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4. Kulturalität

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Nicht nur zwischen Sprachlichkeit und Identität bestehen somit enge Bezüge, auch in der jüngeren Kulturtheorie spielen Sprache und Identität eine zentrale Rolle. Zunächst einmal ist auch hier ist eine Abwendung von essentialisierenden und gleichzeitig eine Hinwendung zu diskursiv-reflexiven Konzeptionen von KulturKultur festzustellen (Bachmann-Medick 1996; Göller 2000; Hörning & Winter 1999). Weitgehend Konsens herrscht etwa darüber, dass Kulturen nicht unabhängig von der Perspektive der Betrachter existieren. Auch die lange Zeit vorherrschende Vorstellung von Kulturen als kohärenten und voneinander abgrenzbaren Entitäten mit jeweils kulturspezifischen Charakteristika, die in Alltagstheorien durchaus immer noch lebendig ist, gilt weitgehend als obsolet. Eine auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Situation kristallisiert sich dabei heraus: Gerade in den letzten Jahren hat im Zusammenhang der kulturwissenschaftlichen Diskussion, die interdisziplinär alle Fächer der Humanwissenschaften umfasst, eine intensive DekonstruktionDekonstruktionüberkommener Kulturkonzepte der althergebrachten essentialistisch-objektivistischen Konzeptionen stattgefunden.

Gleichzeitig aber entwickelt sich das Konzept Kultur zu einer Schlüsselkategorie, die als Basiskonzept grundlegend für jede verstehende Wissenschaft ist und gesellschaftliche Praxis als kulturelle Leistung begreift. Lawrence Grossberg pointiert diese aktuelle Situation zutreffend, wenn er sagt: „Cultural Studies müssen in gewisser Hinsicht darum ringen, der Kultur zu entfliehen, wenn sie die Macht der Kultur entdecken wollen“ (Grossberg 1999: 82).

Kultur wird nicht als Form von Wissenssystem oder als Form von Vergesellschaftung begriffen, ebenso wenig als naturgegebener, fixierbarer Realitätsbereich. So heißt es zum Beispiel bei Mathias Gutmann aus der Perspektive der Kulturphilosophie:

Als wesentliches Arbeitsergebnis der Rekonstruktion ergibt sich für den Kulturbegriff in seiner reflexiven Verwendung, dass missverständliche Formulierungen vermieden werden können. ,Wir’ leben weder in einer ,Kultur’, noch ,in einer Tradition’. (…) Eine wesentliche Aufgabe systematischer Philosophie der Kultur liegt demzufolge – unter Verzicht auf solche falschen Vertrautheiten – in der kritischen Analyse gesellschaftlicher Praxen als kultureller Leistungen. (Gutmann 1998: 329)

KulturKultur wird also vielmehr als strukturierende, expressiv-ästhetische und deutende Praxis von Personen gesehen, als deren Vermögen, der Welt Bedeutung zu verleihen, Identitäten zu schaffen, aber auch Machtinteressen durchzusetzen. Hartmut Böhme definiert in seiner Einführung in die Kulturwissenschaften:

Kultur erscheint als ein Prozess fortschreitender reflexiver Semantisierung, durch welche ununterbrochen Sinnressourcen geschaffen und distribuiert, aber auch subvertiert und zerstört werden. (Böhme 2012: 33)

Böhmes Formulierung „reflexive Semantisierung“ impliziert bereits einen weiteren Aspekt, das Verhältnis von Kultur und Sprache, oder mit anderen Worten, Kultur als diskursive Praxis. Dazu noch einmal Stuart Hall:

Eine nationale Kultur ist ein Diskurs, eine Weise, Bedeutungen zu konstruieren, die sowohl unsere Handlungen als auch unsere Auffassung von uns selbst beeinflusst und organisiert. (Hall 1994: 201)

In diesem Verständnis sind Kultur und Sprache wiederum untrennbar miteinander verbunden. Sprache, die – verstanden in einem weiten semiotischen Sinne – KörperspracheKörpersprache, Musik, Stimme usw. mit einschließt, ist eines der wichtigen Medien, in denen kulturelle Praxis stattfindet. Auch aus der Perspektive der Kulturphilosophie wird dieser Aspekt betont, z.B. bei Thomas Göller:

Menschliche Sinnstiftung, intra- oder interkulturelle Kommunikationinterkulturelle Kommunikation und Interaktion wie auch menschliche Selbst-, Fremd- und Weltbezüglichkeit bzw. menschlich-kulturale Sinnbestimmung überhaupt, ist in erster Linie an Sprache gebunden bzw. sprachlich vermittelt. Das gilt für alle Formen intra- wie interkulturellen Austausches. (…) Sprache und KulturSprache u. Kultur sind aufs engste miteinander verwoben. (Göller 2000: 330ff.)

