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Brentano, Franz

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Geboren 1838 in Marienberg, gestorben 1917 in Zürich. Jugend in Aschaffenburg. Studium in München, Berlin, Münster, Mainz und Würzburg, Promotion 1862 in absentia zu Tübingen. 1864 Priesterweihe, Habilitation 1866. Außerordentlicher Professor 1872 in Würzburg, ordentlicher Professor 1874 in Wien, 1879 Kirchenaustritt. 1880 Heirat und daher Verlust der Professur, Emigration 1895 nach Italien und von dort 1915 in die Schweiz.

Angeregt durch seine Lehrer Adolf Trendelenburg in Berlin und Franz Clemens in Münster, deren Kollegien über Metaphysik bzw. Psychologie er besucht, stehen im Fokus von Brentanos wissenschaftlichen Untersuchungen und seiner Lehrtätigkeit Probleme der Metaphysik (Brentano 1862, 1911, 1933, 1966, Nachlass M) und der Psychologie (Brentano 1867, 1874, 1907, 1911a, 1982). Andere philosophische Disziplinen sah er mit ihnen im Zusammenhang.

Metaphysische Theorien – Seine Dissertation über Aristoteles’ ontologische Kategorien (Brentano 1862) widmete er Trendelenburg, dem „um das Verständniß des Aristoteles hochverdienten Forscher“ (Brentano 1862, Widmung). In ihr konfrontiert er relevante Interpretationen mit aristotelischen Schriften (Chrudzimski 2004, Kap. 3) mit dem Ergebnis, dass „neuere Theorien“, welche die Kategorien als formale, logische und grammatikalische Seinsaussagen fassten, „gar nicht mehr mit dem Zwecke, den Aristoteles verfolgt“, überein zu bringen sind. (Brentano 1862, 193) Er dagegen legt ihre ontologische Fundierung dar, indem er sie aus der ersten Substanz deduziert: Substanz, Seiendes, on sei gemeinsamer Name für alle Dinge und werde auf verschiedene, analoge Weise durch die Kategorien prädiziert. Diese stünden alle in „weder aufeinander noch auf ein höheres Genus“ rückführbarer Beziehung zum on als dessen ihm inhärierende Akzidenzien. (Ebd., 216) Dadurch soll der unbestimmte Ausdruck des on als griechischer Terminus für das Sein genauer bestimmt werden, womit Brentano nach eigener Auffassung „für Aristoteles gesprochen“ (ebd., 219) hat. Später revidiert er dies und komme „von Aristoteles zu […] [sich] selbst“ zurück. (Brentano 1966, 122f.; Antonelli 2001, Kap. III und V). Zu-sich-selbst-Zurückzukommen bedeutet für ihn „Evolution“ seines Denkens unter Einschluss der Kritik der eigenen Lehren auf dem Weg der Selbständigkeit und der Bildung – wie er es nannte – „meiner Schule“ (Brentano 1894 Brentano 1911a; 1986).

In den Metaphysikvorlesungen (Nachlass M 95, 96, 99) ist Ontologie eine, freilich zentrale, Teildisziplin der Metaphysik, welche insgesamt die Transzendentalphilosophie, Ontologie, natürliche Theologie und Kosmologie umfasst. Metaphysik betrachte das Seiende als Seiendes im Allgemeinen, seine Eigenheiten und was unmittelbar von uns erfasst werde sowie den Zweckgedanken des Ganzen. Sie unterscheide sich auf Grund ihres Gegenstandsbereichs, ihrer Methode und ihrer Zielsetzung von anderen Wissenschaften: von den a priori feststehenden Sätzen der Mathematik; von den Naturwissenschaften, mit denen sie die methodische Beobachtung und Erfahrung teile (Brentano 1866, These 4), nicht aber den Gegenstandsbereich (die Naturwissenschaftler beschäftigten sich ex professo nicht mit dem der Metaphysik); von der Theologie, mit der sie die Gegenstände (Gott, Zweckursache, wirkendes Prinzip) teile, aber nicht deren Glaubenswahrheiten als Prämissen; von der Psychologie, sofern sie individuelle Denkprozesse behandelt. All diese Disziplinen sind daher nicht zuständig und ersetzen die Metaphysik als eigenständige Wissenschaft nicht; auch diejenige Philosophie nicht, die ihre Vergangenheit verwirft und bloß aus sich selbst schöpfen will. Dem Slogan, es müsse auf Kant zurück gegangen werden, setzt er den „Mahnruf“ entgegen, man müsse hinter Kant auf die Höhepunkte der Philosophie zurück gehen (Brentano 1895, 1925, 1980, 1987).

