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Albert, Hans

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Geboren 1921 in Köln. Nach Kriegsteilnahme ab 1946 Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Köln und zugleich intensive Auseinandersetzung mit philosophischer Literatur. 1950 Studienabschluss als Diplom-Kaufmann, 1952 Promotion und 1957 Habilitation im Fach Sozialpolitik an der Universität Köln. 1963 Ruf auf den Lehrstuhl für Soziologie und Wissenschaftslehre in Mannheim, Lehrtätigkeit dort bis zur Emeritierung 1989. Ehrendoktor mehrerer Universitäten.

Auf der Suche nach einem überzeugenden Weltbild studierte Albert die Auffassungen verschiedenster Denker. Manche machte er sich eine Zeit lang zu eigen, um sie am Ende wieder aufzugeben, darunter die Lehren von Oswald Spengler, Martin Heidegger und Hugo Dingler. Nachhaltig beeinflussen ihn die Wissenschaftslehre Max Webers und vor allem der Kritische Rationalismus Karl Poppers. In seinen zahlreichen Werken hat Albert den Kritischen Rationalismus systematisiert, ihn in zentralen Punkten weiterentwickelt und auf viele Gebiete angewendet.

In seinem bekanntesten Werk Traktat über kritische Vernunft (Albert 1968) präsentiert Albert den Kritischen Rationalismus als Alternative zur klassischen Erkenntnislehre. Nach dieser ist es vernünftig, eine Annahme nur dann zu akzeptieren, wenn sie sicher begründet werden kann. Dies führt jedoch in eine Problemsituation, die Albert als Münchhausen-Trilemma bezeichnet: Da für jede Annahme, die zum Zweck einer Begründung vorgebracht wird, wiederum eine Begründung verlangt werden kann, gerät man (a) in einen unendlichen Regress oder man muss (b) beim Begründen einen Zirkel begehen oder man muss (c) das Begründungsverfahren abbrechen und eine bestimmte Annahme zum Dogma erheben. Als Lösung schlägt Albert vor, das Prinzip der sicheren Begründung aufzugeben und es durch das Prinzip der kritischen Prüfung zu ersetzen: Vernunft verlangt nicht sichere Begründung, sondern die Bereitschaft, die Annahmen, um die es geht, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Es ist diese Offenheit für Kritik, die auf allen Gebieten dazu verhilft, Fehler und Irrtümer zu entdecken, sie zu beseitigen und dadurch Fortschritte zu erzielen. Je nach Gebiet wird die kritische Prüfung hierbei unterschiedliche Verfahren erfordern, in der Wissenschaft z.B. eine Suche nach widersprechenden empirischen Befunden und nach alternativen erklärenden Theorien.

Die Möglichkeit rationaler Argumentation ist nicht beschränkt auf das Gebiet der empirischen Wissenschaften. Auch metaphysische Aussagen können, obgleich sie nicht wie empirische Hypothesen falsifizierbar sind, zum Gegenstand rationaler Argumentation gemacht werden. Selbst sogenannte letzte Wertaxiome sind (anders als Max Weber meinte) der Kritik nicht entzogen. Fragen der Moral, des Rechts, der Politik und der Religion sind ebenfalls rational diskutierbar. In seinem Traktat über rationale Praxis (Albert 1978) zeigt Albert, welche Rolle die kritische Vernunft für politische Fragen spielt, z.B. für Wohlstandssteigerung, Friedenssicherung sowie Erhalt von Gerechtigkeit und individueller Freiheit.

Der Kritische Rationalismus hat nach Albert drei Komponenten: 1. Der konsequente Fallibilismus besagt, dass alle menschlichen Annahmen und Problemlösungsversuche als fehlbar anzusehen sind. 2. Der kritische Realismus nimmt an, dass es eine vom menschlichen Bewusstsein unabhängige Wirklichkeit gibt und dass wir diese zumindest in Ausschnitten erkennen können. 3. Der methodische Rationalismus (in späteren Schriften Alberts auch methodologischer Revisionismus genannt) fasst Rationalität als die Bereitschaft auf, die jeweils zu beurteilenden Annahmen kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren.

