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e) Zur integrativen Wirkung der Literatur

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Ethnolekte bilden sich als Gruppensprachen in einer fremdsprachigen Umgebung. Sie korrespondieren nicht mit den leitsprachigen Integrationsprinzipien, weil sie eine Distanz zur Leitsprache darstellen oder markieren sollen. Das Beispiel der Kanaksprak1Zaimoglu, Feridun und des Kiezdeutsch (WieseWiese, Heike/FreywaldFreywald, Ulrike/MayrMayr, Katharina, Kiezdeutsch as a Test Case, 2; WieseWiese, Heike, Kiezdeutsch) zeigt jedoch, wie ein Ethnolekt sich über die sprachkünstlerische Verdichtung zu einem Medium der Integration entwickeln kann. Die Kanaksprak lehnt sich an den Ethnolekt junger Türken an und ist als »Nachdichtung« von Adelbert von Chamisso-Preisträger Feridun ZaimogluZaimoglu, Feridun als Literatursprache geschaffen und damit einer größeren Zielgruppe zugänglich gemacht worden. Aus dem primären Ethnolekt (Kiezdeutsch) unterschiedlicher grammatischer Ausprägungen bildeten sich in der Folge sekundäre und tertiäre Formen, die mittlerweile vor allem als literarische und kabarettistische Varietäten weit über die ursprüngliche Nutzergruppe hinaus verwendet werden. Als Gruppencode sind diese Varietäten inzwischen aber auch unter vielen deutschen Jugendlichen verbreitet, die ansonsten mit dem Türkischen kaum Kontakt haben und sich damit von der Mehrheitssprache der Elterngeneration desintegrieren wollen. Zwar beherrschen die Jugendlichen neben dem politisch inkorrekten Kiezdeutsch in der Regel auch Standarddeutsch und weitere Sprachen, aber das Kiezdeutsch dient als In- oder Gruppensprache, die damit auch nicht-integrierenden Sprechern der Mehrheitssprache Möglichkeiten der Integration in die markierte Außenseitersprache gibt. Diese Beobachtungen zeigen, wie Sprecher mit der Sprache ihre Rolle in der sozialen Interaktion konstruieren und diese an ihre Gesprächspartner und die Außenwelt kommunizieren. Pia QuistQuist, Pia und Normann JørgensenJørgensen, Normann J. (»Bilingual children in monolingual schools«, 386) zeigen am dänischen Äquivalent des Kiezdeutschen, dass diese Rollenmarkierungen wechseln können und dabei selbst die ›most monolingual speakers‹ Code-Wechsel betreiben. Dieser Wechsel muss nicht situativ oder kontextuell, sondern kann auch metaphorisch sein, und die soziale Konstruktion kann ihren Ausdruck in unterschiedlicher sprachlicher Form finden. Sie kann durch syntaktische, morphologische oder phonetische Registermarkierungen unterstützt werden. QuistQuist, Pia/JørgensenJørgensen, Normann J. (»Bilingual children in monolingual schools«) illustrieren dies am Wechsel von einem labio-dentalen /w/ zu einem dentalen Verschlusslaut /v/ in dänischer Jugendsprache, durch die eine Kiezsprachen-ähnliche Identitätskonstruktion entsteht. Auch Peter AuerAuer, Peter und Inci DirimDirim, Inci (»Socio-cultural Orientation«) zeigen in ihrer Studie, wie Jugendliche in Hamburg Strategien zur Identitätskonstruktion und Markierung von Gruppenzugehörigkeiten verwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die aus einer der beteiligten Sprachen entlehnten Elemente reale Wörter oder Chunks dieser Sprache sind. Sie können auch als Anlehnungen an diese Sprachen zur Markierung der Fremdsprachigkeit oder eines Identifizierungs- oder Distanzverhältnisses zu einer Sprache verwendet werden. Damit können sich Sprecher von dieser Sprache oder von einer Gruppe abgrenzen, der diese Sprache zugeordnet wird, zum Beispiel indem sie sich über die Sprache lustig machen (vgl. HinnenkampHinnenkamp, Volker, »Mixed Language Varieties of Migrant Adolescents«). Normann JørgensenJørgensen, Normann J. (»Languaging and Languagers«) nennt dieses Verfahren »Languaging« und Bernhard WächliWächli, Bernhard (Relexicalization vs. Relexification) bezeichnet den Vorgang der Neu- oder Umbenennung mittels fremdsprachiger Elemente in Anlehnung an Kreolisierungsprozesse der Relexifizierung vs. Relexicalisation. Auch als Foreignizing kann dieses Verhalten bezeichnet werden. Gerade die Genese und Dynamik der Kanaksprak belegt entgegen der Priorisierung von Leitsprachigkeit den weitreichenden, integrativen und innovativen Einfluss von Mehrsprachigkeit auf die ›Mehrheitssprache‹.

Literatur und Mehrsprachigkeit

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