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a) Zum Stand der literaturwissenschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung

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In der internationalen literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung ist das Interesse an Mehrsprachigkeit in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Ein Stück weit schließen die Philologien damit an eine Entwicklung an, die in der Linguistik, vor allem in der Soziolinguistik, und in den Erziehungswissenschaften schon länger Fahrt aufgenommen hat und die vor allem aus dem Gebiet, in dem sich beide Disziplinen überschneiden, nämlich in der sog. Fremdsprachendidaktik (die aber teils nicht mehr so heißen will), nicht mehr wegzudenken ist. Mit Blick darauf ist unlängst bereits der unvermeidliche ›Turn‹ konstatiert worden.1Sugiharto, Setiono Von einem Mehrsprachigkeits-Turn zu sprechen wäre mit Blick auf die Philologien jedoch stark übertrieben: ›Literarische Mehrsprachigkeit‹ ist weit entfernt davon, als eigenes Forschungsgebiet neben den Nationalphilologien anerkannt zu werden.

Mit der wie auch immer zögerlichen Hinwendung zu Fragen der Mehrsprachigkeit reagieren die Literaturwissenschaften unter anderem auf eine Neuausrichtung, die auch andere Forschungsfelder der Disziplin betrifft: auf die Anreicherung philologischer Forschung um vormals der Linguistik vorbehaltene Beschreibungsmodelle und auf die Überschreitung nationalphilologischer Eingrenzungen. Die Literaturwissenschaften jenseits der Nationalphilologien haben das Paradigma der ›Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft‹ längst hinter sich gelassen und operieren mit Begriffen wie Inter- und Transkulturalität, Hybridität und anderen mehr. Demgegenüber ist der Einfluss der Linguistik auf die Literaturwissenschaften ungleich weniger gut sichtbar. Er artikuliert sich beispielsweise in einem vorsichtig erwachenden neuen Bewusstsein für die sprachliche Formanalyse (von Lyrik wie von Erzähltexten).

Alles in allem lassen sich mindestens drei gute Gründe dafür anführen, die erwachende Konjunktur literaturwissenschaftlicher Mehrsprachigkeitsforschung zu begrüßen: Erstens verspricht die Beschäftigung mit und die Analyse von Mehrsprachigkeit und insbesondere mehrsprachiger Literatur allen, die sich für Fragen der Inter- und Transkulturalität sowie der Migration interessieren, einen wichtigen Zugang zu Phänomenen sprachlicher, kultu­reller und auch sozialer Differenz. Zweitens kommen mehrsprachige literarische Texte dem neu erstarkten Interesse an der sprachlichen Struktur der literarischen Textualität entgegen. Damit stellen sie auch eine Herausforderung an die philologischen Arbeitsinstrumente dar, die sich zunehmend linguistischer Konzepte und Terminologien bedienen bzw. diese sogar adaptieren müssen, um ihren Gegenständen gerecht zu werden. Drittens schließlich bietet Mehrsprachigkeit die Möglichkeit, die Einschränkungen der nationalphilologischen Betrachtungsweise zu überwinden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um ›Weltliteratur‹ und die sich wandelnde Rolle der ›Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft‹ reizvoll.

Das Handbuch will allen drei Perspektiven auf den Gegenstand ›Mehrsprachige Literatur‹ gerecht werden und deren fachpolitische Konsequenzen ausloten. Neuere Diskussionen haben nämlich gezeigt, dass sich das Forschungsfeld ›Mehrsprachige Literatur‹ keineswegs über die Sammlung ihrer Gegenstände konstituieren lässt, denn dann findet sich kaum noch eine Möglichkeit zur Eingrenzung. Das liegt nicht nur daran, dass – welthistorisch betrachtet – keinesfalls Einsprachigkeit, sondern Mehrsprachigkeit den Normalfall menschlicher Kommunikation darstellt; hinzu kommt nämlich, dass es letztlich definitorisch kaum möglich ist, zu sagen, was ein einsprachiger Text eigentlich ist. Denn Spannungen und Interferenzen zwischen unterschiedlichen Sprachstandards (im Sinne von Polyphonie oder Heteroglossie) finden sich immer und überall, und es spricht vieles dafür, auch hier von Mehrsprachigkeit zu reden.

Von daher liegt es nahe, zu sagen, dass sich die Forschung zur literarischen Mehrsprachigkeit in erster Linie durch ihr spezifisches Interesse, durch ihre Fragerichtung und durch ihre Methodik auszeichnet, was nichts anderes bedeutet, als dass sie im Grunde eine neue disziplinäre Ausrichtung der Literaturwissenschaft mit sich bringt. Will man das damit entstehende Arbeitsfeld umreißen, muss man sich also in erster Linie der Methodik widmen, die seine Erschließung allererst möglich macht. Damit kommen die drei eingangs aufgezeigten Perspektiven ins Spiel, denn die Methodik einer literaturwissenschaftlichen Philologie der Mehrsprachigkeit hat einerseits das strukturelle Gefüge von Sprachdifferenzen im Text zu beschreiben, andererseits aber auch deren kulturpolitischen Einsatz.

Literatur und Mehrsprachigkeit

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