Der Kritische Rationalismus wendet sich gegen jede Art von Dogmatismus oder Fundamentalismus. Auf keinem Gebiet gibt es Gewissheiten. Man kann sie sich zwar schaffen, indem man gewisse Annahmen durch geeignete Strategien, sogenannte Immunisierungsstrategien, gegen Kritik unangreifbar macht. Die so gewonnenen Sicherheiten sind aber wertlos, da durch diese Art der Absicherung den betreffenden Annahmen ihr Informationsgehalt genommen wird.

Auf der anderen Seite wendet sich der Kritische Rationalismus aber auch gegen alle Formen des Skeptizismus oder Relativismus, die an der Möglichkeit der Realitätserkenntnis zweifeln und die Idee der Wahrheit in Frage stellen. Albert hält an der Idee der Wahrheit fest, die er als zutreffende Darstellung auffasst. Er sieht es als rational an, bestimmte Aussagen, die kritischer Prüfung standgehalten haben, anderen vorzuziehen, die mit vorliegenden Ergebnissen in Widerspruch stehen.

In einigen Punkten unterscheidet sich Alberts Auffassung von derjenigen Poppers. Während Popper es als sehr wichtig erachtete, durch das Kriterium der Falsifizierbarkeit die empirische Wissenschaft abzugrenzen (u.a. von der Metaphysik), verzichtet Albert auf ein Abgrenzungskriterium, da er Grenzziehungen für wenig fruchtbar hält. – In Bezug auf die Methodologie war Popper der Auffassung, dass sie Regeln liefert, die den Charakter von Festsetzungen haben. Nach Albert hat die Methodologie dagegen den Charakter einer Technologie. Sie lehrt, dass bestimmte Vorgehensweisen dazu dienlich sind, bestimmte Erkenntnisziele zu erreichen. – Weiterhin stellt Albert die von vielen für wichtig erachtete Trennung zwischen dem Kontext der Entdeckung und dem der Geltung von Theorien in Frage. Entdeckung und Prüfung von Theorien greifen ineinander. Methodologische Regeln haben selbst heuristischen Charakter, da sie keine strikten Anweisungen geben können, sondern nur Empfehlungen, die die Phantasie der Wissenschaftler in eine bestimmte Richtung lenken. Nach Albert ist Methodologie rationale Heuristik.

Eingehend widmet sich Albert der Wertproblematik in den Wissenschaften. In Anlehnung an Max Weber plädiert er für das Wertfreiheitsprinzip. Er bestreitet allerdings nicht, dass die Wissenschaften in ihrer Praxis Bewertungen vornehmen und Entscheidungen treffen müssen. Weiterhin gehören Wertungen zum Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften. Jedoch benötigen die Wissenschaften in ihren Aussagesystemen über ihren Objektbereich keine Werturteile, und zwar auch dann nicht, wenn es ihnen um praktisch verwertbares Wissen geht. In diesem Sinne können sie wertfrei sein. – Die Wertproblematik war einer der zentralen Punkte in der Kontroverse, die als Positivismusstreit bekannt ist (1961–69) und in der Albert und Jürgen Habermas die Hauptkontrahenten waren (Adorno u.a. 1969).

Alberts Traktat (Albert 1968) regte viele zum Widerspruch an. Eine längere Kontroverse führt Albert mit Karl-Otto Apel, der argumentiert, dass der Fallibilismus in eine Paradoxic führe. Albert weist diesen Einwand zurück und kritisiert seinerseits Apels Verfahren der Reflexion, das Letztbegründungen ermöglichen soll. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Fallibilismusthese, die sich u.a. auch auf sich selbst bezieht, nicht besagt, dass sie selbst falsch oder zweifelhaft wäre, sondern nur, dass auch ihr keine Gewissheit zukommt. Sie räumt die Möglichkeit ein, dass sie selbst aufgegeben werden könnte.

