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Barth, Karl
ОглавлениеGeboren 1886 in Basel, gestorben 1968 ebendort. 1911–21 Pfarrer in Safenwil im Aargau, 1921–25 Professor für Reformierte Theologie in Göttingen, 1925–30 Professor für Dogmatik und Ethik in Münster, 1930–34 Professor für Systematische Theologie in Bonn. Nach seiner Absetzung durch Vertreter des NS-Staates 1935–63 Professor für Systematische Theologie in Basel. Zahlreiche Auslandsreisen für Gastvorlesungen.
In seinem Studium öffnet sich Barth einer radikalen Form des damals herrschenden theologischen Liberalismus. In Marburg macht ihm indes Hermann Cohen Eindruck mit seinem Wort von der „Selbstironisierung der Vernunft“. Vor allem wird ihm Immanuel Kant ein Wegweiser, auf den er auch in der Folgezeit wieder und wieder zurückkommt, auch als er Ernst damit macht, dass die christliche Theologie im Gegenüber zur Philosophie auf ihren eigenen Füßen zu stehen hat. Zugleich hebt Barth hervor, dass die Philosophie in einer Nachbarschaft zur Theologie eine beachtenswerte Wissenschaft bleibt, als ihm klar wird, dass die Theologie mit ihrer Ausrichtung auf die Heilige Schrift keine Philosophie ist. 1921/22 wird er berühmt durch seinen Römerbrief (Barth 1922), worin er in Anlehnung an den Apostel Paulus in schroffen Paradoxien theologisiert (Barth 1962, 105–118). Es geht ihm um das, „was Kierkegaard den ‚unendlichen qualitativen Unterschied‘ von Zeit und Ewigkeit genannt hat, […]. ‚Gott ist im Himmel und du auf Erden‘. Die Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem. Die Philosophen nennen diese Krisis des menschlichen Erkennens den Ursprung. Die Bibel sieht an diesem Kreuzweg Jesus Christus.“ (Barth 1922, XIII) Karl Barth stellt sich hier insbesondere auch neben seinen Bruder Heinrich, der an der Basler Universität eine Philosophie des Ursprungs vertritt.
Angestoßen durch den Römerbrief bildet sich seit 1923 eine Arbeitsgemeinschaft von verschiedenen Theologen, die sich vor allem in der Ablehnung der zuvor herrschenden liberalen wie konservativen Theologie einig sind. Die Theologie dieser Gruppe heißt wegen ihrer Denkform in unaufgelösten Entgegensetzungen die „dialektische“. Ihre Zeitschrift nennt sich Zwischen den Zeiten. Träger dieser Theologie sind neben Barth Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen, Emil Brunner und auch Paul Tillich. Unter diesen entstehen bald kontroverse Debatten, die öffentlich ausgetragen werden und unter denen vor allem jene zwischen Tillich und Barth interessant ist (Barth 1923). Tillich sucht im Unterschied zu Barth eine „reale Aufhebung der dialektischen Position vom Unbedingten her“; denn, so das Argument, sonst gerät Barth in die Absolutsetzung eines Relativen, womit die Vergötterung des Menschgewordenen gemeint ist. Barth antwortet: Wir könnten von dem Positiven, um das es Tillich geht, nur paradox, nur dialektisch reden; denn sonst maße sich der Mensch an, Gott zu sein. Das positive Paradox sei keine Gegebenheit, mit der sich hantieren lässt, sondern eine Gabe. Jesus Christus ist für uns das positive Paradox. Der Kreis der Vertreter dieser Theologie zerbricht 1933 an der Frage, ob zum Verständnis des Wortes Gottes zuvor die Erhebung eines menschlichen Vorverständnisses nötig ist oder ob auch die Verständigung des Menschen über sich selbst nur im Zug des Nachdenkens gemäß der uns von Gott gegebenen Voraussetzung seines Wortes erfolgen kann. Barth plädiert für das Letztere.
