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Buber, Martin

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Geboren 1878 in Wien, gestorben 1965 in Jerusalem. Ab 1896 Studium der Philosophie, Kunstgeschichte, Literatur, Psychiatrie, Germanistik, klassischen Philologie und Nationalökonomie in Wien, Leipzig, Berlin, Zürich unter anderem bei Dilthey und Simmel. 1904 Dissertation in Wien. In den anschließenden Jahren Forschungen zum Chassidismus und Lektoratsarbeit. Ab 1922 Lehrtätigkeit im Freien Jüdischen Lehrhaus, ab 1923 Lehrauftrag an der Universität in Frankfurt am Main. 1938 Emigration nach Jerusalem. Bis zur Emeritierung 1951 Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Martin Buber gilt neben Franz Rosenzweig als Hauptvertreter der Dialogphilosophie. Hierbei handelt es sich um eine Denkströmung des 20. Jahrhunderts, die den anderen Menschen in seinem Verhältnis zum Ich nicht als Objekt, sondern als ein Du in den Mittelpunkt ihrer philosophischen Untersuchungen rückt. Auf diese Weise wird die Spezifität des Zwischenmenschlichen gegenüber dem Individuellen und dem Sozialen hervorgehoben. Bubers dialogphilosophische Werke Ich und Du (Buber 1923), Zwiesprache (Buber 1929), Das Problem des Menschen (Buber 1942), Urdistanz und Beziehung (Buber 1951) und Elemente des Zwischenmenschlichen (Buber 1953) liefern einen originellen Beitrag zur philosophischen Anthropologie, indem sie den einzelnen Menschen weder als isoliertes Individuum noch als Exemplar der menschlichen Gattung oder als Teil einer historischen Gesellschaft, sondern in seinem Verhältnis zu einem anderen Menschen in den Blick nehmen: „Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem andern anthropologisch existent: erst die Wechselwirkung ermöglicht, das Menschentum zulänglich zu erfassen.“ (Buber 1953, 290)

Zu den Wurzeln von Bubers Dialogphilosophie gehören der libertäre Kultursozialismus seines langjährigen Freundes Gustav Landauer, vor allem aber auch der Dialog des Einzelnen mit Gott, wie er innerhalb des Chassidismus verstanden wird. Buber hatte sich bereits mit seiner Dissertation thematisch dem Chassisimus genähert. Der Chassisimus ist eine ostjüdsche Mystik, die sich mit der deutschen mystischen Tradition – Nikolaus von Kues, Meister Eckhart und Jakob Böhme – beschäftigt. Gegenüber der streng orthodoxen Gesetzeslehre betont der Chassidismus die unmittelbare Erlebbarkeit des jüdischen Glaubens.

In seinem Hauptwerk Ich und Du unterscheidet Buber die dialogische Beziehung zu einem Du von der objektivierenden Erfahrung eines Es, Sie oder Er. Das Grundwort „Ich-Es“ bezeichnet ein Weltverhältnis, in dem ich Objekte erkenne und gemäß meiner Handlungsinteressen über sie verfüge. Der andere Mensch ist ein Es, ein Ding unter Dingen, solange ich auf bestimmte Eigenschaften – „die Farbe seiner Haare oder die Farbe seiner Rede oder die Farbe seiner Güte“ (Buber 1923, 12f.) – achte. Wenn ich dagegen das Grundwort „Ich-Du“ ausspreche, also Du zu meinem Gegenüber sage, erfahre ich nicht die Eigenschaften von etwas, sondern ich stifte eine Beziehung (Buber 1923, 10). Die dialogische Beziehung schließt für Buber also die objektivierende Erfahrung aus: „Den Menschen, zu dem ich Du sage, erfahre ich nicht.“ (Buber 1923, 13) Ich habe es mit den Eigenschaften eines Objekts zu tun, wenn ich jemanden ansehe oder über ihn spreche. Ein völlig anderes Verhältnis taucht jedoch auf, wenn ich nicht über jemanden, sondern mit jemandem spreche. Darin besteht die Eigenart des Dialogischen. Im Unterschied zum Ich-Es, bei dem die Initiative beim Ich bleibt, liegt der Sinn im Ich-Du-Verhältnis „weder in einem der beiden Partner noch in beiden zusammen […], sondern nur in ihrem lebhaften Zusammenspiel, diesem ihrem Zwischen“ (Buber 1953, 276).

