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Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich 1770

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Erstdruck: Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich. von Moses Mendelssohn. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai 1770, 32 S. [hier: |]

JubA Bd. 7, S. 5–17. [hier: ||]

Das Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater ist der Sache nach ein offener Brief Mendelssohns an Lavater, den Nicolai seiner Bedeutung wegen im eigenen Verlagshaus druckte. Anlaß dieses Schreibens war eine Widmung Lavaters, der seine deutsche Übersetzung von Charles Bonnets Buch Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum Mendelssohn zugeeignet hatte und 1769 sein Widmungsschreiben zusammen mit dieser Übersetzung zum Druck gebracht hatte. In Lavaters Widmung wird Mendelssohn aufgefordert, entweder Bonnets Beweise für das Christenthum öffentlich zu widerlegen oder zum Christentum überzutreten. Die Widmung lautet:

Verehrenswürdigster Herr!

Ich weiß die Hochachtung, die mir Ihre fürtreflichen Schriften und Ihr noch fürtreflicherer Charakter, eines Israeliten, in welchem kein Falsch ist, gegen Sie eingeflößt haben, nicht besser auszudrücken, und das Vergnügen, das ich vor einigen Jahren in Ihrem liebenswürdigen Umgange genossen, nicht besser zu vergelten, als wenn ich Ihnen die beßte philosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum, die mir bekannt ist, zueigne.

Ich kenne Ihre tiefen Einsichten, Ihre standhafte Wahrheitsliebe, Ihre unbestechliche Unpartheylichkeit, Ihre zärtliche Achtung für Philosophie überhaupt, und die Bonnetischen Schriften besonders: Und unvergeßlich ist mir jene sanfte Bescheidenheit, mit welcher Sie, bey aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum, dasselbe beurtheilen; und die philosophische Achtung, die Sie in einer der glücklichsten Stunden meines Lebens über den moralischen Charakter seines Stifters bezeugt haben; so unvergeßlich und dabey so wichtig, daß ich es wagen darf, Sie zu bitten, Sie vor dem GOtte der Wahrheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Vater zu bitten und zu beschwören: Nicht, diese Schrift mit philosophischer Unpartheylichkeit zu lesen; denn das werden Sie gewiß, ohne mein Bitten, sonst thun: Sondern, dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heissen; – was Socrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte.

GOtt lasse noch viel Wahrheit und Tugend durch Sie ausgebreitet werden; lasse Sie alle das Gute erfahren, das Ihnen mein ganzes Herz anwünscht.

Zürich,

den 25sten des Augusts

1769.

Johann Caspar Lavater.

In seinem Schreiben an Lavater nun bringt Mendelssohn sein Befremden über diese öffentliche Aufforderung zur Taufe zum Ausdruck und wirft Lavater den Bruch der Vertraulichkeit und den Mißbrauch der in Mendelssohns Haus genossenen Gastfreundschaft vor. Dem aggressiven Versuch Lavaters, den Juden Mendelssohn in einen für Juden prekären, öffentlichen Disput über religiöse Wahrheiten des Christentums zu ziehen und ihn zu zwingen, entweder die Glaubenslehren des Christentums offen anzufechten oder aber sich taufen zu lassen, entzieht sich Mendelssohn: Er versichert Lavater, daß er die Grundsätze der eigenen jüdischen Religion von Jugend an im Lichte von Weltweisheit und Wissenschaften vernünftig geprüft habe und daß diese Prüfung zum Vorteil der jüdischen Religion ausgefallen sei. Zu Abfall oder Konversion zum Christentum besteht also für ihn überhaupt kein Grund. Mendelssohn weigert sich indessen grundsätzlich, seine Überzeugung von der Wahrheit der Religion seiner Väter gegenüber dem Christentum oder anderen Überzeugungen öffentlich darzustellen oder zu diskutieren. Dafür nennt er religiöse und philosophische Gründe: Erstens ist das Judentum keine missionarische Religion, da seine Gebote und Lehren von Gott nur dem jüdischen Volk gegeben wurden. Juden können gemäß der rabbinischen Tradition der Noachidischen Gebote mit tugendhaften Menschen aller Nationen und Religionen zusammenleben, ohne diese zum Judentum zu bekehren. Zweitens spricht philosophisch gegen öffentliche „Religionsstreitigkeiten“, daß in einem Gemeinwesen nur solche religiösen und sittlichen Irrthümer wie „Fanatismus, Menschenhaß, Verfolgungsgeist“ sowie „Leichtsinn, Ueppigkeit und Freygeisterey“ öffentlich bekämpft werden müssen, weil diese Irrtümer der natürlichen Religion und dem natürlichen Gesetz widersprechen und darum Ruhe, Zufriedenheit, Sittlichkeit und Glückseligkeit aller Menschen in ihrem Zusammenleben stören. Religiöse Irrtümer hingegen, welche die allgemeine Sittlichkeit und Ordnung nicht gefährden, können mit Stillschweigen übergangen werden. Überdies, fügt Mendelssohn hinzu, sei er als Jude „Mitglied eines unterdrückten Volks“, dessen bloßes Aufenthaltsrecht vom „Wohlwollen der herrschenden Nation“ abhängig und darum gefährdet sei und dem deswegen „Freyheiten, die jedem andern Menschenkinde nachgelassen werden“, versagt sind. Angesichts dieser für Juden bedrohlichen Machtverhältnisse habe er es sich zum Grundsatz gemacht, „Religionsstreitigkeiten mit der äußersten Sorgfalt zu vermeiden“.

