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1.6 Neuere Aspekte der Textbetrachtung

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Zunehmend hat die Textlinguistik im Blick, dass der Textbegriff vom rein sprachlich bestimmten auf einen multikodalen erweitert werden muss. Texte existieren nie nur sprachlich, immer sind andere Zeichen an ihnen beteiligt, seien es Gestik, Mimik, Stimmführung oder – bei den uns interessierenden schriftlichen Äußerungen – Bilder, Typographie, Papiersorte usw. Da alle diese Zeichen gemeinsam Sinn anbieten, da sie alle auf der Textoberfläche und in der Textumgebung etwas zu verstehen geben und wahrgenommen werden sollen, kann man an ihnen nicht vorbeigehen. So kann man also nicht den einen Kode, den sprachlichen, aus dem Textkomplex herauslösen und an ihm den Sinn des Ganzen ablesen wollen, ein Verfahren, das in stilistischen Textanalysen noch immer vorherrscht. Dass die nicht-sprachlichen Zeichen auch von Bedeutung sind, wird deutlich, wenn man z.B. versucht, sich eine Sammlung von Gedichten im Layout eines Fachbuchs vorzustellen. Man bemerkt sofort die Widersprüchlichkeit der Zeichen und stößt darauf, dass sie etwas bedeuten. Ein anderes Beispiel: Unsere Rezeption wird intensiver und aufschlussreicher sein, wenn wir ein Barockgedicht in der Erstausgabe lesen. Die mögliche axiale Anordnung des Textes, die eingezogenen Verse, die Barockfraktur, in der der Text gedruckt ist, der möglicherweise kostbare Einband des Buches – alles dies trägt Informationen, die am Sinnangebot des Textes teilhaben. Nun wächst der Anteil der visuellen Zeichen in der Kommunikation heute mit der Vielfalt medialer Möglichkeiten, Visuelles zu vermitteln. Diese visuellen Phänomene – Bilder, SchemataSchema, Tabellen, Typographie u.a. – sind keine Randerscheinungen, sondern können zentrale Elemente eines Textes sein. Hier macht sich die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Leistungen der verwendeten Kodes nötig: auf der einen Seite die sprachlichen – digitalen – Zeichen, die arbiträr sind und verallgemeinernden Charakter haben, also begrifflich sind, und auf der anderen Seite Bilder, Farben, Proportionen, – analoge – Zeichen, die nicht begrifflich sind, sondern eher über die direkte Anschauung wirken. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich Lesen als Verstehen von Texten nicht so einfach in visuelle und kognitive Elemente aufspalten lässt (Gross 1994). Sprachtexte werden auch als Bildtexte (vgl. Konkrete Poesie) gelesen: Umrisse, Struktur, Visualität der Lesefläche werden wahrgenommen. Und andererseits können Bilder auch wie Sprachtexte verallgemeinernd gelesen werden, wenn sie so konventionalisiert sind, dass viele Rezipienten gemeinsam in den Bildern denselben Sinn entdecken. Wenn man nun die Phänomene in der Rezeption nicht trennen kann, verbietet sich die Trennung selbstverständlich auch bei der Analyse. Alles ist also als sinntragendes Element zu betrachten und einzubeziehen. Leittheorie für ein Herangehen an Texte bei Beachtung ihrer MULTIKODALITÄTMultikodalität kann die SemiotikSemiotik sein – als eine Wissenschaft, die an allen Zeichen- und Kommunikationsphänomenen gleichermaßen interessiert ist. Einen für eine solche Betrachtung geeigneten Textbegriff, der auf komplexe Zeichengefüge und komplexe Semiosen anwendbar ist, findet man bei Posner (1991), für den jedes Zeichengebilde als Text gilt, das intendiert sowie mit einer Funktion versehen ist und auf Zeichenkonventionen einer Kultur beruht. Jedes Artefakt, d.h. alles vom Menschen unter diesen Bedingungen Hervorgebrachte, wäre dann Text.

Zusätzlich zur Multikodalität ist auch das Phänomen der MULTIMEDIALITÄTMultimedialität zu beachten, wenn es um den Textbegriff geht. Texte, die wir zunächst einmal relativ unproblematisch einer Textsorte zuordnen zu können glauben, wie die oben schon genannten Textsorten Brief1, Eintragung ins Gästebuch, Rezension, Lexikoneintrag oder Alltagsgespräch, begegnen uns auch als elektronische Fassung, unter derselben oder einer ähnlichen Textsortenbezeichnung: z.B. E-Mail, elektronisches Gästebuch, Rezension, Wikipedia-Text, Chat. Die Frage ist, ob wir bei den Verlagerungen aus einem nicht-elektronischen MediumMedium in ein elektronisches von derselben Textsorte reden können, die durch das andere Medium möglicherweise spezifiziert, aber nicht in ihrem Wesen beeinträchtigt ist, oder ob wir es mit neuen Textsorten, mit anderen Bedingungen und Wirkungsmöglichkeiten zu tun haben (siehe Kap. 16).

