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2.1 Diskurs als textübergreifende Struktur

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Die in Kap. 1 diskutierte Erweiterung von Gegenstandsbereichen der traditionellen Linguistik in der Textlinguistik entspricht der Frage nach Kontexten. So wie ein Morphem als Kontext eines Phonems verstanden werden kann, kann ein Wort als Kontext eines Morphems aufgefasst werden. Diese Konstituentenstruktur der Sprache, bei der jeweils kleinere Elemente Teil von größeren Einheiten sind, lässt sich bis zum Text fortdenken. Denn Sätze sind keine so genannten terminalen Einheiten, sie sind wiederum kontextualisiert: in Texten. Wir können sogar sagen, dass Texte alltagstypische Rahmenkonstrukte von Sätzen sind. So erhalten wir – stark vereinfacht – ein Modell des hierarchischen Konstituentensystems sprachlicher Einheiten:

[ Text [ Satz [ Wort [ Morphem [ Phonem ] ] ] ] ]

Dieser strukturelle Aufbau ist einer der Gründe für die Komplexität von textlinguistischen Analysen. Texte sind keine unabhängigen Einheiten, sondern umfassen eine Reihe selbst wiederum recht komplexer linguistischer Formen und Funktionen.

Denken wir diesen Aufbau weiter, so können wir fragen, ob mit dem Text die größte linguistisch zu beschreibende Einheit der Sprache gefunden ist. Diese Frage ist unabhängig von einer anderen Frage zu stellen, der Frage danach, was überhaupt ein Text ist und wo dessen Grenzen liegen. Diese zweite Frage wollen wir hier nicht weiter verfolgen, sie wurde bereits in Kap. 1 erörtert. Wir wollen uns auf die Frage konzentrieren, ob Texte auch kontextualisiert sind, ob es also eine oder mehrere Rahmenstrukturen für Texte gibt.

Ähnlich wie bei der Infragestellung des Satzes als größter linguistisch zu beschreibender Einheit hat man zunächst versucht, diese Frage zu verneinen. Dies geschah in der Befürchtung vor einer fortschreitenden und nicht absehbaren Erweiterung der Linguistik und ist eine Folge davon, dass wissenschaftliche Schulen ihre vertrauten Gegenstandsbestimmungen ungern gefährdet sehen. Jedoch wurde die Frage nach dem Kontext von Texten lauter. Einerseits hat man in Reaktion auf den Poststrukturalismus, insbesondere auf den in den 1960er-Jahren geprägten Begriff der IntertextualitätIntertextualität (Kristeva 1969, siehe auch Kap. 7) erkannt, dass Texte häufig auf andere Texte verweisen. Dieser Verweis erfolgt nicht nur durch Zitate, sondern auch da, wo man sich auf Wörter, Argumente, Meinungen anderer Texte beruft oder andere Texte auch nur Anlass der Textproduktion sind. In all diesen Fällen können wir von einer so genannten Intertextualität ausgehen: Die Existenz des einzelnen Textes – des so genannten singulären Textes − verdankt sich also der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Bezugnahme auf andere Texte. Man hat außerdem erkannt, dass in singulären Texten häufig das zu finden ist, was in einer ganzen Gruppe anderer Texte auch belegt ist. Die Auswirkungen des Versailler Vertrags auf die deutsche Politik der 1920er- und 1930er-Jahre ist nicht nur in einem Text thematisiert, sondern in einer kaum zu übersehenden Zahl von Texten. Innerhalb dieser Texte kann man Gruppierungen vornehmen, etwa nach inhaltlichen oder zeitlichen Gesichtspunkten. Man sieht dann, dass ein einzelner Text, etwa ein Zeitungsartikel zum Thema „Versailler Vertrag“ aus dem Jahr 1933, keineswegs so vereinzelt ist, wie man das zunächst annehmen könnte. In einem solchen Text finden sich sprachliche Formen und Funktionen, die mehr oder weniger mit anderen Texten übereinstimmen. Der singuläre Text ist also Konstituente eines größeren Kontextes. Dieser Kontext wird DISKURS genannt. In Ergänzung des vereinfachten hierarchischen Konstituentenmodells kann also eine Erweiterung vorgenommen werden:

[ Diskurs [ Text [Satz [ Wort [ Morphem [ Phonem ] ] ] ] ] ]

Auch wenn mit dieser Formalisierung die Einbettung des Textes in die Konstituentenstruktur des Sprachsystems erkennbar wird, ist der damit dargestellte Diskursbegriff noch nicht hinreichend bestimmt. Wie bereits ein Blick in allgemeinsprachige Wörterbücher zeigt, ist die Bedeutung des Substantivs Diskurs komplex, was erst recht gilt, wenn wir fachwissenschaftliche Bedeutungsdimensionen hinzudenken. Selbst wenn wir uns auf den linguistischen Gebrauch von Diskurs beschränken, müssen wir von einer Mehrdeutigkeit des Terminus ausgehen. Im Wesentlichen können wir drei sprachwissenschaftliche Bedeutungsdimensionen von Diskurs unterscheiden:

1 Diskurs als satzübergreifende Struktur, als so genannte transphrastischetransphrastisch Einheit im Sinne von Text (vgl. Harris 1952).

2 Diskurs als gesprochene Alltagssprache im Kontext institutionell gebundener Kommunikation im Sinne von Dialog oder GesprächGespräch (vgl. Kurt Ehlich 1994).

3 Diskurs als Menge formal oder funktional zusammengehöriger Texte im Sinne von textübergreifender Struktur (vgl. Busse/Teubert 1994).

Während sich die Bedeutungen von (1.) und (2.) auf Einzeltexte bzw. singuläre Formen gesprochener Sprache beziehen, können wir bei (3.) von einem transtextuellen Diskursbegriff sprechen. Transtextuell heißt über den einzelnen Text hinausgehend. Der Diskurs als transtextuelle Struktur von Aussagen ist also ein sprachliches Phänomen, das nicht durch singuläre Texte begrenzt ist. Solche transtextuellen Strukturen sind mehr als ein Effekt intertextueller Verweise. Eine Linguistik des Diskurses im Sinne von (3.) ist daher auch nicht gleichzusetzen mit einer Untersuchung von Intertextualitätsphänomenen. Der Diskurs als transtextuelle Aussagenstruktur umfasst sprachliche Einheiten von der Phonem- bis zur Textebene und bringt als wissenschaftlicher Gegenstand eine eigene Spezifik mit. In der Diskurslinguistik befasst man sich unter theoretischen Gesichtspunkten mit dieser strukturellen Spezifik des Diskurses und zugleich damit, wie man konkrete textübergreifende Strukturen empirisch analysiert. Um die Umrisse der damit verbundenen theoretischen Überlegungen und die Möglichkeiten empirischer Untersuchungen der Diskurslinguistik wird es im Weiteren gehen.

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