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2.2.2 Transnationale und transkulturelle Gründungen im Nachhaltigkeitskontext: konzeptionelle Grundlagen

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Wann spricht man von transnationalen, wann von transkulturellen Gründungen? Während die Forschung im Bereich von Migrationsgründungen im weiteren Sinne zur ersten Frage umfangreiche Antworten bereithält (Portes et al. 2002), ist die zweite Frage weitgehend unbeachtet geblieben. Gleichwohl lässt sich eine Vorstellung aus der Beantwortung der ersten Frage ableiten.

Transnationalität bezieht sich generell auf Phänomene, die über Landesgrenzen hinausgehen und zu einem stärkeren Bezug der davon betroffenen Nationen beitragen. Das Transnationalitätsverständnis hat in unterschiedliche Bereiche Eingang gefunden, so etwa in die Rechtswissenschaft, die Politik, das internationale Management und auch in die Migrationssoziologie (z. B. Calliess et al. 2011; Bartlett & Ghoshal 1989; Harima & Baron 2020). Speziell im Migrationskontext sind transnationale Gründungen durch die Besonderheiten der betroffenen Entrepreneure und ihre kognitiven Fähigkeiten gekennzeichnet. Sie bauen außerhalb ihres Herkunftslandes ein neues Geschäft auf, wobei sich ihre Gründungstätigkeit auf mindestens zwei Länderkontexte bezieht (Drori et al. 2009; Harima & Baron 2020). Allein schon dadurch bauen sie interkulturelle Fähigkeiten auf, die sie kennzeichnen und die ihnen beim Geschäftsaufbau behilflich sind (Harima et al. 2016). Im Regelfall, aber nicht zwingend, bezieht sich diese Geschäftstätigkeit auf das Heimatland und das Gastland. Jedenfalls besteht dadurch eine multiple Einbindung in nationale Kontexte, die in der Literatur unter dem Begriff der »mixed embeddedness« behandelt werden (Kloosterman et al. 1999). Diese mindestens bilaterale Einbettung führt dazu, dass Erfahrungen, Wissen und Geschäftskonzepte von einem Land auf ein anderes übertragen werden können – und dann die Varietät der Geschäftskonzepte und oft auch Leistungen ergänzen. Nicht selten entstehen dadurch Innovationen in einem bestimmten Länderkontext, die dann auf den jeweils anderen – mit noch intensiveren Erfahrungen und Rückkopplungen zurückübertragen werden. Dies belegt, warum gerade in der Entrepreneurship-Szenerie transnationale Entrepreneure von Interesse sind und wie sich die mit ihnen in Verbindungen stehende Diversität auswirkt. Wie stark transnationale Entrepreneure auch Gründungsökosysteme in Großstädten beeinflussen können, zeigen in der Praxis die vielen Migrations-Entrepreneure im Silicon Valley (z. B. Elon Musk/Tesla, Sergey Brin/Google, Pierre Omidyar/Ebay, Jerry Yang/Yahoo; vgl. Saxenian 2002; Brown et al. 2019). In der Wissenschaft belegen Harima et al. (2020), wie z. B. das Start-up-Ökosystem von Santiago de Chile von dem Zuzug transnationaler Entrepreneure profitiert hat und erst nach deren Zugang zu einem dynamischen Ökosystem reifen konnte.

Unter den transnationalen Entrepreneuren finden sich verschiedene Gruppen, die sich wie folgt strukturieren lassen (Tung 2018):

• Diaspora-Entrepreneure (Riddle & Brinkerhoff 2011; Harima et al. 2016) sind Migrations-Entrepreneure, die ihr Heimatland – zumeist geplant und gut vorbereitet – in Richtung Gastland verlassen, die Kontakte zur Heimat und die dortige Einbindung aber niemals verlieren. Ermöglicht durch moderne IT und Logistik stehen sie in regelmäßigem Austausch mit der Heimat, was hilft, Geschäftskonzepte noch genauer und authentischer in das Gastland zu übertragen. Bei der Geschäftsentwicklung stützen sie sich u. a. auf ihre transnationalen Ressourcen wie ihre Diaspora-Netzwerke und ihre interkulturelle Kompetenz, müssen dabei aber auch sog. »Liabilities of Foreignness« bewältigen, die sich u. a. aus Unkenntnis lokaler Gegebenheiten oder eingeschränkter Sozialisierung ergeben (Harima et al. 2016).