Die Frage stellt sich natürlich nicht nur und nicht in erster Linie bei den oben genannten Alltagstextsorten. Sie begegnet uns auch bei literarischen Texten2, z.B. bei der Verfilmung von Literatur. Ist die Verfilmung eines Märchens, um bei einer einfachen GattungGattung zu bleiben, ein Gattungswechsel, ein Medienwechsel, ein Kodewechsel oder das alles zusammen? Wie sind hier Abgrenzungen und Festlegungen möglich, wenn das überhaupt der Fall ist? Was ist bei einer solchen Abgrenzung zu gewinnen?

Die oben schon besprochene Kategorie INTERTEXTUALITÄTIntertextualität (1.3.5., siehe auch Kap. 7) ist ebenfalls ein aktuelles Problem für die Textlinguistik. Es geht nicht nur darum, dass die bekannten Klassifizierungsfragen (z.B. typologische und referenzielle Intertextualität) und die Frage ihrer analytischen Erhebbarkeit problematisch sind (Intertextualität als ein Phänomen des Textes oder der Rezeption?), sondern es zeigen sich auch neue Probleme. Neue Formen von Text-Text-Bezügen, die sich aus den elektronischen Möglichkeiten ergeben, stehen auf der Tagesordnung: Beispiel HypertextHypertext – ein holistischer Text, der als Verbund von digital gespeichertem Sprachtext mit Tonmaterial, mit Bildern, Filmen, Grafiken u.Ä., also mit Texten mehrerer Kodes, auftreten kann und dies in der Regel auch tut (vgl. Kap. 14). Hinzu kommen, durch die DiskursanalyseDiskursanalyse linguistischer Provenienz ins Blickfeld gerückt, kulturell geprägte Verbünde von Texten als TEXTSORTENNETZETextsortennetz (z.B. alle Texte um das Thema ‚Buch‘ – vom Klappentext über den Roman, das Motto, das Vor- oder Nachwort, die Rezension bis hin zu Buchwerbetexten, siehe 7.4.3) und SERIENSerie von Texten wie Fortsetzungstexte, Fassungen, Reihen, die sich nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Presse und in der Werbung finden.

Zum Schluss ist auch noch der Ort der Präsentation eines Textexemplars zu nennen. Bisher hat die Textlinguistik dem Faktum, dass Texte als Exemplare einer Textsorte auch durch den Ort ihrer Veröffentlichung bestimmt werden, wenig Beachtung geschenkt. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass einige Textsorten wie z.B. Klappentext, Graffiti, Packungsbeilagen und Verkehrszeichen, sofern man letztere mit Beaugrande/Dressler (1981) als Text auffassen will, in ihrer Bedeutung und Funktion „ortsgebunden“ sind. Dem Phänomen wird sich die Textlinguistik noch zuwenden müssen.

In diesem Überblick wurde versucht, sowohl relativ gesichertes Wissen als auch neue Fragen und Perspektiven aufzuzeigen. Nur wenn man beides im Blick hat, wird man mit dem Problemkreis ‚Text‘ in der Vielfalt seiner Aspekte und Bezüge umgehen können.

Kommentierte Literaturtipps

Von den vorliegenden Handbüchern zur Textlinguistik sei vor allem Adamzik 2004 genannt. Darüber hinaus sind folgende Handbücher für folgende Zwecke verfügbar: für die Textgrammatik Gansel/Jürgens 22007, für die Textanalyse Brinker 62005 bzw. Brinker u.a. 82014, für die Text- und Stilanalyse Eroms 2007, Fix/Poethe/Yos 2001 und Sandig 22006, letzteres eine Arbeit, die über den Handbuch- und Einführungscharakter weit hinausgeht. Wer sich für GesprächeGespräch und die Klassifizierung von Gesprächen interessiert, findet Aufschluss in Brinker u.a. 2001. Genaueres zum Thema ‚Textnetze‘ und ‚Textverbünde‘ kann man u.a. bei Adamzik 2001a, 2004 oder Klein 2000 nachlesen (vgl. auch Kap. 6 und 7). Dort finden sich auch ausführliche Beispiele. Zu den Textualitätskriterien vgl. einführend den knappen Überblick in Adamzik 2004: 47f. und ausführlicher in Sandig 2006 das Kapitel „Stil im Text“ (vor allem die Seiten 309ff.).

Seit 2008 sind zudem eine ganze Reihe neuer Studienbücher (z.B. Krieg-Holz/Bülow 2016, Hoffmann 2017) und Handbücher zum Thema erschienen (z.B. Habscheid 2011, Birkner/Janich 2018).

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