten des (gebirgigen) Südens, dem die niederdeutschen des flachen Nordens gegenübergestellt sind. Entsprechend zu unterscheiden sind etwa hochdeutsche von niederdeutschen (plattdeutschen) Dialekten oder etwa, bezogen auf historische Sprach- und Literaturverhältnisse, die mittelhochdeutsche von einer mittelniederdeutschen Literatur und Sprache.

In Abgrenzung zur Standardsprache betont der Begriff Nationalsprache die nationale, auch politische, kulturelle oder auch ideologische Ausrichtung und Relevanz der hierdurch bezeichneten Varietät (vgl. ReichmannReichmann, Oskar, »Nationalsprache als Konzept der Sprachwissenschaft«). Grundlage hierfür sind vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Vorstellungen entsprechend dem im Kern heute überholten, romantischen Konzept der Brüder JacobGrimm, Jacob und Wilhelm GrimmGrimm, Wilhelm, welches eine Gleichsetzung von Sprache und Nation zum Zweck der Etablierung einer Kulturnation propagierte. Nationalsprachen können politisch gefördert und künstlich geschaffen werden, um ein Nationalbewusstsein zu etablieren oder zu stärken. Die damit mitunter verbundene Abwertung und Zurückdrängung von Minderheitensprachen macht diesen Ansatz fragwürdig. Problematisch ist der Begriff zudem nicht nur aufgrund der verbreiteten Tatsache, dass zahlreiche Länder (Nationen) mehrere offizielle Amtssprachen (in diesem Sinne Nationalsprachen) haben können (z.B. Belgien, Kanada), sondern auch, weil in vielen Fällen in nationaler Hinsicht unterschiedliche Länder einer Sprache zugeordnet sind. So ist das Deutsche etwa alleinige Amtssprache in Deutschland, Österreich und Liechtenstein und Co-Amtssprache in der Schweiz, in Luxemburg, (Ost-)Belgien und (Nord-)Italien. Dem etwa von Michel ClyneClyne, Michael und Ulrich AmmonAmmon, Ulrich entwickelten Plurizentrizitätskonzept folgend (vgl. AmmonAmmon, Ulrich u.a., Variantenwörterbuch des Deutschen), das die Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit unterschiedlicher nationaler Ausformungen betont, wäre hier in weiterer Differenzierung von nationalen Varietäten der (deutschen) Standardsprache zu sprechen, was als ›einzelsprachliche Mehrsprachigkeit‹ beschrieben werden könnte. Beispiel hierfür ist das Schweizer Hochdeutsch (oder Schriftdeutsch), das zumeist in formellen Kommunikationssituationen (Nachrichtensprecher), vor allem aber in der Schriftlichkeit verwendet wird, und dem das auf alemannischen Dialekten basierende, zumeist mündlich verwendete Schweizerdeutsch (Schwytzerdütsch) gegenübersteht. Auch die ›Standardsprache in Deutschland‹ (deutschländisches Deutsch) ist in diesem Sinne nur eine Standardausprägung neben anderen, eine unreflektierte Gleichsetzung mit ›deutscher Standardsprache‹ verbietet sich demzufolge. Unterschiedliche nationale Ausformungen von Standardsprachen (meist bezogen auf Unterschiede in der Lexik) sind weit verbreitet und beziehen sich auf diverse Sprachen (z.B. auch Englisch, Französisch, Niederländisch, Spanisch). Das Beispiel Luxemburg steht für ein mehrsprachiges Land, das eine Sprache (das Luxemburgische) 1984 per Sprachgesetzgebung als Nationalsprache gegenüber den beiden flankierenden offiziellen Sprachen (Französisch und Deutsch) erhoben hat, und damit den identitätsstiftenden Gehalt des Begriffs Nationalsprache unterstreicht.

Der Begriff Literatursprache steht dem der Standardsprache – je nach Verwendungsweise – synonymisch oder antonymisch gegenüber. Als Parallel- bzw. Konkurrenzbegriff zu Standardsprache etablierte sich in der DDR der vor allem nach russischem Vorbild (литературный язык, literaturnyj jazyk) gebildete Terminus Literatursprache in Hinsicht auf die Betonung der engen Verbindung des sprachlichen Standards zur geschriebenen Sprache. Dagegen hebt sich die Verwendung des Begriffs Literatursprache für die Sprache der (schöngeistigen) Literatur ab. Die hierdurch markierte funktionale und ästhetische Sonderstellung (unter Einbeziehung der durch dichterische Freiheit sanktionierten Sprachkreativität und Normüberschreitung) erweist Literatursprache hier als Gegenbegriff zur polyvalenten Standardsprache. Literatursprache in diesem Sinne betont zugleich die Differenz gegenüber anderen (schriftlichen) Sprachausprägungen (z.B. Pressesprache, Verwaltungssprache, Sprache von Gebrauchstexten; siehe II.5).

Gemeinsprache und Einheitssprache sind Termini, die einer deutschsprachigen Benennungs-Tradition folgen und den sprachhistorischen Prozess zur Etablierung allgemeinverbindlicher bzw. einheitlicher Sprachstandards gegenüber regionalen oder auch sozialen Ausprägungen (Subvarietäten) betonen. Beide Begriffe sind heute eher ungebräuchlich. Auch der Begriff Volkssprache ist historisch fundiert und bezeichnet die im Mittelalter aufkommenden, (nur) in der Schriftlichkeit überlieferten Varietäten, die sich allmählich in Abgrenzung zum Latein der Kleriker etablierten. Erste volkssprachliche Zeugnisse datieren bezogen auf die deutsche Sprache um die Mitte des 8. Jahrhunderts, bezogen auf die französische Sprache etwa hundert Jahre später.

Literatur und Mehrsprachigkeit

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