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3. Identität

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Identität ist ein transdisziplinäres Konzept, das vor allem in den Geistes- und Humanwissenschaften und nicht zuletzt auch in der Mehrsprachigkeitsforschung und der Didaktik der Sprachen eine wichtige Rolle spielt. Drei Entwicklungsstränge in der Identitätstheorie sind – gerade in Bezug zum Thema „Sprachlichkeit“ – besonders hervorzuheben: die Dekonstruktion eines essentialistischen Subjekt- bzw. Identitätsbegriffs (↗ Art. 40), das Konzept der narrativen Identität sowie die Betonung der jeder Identität inhärenten Dynamik und HybriditätHybridität u. Identität.

Seit der nach-idealistischen Philosophie des 19. Jahrhunderts und dem Beginn der Psychoanalyse setzt eine kritische Hinterfragung der Vorstellung eines rational-autonomen Subjekts ein (Nünning 2001: 613). Insbesondere poststrukturalistische Philosophen wie Jacques Lacan, Michel Foucault, Jean-François Lyotard und Jacques Derrida dekonstruieren die Vorstellung eines substanziell essentialistischen und selbstbestimmten Subjekts. Die Vorstellung von Identität im Sinne eines reifizierbaren Vorliegens eines Sachverhalts wird unhaltbar; IdentitätIdentität muss vielmehr als prinzipiell unvollständige und unvollendete Aspiration verstanden werden,

[…] als Fluchtpunkt einer sozialen Praxis, in deren Rahmen der Einzelne ins Verhältnis zu sich selbst tritt und sein Handeln am Horizont der gewünschten Autonomie des eigenen Selbst orientiert. (Straub 2004: 280)

Bei Jacques Lacan z.B. wird die traditionelle SubjektvorstellungSubjektvorstellung aus psychoanalytischer Perspektive in ein neues Licht gerückt. Die Rolle der Sprache gewinnt hier für die Genese des Subjekts einen zentralen Stellenwert:

In der Lacanschen Entwicklungsgeschichte des Kleinkinds identifiziert sich das Kind noch vor dem Spracherwerb über sein Spiegelbild mit einem imaginären, ganzheitlichen und autonomen Ich (Spiegelstadium). Mit dem Spracherwerb erweist sich dieses Ich jedoch noch deutlicher als unerreichbar. Um ein soziales Subjekt werden zu können, muss der Einzelne in die von der Sprache verkörperte symbolische Ordnung eintreten, die seiner Existenz vorgängig ist und ihm nur dann die Möglichkeit bietet, sich auszudrücken und eine symbolische Identität anzunehmen […]. Darüber hinaus bedeutet der Eintritt in die Sprache eine Subjektspaltung. Das Ich, das spricht (sujet d‘ énonciation), ist ein anderes, als das Ich, das im Diskurs repräsentiert wird (sujet d’énoncé). (Nünning 2001: 613)

Identität erscheint hier als der Ordnung des Imaginären zugehörig und stellt letztlich immer ein Trugbild dar.

Bei Michel Foucault handelt es sich hingegen weniger um eine psychoanalytische als um eine historisch begründete Kritik klassischer SubjektvorstellungenSubjektvorstellung. Foucault geht von einem Subjektbegriff aus, der das Moment der Unterwerfung (lat. subicere = unterwerfen) ins Zentrum rückt und zwar der Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und der Unterwerfung der Diskurse unter die sprechenden Individuen (Foucault 1994, 246). Gegen die Idee der Voraussetzungslosigkeit von Sprache und sprachlich handelndem Subjekt stellt Foucault die Bedingungen für die Legalisierung von Diskursen ins Zentrum. In diesen Ansätzen innerhalb der Identitätstheorie spielt die Sprache – im Sinne von Diskurs – eine wichtige Rolle.

In explizit narrativen Konzeptionen von Identität wird dieser Aspekt noch stärker hervorgehoben und die Verknüpfung von Selbst und Sprache in besonderer Weise betont, z.B. bei Jerome Bruner (1990), Anthony P. Kerby (1991), Alisdair Macintyre (1995) und Paul Ricoeur (1985). Während traditionellerweise das essenzielle Selbst der SpracheSpracheWesen der übergeordnet wurde, wird hier das Selbst als durch Sprache konstituiert verstanden:

Our own existence cannot be separated from the account we can give of ourselves. It is in telling our own stories that we give ourselves an identity. We recognize ourselves in the stories that we tell about ourselves. It makes very little difference whether these stories are true or false, fiction as well as verifiable history provides us with an identity. (Ricoeur 1985: 214)

Die eigene Identität wird also durch GeschichtenNarrative konstituiert:

On a narrative account, the self is to be construed not as a prelinguistic given that merely employs language, much as we might employ a tool, but rather as a product of language – what might be called the implied subject of self-referring utterances. (Kerby 1991: 4)

Das Erzählen von GeschichtenErzählen von Geschichten ist damit keine bloße Beschreibung von identitätsrelevanten Ereignissen, sondern eine komplexe Sprechhandlung mit psychosozialen Funktionen, wodurch ein performatives Wissen eigener Art zum Ausdruck gebracht wird (Straub 2004: 286).

Der dritte wichtige Entwicklungsstrang, der in direktem Zusammenhang mit den bisher skizzierten Entwicklungen steht, betrifft die Konzeption „hybrider IdentitätenIdentitäthybride“ (↗ Art. 100). In Abwendung von vereinfachenden Konzepten, die eine saubere Überlappung von Selbst, Sprache und kulturellem Ort implizieren, werden nun Subjekte als „mehrfach codierte, komplexe Identitäten“ (Bronfen & Marius 1997: 7) konzipiert, wobei diese Identitäten als narrative Leistungen verstanden werden. So z.B. bei Stuart Hall, einem der einflussreichen Theoretiker in diesem Kontext:

Identities are never unified and in late modern times increasingly fragmented and fractured, never singular but multiply constructed across different often intersecting and antogonistic discourses, practices and positions. (1996: 4)

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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