Читать книгу Die deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert - Группа авторов - Страница 13
Apel, Karl-Otto
ОглавлениеGeboren 1922 in Düsseldorf. Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie (bei Erich Rothacker) in Bonn, Promotion 1950 in Bonn, Habilitation 1961 in Mainz. Nach Professuren in Kiel (1962–69) und Saarbrücken (1969–72) lehrt Apel von 1972 bis zu seiner Emeritierung 1990 in Frankfurt am Main. Mehrere Ehrendoktorate und Gastprofessuren in Europa, Nord- und Südamerika.
Karl-Otto Apel, Vertreter der Transzendentalpragmatik, einer sprachpragmatischen, intersubjektiven Transzendentalphilosophie, gilt neben Jürgen Habermas als Begründer der Diskursethik. Nach einer eher „unpolitischen“ Phase seines Denkens wendet sich Apel ab den späten 1960er Jahren, angeregt vor allem durch die Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas, den er schon in Bonn kennengelernt hat, stärker der praktischen Philosophie zu, wobei er unter anderem auf Charles Sanders Peirces Idee einer prinzipiell unbegrenzten wissenschaftlichen Interpretationsgemeinschaft sowie auf Lawrence Kohlbergs Stufenmodell der moralischen Entwicklung zurückgreift.
Zunächst setzt sich Apel im ersten Band seines ersten Hauptwerkes Transformation der Philosophie (Apel 1973) mit der an Heidegger anknüpfenden hermeneutischen Philosophie auseinander, die er mit der sprachanalytischen Sinnkritik konfrontiert. Als einer der ersten macht er auch auf wichtige Gemeinsamkeiten beider Strömungen aufmerksam. Im zweiten Band dieser Arbeit geht es Apel um den Entwurf einer „Wissenschaftstheorie in erkenntnisanthropologischer Sicht“ sowie einer „im Apriori der Kommunikationsgemeinschaft begründeten neuen Transzendentalphilosophie“, mit der er das bis zum 20. Jahrhundert vorherrschende Paradigma der Subjektphilosophie durch das Paradigma einer Philosophie intersubjektiver Verständigung überwinden will und von der er sich eine „Letztbegründung der theoretischen und praktischen Philosophie und der Wissenschaft“ (Apel 1973a, 7) erhofft. Denn vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit dem Nationalsozialismus, die vielen seiner Generation das Gefühl gab, dass „alles falsch war, für das wir uns eingesetzt haben“ (Apel 1988, 374), will Apel jede Form von Relativismus vermeiden.
Die Mehrzahl der zeitgenössischen Philosophen hält allerdings eine Letztbegründung, wie Apel sie beansprucht, für unmöglich. Denn sie führe in ein „unlösbares Trilemma“ (Albert 1968, 1. Kapitel): Sie münde entweder in einen infiniten Regress, gerate in einen logischen Zirkel oder werde willkürlich abgebrochen. Apel will diesem Trilemma entgehen, indem er an die Stelle der Deduktion eine „transzendentalreflexive Besinnung auf das im Denken nicht Hintergehbare“ (Apel 1988, 444) setzt. Denn für ihn lässt sich zeigen, dass es etwas gibt, dessen wir uns immer schon bedienen, wenn wir eine Frage ernsthaft stellen: den argumentativen Diskurs. Apel hält diese unhintergehbare Prämisse insofern für ein Faktum im Sinne eines „apriorischen Perfekts“, als er sie auch dann noch unterstellt sieht, „wenn jemand in empirischer Einsamkeit, aber […] mit intersubjektivem Geltungsanspruch denkt“. (Apel 2000, 34) Um den Anspruch der Letztbegründetheit zu rechtfertigen, verweist Apel darauf, dass jeder, der meint, an dieser Bedingung zweifeln zu können, in einen performativen Selbstwiderspruch gerät: Denn er hat immer, um überhaupt einen solchen Zweifel äußern oder denken zu können, diese Voraussetzung bereits in Anspruch genommen.