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In der Schrift Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin nahm Lavater 1770 sein Ansinnen einer öffentlichen Widerlegung von christlichen Glaubenslehren mit Bedauern zurück, nachdem zahlreiche Freunde, Publizisten und Spötter, aber auch Charles Bonnet selbst, seine Widmung kritisiert hatten. Dennoch unterläßt er es nicht, den Wunsch zu äußern: „Wolte Gott, daß Sie ein Christ wären!“

In seiner in derselben Schrift mitabgedruckten Replik Mendelssohns Nacherinnerung akzeptiert Mendelssohn sehr distanziert Lavaters Rücknahme als durchaus ehrenwert und macht an einem Beispiel eine Differenz zu Bonnet deutlich: Während Bonnet Wunder für „untrügliche Zeichen der Wahrheit“ im Christentum erkläre, gründet das Judentum auf der Offenbarung der göttlichen Gebote am Sinai und deren Wahrheit, also nicht auf (der Vernunft unbegreiflichen) Wundern, sondern auf einem Akt öffentlicher Gesetzgebung: „Nicht auf Wunderwerke also; auf die Gesetzgebung gründet sich unser Glaube an eine Offenbarung.“

Im weiteren Text der Nacherinnerung sieht Mendelssohn aufgrund der inzwischen judenfeindlich aufgeheizten öffentlichen Debatte um Lavaters Taufaufforderung seine eigene, prinzipielle Verweigerung öffentlicher Religionsstreitigkeiten bestätigt. Er exemplifiziert dies an den heftigen judenfeindlichen Attacken des Dr. Johann Balthasar Kölbele, der sich öffentlich in die Auseinandersetzung mit Lavater eingemischt und gleich in mehreren älteren Schriften auch Mendelssohn persönlich angegriffen und herabgewürdigt hatte. Mendelssohn verweigert Kölbele jegliche öffentliche Auseinandersetzung über dessen judenfeindliche Polemiken und verwahrt sich gegen dessen Versuch, diese zu erpressen. In Sachen des Judentums erklärt er Kölbele für schlechthin ignorant und überläßt dessen beleidigende Anwürfe der Verachtung des Publikums.

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Die nicht datierte Handschriftliche Notiz Mendelssohns entstand im Kontext des Lavater-Streits wohl 1769/70. Sie enthält nicht für die Publikation gedachte, persönliche Überlegungen Mendelssohns zur Motivation und den Absichten Lavaters, die diesen zur Veröffentlichung des Widmungsschreibens bewegt haben könnten. Sehr bündig faßt Mendelssohn für sich selbst in dieser Notiz einige Grundeinstellungen zu Christentum und Judentum sowie, voller Sarkasmus, antijudaistische Vorurteile seiner Zeit zusammen: Seine reflektierte und in vernünftiger Überlegung gegründete Entferntheit zum Christentum und dessen religiösen Lehren bei gleichzeitiger Hochachtung für den nur als Menschen betrachteten Jesus von Nazareth „als tugendhafter Mann“; ferner die Überzeugung, die göttlichen Gebote vom Sinai seien, wie schon Maimonides (11381204) geschrieben hatte, nur den Juden geoffenbart und nur für sie verbindlich; und nicht zuletzt die Gewißheit, daß die Juden entgegen aller antijüdischen theologischen „Widerlegungen“ ihrer Religion und entgegen aller Opportunität „verstockt“ an ihrer Religion festhalten und sich nicht bekehren werden, obwohl sie dadurch im Stand der Diskriminierung, Armut und Rechtlosigkeit bleiben.

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Der ebenfalls nur handschriftlich erhaltene und undatierte Brief Moses Mendelssohns an den Erbprinzen Carl von Braunschweig-Wolfenbüttel ist die Antwort auf ein Schreiben des an Fragen der Aufklärung interessierten Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (17351806), den Mendelssohn 1769 im Berliner Schloß und 1770 anläßlich seines Besuches bei seinem Freund Lessing in Wolfenbüttel getroffen hatte, wo Lessing seit 1769 Hofbibliothekar war. Der Erbprinz hatte Mendelssohn schriftlich gebeten, ihm seine Gründe gegen das Christentum und gegen die Konversion, welche Mendelssohn nicht im Rahmen eines publizistischen Religionsstreits gegen Lavater hatte öffentlich disputieren wollen, doch persönlich mitzuteilen. Mendelssohn reagiert, durchaus im Einklang mit seiner Verweigerung einer öffentlichen Kontroverse, mit einer persönlichen, nicht für die Öffentlichkeit gedachten Darstellung seiner Gründe an den Erbprinzen und bittet in dem vermutlich noch 1770 verfaßten Brief den Prinzen um Diskretion. In Art eines Lehrbriefs stellt Mendelssohn hier in für sein ganzes Werk einmaliger Detailliertheit jene zentralen christlichen Lehren vor, die er aufgrund von „Vernunft und Nachdenken“ mit Gründen ablehnt: die Trinitätslehre, die Menschwerdung Gottes in der Person Jesu Christi und die Lehre von einer Erlösung durch das Sohnesopfer am Kreuz, desgleichen Höllenstrafen, Erbsünden- und Teufelslehre und die Lehre von der Aufhebung des Mosaischen Gesetzes durch Christus.

Literatur:

Simon Rawidowicz: Einleitung. Zum Lavater-Mendelssohn-Streit, in: JubA Bd. 7, S. XI-LXXX; Dominique Bourel: Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums, Zürich 2007, S. 279–312; Christoph Schulte: Noachidische Gebote und Naturrecht, in: Richard Faber, Enno Rudolph (Hg.), Humanismus in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2002, S. 141–166.

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