In deutlicher Parallele zum Identitätsdiskurs wird bei diesem reflexiven und diskursiven Kulturverständnis der Akzent weniger auf kollektiven Konsens gelegt. Jetzt stehen vielmehr Differenzen, Widerstreit, Synkretismus, HybriditätHybridität u. Identität sowie idiosynkratische Deutungsmuster und Verarbeitungen im Mittelpunkt. Kultur wird nicht – wie bislang üblich – als „integrativer Kitt“ einer Gesellschaft (Hörning & Winter 1999: 8) gesehen, sondern im Gegenteil ist nun die Entlarvung von kultureller Homogenität als Inszenierung Ziel der reflexiv-kritischen Arbeit:

Die in der Soziologie dominierende Auffassung, die Kultur in erster Linie nach der Gemeinsamkeit von Werten und Bedeutungen befragt und als integrativen ,Kitt’ der Gesellschaft vereinnahmt, weisen sie (die Cultural Studies, A.H.) zurück. (…) Kultur ist für die Cultural Studies nicht stabil, homogen und festgefügt, sondern durch Offenheit, Widersprüche, Aushandlung, Konflikt, Innovation und Widerstand gekennzeichnet. (…) Nicht die integrative Funktion von Kultur, sondern der Kampf um Bedeutungen’ (Lawrence Grossberg), der nie zu beendende Konflikt über Sinn und Wert von kulturellen Traditionen, Erfahrungen und Praktiken bestimmt ihre Analysen, die sich auf diese Weise den ,vermischten Verhältnissen’ der sich im raschen Wandel befindlichen Gesellschaften der Gegenwart stellen. (Hörning & Winter 1999: 9)

Auch hier taucht wieder prominent die Metapher der HybriditätHybriditätvon Kulturen auf:

Wenn, wie ich gesagt habe, der Akt kultureller Übertragung den Essentialismus einer vorher bestehenden, originären Kultur in Abrede stellt, dann erkennen wir, dass alle Formen von Kultur sich in einem andauernden Prozess der Hybridität, der Kreuzung und Vermischung, befinden. Für mich liegt die Bedeutung der Hybridität jedoch nicht darin, dass man sie auf zwei Ursprungselemente zurückführen könnte, aus denen das dritte entsteht, vielmehr ist die Hybridität für mich der ,dritte Raum’, aus dem heraus andere Positionen entstehen können. (Bhabha 1990: 211; hier zitiert nach Chambers 1996: 78)

Statt Ursprung, Einheit, Reinheit und Zentriertheit von Kultur wird hier der Vermischung und dem Dazwischen Gewicht verliehen, was sich u.a. in einer veränderten Rhetorik und Metaphorik zeigt (vgl. Hu 2005).

Auf der Basis des reflexiv-diskursiven Kulturbegriffs, der den Akzent einerseits auf Widerstreit, andererseits auf Vermischung legt, rückt der Aspekt der Macht ins Zentrum (vgl. Gilroy 1999; Grossberg 1999). Normative Kulturkonzepte werden als „metaphorisch-metonymische Vehikel zur Durchsetzung von MachtinteressenMachtinteressen“ (Wägenbaur 1995: 23) erkannt. Typisierende und objektivierende kulturelle Abgrenzungen können auf dieser Basis als rhetorische Mittel zum Erreichen dieser Ziele beschrieben bzw. – im Sinne kritischer Diskursanalyse – kritisiert werden. Dazu noch einmal Hall:

Wir sollten nationale Kulturen nicht als etwas Einheitliches, sondern als einen diskursiven Entwurf denken, der Differenz als Einheit oder Identität herstellt. Sie sind von tiefen inneren Spaltungen und Differenzen durchzogen und nur durch die Ausübung ,kultureller Macht ,vereinigt‘. (Hall 1994: 206)

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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