Apel hält seinen Beweis insofern für eine Begründung der Moral, als nach ihm der „Wille zum ernsthaften Argumentieren“ (Apel 1997) immer schon die Anerkennung der ethischen Grundnorm impliziert, nach der „alle Sinn- und Wahrheitsansprüche von Menschen im Prinzip in einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft durch Argumente – und nur durch Argumente – einlösbar sein müssen“ (Apel 1988, 46). Nur, wenn jeder am Diskurs Beteiligte sich bemüht, so weit wie möglich die Diskursregeln einzuhalten, bzw. sich verpflichtet, für deren Etablierung und Realisierung zu sorgen, lässt sich die argumentative Praxis aufrechterhalten und dann auch zur Konfliktlösung einsetzen. Damit ist für Apel die Diskursethik „von vornherein keine Spezialethik für argumentative Diskurse, sondern eine Ethik der solidarischen Verantwortung derer, die argumentieren können, für alle diskursfähigen Probleme der Lebenswelt.“ (Ebd., 116)
Doch auch gegen eine solche transzendentalphilosophische Variante der Letztbegründung wurde nicht zuletzt von Habermas, der mit Apel zwar den universellen Geltungsanspruch einer Moraltheorie verteidigt, eine Letztbegründung hingegen für entbehrlich hält, eingewandt, dass sich aus der Tatsache, dass wir als argumentative Wesen moralisch gehaltvolle Normen unterstellen, nicht schließen lasse, dass diese in ihrer Gültigkeit auch wahr sein müssen. In seinen Augen unterscheidet sich die Gewissheit, „mit der wir unser Regelwissen praktizieren“, von der „Wahrheit von Rekonstruktionsvorschlägen für allgemeine Präsuppositionen“ (Habermas 1983, 107). Dieser Wahrheit mangelt es Habermas zufolge an empirischer Überprüfbarkeit. Apel falle mit seinem Letztbegründungsanspruch einen Schritt zurück in die Bewusstseinsphilosophie, denn er stütze ihn „genau auf jene Identifikation von Aussagenwahrheit und Gewißheitserlebnis, die nur im reflexiven Nachvollzug einer vorgängig intuitiv vollzogenen Leistung, d.h. nur unter Bedingungen der Bewußtseinsphilosophie vorgenommen werden kann“. (Ebd., 106)
Im Sinne Apels hat dagegen vor allem Wolfgang Kuhlmann argumentiert, dass Habermas, wenn er überhaupt so etwas wie die grundsätzliche Fallibilität von Aussagen behaupten will, einen zweiten Typ von Aussagen unterstellen muss, der aber nach Kuhlmann „nicht sinnvoll selbst als fallibel verstanden werden“ kann (Kuhlmann 1992, 193). Denn ohne solche wesentlich nicht-falliblen Aussagen zuzulassen, kann man seines Erachtens gar nicht mehr wissen, „was fallibel eigentlich bedeutet“ (ebd.).
Detailliert entwickelt Apel seine Diskursethik vor allem in seinem zweiten Hauptwerk Diskurs und Verantwortung, und zwar als eine Zwei-Stufen-Ethik: Nur auf der Stufe des Verfahrenprinzips „unterstellt sie die intersubjektive Konsensfähigkeit der Begründung als a priori gewiß“; dagegen dienen die auf einer zweiten Stufe geführten praktischen Diskurse dazu, inhaltliche Normen, die notwendig fallibel seien, zu rekonstruieren, zu begründen und situationsgerecht anzuwenden. Diese Unterscheidung erlaubt – so Apel –, dass trotz des universalen Geltungsanspruchs der Diskursethik auch der Wandelbarkeit menschlicher Bedürfnisse wie „dem Pluralismus der Wertungen im Sinne der verschiedenen menschlichen Lebensformen“ (Apel 1988, 120) Rechnung getragen werden kann – sofern diese nur mit „dem prozeduralen Diskursprinzip als vermittelnder und einschränkender Bedingung vereinbar“ (ebd.) bleiben.
