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Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin
von Johann Casper Lavater

Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn 1770

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Erstdruck: Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin, von Johann Casper Lavater. Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai. 1770, 68 S. [hier: |]

JubA Bd. 7, S. 23–37. [hier: ||]

Verehrenswürdiger Herr!

Ich hatte mir die Freyheit genommen, Sie öffentlich aufzufordern, Herrn Bonnets Untersuchung der Beweise für das Christenthum entweder zu widerlegen, oder zu thun, was ein Sokrates gethan haben würde, wenn er das Wesentliche dieser Untersuchung unwiderleglich gefunden hätte.

Ich will es Ihnen nicht verhehlen, dieser Schritt, der Sie so sehr befremdet, ist beynahe allen meinen Freunden, und insonderheit den auswärtigen, vornehmlich aber dem Herrn Bonnet übereilt vorgekommen. Dieser letztere mißbilligte ihn sehr; aber es war zu späte. Die dringende Nähe der Messe machte es mir unmöglich, mich mit meinen auswärtigen Freunden hierüber zu berathschlagen. |

Sie können es wissen, theuerster Freund! (Sie geben mir das Recht, Sie so zu nennen) daß mir diese nachherigen Urtheile meiner Freunde nichts weniger, als gleichgültig gewesen sind; daß ich schon vor dem Empfange Ihres gütigen Schreibens geneigt war, Sie aus der Verlegenheit, in welche ich Sie gesetzt hatte, herauszuziehen.

Ich konnte freylich das geschehene darum noch nicht ganz bereuen, und glaube auch jetzo, nach dem Empfange Ihres Schreibens, und nach den so ungleichen Urtheilen des Publikums, noch nicht Ursache zu haben, es ohne Beding zu bereuen. Ich fange aber an, einzusehen, daß ich meine Absicht auf einem andern Wege vielleicht glücklicher erreicht, und ihnen zugleich diese Verlegenheit erspart haben könnte.

Meine Absicht war nicht, Ihnen ein Glaubensbekenntniß abzunöthigen. – Sie gieng nur dahin, der mir so angelegenen Sache des Chri-|stenthums, die ich vom Herrn Bonnet sehr wohl vertheidigt glaubte, einen meiner Meynung nach weit wichtigern Dienst, als || die Uebersetzung dieser Schrift war, zu erweisen, indem ich Sie zu bereden hoffte, eine Untersuchung derselben vorzunehmen: Eine Untersuchung, von der ich zum voraus glaubte, sie müßte viel dazu beytragen, die Wahrheit, oder das, was ich nach meiner Ueberzeugung für Wahrheit hielt, in das helleste Licht zu setzen. |

Jetzt sehe ich, daß ich diese Absicht, wenigstens für das Publikum, eher erreicht haben würde, wenn ich entweder in einem Privatschreiben Sie um Ihre Gedanken über Bonnets Philosophie, und die Anwendung derselben auf das Christenthum ersucht, oder, so ich ja Einen Schritt weiter gehen wollte, die Zuschrift durchaus so eingerichtet hätte, wie sie seyn müßte, wenn man die Schrift eines Philosophen einem andern Philosophen zur Prüfung vorlegen wollte.

Ihr gütiges Schreiben bestätigt das Urtheil meiner Freunde, und überführt mich völlig davon, daß ich gefehlt habe. – Sie lassen meiner guten Absicht Gerechtigkeit wiederfahren. Sie zeigen mir aber zugleich, was für Gründe ich nicht allein hätte anhören, was für andere auf Ihrer Seite ich hätte bedenken sollen: Gründe, die Sie berechtigen, weder anzunehmen, noch öffentlich zu widerlegen; Gründe, die zu sagen Sie gar nicht verbunden wären.

Ich muß es jetzt eben darum zu meiner Vertheidigung für unzulänglich halten, meine Gründe, die mich bewogen haben, diesen Schritt zu thun, hier weitläuftig anzuführen. Sie würden wohl überhaupt mein Verlangen, die Bonnetsche Schrift von Ihnen untersucht zu sehen, bey allen, die Sie als Philosophen kennen, rechtfertigen. Sie würden zeigen, daß jeder, der sich genau in meinem Standorte befunden hätte, wo nicht in Verbindlichkeit, doch in die stärkste | moralische Versuchung gekommen wäre, Ihnen diese Untersuchung nahe ans Herz zu legen. Aber das so dringende, das so unbedingte meiner Aufforderung würde um der von Ihnen angeführten Gründe willen, immer ein Fehler bleiben.