Nach Buber bezieht sich das Grundwort Ich-Du auf das ursprüngliche Weltverhältnis, das im abendländischen Denken jedoch immer vernachlässigt worden ist, wohingegen zum zweiten Grundwort des Ich-Es sowohl die alltägliche nutzenorientierte Einstellung wie auch die Subjekt-Objekt-Dualität der neuzeitlichen Erkenntnistheorie gerechnet werden kann. Einerseits ist das Ich-Du-Verhältnis für Buber das Wesen des Zwischenmenschlichen, andererseits handelt es sich eher um „wunderliche lyrisch-dramatische Episoden“ in der „festen und zuträglichen Chronik“ der Es-Welt (Buber 1923, 37). Früher oder später wird jedes Du wieder zu einem Es (ebd., 21).

Das Tier kennt keinerlei Beziehung, da Distanzierung und Individualisierung Voraussetzung sind; Beziehung ist ein Privileg, das einzig dem Menschen vorbehalten ist (Buber 1951, 11, 20). Erst der Einzelne, der sich aus der anonymen Kollektivität eines „Man“ im Sinne Heideggers herauslöst, hat als Person ein selbstständiges Gegenüber, zu dem er Du sagen kann (Buber 1942, 163). Von hier aus ergibt sich auch eine Neubestimmung des Subjektbegriffs, denn das Ich des Grundwortes Ich-Du bezeichnet Buber als Person, das Ich des Grundwortes Ich-Es als Eigenwesen. Dies sind die „zwei Pole des Menschentums“ (Buber 1923, 67). Als Person bin ich Teil der zwischenmenschlichen Wirklichkeit, gerade weil ich mir diese nicht vollends aneignen kann. Ich bin dagegen ein Eigenwesen, insofern ich mich durch bestimmte Eigenschaften von anderen Menschen unterscheide.

Um das Verhältnis zum anderen Menschen in der Es-Welt als Verfallsform des Zwischenmenschlichen darzulegen, stellt Buber das „Leben vom Wesen“ dem „Leben vom Bilde“ bzw. den „Wesensmensch“ dem „Bildmensch“ gegenüber (Buber 1953, 277). Der Bildmensch zeichnet sich dadurch aus, dass er sich der zwischenmenschlichen Wirklichkeit vorenthält und nur danach strebt, ein bestimmtes Bild von sich selbst beim Anderen hervorzubringen. Da er nicht als Person ins Spiel kommt, bleibt seine Existenz scheinhaft: „Stellen wir uns zwei Bildmenschen vor, die beieinander sitzen und miteinander reden – nennen wir sie Peter und Paul – und zählen wir die Figurationen nach, die dabei im Spiel sind. Da sind erst mal der Peter, wie er dem Paul erscheinen will, und der Paul, wie er dem Peter erscheinen will; sodann der Peter, wie er dem Paul wirklich erscheint, Pauls Bild von Peter also, das gemeiniglich keineswegs mit dem von Peter gewünschten übereinstimmen wird, und vice versa; dazu noch Peter, wie er sich selbst, und Paul, wie er sich selbst erscheint; zu guter Letzt der leibliche Peter und der leibliche Paul. Zwei lebendige Wesen und sechs gespenstische Scheingestalten, die sich in das Gespräch der beiden mannigfaltig mischen! Wo bliebe da noch Raum für die Echtheit des Zwischenmenschlichen!“ (Buber 1953, 279)

Solange ich mein Gegenüber als eine Instanz begreife, deren Existenz ausschließlich darin besteht, mir folgsam zuzuhören und ein bestimmtes Bild von mir selbst zu bestätigen, findet kein Gespräch, sondern nur ein Gerede statt (Buber 1953, 282). Das echte Gespräch ist für Buber allerdings kein Privileg der Intellektuellen oder der Freizeitkultur; es setzt auch keineswegs die Abwendung von den Zwängen des pragmatischen Alltagslebens und den Rückzug in einen Elfenbeinturm voraus: „Den gerade meine ich, den im Bureau, den unter Tag, den am Dampfpflug, den in der Setzerei, den Menschen. Ich suche nicht nach Menschen, suche mir die Menschen nicht aus, ich nehme an die da sind, sie habe ich im Sinn, ihn, den Eingespannten, den Radtretenden, den Bedingten. Zwiesprache ist keine Angelegenheit des geistigen Luxus“ (Buber 1929, 190).