Es gehört zum Programm des Kritischen Rationalismus, Immunisierungsstrategien aufzudecken. Albert entdeckte solche in der Ökonomie, z.B. in Form einer Verwendung unspezifizierter Ceteris-paribus-Klauseln und einer (vor einigen Jahrzehnten noch häufig vertretenen) Auffassung von Gesetzen, wonach diese einer empirischen Prüfung nicht bedürftig seien („Modell-Platonismus“). – Den ökonomischen Erklärungsansatz selbst hält er jedoch für fruchtbar und plädiert für seine Anwendung in den Sozialwissenschaften.

Immunisierungsstrategien findet Albert auch in der hermeneutischen Tradition, vor allem in Gestalt des Arguments, dass es die Geisteswissenschaften mit sinnhaften Gebilden zu tun haben, denen nicht die Erklärung nach naturwissenschaftlichem Vorbild, sondern die Methode des Verstehens angemessen ist. Albert vertritt demgegenüber eine einheitliche methodologische Auffassung, nach der es angebracht erscheint, das Verstehen selbst zum Gegenstand von Erklärungen zu machen.

Zu den Strategien, Kritik abzuwehren, zählt die verbreitete Praxis, zwischen Disziplinen Grenzen zu ziehen und diese mit der Forderung zu verbinden, sich in die Gebiete der anderen nicht einzumischen. Der Kritische Rationalismus empfiehlt stattdessen, Forschungsergebnisse verschiedener Disziplinen in Berührung zu bringen und sie dadurch einer Kritik aus ganz anderer Perspektive auszusetzen. Daher spricht sich Albert in seiner Kritik der reinen Erkenntnislehre (Albert 1987) auch gegen eine Erkenntnislehre aus, die sich als „reine“ philosophische Disziplin von den Einzelwissenschaften abzugrenzen und sich so gegenüber Einwänden aus den Wissenschaften unangreifbar zu machen sucht. Er betont die sozialen und institutionellen Bedingungen der Erkenntnis.

Alberts Autobiographie (Albert 2007) trägt den treffenden Titel In Kontroversen verstrickt. In allen Werken setzt sich Albert kritisch mit anderen Positionen auseinander. Zu den kritisierten Autoren zählen auch einige Vertreter der Theologie, u.a. Hans Küng und Joseph Ratzinger (seit 2005 Papst Benedikt XVI.). Nach Albert gebraucht die Theologie verschiedene Immunisierungsstrategien, um die Einwände abzuwehren, die dem wissenschaftlichen Weltbild entspringen. Für das Theodizee-Problem habe sie keine akzeptable Lösung anzubieten. Albert vertritt selbst eine atheistische Position und eine naturalistische Weltauffassung. Nach seiner Überzeugung sind Moral, Humanität und Glücksstreben ohne eine religiöse Weltdeutung möglich.

Albert gilt im deutschen Sprachraum als der wichtigste Vertreter des Kritischen Rationalismus. Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Fallibilismus weithin akzeptiert worden ist. Der Kritische Rationalismus als Ganzes wird heute nur von wenigen vertreten. Doch haben Alberts Arbeiten in den Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften ein Bewusstsein für methodologische Probleme geschaffen und zu einer Reflexion erkenntnistheoretischer Voraussetzungen geführt. Die Art und Weise, wie bestimmte Fragen, z.B. die Werturteilsproblematik, heute diskutiert werden, ist durch seine Analysen stark geprägt worden.

Literatur: Albert 1968, Albert 1978, Albert 1987, Adorno u.a. 1969, Gadenne, Wendel 1996, Hilgendorf 1997

Webseite: www.hansalbert.de

Volker Gadenne

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