Analog zu Habermas’ Universalisierungsgrundsatz (U) der Normenbegründung formuliert Apel ein Handlungsprinzip (Uh), das die gleiche universale Gültigkeit auf der Ebene unserer Handlungsbegründungen fordert: „Handle nur nach einer Maxime, von der du, aufgrund realer Verständigung mit den Betroffenen bzw. ihren Anwälten oder – ersatzweise – aufgrund eines entsprechenden Gedankenexperiments, unterstellen kannst, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes einzelnen Betroffenen voraussichtlich ergeben, in einem realen Diskurs von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.“ (Ebd., 123)
Anders als Habermas möchte Apel damit nicht nur ein Verfahrensprinzip zur Prüfung von Normen in „handlungsentlasteten Diskursen“ liefern, sondern stattdessen bereits das Universalisierungsprinzip als Handlungsprinzip verstehen und „die im Sinne des soeben skizzierten Verfahrens ermittelten Normen auf die Probleme der Lebenswelt an[…]wenden“ (Apel 2000, 37). Allerdings schränkt er ein, dass die Befolgung zumutbar und reziprok verantwortbar sein muss: Denn auch er berücksichtigt, dass wir in der realen Lebenswelt so gut wie nie ideale Diskursbedingungen vorfinden. Keineswegs sehen laut Apel reale Gespräche wirklich „im Sinne der diskursethisch begründbaren institutionellen Fiktion“ (ebd., 40) wie praktische Diskurse aus. Mindestens ebenso sehr und ebenso häufig haben sie „den Charakter von Verhandlungen – also strategischer Kommunikation“ (ebd.), in denen zwar vordergründig mitunter auch Argumente ausgetauscht werden, jedoch aufgrund einer „konsensuell-strategischen […] Zweideutigkeit aller wirklichen Gespräche“ (ebd., 41) nicht im Sinne einer idealen Diskurssituation.
Für Apel liegt hier ein Verantwortungskonflikt: Nur sofern Menschen sprechend unterstellen, sich in einer idealen Diskurssituation zu befinden, ist ihr Argumentieren sinnvoll zu nennen. In diesem Sinne tragen sie auch Verantwortung, alle Probleme der Lebenswelt diskursethisch zu lösen – und damit auch für die Bewahrung idealer Diskursbedingungen selbst. Jedoch sind sie außerdem verantwortlich für das von ihnen vertretene „Selbstbehauptungssystem“ (das sind neben der eigenen Person all diejenigen, für die man Sorge zu tragen hat). Unter idealen Diskursbedingungen lassen sich diese beiden Aspekte von Verantwortung miteinander vereinbaren: Menschen kommen ihrer Verantwortung für sich selbst, wie auch der für das von ihnen vertretene Selbstbehauptungssystem – auf lange Sicht und bei Berücksichtigung aller ihrer wohl verstandenen Interessen – gerade dann nach, wenn sie im Sinne des Prinzips (Uh) der Diskursethik handeln. In der realen Lebenswelt, zumal in der politischen Realität, könnte eine strikte Befolgung diskursethischer Rationalität jedoch oft als verantwortungslos gelten: Hier werden Konflikte zwischen Interessengruppen mindestens ebenso häufig durch strategisches Handeln geregelt – unter Umständen auf Kosten der anderen Seite. In solchen Situationen darf man nach Apel aus Verantwortungsgründen auf instrumentell-strategische Rationalität nicht gänzlich verzichten. Zwar möchte er grundsätzlich alle Probleme der Lebenswelt auf der Grundlage seines Handlungsprinzips lösen, doch räumt er ein, dass dies, „ohne verantwortliche Abwägung der voraussichtlichen Handlungsergebnisse und Nebenfolgen nach einem unbedingt gültigen moralischen Prinzip“ (Apel 1990, 27) „moralisch nicht zuzumuten“ ist.
Um gleichwohl die Forderung nach universaler Gültigkeit seiner Ethik nicht aufzugeben, unterscheidet Apel neben den zwei Stufen noch zwei Teile: Während Teil A das Handlungsprinzip für die ideale Diskurssituation liefern soll, hat Teil B gerade dem kontrafaktischen Charakter dieser Prämisse Rechnung zu tragen. Apel betont, dass man im Sinne des Teils A seiner Ethik „die Möglichkeit einer idealen Kommunikationsgemeinschaft“ nicht nur voraussetzen, sondern „deren Existenz sogar kontrafaktisch antizipieren“ muss (Apel 1988, 53). Er sieht darin ganz im Sinne Kants eine regulative Idee: ein normatives Prinzip der praktischen Vernunft, das für „das Handeln im Sinne einer Verpflichtung und Anleitung zur langfristigen, approximativen Realisierung eines Ideals verbindlich“ ist (ebd., 204).
