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Jesu „Verlassenheitsschrei“

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Psalm 22 bot sich den frühen Anhängern Jesu bei der Interpretation der Passionserzählung an (s. „Die Erfüllung der Schrift“). Kein Element der Passionsgeschichte ist dramatischer als Jesu letzter Aufschrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Markus gibt die Worte in einer Kombination aus Aramäisch und Hebräisch wieder und schließt daran ihre griechische Übersetzung an. Lk 23,46 lässt diesen Schrei aus und bietet stattdessen ein weniger leidenschaftliches Zitat aus Ps 31,5, während Jesus in Joh 19,30 gar in stoischer Ruhe einen eher philosophischen Satz von sich gibt: „Es ist vollbracht“.

Markus beschreibt den Tod Jesu nicht wie den ehrenvollen Tod des Sokrates (Phaidon 115b–118b) oder den Märtyrertod des Eleasar während des Makkabäeraufstands (2Makk 6,30). Das Leiden, das Jesus vorhergesagt hat, wird vielmehr in allen Details nachgezeichnet/beschrieben, ebenso wie die Paradoxie, dass sich die Leute über ihn lustig machen und (die Ereignisse) nicht verstehen. Jesu erniedrigendes Schicksal, das vom Anfang des Evangeliums an thematisiert und nicht einmal durch einen Auferstehungsbericht (s. die Einleitung zu Mk und die Anm. zu Mk 16,1–8) ausgeglichen wird, wird hier am eindrucksvollsten geschildert. Die anderen Elemente aus Ps 22, die in „Die Erfüllung der Schrift“, aufgelistet sind, dienen nur der Verstärkung des Themas „Leiden durch öffentliche Schande“.In Ps 22, in dessen Hintergrund vermutlich eine schwere Erkrankung steht, folgt auf die Klage die Heilung durch Gott und der Dank für letztere (V. 21b-31). Frühchristliche Leserinnen und Leser, die den Psalm kannten, nahmen gewöhnlich diese Auflösung vorweg, genauso wie sie den Auferstehungsbericht kannten, den Markus nicht wiedergibt. Außerdem beschreibt Markus mit Jesu Schrei nicht notwendigerweise seine Verzweiflung. In der jüdischen Klagetradition kann auch bittere Klage die Kommunikation mit Gott eröffnen und so dem Gebet und einer Bitte um Hilfe weichen (vgl. Klgl 3,22–23). Zusammen mit dem Zerreißen des Tempelvorhangs (Mk 15,38) und dem Bekenntnis des Hauptmanns (Mk 15,39) kann der Schrei Jesu so auch ein Zeichen für den Austausch zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre sein.

Und sie führten ihn hinaus, dass sie ihn kreuzigten. 21 Und zwangen einen, der vorüberging, Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater des Alexander und des Rufus, dass er ihm das Kreuz trage. 22 Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte. 23 Und sie gaben ihm Myrrhe im Wein zu trinken; aber er nahm‘s nicht.

24 Und sie kreuzigten ihn. Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los darum, wer was bekommen sollte. 25 Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. 26 Und es stand geschrieben, welche Schuld man ihm gab, nämlich: Der König der Juden. 27 Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken.[*]

29 Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, 30 hilf dir nun selber und steig herab vom Kreuz! 31 Desgleichen verspotteten ihn auch die Hohenpriester untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen. 32 Der Christus, der König von Israel, er steige nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben. Und die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn auch.

33 Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 34 Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani?[*] Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum[*] hast du mich verlassen?

35 Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. 36 Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme!

37 Aber Jesus schrie laut und verschied.

38 Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 39 Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!

40 Und es waren auch Frauen da, die von ferne zuschauten, unter ihnen Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jakobus des Kleinen und des Joses, und Salome, 41 die ihm nachgefolgt waren, als er in Galiläa war, und ihm gedient hatten, und viele andere Frauen, die mit ihm hinauf nach Jerusalem gegangen waren.

42 Und als es schon Abend wurde und weil Rüsttag war, das ist der Tag vor dem Sabbat, 43 kam Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete; der wagte es und ging hinein zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. 44 Pilatus aber wunderte sich, dass er schon tot war, und rief den Hauptmann und fragte ihn, ob er schon länger gestorben wäre. 45 Und als er‘s erkundet hatte von dem Hauptmann, überließ er Josef den Leichnam. 46 Und der kaufte ein Leinentuch und nahm ihn ab vom Kreuz und wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in ein Grab, das war in einen Felsen gehauen, und wälzte einen Stein vor des Grabes Tür. 47 Aber Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Joses, sahen, wo er hingelegt war.