Freylich davon, mein edler Wahrheitsfreund, bin ich jetzt noch mehr, als jemals überzeugt, daß ich mich an den rechten Mann gewandt hätte, wenn nur meine Kühnheit nicht weiter gegangen wäre, als Ihnen diesen Theil der Bonnetschen Philosophie, als einem Weltweisen zur strengen gemeinnützigen Prüfung vorzulegen. || Ueber die Wichtigkeit der Anwendung der Philosophie auf die Offenbarung sind wir eins. Ihnen ist nichts wichtiger, als diese Anwendung. „Sie haben Ihre Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen. Die Pflicht, sie zu prüfen, haben Sie gar frühzeitig erkannt; und, wenn Sie von früher Jugend an Ihre Ruhe |und Erhohlungsstunden der Weltweisheit und den schönen Wissenschaften gewidmet haben, so ist es einzig und allein in der Absicht geschehen, sich zu dieser so nöthigen Prüfung vorzubereiten.“ – – O mein verehrenswürdiger Freund! Sie beschreiben mir, wider Ihre Absicht, den Mann, an den ich am liebsten wünschte, mich wenden zu dürfen, um von seinen Untersuchungen Nutzen zu schöpfen, und ihm die meinen zur schärfsten Prüfung vorzulegen.

Allein, ich sollte billig nicht allein bedacht haben, daß die Untersuchung der Religion Ihnen eben so wichtig vorkommen müsse, als mir; ich sollte mich außerdem auch gefragt haben: Ob eben dieselbe Pflicht, welche die Untersuchung der Religion und das Bekenntniß derselben gebeut, auch in die Verbindlichkeit setze, sich in Religionsstreitigkeiten einzulassen? – Da hätte ich dann wenigstens einige von den Gründen mir vorstellen können, womit Sie mir zeigen, daß Sie hierzu | nicht verbunden seyn, und daß ich Sie nicht so feyerlich und unbedingt hätte auffordern sollen. Und wenn mir auch diese Ihre Gründe nicht sogleich eingeleuchtet hätten, so hätte mir doch schon das, daß wir über die Wichtigkeit der Untersuchung des Christenthums noch nicht übereingekommen waren, ein Abhaltungsgrund seyn sollen.

Ich nehme also meine unbedingte Aufforderung, als eine Sache, zu welcher ich nicht hinlänglich berechtiget war, zurück, und bitte Sie vor dem ganzen Publikum aufrichtig: Verzeihen Sie mir das allzudringende, das Fehlerhafte in meiner Zuschrift.

In der zuversichtlichen Erwartung, Sie werden meine aufrichtige Abbitte annehmen, wage ich es, Ihnen noch meine Gedanken über einige Punkte Ihres Schreibens offenherzig mitzutheilen, und den Wunsch, meines Herzens zu eröffnen.

Es würde mich sehr kränken, wenn Sie bloß aus Gefälligkeit, aus Menschenfreundlichkeit, den | Verdacht, als ob ich gegen ein Versprechen gehandelt hätte, unterdrückten.

So, wie ich unserer Unterredung gedachte; – – Können Sie, red-||liche Seele, das Publikum auch nur von Ferne vermuthen lassen, daß es Uebertretung eines Versprechens, daß es ein indiscreter, Ihnen nachtheiliger Gebrauch von dieser Unterredung sey? – – Können Sie mir einen solchen Mangel von aller Klugheit zutrauen, daß ich mich einem solchen Vorwurfe würde bloßgesetzt haben, wenn ich hätte denken können, ihn zu verdienen? – – Sehr würde es mich schmerzen, wenn Ihnen, wider meine Absicht, der geringste Verdruß dadurch veranlasset werden sollte; daß ich mich nicht genugsam in Ihre Umstände gesetzt hätte. Und in diesem Falle würde ich Gott bitten, daß Er alle Ihnen unangenehme Folgen meines Versehens von Ihnen abwenden möge. – – Da einmal diese Unterredung die erste Veranlassung mei-|ner Zuschrift war, so fand ich es in dem Augenblicke, da ich sie schrieb, sehr natürlich, sehr unschuldig, derselben überhaupt zu gedenken.

