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2.3 Gegenstandsbereiche der Diskurslinguistik

2.3.1 Unterspezifiziertheit und Übergeneriertheit

Womit beschäftigt sich nun die Diskurslinguistik konkret? In den vergangenen Jahren hat man sich in empirisch orientierten Arbeiten häufig auf gesellschaftliche Debatten konzentriert, etwa auf den Atomenergiediskurs (Jung 1994), den Migrationsdiskurs (Wengeler 2003) oder den Gentechnologiediskurs (Domasch 2007). Wenn wir uns die bisherigen diskurslinguistischen Arbeiten anschauen, stellen wir fest, dass sie sich in einem methodischen Spannungsfeld bewegen, im Spannungsfeld von Unterspezifiziertheit und Übergeneriertheit. Was ist darunter zu verstehen?

Diskurslinguistik ist unterspezifiziert, wenn sie über ihren Gegenstand weniger in Erfahrung bringt, als dies mit Methoden der Sprachwissenschaft möglich ist. So sind Diskurse, wie wir gesehen haben, weit mehr als ein intertextuelles Geflecht von Begriffen oder gar Nomina. Eine Analyse von Freiheitsbegriffen in der Geschichte einer politischen Partei könnte sehr wohl diskurslinguistisch interessant sein, würde jedoch, sofern sie allein an der Rekonstruktion einer historisch kontextualisierten Semantik von Nomina interessiert ist, unterspezifiziert sein. Klammert man beispielsweise Fragen nach MedialitätMedialität und AkteurenAkteur aus dem Interesse aus, so steht man in der Gefahr unterspezifizierter Untersuchungsergebnisse.

Als Reaktion auf unterspezifizierte Beiträge der Diskurslinguistik und vor allem als Reflex auf das wachsende humanwissenschaftliche Interesse am Diskurs werden in jüngeren Arbeiten zunehmend auch Analysen vorgelegt, die über linguistische Gegenstandsbereiche deutlich hinausgehen, wie etwa Bild- und Medienanalysen. Zwar schöpft man hier aus dem Reichtum von Diskursformaten, man reicht damit aber zugleich über die fachwissenschaftliche Kompetenz hinaus. Diskurslinguistik in dieser Ausprägung ist übergenerierend, sie bringt über ihren Gegenstand mehr in Erfahrung, als dies mit sprachwissenschaftlichen Verfahren möglich und notwendig ist. Unterspezifiziertheit und Übergeneriertheit zeigen sich als methodische Fallen der Diskurslinguistik, die man bei der empirischen Arbeit im Bewusstsein behalten sollte.

Da Diskurse sehr komplex sind, ist es nicht immer einfach, alle fachwissenschaftlichen Möglichkeiten der Analyse zu nutzen. Es stellt sich hier die Frage, was die akzeptierten und akzeptablen Gegenstandsbestimmungen der Linguistik sind und ob diesen entsprochen werden muss. Schließlich sind wissenschaftliche Gegenstandsbereiche selbst dynamisch. Diskurse sind recht komplex strukturiert, d.h., ihre Formen und Funktionen sind vielfältig und gehen über das rein Sprachliche hinaus. Jedoch kann das nicht bedeuten, dass auch die linguistische Analyse von Diskursen weit über die fachwissenschaftliche Identität der Sprachwissenschaft hinausreichen sollte. Hinreichende Untersuchungsergebnisse sind oft nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit möglich. Der Linguistik kommt dabei keineswegs die Rolle einer Hilfswissenschaft zu, etwa für Historiker und Soziologen, die weitgehende Sprachlichkeit von Diskursen fordert geradezu eine zentrale Berücksichtigung linguistischer Methodenkompetenz gerade auch in interdisziplinären Forschungen der Diskursanalyse.

Das wirft die Frage auf, ob es eine einheitliche Methode des diskurslinguistischen Arbeitens überhaupt geben kann. Wir wollen uns dieser Frage nähern, indem wir zunächst auf die verschiedenen Erscheinungsformen von Diskursen eingehen, auf die DISKURSDIMENSIONENDiskursdimension.