Was ihn weiterführt bzw. noch einmal neu ansetzen lässt, ist nach seiner eigenen Aussage die Beschäftigung mit Anselm von Canterbury, zu der ihn sein philosophischer Freund in Münster, Heinrich Scholz, anregt. Daraus resultiert eine neue Denkweise, in der das dialektisch-paradoxale Muster zurücktritt zugunsten eines Denkens in Analogien. Gemeint ist damit nicht die analogia entis, wie sie etwa der Katholik Erich Przywara vertrat, eine im Seienden gegebene Ähnlichkeit mit dem Göttlichen; das Rechnen mit ihr sieht Barth als den Grundfehler des römisch-katholischen Denkens an. Er spricht vielmehr von einer analogia fidei oder von einer analogia relationis, zur Bezeichnung eines von der Offenbarung Gottes hervorgerufenen, ihr entsprechenden Denkens. Dies verbindet sich bei Barth mit einigen Regeln der theologischen Erkenntnis, wie etwa: Vorrang der Wirklichkeit vor der Möglichkeit oder Ausgang jeweils vom Besonderen zum Allgemeinen und nicht umgekehrt.
Das alles ist nun wichtig in der Erarbeitung von Barths Hauptwerk: seine 12-bändige Kirchliche Dogmatik (Barth 1932), die trotz ihres Umfangs von über 9000 Druckseiten unvollendet bleibt. Seine Dogmatik ist geprägt von Bibelauslegungen, sodass etwa seine Ausführungen zum Verhältnis von Kirche und Israel zum größten Teil aus einer Exegese von Römer 9–11 bestehen. Darin drückt sich der für sein Vorgehen bezeichnende Gedanke aus: Es gelte, immer wieder mit dem Anfang anzufangen. Der Fortgang im Gedankengang bestehe darin, noch einmal mit dem Anfang anfangend das Ganze unter neuen Gesichtspunkten zu bedenken. „Mit dem Anfang anfangen“ ist dabei so zu verstehen: nicht mit einem von uns gewählten Ausgangspunkt zu beginnen, sondern fort und fort mit dem Reden des in der Bibel bezeugten lebendigen Gottes und also mit dem Hören auf sein Wort.
In seinem Hauptwerk durchdenkt Barth die Themen der Dogmatik und Ethik, verbunden mit exegetischen, theologie- und geistesgeschichtlichen Passagen, jeweils unter dem einen Gesichtspunkt, dass Jesus Christus die Erfüllung des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel ist und so auch mit uns Anderen: seine von ihm geschaffenen, mit ihm und untereinander versöhnten und zu mündiger Verantwortung befreiten Menschen (Barth 1953). Wichtig ist seine Prädestinationslehre: Sie handelt nicht von den Schrecken eines uns Verborgenen, wie es Calvin sagen konnte; sie ist das „Evangelium im Evangelium“, weil sie von Gottes uranfänglicher Selbstbestimmung zur Gemeinschaft mit dem Sünder und von der darin begründeten Selbstbestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und seinem Volk redet (Barth 1942, 1–35). Entgegen der Emanzipation der Ethik aus der Theologie betont er, dass der gnädige Gott als solcher gebietet: das Evangelium schließt auch das Gesetz in sich ein. Das heißt einerseits, dass das Erkennen von Gottes Gnade auch das Erkennen seiner Herrschaft ist, und andererseits, dass das Gebot Gottes uns wohltätig in rechte Freiheit versetzt. Dass der Mensch Übertreter von Gottes Gebot ist, erkennt er erst angesichts des Versöhnergottes.