Aber, daß ich bey Erwähnung Ihrer Hochachtung für den moralischen Character des Stifters meiner Religion, die Bedingung verschwiegen habe, die Sie ausdrücklich hinzugethan? Das ist – – Nein, mein Freund, Unredlichkeit ist es gewiß nicht, – habe ich es merken lassen, daß diese Ihre Hochachtung unbedingt sey? Ich habe ja nicht einmal das Wort Hochachtung in meiner Zuschrift gebraucht. Ich redete nur von Achtung; nicht von religiöser; gar nicht! Denn das wäre nicht wahr gewesen; sondern nur von philosophischer Achtung; mit Vorbedacht ließ ich dieses Wort so wohl als das Wort moralischen auseinandersetzen. Gerade vorher gehen die Ausdrücke: Bey aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum. – Konnte nun der bil-|lige1 Leser nicht gleich merken, daß freylich Ihre Achtung nicht ohne Bedingung, daß sie gar sehr eingeschränkt, und nichts weniger, als religiös sey? – Deutlicher hätte ich mich ausdrücken können: Jetzt sehe ich, daß ich es wirklich hätte thun sollen; so sehr ich vielleicht auch zu besorgen gehabt hätte, daß Sie mich || alsdann des Nichthaltens meines Versprechens erinnert haben würden.

Ich würde mich meines Mißtrauens gegen das edelgesinnteste Herz schuldig machen, wenn ich glaubte, daß Sie nach einer solchen Erklärung diese Hinweglassung noch für vorsätzlich oder unmoralisch halten könnten. Wo ich nicht irre, | so war die Aeußerung Ihrer Achtung für den Stifter meiner Religion mit folgender großer Bedingung verknüpft: „Wenn Er sich die Ehre der Anbetung, die dem Einigen Jehovah gebührt, nicht angemaßt hätte!“ Setzen Sie es hinzu, wenn es eine andere ist.

Sie verwundern sich, mein verehrenswürdiger Herr, daß ich die Bonnetsche Schrift für hinlänglich gehalten habe, Sie zu überführen. – – Freylich könnte mich meine eigne Ueberzeugung von der Göttlichkeit meiner Religion in Abwägung der Beweise meines Verfassers blenden. Ich habe sie vielleicht stärker gefunden, als sie sind, vielleicht stärker, als Er, dieser bescheidene Philosoph sie selbst glaubt, (denn gewiß hat er dabey nicht die Überzeugung von Lesern Ihrer Religion eigentlich zur Absicht gehabt;) und, wenn ich auch wirklich einige Lücken oder schwächere Seiten darinne zu erblicken geglaubt hätte; konnten sie mir nicht von einer solchen Art zu | seyn scheinen, Sie als ein so geübter Philosoph dieselben leicht würden ergänzen, und dessen ungeachtet das Wesentliche seiner Schlüsse unwiderleglich finden können? Ich drang offenbar nur auf die Untersuchung der Thatbeweise für das Christenthum, so wie sie Herr Bonnet abgewogen hatte. Ich sagte kein Wort von der Lehre. Nur die Geschichte wollte ich vorerst von einem unparteyischen Philosophen untersucht wissen.

Das konnte ich mir freylich gar nicht vorstellen, und es ist mir itzt noch unerklärlich, wie Sie, bey Ihrer völligen Ueberzeugung von dem Wesentlichen Ihrer Religion, sich dennoch getrauen wollten, „mit denselben Gründen womit Bonnet das Christenthum beweiset, welche Religion man will, zu vertheidigen“ –

Sie sind ganz freymüthig: Lassen Sie es mich auch seyn. – In Ihrem die Bonnetsche Schrift so tief herabsetzenden Urtheile verkenne | ich den Philosophen Moses ein wenig. Ich kann mich irren; aber ich mag die Sache überlegen wie ich will; bey diesem so sehr absprechenden Tone, der offenbar weiter geht, als es die Absicht Ihres Schreibens zu erfordern, als es von der einen Seite bey || dem Bekenntnisse zu einer geoffenbarten Religion möglich zu seyn scheint, kann ich mir von der andern Seite wiederum einen Mann ohne große Vorurtheile für seine Religion nicht wol denken.