In der Transzendentalphilosophie, einer „Apologetik des Vernunftwissens“ gegen „Angriffe des Skeptizismus und Kritizismus“, widerlegt Brentano die „Argumente der Gegner“, kommt zur „Lösung der Einwände“ und resümiert: Wir haben „die Apologetik geschlossen, die Kant den transcendentalen Theil der Metaphysik genannt haben würde. Wir gehn zu Untersuchungen über, die in seiner Sprache als transcendent zu bezeichnen wären. Er selbst bleibt hier stehen u. thut von dem Standpuncte d. Ergebnisse s. Untersuchungen Einsprache gg. unser Weiterschreiten. Allein s. Resultat ist nicht das unsere. Er endigt skeptisch mit der Unerkennbark. des Dings an sich, mit der Subjectivität unserer Principien.“ „Wir im Ggtheil haben gesehn, dass wir Principien haben, an deren Giltigkeit sich nicht zweifeln lässt“ und dass wir „beim Wissen statt beim Zweifel über das Noumenon endigten.“ (Nachlass M 96, 31945 und 31820)

In der Ontotogie (ebd., 31945ff.) verweist er auf seine Dissertation und erweitert sie. Der mannigfachen Bedeutung des Seienden stellt er eine Theorie der „physischen“, „logischen“ und „metaphysischen Teile“ an die Seite. Physische Teile versteht er als quantitative Subdivisionen von Ganzen, denen sie zugehören; logische als begriffliche Teile der Definition von Genus und seinen spezifischen Differenzen; metaphysische Teile (die physische einschließen) als einseitig abhängige Akzidenzien von ihren ihnen übergeordneten selbständigen Substanzen; Akzidenzien von Akzidenzien als Teile oder „Momente“ der letzteren. Mit dieser strukturellen Onto-Mereologie legt Brentano eine Analyse metaphysischer Bausteine vor und weist ihren teleologischen, kosmologischen Zusammenhang auf, um das Ziel der Metaphysik, das „Ganze [der Welt] als Zweck der Teile“ auszuweisen.

Psychologische Theorien – Die Psychologie des Aristoteles (Brentano 1867) richtet ihre Aufmerksamkeit ganz auf Aristoteles’ Lehre von den Erkenntniskräften, da Brentano in ihr einen sicheren Maßstab zur Beurteilung des Ganzen sieht. Die Erkenntniskräfte, Sinne und Verstand, stehen bei Aristoteles in konstitutiver und intentionaler Relation zu einander. Dasselbe Ding, das sinnlich konkret gegeben sei, werde im Verstand als essentiell identisch rezipiert; Sinne und Verstand verhalten sich nur in je anderer Weise zum gleichen Gegenstand, der als Gegenstand beiden inhäriere, nämlich als unterschiedliche intentionale Einstellungen (ebd., 80, 135). Von diesem Verständnis aus sieht Brentano den aristotelischen wirkenden Verstand, den nous pojetikos, als die „vor allem Denken […] wirkende Kraft des geistigen Theils unserer Seele“, die nicht von Sinn und Verstand getrennte geistige Substanz, die denk-immanente (nicht transzendentale) „Ursache unseres Denkens“, die den Sinnen „den nötigen Impuls zur Rückwirkung auf das Geistige“ gebe (ebd., 180) und Leib und Seele „auf’s Innigste“ zusammenhalte – so lange man lebt. Danach bestehe die vom vergänglichen Leib einseitig ablösbare unsterbliche Seele fort (ebd., 196). Diese These führt zu einer heftigen Kontroverse mit Eduard Zeller (Brentano 1911a).