Für den Teil B seiner Diskursethik fordert Apel ein „moralisch-strategisches Ergänzungsprinzip (E)“ (ebd., 142), das erst einen historischen Übergang zur Anwendung der Diskursethik erlaubt. Das Ergänzungsprinzip verlangt, in Teil B zwar immer auch strategisch zu handeln – doch nur so weit, dass auf lange Sicht ein rein diskursethisch rationales Handeln möglich wird. Diese bedeutsame Einschränkung ist allerdings schwer überprüfbar und darin problematisch. Damit nicht jemand unter Verweis auf die nicht-idealen Kommunikationsbedingungen ausschließlich oder in erster Linie strategisch rational agiert, ist Apel zufolge stets auf die Anwendung des Universalisierungsprinzips – auch unter realen Diskursbedingungen – zu achten: Denn auch ein durch das Ergänzungsprinzip moralisch legitimiertes strategisches Handeln muss für ihn „in Zielsetzung und Durchführung konsensfähig sein für die mit-verantwortlichen Mitglieder der primordialen Kommunikationsgemeinschaft“ (Apel 2000, 44). So verlangt Apel, dass sich das Ergänzungsprinzip (E) in letzter Instanz, auf der höchsten Stufe der moralischen Urteilskraft, mit dem Prinzip (Uh) „zu einem einzigen Prinzip der diskursbezogenen Verantwortungsethik“ (Apel 1988, 150) verbindet; kommunikative und strategische Rationalität, Gesinnungs- und Verantwortungsethik sollen im Sinne einer regulativen Idee konvergieren.
Mit dieser Idee, in die Prinzipienethik ein Fernziel – „die Verwirklichung der Moral selbst“ (Habermas 1991, 196) – einzuführen, sieht Habermas den „konzeptuellen Rahmen einer deontologischen Theorie“ gesprengt. Apels Ergänzungsprinzip fordert – so Habermas – ein paradoxes Handeln: „etwas soll zugleich moralisch geboten sein und zweckrational angestrebt werden“ (ebd., 197). Ein Handeln, das moralisch geboten ist, hat sich aber für Habermas an gültigen Maximen zu orientieren und richtet sich gerade nicht auf die Folgen unseres Handelns, während zweckrationales Handeln ein Abwägen von Zwecken, Mitteln und Nebenfolgen in Ausrichtung auf ein Ziel verlangt, d.h. strategisches Handeln nicht nur zulässt, sondern sogar gebietet. Zwar räumt auch Habermas ein, dass z.B. „in einem existentiellen Konflikt die einzig angemessene Norm eine Handlung fordern [kann], die die derart verpflichtete Person durchaus als moralisch gebotene Handlung anerkennt, aber nicht ausführen könnte, ohne sich als die Person, die sie ist und sein möchte, aufzugeben“ (ebd., 198). Für solche Fälle sieht Habermas die Zuständigkeit der Moraltheorie aufgehoben: „Im Lichte des Moralprinzips werden Normen nur unter der (in U explizit genannten) Voraussetzung einer Praxis allgemeiner Normbefolgung als gültig ausgezeichnet. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, sind Normen unangesehen ihrer Gültigkeit nicht zumutbar.“ (Ebd., 199) Dagegen vertritt Apel den Standpunkt, dass es nicht nur möglich, sondern notwendig ist, beide Elemente in einer postkonventionellen Prinzipienethik zu verbinden, wobei er selbst zugibt, „daß die Trennung […] zwischen teleologischer Ethik und deontologischer Ethik nicht mehr aufrechtzuerhalten ist“ (Apel 1988, 146).
Nach wie vor teilen Apel und Habermas Grundannahmen – etwa zur Funktion praktischer Diskurse –, die Ansätze der beiden Autoren divergieren aber hinsichtlich einer Diskurstheorie der Moral in so zentralen Punkten, dass Apel Ende der 1990er Jahre angesichts eines fehlenden gemeinsamen Programms die Diskursethik als eine in sich kohärente Theorie in Frage gestellt sieht (Apel 1998, 727ff.).
Insgesamt haben Apels Impulse zur Sprach- und Erkenntnisphilosophie wie auch vor allem zur praktischen Philosophie die philosophischen Debatten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt und neben Jürgen Habermas auch Autoren wie Wolfgang Kuhlmann, Marcel Niquet, Andreas Dorschel, Matthias Kettner und Rainer Forst sowie Vertreter der südamerikanischen Befreiungsethik beeinflusst.
Literatur: Apel 1973, Apel 1988, Apel 2000, Böhler, Kettner, Skirbekk 2003, Niquet 2002, Reese-Schäfer 1990
Webseite: www.karl-otto-apel.de
Eva Buddeberg