Sie bekennen sich zu der Religion Ihrer Väter; einer dem Ansehen nach überstrengen, allgemein-verachteten Religion. Sie sind von ganzem Herzen von ihrer Wahrheit überzeugt! – Zu einer geoffenbarten Religion? Sie sind weit davon entfernt, in Ihrem Sinne alle Offenbarung zu verlachen, oder zu verachten – und doch muß Ihre ganze Seele eine andre Natur annehmen, wenn Sie ein Christ werden sollten – – | Ich bin nun völlig hievon überzeugt. Es befremdet mich unaussprechlich; aber es erschreckt mich nicht sehr – – der größte Sachwalter des Christenthums war ehemals wenigstens eben so weit davon entfernt, als Sie immer seyn können. Freylich nahm seine ganze Seele eine andre Natur an. Ein Phänomen, dessen historische Glaubwürdigkeit Ihnen schwerlich verdächtig seyn kann, und dessen Erklärung aus natürlich-psychologischen Ursachen von Ihnen wohl am meisten für unzulänglich erkannt werden muß – – Denn wer sollte die natürliche Unmöglichkeit, daß der erklärteste Verfolger des Christenthums auf einmal der treuste, feurigste und heldenmüthigste Verfechter desselben werden könnte, tiefer empfinden müssen, als Sie? – Sie, der ohne ein Gegner des Christenthums werden zu wollen, – von aller Verfolgungssucht unendlich entfernt, – Sie, der bey aller Fülle der edelsten, menschenfreundlichsten, erhabensten Gesinnungen gegen die | Christen, so sehr diese auch zur ewigen Schande des Christenthums und der Menschheit die heiligsten Pflichten gegen Ihre Nation, die ihnen doch in mancher Absicht so ehrwürdig seyn sollte, auf eine so kränkende Weise verletzen – dennoch es für moralisch unmöglich halten, jemals ein Christ zu werden? – Thatsachen und innere moralische Schönheit beyder Religionen – Moses und Christus – die zehn Gebote und die Bergpredigt, die Propheten und Apostel – die Entfernung und die Beschaffenheit des beyderseitigen Zeitalters – die mehr oder weniger unterbrochene Folge von Zeugen und schriftlichen oder andern Monumenten – – alles gegen einander abgewogen – – Ich lege die Hand auf den Mund. – – Möchte ich so glücklich seyn, die || philosophischen Gründe zu wissen, auf welche Sie die Göttlichkeit der jüdischen Religion stützen! – welch ein undurchdringliches Räthsel: Ihr unabgefordertes Glaubensbekenntniß, | worin ich nach meiner Einfalt unmöglich die mindeste Zweydeutigkeit vermuthen darf, und Ihre noch um nichts verminderte Entferntheit von meiner Religion, würde sich mir dadurch auflösen!

Nöthigen will ich Sie freylich nicht, redlicher Wahrheitsfreund, (denn ich habe kein Recht dazu) Bonneten oder das Christenthum zu widerlegen, oder zu sagen, warum Sie ein Jude und kein Christ sind? – Aber sagen muß ich, was ich schon zu verstehen gegeben habe: Ich halte die wesentlichen Argumentationen in Ansehung der Thatbeweise für das Christenthum für unwiderleglich; und sagen darf ich, daß ich die Wahrheit so sehr liebe, daß mich alle Anhänglichkeit an meine Religion nicht abhalten würde, sie zu verlassen, wofern man mir die Falschheit derselben aufdecken, oder mich auch nur überführen könnte, daß die moralischen und Thatbeweise für die Göttlichkeit der Sendung Jesu weniger | logischen Werth hätten, als die Beweise, auf welche Sie die Göttlichkeit der Sendung Moses und der Propheten gründen. – In allen Dingen, die von Menschen herrühren, kann man Nachsicht haben: aber Gott bedarf keiner Nachsicht. Ich mag der Religion nicht, und wenn sie noch so schöne Seiten hätte, die sich in dem erhabensten Sinne für göttlich ausgäbe, und doch beym Lichte einer durchaus unpartheyischen Untersuchung nichts als feiner Betrug wäre, und wenn dieser Betrug auch aus den heiligsten Absichten herzufliessen schiene.