• Refugee-Entrepreneure (Heilbrunn et al. 2019; Freiling & Harima 2019) unterscheiden sich von Diaspora-Entrepreneuren insofern, als die Flucht sie dazu treibt, ihre Heimat unfreiwillig zu verlassen. Nicht exakt wissend, in welchem Gastland sie eine Aufenthaltsmöglichkeit finden werden, kann ihre Migration in aller Regel nicht geplant werden und ist vielen Zufällen ausgesetzt. Die Flucht selbst setzt sie Unsicherheiten, Stress und manchmal Traumata aus. Ihre Bindung zur Heimat kann durchaus längere Zeit unterbrochen sein und lediglich auf IT beruhen. Eine Einbindung ins Gastland ist aufgrund unsicherer Aufenthaltstitel und eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten zur dortigen Bevölkerung schwierig und findet oft nur unvollkommen statt. Generell ist über alle Ressourcenkategorien hinweg betrachtet die Situation im Vergleich zu Diaspora-Entrepreneuren deutlich prekärer.

• Returnee-Entrepreneure (Akkurt 2016) gehören zu denjenigen transnationalen Entrepreneuren, die ihr Gastland wieder verlassen und in das Heimatland zurückgehen. Diese Rückkehr kann innerhalb einer Generation erfolgen, sodass eine Zyklik vorliegt (Heimatland – Gastland – Heimatland), oder auch intergenerational angelegt sein, wenn etwa die Kinder in das Heimatland ihrer Eltern zurückkehren und dort gründen. Was auf den ersten Blick aufgrund der vielfältigen internationalen und interkulturellen Eindrücke und Erfahrungen wie ein Vorteil aussieht, kann für Returnee-Entrepreneure manchmal auch nachteilige Folgen haben. So berichten manche Returnee-Entrepreneure von starken Ausgrenzungseffekten im Heimatland, was sowohl auftreten kann, wenn die Rückkehrer aus einem höher entwickelten Gastland zurückkommen, als auch aus einem niedriger entwickelten.

• ›Nomadische‹ Entrepreneure (Saxenian 2002, 2005 und 2006) sind im Bereich der transnationalen Entrepreneure eher selten, aber nicht unwichtig. Die Wirtschaftsgeografin Saxenian nannte sie die »neuen Argonauten«, die sich in Anspielung auf die griechische Mythologie auf geschäftliche Entdeckungsreisen begeben, regionale Vorteile erschließen und dabei unterschiedliche Teile der Welt kennenlernen. Sie können dabei in ihre Ursprungsländer zurückkehren, aber auch räumlich ungebunden ihrer Geschäftstätigkeit nachgehen. Bei den ›nomadischen‹ Entrepreneuren ist die Bindung an ein Heimatland mitunter nicht mehr stark ausgeprägt, was jedoch nicht bedeutet, dass Heimat- wie Gastländer über sie nicht zu einem ›Brain Gain‹ durch ›Brain Circulation‹ gelangen können, wie es auch Saxenian (2005) beschreibt.

Was aber sind die Spezifika transkultureller Gründungen? Transkulturalität ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet, die auch eine Abgrenzung zur Transnationalität ermöglichen (Welsch 1992 und 2017):

• Transkulturalität impliziert das Verlassen eines Kulturraums und das Eindringen in einen anderen. Staatengrenzen spielen – im Gegensatz zur Transnationalität, für die sie zentral sind – keine dominante Rolle.

• Transkulturalität ist zudem ein Status, in dem sich Kulturen verbinden und vermischen. Das beinhaltet einen Austausch zwischen Kulturen im Sinne wechselseitiger Rückkopplungen. Dieser Austausch kann Grenzen aufweichen und ggf. – im Extremfall – zu einem Zusammenwachsen von vormals eigenständigen Kulturen führen.

• Transkulturelle Entrepreneure sind Akteure dieses Austauschs und Verursacher derartiger Rückkopplungen. Sie lassen sich auf eine neue Kultur ein, in der sie gründen. Indem sie dies tun, beeinflussen sie durch ihre Gründung und die damit verbundene Geschäftstätigkeit bereits einen kleinen Ausschnitt in dem neuen Kulturraum, geben ihre Eindrücke aber auch durch Kommunikations- und Interaktionsprozesse an ihren alten Kulturraum zurück.

Die Betrachtung transkultureller Gründungen zusätzlich zu transnationalen Gründungen ist deswegen relevant, weil die kulturelle Prägung von Individuen, Haushalten und sonstigen Gemeinschaften deren Handeln stark bestimmen kann – mitunter stärker als die nationale Herkunft.

Transkulturelle Entrepreneure unterscheiden sich voneinander u. a. in der Art ihrer kulturellen Prägung. Auf der einen Seite gibt es transnationale Entrepreneure mit einer starken Prägung durch ihre Heimatkultur. Sie versuchen in der Entwicklung ihrer Geschäftskonzepte zentrale Eckpunkte ihrer Kultur zu erhalten und zu verankern. Dies ist nicht zuletzt dort zu beobachten, wo religiöse Einflüsse die Kultur prägen. So legen etwa die Religiosität praktizierende muslimische Entrepreneure – neben der Beachtung anderer entsprechender Normen – Wert auf die Beachtung der Prinzipien des »Islamic Banking« (Gümüşay 2015). Derartige Gründungsvorhaben verfügen dann über eine ausgeprägte kulturspezifische Prägung. Auf der anderen Seite verstehen sich viele transkulturelle Entrepreneure durch ihre interkulturellen, aber auch internationalen Erfahrungen als Weltbürger und zählen dann zu den sog. »Cosmopolitan Entrepreneurs« (Bayram 2015; Nummela et al. 2021). Hier ist die Verschmelzung unterschiedlicher Kulturen oft sehr stark und prägt das Venture entsprechend.