2.3.2 Diskursdimensionen

Diskurse sind multidimensional, sie bestehen aus einer Fülle von bedeutungs- und funktionstragenden Elementen, die von Wörtern über Bilder, Raumformen bis zu HandlungenHandlung reichen. Diskursanalyse im Allgemeinen ist daher auch etwas anderes als Diskurslinguistik im Besonderen. In der Diskursanalyse kann man sich mit Plänen von Gefängnisanlagen im 19. Jahrhundert ebenso befassen wie mit strafrechtlichen Gutachten, also mit Raumformationen und Texten. Man könnte vermuten, dass man es dabei mit sehr unterschiedlichen Zeichensystemen zu tun hat. Aber gerade die Abgrenzung von sprachlich verfassten Texten zu visuellen Zeichen ist keineswegs so einfach möglich, wie man das intuitiv annehmen könnte. Wir sind es gewöhnt, Sprache vor allem als nicht-visuelles Zeichensystem zu verstehen, als akustische Repräsentation von Bedeutung, die durch Schrift lediglich festgehalten werden kann. In der Linguistik hat man das Akustische (orale Sprache) über lange Zeit derart aufgewertet, dass Schrift (literale Sprache) von manchen gar nicht als Sprache angesehen wurde. An dieser Medienvergessenheit der Linguistik hat sich im Zuge schriftgeschichtlicher Arbeiten einiges geändert (Dürscheid 32006). Nicht nur unterschiedliche Schriftsysteme, auch ihre konkreten Zeichenkörper wie Handschrift, Druckschrift, Typographien etc. sind Teil der semiotischen Organisation von Bedeutung (siehe auch 1.6). Wir sehen also, dass bereits die Medialisierung von Sprache durch Schrift eine visuelle Bedeutungsebene begründet. Visualität in Text und Diskurs geht aber darüber noch weit hinaus. Sobald textuelle Informationen illustriert sind, also durch Grafiken, Bilder, Abbildungen etc. angereichert, lässt sich die Annahme einer Text-Bild-Schranke überhaupt nicht mehr aufrechterhalten. Sprachliches Wissen und visuelles Wissen greifen häufig ineinander, nicht zuletzt in der GraphostilistikGraphostilistikStilistikGraphostilistik.

Man kann sich für sein eigenes Wohnumfeld fragen, welche Vorstellungen über das menschliche Zusammenleben sich darin eigentlich ausdrücken: In welchen Diskursen wurden diese Vorstellungen ausgehandelt? Wie wird das in urbanen Räumen erkennbar? In welchen Texten werden Raumformationen thematisiert? Welche städtebaulichen Leitbilder prägen meine Lebensumgebung? Gleiches gilt für Handlungen, für die so genannte performative Dimension des Diskurses. Aussagen im Diskurs können nicht nur textuell, visuell oder raumgestaltend getroffen werden, sondern auch durch Handlungen. Politische Demonstrationen zeigen das sehr gut. Das Erscheinen selbst, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, kann bereits eine Verlautbarung im Diskurs sein. Wir können hier auch an Revolutionen denken, an Paraden, an öffentliche Jubiläumsfeiern. Diese noch nicht ausreichend untersuchte Performativität des Diskurses manifestiert sich zumeist gemeinsam mit visuellen Kommunikaten und textuellen Aussagen.

Anhand der Überlegungen zu verschiedenen DiskursdimensionenDiskursdimension erkennen wir, dass eine Erklärung des Diskurses als Erweiterung der sprachlichen Konstituentenstruktur zu kurz greift. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass die Diskurslinguistik bei allem Interesse an Dimensionsverschränkungen in erster Linie mit sprachlichen Daten arbeitet bzw. arbeiten sollte. Dass hier auch Beziehungen zu anderen Zeichensystemen in den Blick geraten, kann nur begrüßt werden und befreit die Sprachwissenschaft aus ihrer zum Teil noch immer selbst auferlegten Abstinenz gegenüber nicht-sprachlichen Symbolformen.

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