Doch, ich entsinne mich, daß Ihr Urtheil, welches mich diese Gesinnungen zu äußern veranlaßt, freylich nicht auf alle und jede Beweise für das Christenthum, sondern nur auf den Bonnetschen geht, von welchem Sie glauben, daß er vielen andern Vertheidigungen meiner Religion nachzusetzen sey. Da ich aber immer noch Ursache zu haben glaube, meinen Verfasser unter die vor-|nehmsten Vertheidiger des Christenthums zu zählen; da mir unter allen, die ich gelesen, keiner bekannt ist, der die Regeln einer gesunden Logik mehr befolgt, die Ausführung seiner Beweise interessanter gemacht, sie besser verbunden und genauer || bestimmt hätte, so wäre mir wirklich sehr viel daran gelegen, die Gründe zu wissen, aus welchen dieß Ihr Urtheil hergeflossen ist. Die Kenntniß und Untersuchung derselben müste mir allemal sehr nützlich seyn; auch, wenn ich mich dahin gebracht sähe, einige bisher für wahrgehaltene Beweißgründe meines Glaubens aufzugeben. Ich würde es immer für einen Dienst, eine Wohlthat halten, die den ganzen Dank meines Herzens verdiente, wenn man mir die Schwäche eines Beweises für meine Religion aufdeckte: was helfen mir Stützen, auf die ich mich nicht mit völliger Sicherheit lehnen kann?

Was soll ich aber nun thun? – Sie sagen, daß Sie keine Verbindlichkeit haben, sich in Re-|ligionsstreitigkeiten einzulassen, weder um Ihre eigene auszubreiten, noch um andre von dem Ungrunde der ihren zu überführen. Unter Ihren Gründen haben mich die am stärksten zu seyn bedünkt, die von der Natur Ihrer Religion hergenommen sind. Ich kann es begreifen, selbst nach meiner Idee von dem Judenthum, die ich mir aus unserer gemeinschaftlichen Offenbarung mache, daß die jüdische Religion und Kirche nicht weiter ausgebreitet seyn wolle, als über die Nachkommen Israels; daß folglich der Geist der Bekehrung hier nicht Statt finde. Von dem Christenthum hingegen muß ich umgekehrt denken. Dieses soll, seiner Natur nach, eine allgemeine, für alle Nationen gleichpassende Religion seyn. Ich als Christ glaube also die stärkste, obgleich von vielen meiner Brüder verkannte, Verbindlichkeit zu haben, die Ehre meines Herrn und Meisters und die Wahrheit seiner Religion auf alle vernünftige und der Natur der Sache ge-|mäße Weise auszubreiten, und von jedem schädlichen Vorurtheile zu befreyen.

Ob ich nun gleich um jenes Grundes und zum Theil auch um der andern Gründe willen die Unschicklichkeit einer Auffoderung in diesem Falle einsehe, so kann ich doch nicht umhin, mein Herr, Sie zu bitten, zur Beförderung der Ihnen und mir so theuren Wahrheit zu bitten, daß Sie doch mit Ihrer besten Muße, und wenn keine wichtigern Gründe, die weder das Publikum noch ich wissen dürfen, Sie davon abhalten, wenigstens mir insbesondere (wofern Sie es nicht lieber öffentlich thun wollen) sagen möchten, worinn die Bonnetsche Untersuchung wider die Logik verstoßen hat. Lassen Sie doch Ihre Gegenbetrach-||tungen, sie mögen bloß gegen den Bonnetschen Beweiß, oder auch, welches ich noch mehr wünschte, gegen die von ihm vertheidigte Sache selbst gerichtet seyn, nicht ganz, wenigstens für mich nicht, auf die Erde fallen. Sollten Sie die Gefälligkeit gegen | mich haben, hierüber mit mir in eine freundschaftliche Privatcorrespondenz zu treten, so käme es dann auf unser beyderseitiges Gutbefinden an, dieselbe entweder ganz oder nur das Resultat davon etwa einmal öffentlich bekannt zu machen. – Das weiß ich gewiß, Ihre Gegenbetrachtungen würden so philosophisch und mit einem so ruhigen Geiste geschrieben seyn; sie würden so wenig das Ansehen einer Streitschrift haben, daß dabey niemals der schwächste Verdacht eines feindseligen Anfalls gegen das Heiligste der Nation, unter deren Schutze Sie stehen, Statt haben könnte. Ihr Schreiben an mich, (erlauben Sie es mir zu sagen) läßt gar keine Besorgniß zu, daß Sie so leicht die Schranken der philosophischen Ernsthaftigkeit und Unpartheylichkeit überschreiten möchten.