Nimmt man nun zusätzlich noch den Sustainability-Bezug in die Betrachtung auf, so lässt sich auf den ersten Blick keine spezielle Nachhaltigkeitsnote identifizieren, wenn es um transnationale bzw. transkulturelle Gründungen geht. Vielmehr hat sich das Eco-Entrepreneurship bislang nicht erkennbar in dieser Hinsicht prägen lassen. Gleichwohl sind nachhaltige Gründungen von transnationalen und transkulturellen Entrepreneuren auch keine Seltenheit, sodass im Folgeabschnitt auf ausgewählte Spielformen Bezug genommen werden kann. Zuvor ist aber konzeptionell das Profil von nachhaltigen Gründungen und damit das Nachhaltigkeitsverständnis aufzudecken, um terminologische und inhaltliche Klarheit zu schaffen.

Nachhaltigkeit im Sinne dieses Bandes zielt auf eine Entwicklung, die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft in Balance zu bringen. Es wird die Nachhaltigkeit somit in eine ökologische, soziale und ökonomische Dimension unterteilt, wobei die einzelnen Komponenten gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Dem Verständnis liegt die Auffassung zugrunde, in der Gegenwart – und wohl auch in der nahen Zukunft – eine solche Balance nicht zu erreichen, allerdings auf längere Sicht in Richtung einer solchen Austariertheit zu steuern, was sowohl vom gesamtgesellschaftlichen als auch vom individuellen Handeln abhängig ist.

Eine weitere Konkretisierungsmöglichkeit von Nachhaltigkeit bietet eine systemtheoretisch inspirierte Betrachtung an, wie sie etwa Müller-Christ (2014) zu entnehmen ist. Auch er bezieht die drei o. g. Dimensionen in sein Nachhaltigkeitsverständnis ein und betont dabei vor allem die Ressourcenseite: »Jedes soziale System (…) braucht zur Erfüllung seiner Zwecke ökologische, ökonomische und soziale Ressourcen, deren Zufluss dauerhaft gesichert sein muss. Es gilt also die Ressourcenquellen in den Blick zu nehmen und in ihre Funktionsfähigkeit zu investieren« (Müller-Christ 2014, S. 67). Ein derartiges systemisches Verständnis schließt Betriebe ebenso ein wie gesellschaftliche Institutionen sowie die Gesellschaft als Ganzes – und demnach die relevanten Ontologien. Zudem stellt Müller-Christ (2014) auf ein systemisches Verständnis von Nachhaltigkeit ab, das dann erreicht ist, wenn dem System nicht mehr an Ressourcen entnommen wird als es zu reproduzieren imstande ist.

Eine solche Betrachtung ist auch für nachhaltige Gründungen nützlich. Es erlaubt nämlich zu differenzieren, ob durch ein Venture (i) erste Beiträge in Richtung auf Nachhaltigkeit auf einzelwirtschaftlicher Ebene erbracht werden, ohne auf dieser Ebene bereits zwingend nachhaltig zu handeln, (ii) das Venture für sich genommen das Nachhaltigkeitsprinzip umgesetzt hat oder (iii) das Venture selbst nicht nur nachhaltig handelt, sondern darüber hinaus auf gesellschaftlicher Ebene Nachhaltigkeitsbeiträge leistet. Dies betrifft auch transnationale und transkulturelle Gründungen.

Darüber hinaus ist die Frage mit Blick auf die Gründungsrealität von Belang, ob es sich um technologieorientierte Gründungen handelt oder dies nicht der Fall ist. Im Falle von transnationalen und transkulturellen Tech-Ventures besteht die Möglichkeit, durch moderne Technologie verstärkt Beiträge zur ökologischen Nachhaltigkeit zu leisten. Non-Tech-Ventures hingegen tragen i. d. R. mittels anderer Ansatzpunkte zur Nachhaltigkeit bei, was z. B. Verhaltensänderungen von Menschen betrifft. Darüber lässt sich wiederum auf die drei o. g. Nachhaltigkeitsdimensionen Einfluss nehmen.

Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Grundlagen widmet sich der nächste Schritt einer ersten Konfrontation mit der Realität. Hierzu werden Fallbeispiele von transnationalen bzw. transkulturellen Gründungen aufgearbeitet, die entlang o. g. Unterscheidungen Bezüge zur Nachhaltigkeitsdiskussion aufweisen.

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