Beim Verständnis des biblischen Schöpfungsberichts ist ihm der jüdische Theologe Benno Jacob eine Hilfe. Barth nennt die Schöpfung die äußere Voraussetzung des Bundes Gottes mit den Menschen und den Bund die innere Voraussetzung der Schöpfung. Das Letztere besagt, dass das Gutsein eines Geschöpfs angemessen nur von dessen gnädiger Bejahung von Gott in Jesus Christus her erkennbar ist, weil das Geschöpf nur um dieser Bejahung willen geschaffen ist. Barth lehnte die „natürliche Theologie“ ab, sofern sie die Geschöpflichkeit abgesehen von solcher Bejahung denkt. Entgegen des Begriffs beliebiger Verfügungsfreiheit versteht er Freiheit als Freiheit zu und in Gemeinschaft. Daher heißt Menschlichkeit Mitmenschlichkeit. Das Tun der Kirche lässt sich auf den Nenner einer Antwort auf Gottes Wort bringen. Daher verneint Barth einen davon absehenden Sakramentsbegriff, speziell die Säuglingstaufe. Der Glaube aller Christen muss in der kirchlichen Gemeinschaft mündig sein. Die Kirche ist in allen ihren Gliedern herausgefordert zu einer Sendung in die „Welt“ ihrer Umgebung und zur Hilfsarbeit in Anbetracht der Nöte der Menschen, in „Solidarität“ mit den Leidenden. Im zweiten Vatikan-Konzil der römischen Kirche werden Anstöße von Barth fruchtbar. Das Konzil zeigt ihm, dass Kirchen in Erneuerung der Weg zur Einheit der getrennten Kirchen sind.
Interessant ist hier speziell, dass Barth in einer Reihe von Exkursen in seiner Kirchlichen Dogmatik Gespräche oder auch Auseinandersetzungen mit philosophischen Denkern in Geschichte und Gegenwart einbezieht. Aristoteles und Plato sind ihm etwa beim Verständnis des concursus des göttlichen und menschlichen Handelns oder beim Verständnis der Liebe im Sinn von eros präsent. Eingehend beschäftigt er sich in Pro und Contra mit der „Theodizee“ von Leibniz; Barth sieht bei diesem das Problem, dass er in seiner an sich guten Bemühung, trotz des Bösen das Gutgeschaffensein der Menschheit hervorzuheben, das Böse wegredet. Die Philosophie von Fichte ist ihm unheimlich, weil es dessen „Ich“ an Begrenzung durch das Gegenüber mangelt. Nietzsche ist ihm eindrücklich, weil er die in dem cartesianischen „Ich bin“ angelegte „Humanität ohne den Mitmenschen“ radikal zu Ende gedacht habe und weil er deshalb den Gekreuzigten in seiner Verbindung mit den Armen verhöhne. In seiner Beschäftigung mit Simone de Beauvoir bejaht er ihren Kampf zur weiblichen Emanzipation von dem von Männern erfundenen Mythos der Frau, legt ihr aber nahe, dass es für die Frau nicht um eine Emanzipation von ihrem, sondern in ihrem femininen Geschlecht gehe. Bei Martin Heidegger (Barth 1948, 383–402) fragt er, auf welcher Grundlage dieser denn das Nichts, statt als Finsternis, als fruchtbare Tiefe verstehen kann.
Barth lehrt nicht nur Dogmatik und Ethik; er wirkt auch durch seine ethisch-politischen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit oft provozierend. Seiner Ansicht nach ist „von Fall zu Fall“ neu zu überlegen, wozu aufzurufen ist. Gegenüber der Anpassung der Kirche an das NS-Reich ruft Barth 1934 in der „Theologischen Erklärung“ von Barmen die deutschen Kirchen zum Gehorsam gegen Gott allein auf und hilft so, die Bekennende Kirche zu gründen. Wegen seiner Votums am 31.10.1933 in Berlin zugunsten der Verfolgten, z.B. der Juden, wird er 1934 als Bonner Professor abgesetzt. Nachdem er dann in seiner Heimat als Basler Professor, zum Ärger seiner Regierung, zum Widerstand gegen die NS-Herrschaft aufgerufen hat, tritt er seit 1945 für befreiende Versöhnung ein: im Verhältnis des Auslands zu Deutschland, auch zwischen den Fronten des Kalten Kriegs, im Alter auch im Verhältnis zwischen den reichen und armen Ländern, am Horizont auch im Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen. In den USA warb er 1962 für eine Theologie „not of liberty, but of freedom“. Die Fülle seiner Werke und erst recht die Fülle von deren Deutungen ist kaum überblickbar. Seine Theologie setzt international Maßstäbe.
Literatur: Barth 1922, Barth 1931, Barth 1962, Busch 1975, Hunsinger 2009, Trowitzsch 2007
Webseite: karlbarth.unibas.ch
Eberhard Busch