Die Psychologie vom empirischen Standpunkte (Brentano 1874) behandelt zum einen die Methode der Psychologie, insbesondere die Erfahrung als deren Grundlage, sowie zum anderen die bewussten psychischen Phänomene bzw. Akte. Letztere werden gemäß ihrer unterschiedlichen intentionalen Einstellung unterteilt in Vorstellungen, Urteile sowie Gemütsbewegungen (Emotionen, Liebe, Hass, Wille). Vorstellungen fungieren als selbständige, fundierende Akte für die auf sie gegründeten und von ihnen einseitig abhängigen Akte des Urteils und der Emotionen: Nichts kann beurteilt, geliebt etc. werden, ohne vorgestellt zu sein; jedes Urteil, jede Emotion ist komplexer Natur, da beide je eine Vorstellung inkludieren. Gemeinsam komme allen psychischen Phänomenen ihr evidentes Bewusstsein von sich selbst und ihre Intentionalität zu. Intentionalität bedeutet, dass wir beim Denken uns primär auf Anderes und dabei sekundär auf uns selbst als Denkende beziehen und dass wir zweifellos darum wissen. Das Andere ist dabei als „mental einwohnend“, „inexistent“, als lediglich gedacht, mithin nicht real, kopräsent „mit da“. (ebd., 106ff.) Die Gleichzeitigkeit von transitivem Fremdbezug und rezeptivem, reflexiv-intransitivem Selbstbezug garantiert die Einheit des Bewusstseins bei zugleich vielfacher differierender intentionaler Beziehung (Studien 1991).

Auch in der Deskriptiven Psychologie (Brentano 1982) sucht er in einer „Anatomie des Seelenlebens“ die „Elemente des menschlichen Bewusstseins und ihre Verbindungsweisen (nach Möglichkeit) erschöpfend zu bestimmen und die Bedingungen anzugeben, mit welchen die einzelnen Erscheinungen ursächlich verknüpft sind.“ (Ebd., 1, vgl. 79, 129, 156) Diese Elemente und ihr Konnex werden in einer elaborierten Teil-Ganzes-Lehre, einer Psycho-Mereologie, in Analogie zur oben genannten Onto-Mereologie, herausgearbeitet. Diese „reine“ Analysis und Synthesis von Bewusstseinszuständen sieht streng ab von deren „inexakter“, weil physiologischer Genese. Unerlässliche Grundlage für die Beschreibung ist das „Erleben“ innerer Zustände und Ereignisse. Diese können verdeutlicht werden durch das explizite Wahrnehmen („Bemerken“) des im Bewusstsein implizit Gegebenen; durch das Sammeln („Fixieren“) des Bemerkten im Kontext anderer schon gewonnener Erkenntnisse; durch deren begriffliche „induktive Verallgemeinerung“, um ihren gesetzartigen Zusammenhang „intuitiv“ zu erfassen (ebd., 73) und durch deren deduktive Verwertung auch für andere Disziplinen, etwa Ethik (Brentano 1889) und Logik (Brentano Nachlass EL), aber auch für Theologie und Naturwissenschaften.

Brentanos Lehre und Forschung wirkte intern („meine Schule“: Brentano 1894, 34) und extern inspirierend auf die sogenannte Österreichische Philosophie. Er gilt als Begründer der „Aktpsychologie“, als Wegbereiter der Phänomenologie der Husserl-Schule und als Ahne der „Philosophie des Geistes“.

Literatur: Brentano 1862, Brentano 1874, Brentano 1911a, Antonelli 2001, Chrudzimski 2004, Studien 1991

Hilfsmittel: Studien 1988

Webseite: www.franz-brentano.de

Wilhelm Baumgartner

Die deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert

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