Ein echtes Gespräch kann nach Buber vollkommen stumm sein (Buber 1929, 166), und es muss im Übrigen auch keinen harmonischen Konsens einschließen. Denn selbst im Streit verwirklicht sich eine dialogische Beziehung, solange sich die Diskussionspartner trotz ihrer gegensätzlichen Ansichten als Personen anerkennen (Buber 1953, 283). Ob ein echtes Gespräch stattfinden wird, kann niemals durch bestimmte Regeln und sonstige Vorkehrungen von vornherein festgelegt werden (Buber 1953, 286, 296). Infolgedessen besteht jederzeit das Risiko, dass meine dialogische Grundhaltung unerwidert bleibt, indem der Andere auf mein Du-Sagen mit Es antwortet (Buber 1923, 70).

Buber verleiht seinen philosophischen Überlegungen schließlich eine kulturkritische Dimension, denn für ihn führen die Möglichkeiten technologischer und wissenschaftlicher Weltbeherrschung zu einer Zunahme der Es-Welt, in der der Raum für dialogische Beziehungen mehr und mehr verschwindet (Buber 1923, 39ff.). In dem Maße, wie das Leben der Menschen auf Kosten der Sphäre des Zwischenmenschlichen kontrollierbarer und sicherer wird, wird es zugleich auch unwirklich, denn anders als andere Lebewesen verwirklicht sich der Mensch ja gerade erst in der Bejahung, welche ihm innerhalb der dialogischen Beziehung zukommt. Ohne die Es-Welt könnte der Mensch, wie Buber erklärt, nicht überleben, aber es ist erst die Du-Welt, in der er wirklich lebt: „Das Tier braucht nicht bestätigt zu werden, denn es ist was es ist, unfraglich. Anders der Mensch: aus dem Gattungsreich der Natur ins Wagnis der einsamen Kategorie geschickt, von einem mitgeborenen Chaos umwittert, schaut er heimlich und scheu nach einem Ja des Seindürfens aus, das ihm nur von menschlicher Person zu menschlicher Person werden kann“ (Buber 1951, 36f.).

Ein Fortwirken von Bubers Denken lässt sich innerhalb der Phänomenologie bei Emmanuel Levinas und Bernhard Waldenfels feststellen. Beide Autoren würdigen vor allem den Gedanken, dass sich die Beziehung zum Anderen nicht auf objektive Erkenntnis reduzieren lässt. Allerdings meldet Levinas Bedenken an, insofern Buber der grundlegenden Andersheit des Anderen keinerlei Gewicht einräumt, sondern ihn als ein Du der Vertrautheit in ein Verhältnis der Reziprozität stellt, in dem das Ich sich zum Du verhält wie das Du sich zum Ich (Levinas 1961, 92). Auf diese Weise wird, wie Waldenfels einwendet, dem anderen Menschen der „Stachel der Fremdheit“ gezogen (Waldenfels 1994, 578).

Dass Buber vor allem in der Phänomenologie Gehör gefunden hat, liegt nicht zuletzt auch daran, dass sein eigenes Vorgehen, auf die Erfahrbarkeit des Zwischenmenschlichen hinzuweisen, eine unübersehbare Nähe zu dieser philosophischen Schule aufweist: „Ich muß es immer wieder sagen: Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus.“ (Buber 1951, 45)

Literatur: Buber 1923, Buber 1951, Buber 1953, Siegfried 2010, Wolf 1992, Ziegler 1992

Webseite: http://buber-gesellschaft.de

Jens Bonnemann

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