Mk 15,20–47 Die Kreuzigung und das Begräbnis (Mt 27,27–61; Lk 23,18–56; Joh 19,1–3.17–42) 15,22 Golgatha, aram. für Schädelstätte, was sich auf die Form des Hügels beziehen könnte. 15,23 Myrrhe im Wein, hier und in V. 24 und V. 34, vgl. „Schriftverheißung und Erfüllung“). 15,24 Die Kreuzigung wird in nur einem Satz beschrieben. Die außerordentlichen physischen Qualen sollten allen bekannt gewesen sein, aber die Evangelien heben den Aspekt der Schande stärker hervor als den des Leidens. Die Römer behielten sich den Tod durch Kreuzigung für Versklavte und Aufständische vor. Teilten seine Kleider, die Darstellung von Einzelheiten der Kreuzigungsszene wurde von Psalmen und dem Buch Jesaja inspiriert. 15,33 In jüdischen Apokalypsen (z.B. syrBar 32) spiegeln die Zustände am Ende der Zeit diejenigen der Schöpfung wider; vgl. Gen 1,2–3. 15,36 Essig, ein leichtes Betäubungsmittel. 15,38 Zerriss, Mk 1,10; Jes 63,19. Das Zerreißen des Vorhangs könnte die Anwesenheit der Macht Gottes im Augenblick von Jesu Tod symbolisieren, den Zugang zu Gott, oder symbolisch für die Tempelkritik stehen und auf dessen Zerstörung vorausgreifen. 15,39 Am Höhepunkt des Evangeliums verkündet der Hauptmann, was die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu nicht konnten. (vgl. Joh 11,49–52). 15,40–41 Die Frauen […] die ihm gedient hatten, vgl. Anm. zu 1,30–31; sie sehen sowohl die Grablegung (V. 47) als auch das leere Grab (Mk 16,1–8); bei Markus dienen sie als Zeuginnen, dass das leere Grab auch jenes ist, in das Jesu Leichnam gelegt wurde; laut Josephus hingegen war es Frauen nicht gestattet, als Zeuginnen zu fungieren (Ant. 4,219). 15,42 Rüsttag […] der Tag vor dem Sabbat, Jdt 8,6; 2Makk 8,26; dies impliziert, dass die Kreuzigung an einem Freitag stattfand. In Joh 19,14 fällt die Kreuzigung auf den Rüsttag des Pesachfestes, nicht auf den ersten Festtag. 15,43 Josef, auch andere erwarteten das Reich Gottes, weshalb er nicht notwendiger Weise ein Nachfolger Jesu sein musste; vgl. Mk 12,34. Indem er sicherstellt, dass der Leichnam Jesu vor Sonnenuntergang entfernt wird, erfüllt Josef Dtn 21,22–23 (vgl. Tob 1–2).

Markus 16

1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.

5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Mk 11,1–16,8 Der letzte große Abschnitt: Passion und Tod

Mk 16,1–8 Das leere Grab (Mt 28,1–8; Lk 24,1–11; Joh 20,1–10) 16,1 Jüdische Bräuche der Totensalbung für das Begräbnis finden sich in mSchab 23,5, wo auch die Beschränkungen der Vorbereitung des Körpers am Sabbat aufgeführt werden. Die Frauen warten, bis der Sabbat vergangen war, um Jesu Körper für die ordnungsgemäße Bestattung zu präparieren. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zwei verschiedene Gräber als Gräber Jesu identifiziert, aber für keines von beiden kann ein historischer Anspruch erhoben werden. 16,5–6 Jüngling, wieder spielt Markus die göttliche Dimension herunter: Die Gestalt ist wie ein bewährter Märtyrer gekleidet (Dan 11,35, „lauter“, hebr. für „weiß gemacht werden“); er könnte auch ein Engel sein (vgl. Joh 20,12). In ähnlicher Weise ist auch Jesu Kleidung bei der Verklärung weiß (Mk 9,3.6). 16,7 Bei Markus wird die Erscheinung Jesu in Galiläa vorausgesagt (vgl. Mk 14,28), die Matthäus beschreibt (Mt 28,16–20); Lukas lokalisiert die Erscheinungen in Jerusalem, Emmaus und Bethanien, allesamt in Judäa; in Joh 21 erscheint Jesus am Meer von Tiberias (dem Galiläischen Meer), während Joh 20 und der längere Markusschluss (s.u.) wie Lukas die Auferstehungserscheinungen in Jerusalem stattfinden lassen. 16,8 Das Ende des MkEv schildert die erwartete erneute Erscheinung Jesu nicht, die die Leserschaft gekannt haben wird (vgl. 1Kor 15,3–5). Das Evangelium endet also mit einem letzten paradoxen Element: Jetzt, bei der Auferstehung, werden die Nachfolgerinnen und Nachfolger dazu aufgefordert zu verkünden, was sie gehört haben; aus Furcht bleiben sie jedoch still.Zwei alternative Markusschlüsse Es ist unwahrscheinlich, dass Matthäus oder Lukas beim Verfassen ihrer Evangelien Fassungen des MkEv verwendeten, die einen der erweiterten Schlüsse enthielten. Der kürzere Schluss, der V. 8 um zwei Sätze ergänzt, ist in keiner Handschrift vor dem vierten Jahrhundert bezeugt.

9 [Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte. 10 Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren, die da Leid trugen und weinten. 11 Und als diese hörten, dass er lebe und ihr erschienen sei, glaubten sie nicht. 12 Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie aufs Feld gingen. 13 Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht.

14 Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen. 15 Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. 16 Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. 17 Die Zeichen aber, die folgen werden denen, die da glauben, sind diese: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, in neuen Zungen reden, 18 Schlangen mit den Händen hochheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird‘s ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, so wird‘s gut mit ihnen.

19 Nachdem der Herr Jesus mit ihnen geredet hatte, wurde er aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes. 20 Sie aber zogen aus und predigten an allen Orten. Und der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen.][*]

Mk 16,9–20 Der traditionelle, lange Schluss Dies war höchstwahrscheinlich nicht das ursprüngliche Ende des MkEv; in der Forschung wird meist davon ausgegangen, dass es sich um eine Kompilation von verschiedenen Sätzen der anderen Evangelien aus dem zweiten Jahrhundert handelt. Jahrhunderte lang galt er als das authentische Ende des Evangeliums und war bis in das 20. Jahrhundert in den meisten Bibelüberersetzungen enthalten. Er bietet die Schriftgrundlage für Gruppen, die das „Schlangenaufheben“ und das Trinken von Gift praktizieren, während sie „im Geist“ sind.

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