Mit aufrichtigem Danke nehme ich auch diejenigen Stellen Ihres Schreibens an, die mich in den Stand setzen, an Ihnen und Ihrer Den-|kungsart das reinere Judenthum und die in Ihren bessern rabbinischen Schriften herrschende Denkungsart richtig erkennen und beurtheilen zu lernen. Sie haben mich recht begierig gemacht, noch mehr davon zu wissen. Vielleicht dürfte eine Anzeige der gründlichsten Schriften, die Ihre Nation aufzuweisen hat, manchem uneingenommenen Christen bessere Begriffe von dem Stamme beybringen, in welchem wir uns rühmen, eingepfropft zu seyn. Vielleicht würde die Kenntniß des besten Systems vom Judenthume manchen Stein des Anstosses, der zwischen demselben und dem Christenthum liegt, aus dem Wege zu heben anfangen. Sollte meine sonst übereilte Aufforderung und Ihr fürtrefliches Schreiben auch nur ein zufälliger Anlaß hierzu seyn – Sagen Sie, theuerster Freund, würde dann nicht die unangenehme Situation, in die ich Sie wider meine Absicht setzte, sich in eine recht angenehme verwandeln? Ich wenigstens könnte | es dann nicht mehr sehr bedauern, daß ich mit meinem gutmeynenden Ansuchen dem denkenden Publikum dieß Ihr Schreiben zuwege gebracht.

Lassen Sie es mich zur Ehre der Warheit heraussagen; Ich finde in Ihrem Schreiben Gesinnungen, die ich mehr als verehre, die mir Thränen aus den Augen gelocket haben; Gesinnungen, die mir || aufs neue – Verzeihen Sie mir meine Schwachheit – den Wunsch abnöthigten: Wolte Gott, daß Sie ein Christ wären! – Nicht, als ob ich auch nur im geringsten daran zweifelte, daß der Israelite, dem der Allwissende das Zeugniß der Redlichkeit geben muß, das ich Ihnen in meiner Zuschrift gegeben, in seinen Augen nicht eben so achtungswürdig sey, als der redliche Christ. Nein, Gott sieht keine Person an, so lehrt mich auch mein Evangelium; aus allem Volke, wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm. | Ueberdieß führen uns unsere gemeinschaftliche Philosophie und Offenbarung auf Stufen der Seeligkeit in dem zukünftigen Leben. Das Maaß der Glückseeligkeit, lehren sie, werde bey allen vernünftigen Wesen dem Maasse ihrer moralischen Receptivität gleich seyn. Nach meinen Begriffen nun kann der Christ die höchste Stufe dieser moralischen Fähigkeit am leichtesten und geschwindesten erreichen; und solten Sie es mir nicht gern verzeihen, daß mich diese ebenfalls in meiner Natur tief eingegrabne Ueberzeugung angetrieben hat und noch antreibt, von ganzer Seele zu wünschen, daß Sie den kürzesten Weg zur höchsten Tugend und Seeligkeit betreten möchten?

Noch sehr vieles möchte Ihnen mein Herz sagen, das mit der Ruhe der Unschuld und des guten Gewissens, und mit dem Vergnügen der Freundschaft und der Zärtlichkeit an Sie denkt! – | Aber nun genug vor dem Publikum! wir wollen den Vorhang einmal fallen lassen, und keinen Anlaß zu weitern Verdrehungen und Parteylichkeiten geben, worunter Sie, aller Ihrer Vorsicht und Sorgfalt ungeachtet, zu meiner nicht geringen Kränkung bereits haben leiden müssen. – Uns ist es um Wahrheit zu thun, nicht um die Befriedigung der Partheysucht. Die Wahrheit ist eine zu heilige Sache, als daß wir sie, bloß zur Belustigung müßiger Zuschauer, mißbrauchen dürften; geschweige, daß wir sie den feinen Verdrehungen und schiefen Beurtheilungen derer Preiß geben solten, denen die Lüge eben so viel gilt, als Wahrheit, wenn sie damit das Ansehn ihrer Partey auszuschmücken wähnen.

Ich schliesse, nicht nur mit neuer Empfindung der Hochachtung und zärtlichsten Zuneigung, sondern auch mit der in Ihren Augen vermuthlich vergeblichen, für mich aber eben so | gewissen, als entzückenden Ueberzeugung, Sie, wo nicht itzo, doch gewiß in der Zu-||kunft unter den glücklichen Anbetern desjenigen zu finden, dessen Erbtheil die Gemeine Jacobs ist, meines Herren und Meisters Jesus Christus; hochgelobt in die Ewigkeit. Amen!

Zürich, den 14. des Februars 1770. Johann Caspar Lavater.
Moses Mendelssohn

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